Absonderung, Abhängigkeit, Leiden

(Dan 1. 2,13-23; 3,12-30.)

Aus den Mitteilungen über den israelitischen Überrest jener Tage möchten wir nur einige Grundsätze hervorheben, die auch für uns heute von großer Wichtigkeit sind und uns jetzt kennzeichnen sollten.

Es scheint mir, daß die Erzählung aus dem Buche Daniel uns auf eine treffliche, einfach verständliche Weise die praktische Stellung, die Vorrechte und die Kraft beleuchten, welche durch die Gnade auch unser Teil sind, auf daß wir in diesen Tagen für Christum dastehen können.

Es ist nicht schwer zu sehen, daß zwischen der Zeit Daniels und der unsrigen eine große Ähnlichkeit besteht. Wir finden in Jes. 39 die Tatsachen, denen wir am Anfang dieses Buches begegnen, vorausgesagt, daß nämlich Tage kommen würden, wo das Volk Israel von einer fremden Macht zertreten und die edelsten Sprößlinge des Volkes, die eigentliche Blüte der Nation, im Palast des Königs von Babylon dienen würden. Dies war die Weissagung des Propheten Jesajas, Gottes warnende Stimme zuvor. Dies finden wir alles, Wort für Wort, erfüllt.

Das Volk Israel war vollständig gelähmt, als Nation auseinandergerissen. Jehova hatte aufgehört, in direkten Beziehungen zur Regierung der Erde zu stehen, und alles lag zu den Füßen des Königs von Babel. Dem Grundsatz nach finden wir in unseren Tagen gerade dasselbe. Das, was Gott zum Zeugnis für Sich selbst hier auf der Erde, wo Sein Sohn verworfen wurde, geschaffen hatte, wurde in den Händen des Menschen verderbt. Was ist aus dem geworden, was Gott, hier auf der Erde aufrichtete, damit es für Ihn bestehe? Es hat vollständig Schiffbruch gelitten. Ich meine damit natürlich nicht das, was wirklich Christo angehört, wirklich Gott angehört, und was niemand antasten kann, das was echt und wahr ist. Nein, ich beziehe mich auf das, was der Verantwortlichkeit des Menschen anvertraut wurde. Wenn uns der Unterschied zwischen dem, was der Heilige Geist baut und schafft, zwischen dem Echten und Wahren und dem, was dem Menschen, als einem Baumeister, übergeben worden, noch nicht recht zum Bewußtsein gekommen ist, so haben wir noch sehr vieles zu lernen. Gott baut, aber Er hat das Bauen auch dem Menschen anvertraut, und um uns herum erblicken wir dies letzte, daß er, wie alles, was seiner Verantwortlichkeit übergeben worden, gänzlich verderbt hat. Dies ist für manche Seele heutzutage eine große Schwierigkeit. Es gibt solche, welche verständig forschen, ernstlich fragen, und die durch die Verwirrung, welche sie um sich her erblicken, in große Verlegenheit geraten. Und ich fürchte, daß wir ihnen oft gar nicht behilflich sind. Denn vergessen wir nicht sehr leicht unsern Anteil an dem Verfall dessen, was dem Menschen zu bauen überlassen war? Erwecken wir in ihnen nicht manchmal den Gedanken, unser Trachten gehe dahin, äußerlich wieder etwas aufzubauen, eine neue Gemeinde zu gründen? Wenn aber das unser Bestreben ist, so werden wir gewiß in der Aufrechterhaltung der Wahrheit Gottes immer schwach sein. Es ist sehr wichtig, klar und deutlich zu verstehen, was die Dinge in der Hand der Menschen geworden und was die göttlichen Grundsätze sind, nach welchem sich die Kinder Gottes in Tagen, wie die unsrigen, richten sollen, und ich wünsche hier diese Grundsätze, soweit ich es vermag, kurz und einfach darzulegen.

Das erste, was einen Überrest, der in Zeiten herrschender Verwirrung und des Verfalls für Gott dastehen möchte, kennzeichnen sollte, ist gerade das, was wir in dem Charakter dieser „Knaben“ in Daniel 1 finden, nämlich

Entschiedenheit

für Gott, ein Absondern von allem, was nicht nach Seinem Sinn ist. Betrachten wir diese wenigen, schwachen Zeugen; nur drei oder vier ohnmächtige, wehrlose Jünglinge sind es, aber der Charakter des Nasirs tritt deutlich an ihnen hervor, und der Grundsatz der Absonderung für Gott ist in ihnen wirksam. Nichts kann sie veranlassen, dieser abgesonderten Stellung zuwider zu handeln.

