Joseph

Kapitel 3: Leidend und gestärkt (1. Mo 39-40, Fortsetzung)
Ausharren in Leiden

Joseph war ein Mann, dem alles gelang. Er wurde überdies auch ein Zeugnis für den Herrn in dem Haus der Knechtschaft. Wir lesen: „Und sein Herr sah, daß Jehova mit ihm war“ (V. 3). Auch war sein Zeugnis mehr das Zeugnis seines Wandels als seiner Lippen. Potiphar war mehr von dem beeindruckt, was er sah, als von dem, was er hörte: „Sein Herr sah, daß Jehova mit ihm war und daß Jehova alles, was er tat, in seiner Hand gelingen ließ.“ Hätte Joseph immer über sein hartes Los geklagt oder sich über seine hohe Bestimmung verbreitet, wäre er in dem Haus Potiphars kein Zeugnis für den Herrn gewesen. Der Ägypter kümmerte sich nicht um Josephs Vergangenheit und würde nichts von seiner Zukunft begreifen, selbst wenn er ihm davon erzählt hätte, aber Potiphar sah und schätzte im täglichen Leben Josephs die sorgfältige Beachtung seiner Pflichten.

So ist es auch noch heute. Ein christlicher Diener, der vor seinem unbekehrten Meister oft über sein Los murrt und zugleich sagt, daß einmal der Tag kommt, an dem er die Welt und sogar Engel richten wird, wäre gänzlich fehl am Platz. Für einen ungläubigen Meister wäre dies nicht nur die gewaltigste Torheit, sondern auch die größte Unverschämtheit. Der Welt gegenüber von den herrlichen Vorsätzen Gottes zu reden ist nichts anderes, als Perlen vor die Schweine zu werfen. Das sind Dinge, die völlig über das Verständnis des natürlichen Menschen hinausgehen. Ein gläubiger Diener aber, der ein stilles, konsequentes und klagloses Leben führt in dem gewissenhaften Erfüllen der täglichen Pflichten, ist in der Tat ein wahres Zeugnis für den Herrn. Das ist etwas, was ein ungläubiger Meister anerkennen kann.

Belohnung in Leiden

In der Geschichte Josephs war das Ergebnis seiner Leiden, daß die Menschen den einen, der ein Zeuge für den Herrn war, achteten und ihm vertrauten. Deswegen lesen wir: „Und Joseph fand Gnade in seinen Augen …; und er bestellte ihn über sein Haus, und alles, was er hatte, gab er in seine Hand“ (V. 4). Der Herr war nicht nur mit, sondern auch für Joseph, indem Er das Herz seines Meisters so lenkte, daß er seine Gunst genoß. Daraus folgte, daß Joseph in dem Haus des Heiden zu einer Quelle des Segens wurde: „Und es geschah, seitdem er ihn über sein Haus bestellt und über alles, was er hatte, daß Jehova das Haus des Ägypters segnete um Josephs willen; und der Segen Jehovas war auf allem, was er hatte, im Haus und auf dem Feld“ (V. 5). Der Christ ist nicht nur dazu berufen, gesegnet zu werden, sondern auch selbst zum Segen zu sein.

Sanftmut in Leiden

Wenn wir in Joseph ein Vorbild auf Christus sehen, ist es wichtig, uns daran zu erinnern, daß es der Vorsatz Gottes war, Joseph in eine Stellung der Herrschaft zu bringen. Daher ist jeder, der dieser Tatsache Rechnung trägt, gesegnet. Potiphar wird, als er Joseph in seinem Haus einen bevorzugten Platz gibt, aus diesem Grund sofort gesegnet. Wenig später gibt auch der Kerkermeister Joseph im Gefängnis eine bevorzugte Stellung, worauf Segen folgt. Genauso ist es in den Tagen seiner umfassenden Herrschaft: Alle unterwerfen sich ihm, und alle werden gesegnet.

Die Welt wird gezwungen werden, sich der Herrschaft Christi in den Tagen Seiner sichtbaren Macht zu unterwerfen, aber der Glaube erfreut sich daran, diesen Tag in seiner Bedeutung vorwegzunehmen und schon in den Tagen Seiner Verwerfung Seine Oberhoheit anzuerkennen. Und in dem Maß, wie wir uns selbst, unser Leben und alles der Herrschaft Christi unterstellen, werden auch wir gesegnet sein, so wie die Welt gesegnet sein wird, wenn sie sich Seiner umfassenden Macht unterwerfen wird. Die Herrschaft Christi fordert die Unterwerfung des Menschen, und die Unterwerfung des Menschen führt zu seiner Segnung, obgleich in den Tagen der Verwerfung des Herrn diese Segnung eher geistlich als materiell ist.

Wir haben also gesehen, daß Joseph im Haus des Heiden ein unterwürfiger Mann war, einer, der Gedeihen hatte, ein Zeugnis für den Herrn, ein geachteter und glaubwürdiger Mann und ein Mittelpunkt des Segens. Solche Kennzeichen machen ein wahrhaft erfülltes Leben aus, und deshalb sind wir nicht überrascht, wenn wir lesen: „Und Joseph war schön von Gestalt und schön von Angesicht“ (V. 6). Das Leben, das vor Gott und Menschen schön ist, wird durch diesen alttestamentlichen Gläubigen dargestellt.

