Bibelauslegung

Seelen gereinigt durch Gehorsam

Was meint Petrus mit dem Ausdruck „die Seelen gereinigt“? Er benutzt ihn in seinem ersten Brief:

„Da ihr eure Seelen gereinigt habt durch den Gehorsam gegen die Wahrheit zur ungeheuchelten Bruderliebe, so liebt einander mit Inbrunst aus reinem Herzen“ (1. Pet 1,22).

Geht es hier um eine tägliche praktische Reinigung oder geht es um eine grundsätzliche Reinigung, die ein für alle Mal geschehen ist?

Auf den ersten Blick könnte man tatsächlich annehmen, es ginge um die tägliche Reinigung, denn die Empfänger des Briefs hatten diese Reinigung selbst vorgenommen. Heißt es doch „ihr habt“ eure Seelen gereinigt (nicht: „ihr seid gereinigt worden“) und „durch den Gehorsam“ (nicht: „durch Glauben“).

Doch bei näherem Hinsehen stellen wir fest, dass das nicht der Sinn dieser Stelle sein kann. Eine Reihe von Gründen sprechen für eine andere Auslegung:

  1. In Gottes Wort gründet sich unser praktisches Verhalten auf unsere Stellung, in die Gott uns gebracht hat. Ein Beispiel (von vielen) dafür finden wir in unserem Kapitel: Petrus macht erst klar, dass die Empfänger des Briefs eine einmalige Heiligung erfahren hatten (V. 2) und dann ermahnt er sie, auch praktisch heilig zu sein (V. 15). So auch hier: Die Aufforderung einander zu lieben gründet sich darauf, dass sie die Wahrheit anerkannt und aufgenommen hatten, nicht etwa auf ihr bisheriges praktisches Verhalten.
  2. Praktischer Gehorsam kann die Seele bestenfalls rein erhalten, aber er kann sie nicht reinigen, d. h. aus einem unsauberen in einen sauberen Zustand bringen.
  3. Die Buße, die Sinnesänderung eines Sünders wird als ein Akt des Gehorsams betrachtet. So lesen wir: Gott „gebietet … jetzt den Menschen, dass sie alle überall Buße tun sollen“ (Apg 17,30). Wer das tut, handelt „im Gehorsam gegen die Wahrheit“. Daher auch der interessante Ausdruck „Glaubensgehorsam“ (Röm 1,5; 16,26)
  4. Die verwendete Zeitform (Perfekt) weist nicht etwa auf eine fortwährende Handlung hin, sondern darauf, dass die Reinigung in der Vergangenheit stattgefunden hat und Auswirkungen bis in die Gegenwart hat.

 

Da ihr eure Seelen gereinigt habt durch den Gehorsam gegen die Wahrheit zur ungeheuchelten Bruderliebe, so liebt einander mit Inbrunst aus reinem Herzen, die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes.

1. Petrus 1,22.23]

 

Wenn man diese Punkte bedenkt, wird klarer, was Petrus meint. Die Gläubigen, an die er schrieb, hatten einen sehr wichtigen Schritt getan. Sie waren zum „Gehorsam gegen die Wahrheit“ gekommen. Sie hatten das akzeptiert, was zunächst für jeden Menschen eine äußerst bittere Pille ist: Sie waren Sünder, sie waren verloren und, was das Schlimmste ist, sie konnten sich nicht selbst retten. Sie mussten Buße tun. Nur so konnten sie vor einem Gott stehen, der gerecht und heilig ist. Das hatten sie im Glauben erfasst. Durch diesen „Gehorsam gegen die Wahrheit“ hatten sie ihre Seelen gereinigt – und zwar ein für alle Mal.

Durch den Gehorsam gegen die Wahrheit wird die Sache ein für alle mal gereinigt.

Petrus bezieht sich hier also auf den Augenblick ihrer Bekehrung. Dabei ist es interessant, dass er nicht von Bekehrung, sondern von Reinigung der Seele spricht. Bekehrung bezeichnet die Umkehr selbst. Reinigung der Seele zielt auf eine Auswirkung dieses Ereignisses ab: Die Seele, d. h. die bewusste Persönlichkeit des Menschen, wird bei der Bekehrung gereinigt, und zwar vom Eigenwillen, der Auflehnung gegen Gott, dem Grundprinzip der Sünde (1. Joh 3,4).

Man mag einwenden, dass man seine Seele nicht selbst reinigen kann, da die Wiedergeburt ein Werk Gottes ist. Natürlich ist es richtig, dass die Wiedergeburt ein Werk Gottes ist: Sie ist „aus Gott“ (Joh 1,13), und erfolgt durch Wasser, d. h. durch das Wort, und durch den Heiligen Geist (Joh 3,5). Von dieser Seite spricht Petrus im nächsten Vers: „die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes“. Hier ist es Passiv (‚wiedergeboren seid‘): Jetzt geht es nicht mehr um das, was sie getan hatten, sondern um das, was mit ihnen geschehen war. Das ist Gottes Seite: sein souveränes Eingreifen in das Leben eines Menschen, die geheimnisvolle und doch kraftvolle Wirkung des Wortes Gottes als lebendiger Same. Aber es gibt eben auch eine menschliche Seite, d. h. die Seite unserer Verantwortung, die unbedingt bestehen bleibt. Und darum geht es in unserem Vers: Sie hatten ihre „Seelen gereinigt durch den Gehorsam gegen die Wahrheit“.