Wie schwach und selten, geliebte Geschwister, ist solch ein Sinn unter uns geworden. Wie wenig bewahren wir den Charakter des Nasirs, wie wenig halten wir uns abgesondert von Gott! Haben wir das, was die Welt uns anbietet, zurückgewiesen? Ein jeder von uns kann dies auf seinen besonderen Fall anwenden. Haben wir uns geweigert, uns zu „verunreinigen“, geweigert, und dies auf unsern eignen Schaden und Verlust hin, an Gott und der Wahrheit, wie Er sie uns geoffenbart hat, Untreue zu beweisen, und den Namen des Herrn Jesu zu verunehren? Dies ist die große Frage, glaube ich, welche Gott in diesen Tagen an unsere Herzen richtet, die Frage unserer Absonderung für Ihn. Vergessen wir auch nicht, daß nur ein innerliches Getrenntsein auch äußerliche Absonderung und Heiligkeit in Wandel und Zeugnis hervorbringt. Bin ich innerlich abgesondert? ist die erste Frage, die ein jeder von uns an sich selbst richten sollte. Und von ihrer Verwirklichung hängt auch der Gesamtzustand der Versammlung ab, welcher nicht gebessert werden kann, wenn nicht der Zustand der einzelnen zuerst Gott wohlgefällig ist.

Haben wir, die wir Glieder am Leibe Christi sind, die wir durch Glauben an das Blut, welches von aller Sünde reinigt, Christo angehören, haben wir, frage ich, ein Bewußtsein davon, wie ganz und gar wir durch dieses Blut von Gott abgesondert sind, als solche, welche „aus er wählt sind nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi“? (1. Pet 1,2.) Haben wir ein Bewußtsein davon, was es bedeutet, nicht nur errettet, sondern ein Glied Christi zu sein? „Ich fürchte mich nicht zu sterben“, hört man oft sagen, „ich erwarte in den Himmel zu kommen“. Aber wieviel mehr als dies bedeutet es, ein Christ zu sein! Wenn du ein wahrer Christ bist, so bist du ein Glied Christi, vereinigt mit dem verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes, durch den vom Himmel herniedergesandten Heiligen Geist. Ist es nicht wunderbar, daran zu denken? Dies sondert mich ab, sobald meine Seele wirklich davon erfaßt ist. Bedenken wir es doch, geliebte Freunde, daß wir mit Christo in der Herrlichkeit vereinigt sind und das Maß Seiner Absonderung auch dasjenige derer ist, die mit Ihm

einsgemacht

sind. (Vergl. Joh 17,19!) Dies ist unwidersprechlich. Ich bin ein Teil von Christo, ein Teil von dem, welches der Heilige Geist bezeichnet als „die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.“ (Eph 1,23). Ganz natürlich wird mir dadurch die Stellung angewiesen, welche mir geziemt. Ich brauche nicht mehr lange zu fragen: Darf ich dieses, oder darf ich jenes tun? Nein, die besondere abgesonderte Stellung, die ich in dieser Welt einzunehmen habe, wird mir sofort klar, so klar, daß kein Zweifel darüber möglich ist.

Wir alle wissen wohl, wie abgesondert Christus während Seines Lebens hier war. Betrachten wir Seinen Pfad, diesen wunderbaren, einsamen, abgesonderten

Pfad

als Mensch in dieser Welt der Sünde und des Elendes. Verfolgen wir ihn von der Krippe, wo hinein der Herr bei Seiner Geburt gelegt wurde, weil „kein Raum in der Herberge“ für Ihn war, bis zum Kreuze. Betrachten wir die Entschiedenheit und Heiligkeit, die Göttlichkeit dieses Pfades! Beachten wir aber auch, daß Er sagt: „Gleichwie Du Mich in die Welt gesandt hast, habe auch Ich sie in die Welt gesandt.“ (Joh 17,18) Wie wenig haben wir ein wirkliches Bewußtsein dieser Dinge. Ich fühle es für mich selbst und‘ muß mir oft den Gedanken vergegenwärtigen: Nicht nur bin ich mit dem Herrn Jesus Christus im Himmel vereinigt, sondern ich habe einen bestimmten Auftrag auf dieser Erde empfangen, wie Er es hatte! Wie wunderbar ist dies! Aber wie schwach und unentschieden sind wir in der praktischen Verwirklichung dieser Berufung. Wie war es mit Daniel? Er wollte sich „nicht verunreinigen mit der feinen Speise des Königs“; er ließ sie unberührt. Man könnte denken: Aber die Vorsehung Gottes ordnete, es doch so, daß Daniel sich gerade in diesen Umständen befand. Hätte er sich nicht denselben anpassen sollen?“ gerade wie man in Bezug auf Moses denken könnte: „Durch die Vorsehung Gottes wuchs Moses als der Sohn von Pharaos Tochter auf. Es könnte kein bestimmteres Beispiel in der Fürsorge Gottes in den Umständen geben.“ Ich verneine dies auch keinen Augenblick, sondern spreche nur von etwas, das gar nichts mit der Vorsehung Gottes zu tun hat, nämlich von dem Grundsatz des

Glaubens,

nach welchem wir unsererseits handeln sollen. Von diesem göttlichen Grundsatz des Glaubens ließ sich Moses leiten, als er älter wurde. Er weigerte sich, „als er groß geworden, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen, lieber wählend, mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden“ (Heb 11,25). Und dieser gleiche Grundsatz offenbart sich hier in der Geschichte von Daniel, Sadrach, Mesach und Abednego. Der König veränderte selbst ihre Namen, um, wenn möglich, ihre Herzen aller Erinnerung an das Land Israel und den Gott Israels zu entfremden. Alles mögliche wurde getan, um jede Spur ihrer Verbindung mit dem Volke Gottes zu verwischen. Aber sie bewahrten ihre Absonderung für Gott. Sie wollten sich „nicht verunreinigen mit der feinen Speise des Königs und mit dem Weine seines Trankes“, und erbaten sich vom Obersten der Kämmerer, daß sie sich nicht verunreinigen müßten. Jetzt müssen wir uns fragen: Haben wir unsere Stellung der Absonderung für Gott eingenommen und bewahrt? Haben wir uns geweigert, uns zu „verunreinigen“? Dies ist das erste.

Beachten wir, was nach diesem kommt! Es ist sehr geeignet, unsern Herzen zum Trost und zur Ermunterung zu dienen. Der Bewahrung ihrer Absonderung folgte

die Anerkennung Gottes,

indem Er diesen Jünglingen Weisheit und Verstand und Erkenntnis gab.

Auf diese Weise gibt Gott Seine Anerkennung auch jetzt kund. Es ist auch eine unwidersprechliche Tatsache, daß das, was im Anfang die wenigen Schwachen charakterisierte, welche durch die Gnade Gottes aus der uns in der Christenheit umgebenden Verwirrung dahin geführt wurden, die Allgenügsamkeit des Namens des Herrn Jesu zu erkennen und die Heiligkeit dieses Namens aufrechtzuhalten, Einsicht und Erkenntnis des Wortes Gottes war, mit einem Worte göttliches Verständnis. Wenn wir aber praktischerweise den Platz der Absonderung verlassen, so wird uns auch die besondere Anerkennung fehlen, welche Gott für denselben hat, nämlich das Eingeweihtsein in Seine Gedanken, das Verständnis Seines Sinnes. Die Gefahr liegt dann nahe, dies durch um so

größere Tätigkeit,

so gut und nötig diese auch an sich ist, ersetzen und zugleich das Gewissen damit beruhigen zu wollen. Beständig wiederkehrende Beschäftigung selbst christlicher Art kann leicht zu einem Hindernis für den stillen Verkehr der Seele mit Gott werden. Man hat nicht Zeit zu denken, nicht Zeit, sich selbst zu beurteilen, wenig Zeit zur Betrachtung des Wortes und zum Gebet. Ist es nicht betrübend, wie wenig wir überhaupt beten, wie wenig wir das Wort Gottes lesen und darüber nachdenken? Warum ist es so, liebe Freunde, warum ist so wenig wirkliches Warten auf Gott vorhanden, warum so wenig Abhängigkeit von Ihm, warum findet man so wenige, welche das Bedürfnis haben, mit andern sich im Gebet zu vereinigen? Laßt mich die praktische Frage an euch richten: Wieviel habt ihr heute für die Kirche Gottes gebetet, wieviel für die Heiligen, wieviel betet ihr überhaupt jeden Tag? Beschwert euch je irgend eine Sache darum, weil sie der Ehre Christi und Seinen Interessen nahe tritt? Wie oft suchen wir in der Stille mit Gott allein zu sein, nichts zwischen uns und Ihm zu haben, die Welt aus- und uns mit Ihm einzuschließen, weil wir Gemeinschaft mit Ihm haben in dem, was Ihm auf Erden so teuer ist? Würden wir entschiedener, völliger auf Gottes Seite stehen, so würde alles dies sich mehr bei uns finden. Aber wie oft ist es der Fall, daß Gläubige sich damit zufrieden geben, äußerlich abgesondert zu sein. Es fragt sich aber: Ist dein Herz nicht in der Welt, ist dein Geist so getrennt von ihr, wie deine Person? Glaubt ihr, das, was Gott begehre, sei bloß eine Anzahl vor Ihm versammelter Personen, die mit ihren Herzen anderswo sind, als ob es sich nur handelte um das, was äußerlich und sichtbar ist? O Geliebte, was Er wünscht, ist die Zuneigung eines Herzens, den Ernst einer Seele, welche Seinen Sohn im Himmel gefunden hat! „Gib Mir, Mein Sohn, dein Herz!“ sagt Er.

Hier, in diesem Mangel an Absonderung, an Hingabe liegt unsere Schwäche. Innerliche Absonderung wird zu äußerlicher führen, während äußerliche Absonderung nie die innerliche hervorbringt. Wenn unser Herz, unsere Zuneigungen, unser Verstand, unser innerer Mensch für Gott abgesondert sind, so wird auch unser Leib, als das Gefäß, dem ihn beherrschenden Geiste folgen.

Schluß folgt!

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1949, Seite 65

Bibelstellen: Dan 1; Dan 2, 13-23; Dan 3, 12-31

Stichwörter: Abed-Nego, Absonderung, Daniel, Entschiedenheit, Mesach, Sadrach