Bei diesen beiden Aspekten geht es übrigens nicht um eine Frage der zeitlichen Reihenfolge. Auf der einen Seite heißt es: „Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater … ihn nicht zieht“ (Joh 6,44). Auf der anderen Seite lesen wir in Johannes 5,24: „Wer … glaubt, … hat ewiges Leben“ (nicht: „wer Leben hat, wird glauben“). Siehe auch Johannes 5,26 und 3,16.

Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.

Johannes 3,16

Es geht auch nicht darum, diese beiden Aspekte gegeneinander auszuspielen. Niemand kann sagen: „Ich konnte mich ja nicht bekehren, denn Gott hat mir nicht die Wiedergeburt geschenkt.“ Vielmehr müssen wir beide Seiten getrennt betrachten: Der Mensch hat absolut die Verantwortung, „Gehorsam gegen die Wahrheit“ zu leisten, indem er sich bekehrt und anerkennt, was Gott sagt. Und wenn das geschieht, ist es der Beweis, dass Gott das Wunder der Neugeburt gewirkt hat. Er hat neues Leben geschenkt.

Wenn wir unseren Vers so verstehen, ergibt sich ein schönes Bild: Petrus spricht von beiden Seiten, sowohl von der Verantwortung (sie hatten ihre Seelen gereinigt) und auch von der Seite Gottes (Er hatte die Wiedergeburt bewirkt). Dazwischen bringt er eine praktische Belehrung. Wenn sie nun ihre Seelen gereinigt hatten, dann war es „zur Bruderliebe“. Sie kannten nun andere, die dasselbe getan hatten und konnten sie als Brüder (bzw. Schwestern) lieben und so Bruderliebe praktizieren. Auf der einen Seite war die Bruderliebe das natürliche Ergebnis der gereinigten Seelen.

Bruderliebe ist das natürliche Ergebnis der gereinigten Seele.

Auf der anderen Seite war immer noch die Aufforderung notwendig, beharrlich zu lieben: „… so liebt einander mit Inbrunst aus reinem Herzen“. Dabei ging es nicht um etwas Aufgesetztes oder Vorgetäuschtes oder etwas, das mit Hintergedanken geschieht, sondern um echte und aufrichtige Liebe. Echte Liebe sucht das Beste für den anderen. Sie äußert sich je nach Situation sehr unterschiedlich: Sie kann einfach Gutes schenken oder sagen, sie kann warnen, sie kann, wenn nötig, zurechtweisen, sie kann ermuntern; aber immer möchte sie das beste Ergebnis für denjenigen erreichen, der geliebt wird. Einerseits war diese aufrichtige Liebe die logische Fortsetzung ihrer Bekehrung, d. h. die einzige Haltung oder Ausrichtung, die zu ihrem Leben als Bekehrte passte. Andererseits wurden sie durch ihre neue Geburt dazu befähigt.

Wir haben also gesehen, dass die „Reinigung der Seelen durch den Gehorsam gegen die Wahrheit“ etwas war, das am Anfang des Weges dieser Gläubigen gestanden hatte. Das nimmt nichts davon weg, dass für jeden Gläubigen der praktische Gehorsam das verbindliche Prinzip ist und bleibt (wir können Gott nur gefallen, wenn wir gehorsam sind und seinen Willen tun) und auch nicht davon, dass es eine praktische und wiederkehrende Reinigung gibt. Nur sind das eben Aspekte, von denen nicht hier, sondern an anderen Stellen gesprochen wird (s. z. B. Röm 12,1.2;
Eph 5,25).

Zusammenfassung:

Gottes Wahrheit: Der Mensch ist ein verlorener Sünder, er muss Buße tun. Wer das anerkennt, dessen Seele wird ein für alle Mal gereinigt. Diese Reinigung geschieht durch das lebendige und bleibende Wort Gottes, dem unverweslichen Samen der Wiedergeburt. Das natürliche Ergebnis des Werkes Gottes an einer Seele ist die Bruderliebe. Dennoch ist Aufforderung nötig, die Brüder mit Ausharren zu lieben.

 

Michael Hardt

Einordnung: Im Glauben leben, Jahrgang 2016, Heft 10, Seite 6

Bibelstellen: 1.Petrus 1,22.23; Johannes 3,16

Stichwörter: gereinigt, Gottes Liebe, Seele, Wiedergeburt