Triumph in Leiden

Man darf jedoch nicht erwarten, daß Satan ein Leben unbehelligt läßt, das in den Augen Gottes und der Menschen schön ist. Die Hingabe an den Herrn setzt Joseph dem Haß Satans aus. Da es ihm völlig mißlungen war, Joseph durch die Mißbilligung der Welt und die Versuchung durch schwierige Umstände zu Fall zu bringen, ändert er seine Taktik und versucht, Joseph durch sündige Vergnügungen zu überwältigen. In der Frau Potiphars hat er ein williges Werkzeug, um Joseph zu versuchen, verbunden mit Umständen, die ihren üblen Plan begünstigen.

Letztlich dient jedoch die Versuchung nur dazu, die moralische Vortrefflichkeit Josephs ans Licht zu bringen. Er entkommt der Schlinge durch seine Gottesfurcht und durch seine standhafte Treue dem Meister gegenüber. Er sagt: „Siehe, mein Herr… hat alles, was er hat, in meine Hand gegeben … und wie sollte ich dieses große Übel tun und wider Gott sündigen?“ (V. 8. 9). Hier liegt das Geheimnis des konsequenten Lebens Josephs seinem Herrn gegenüber. Er diente treu in der Gegenwart der Menschen, weil er beständig in der Gegenwart Gottes wandelte; und weil er in Gottesfurcht seinen Weg ging, wurde er bewahrt in der Stunde der Versuchung.

Wie gut wäre es für jeden von uns, wenn wir in dem Moment, wo plötzlich eine heftige Versuchung an uns herantritt, uns so nahe bei Gott befinden, daß wir sofort fragen: Sollte ich dieses große Übel tun und wider Gott sündigen? Indem wir diese Frage stellen, entkommen wir der Schlinge. Das einzige, vor dem wir wirklich Angst haben sollten, ist irgend etwas oder irgend jemand mehr zu fürchten als Gott.

Verlängerte Leiden

Satan ist jedoch mit einzelnen Angriffen auf die Kinder Gottes nicht zufrieden. Er wird ununterbrochen Krieg führen. So war es auch bei Joseph. Die Versuchung kam „Tag für Tag“ (V. 10), und die Angriffe wurden immer heftiger, bis Joseph vor der Versuchung „floh“ und Satans Plan vereitelte. Aber wenn Satan als Versucher versagt hat, tritt er nun als Verfolger auf (V. 13-18). Die Frau, die zuvor ihre bösen Augen auf Joseph geworfen hatte, zeugt nun mit Lügenzungen gegen ihn, wie schon ein alter Bruder gesagt hat: „Wer die Bande der Sittsamkeit gebrochen hat, wird auch durch die Bande der Wahrheit nicht mehr gehalten. Es ist nichts Neues, daß die besten Menschen fälschlich der schlimmsten Verbrechen beschuldigt werden von solchen, die selbst die schlimmsten Verbrecher sind.“ Doch Joseph entkommt einer schlechten Frau und bewahrt sich ein gutes Gewissen. Aber ein gutes Gewissen zu bewahren kann viel kosten. Joseph muß die Bequemlichkeit im Hause Potiphars mit der Mühsal im Gefängnis des Pharao vertauschen.

Hier muß Joseph durch eine neue Prüfung gehen. Im Hause Potiphars hat er ein glänzendes Zeugnis für Gott abgelegt, er hat die Versuchung überwunden und Verfolgung ertragen. Im Gefängnis des Pharao muß er lernen, nicht nur für Gott zu zeugen, sondern auf Gott zu warten. Das ist für den Gläubigen, wie wir gut wissen, eine der schwersten Lektionen, die er lernen muß. Wir finden auf der einen Seite das Zeugnis für Gott inmitten einer geschäftigen Welt, aber es ist etwas ganz anderes, einsam im Gefängnis auf Gott zu warten. Für den natürlichen Menschen ist dies in der Tat unmöglich. Saul, „der natürliche Mensch“, verlor sein Königreich, weil er nicht auf Gott warten konnte (1. Sam 10,8; 13,8-14). Aber während dies für den natürlichen Menschen unmöglich ist, ist es für den Mann des Glaubens eine harte Prüfung. Abraham mußte in seiner Zeit lernen, auf Gott zu warten. Unter der Belastung, warten zu müssen, gibt er den Regungen des Fleisches und des Unglaubens nach und versucht den verheißenen Samen durch fleischliche Mittel zu erhalten. Er muß jedoch erkennen, daß er sich Gott gegenüber verschlossen hat und dreizehn lange Jahre warten muß, bis Gottes geeignete Zeit kommt.

So hätte auch niemand ein deutlicheres Zeugnis geben können als Johannes der Täufer später zu Bethanien; in Gegenwart der versammelten Volksmenge ruft er aus: „Dieser ist es, von dem ich sagte: Nach mir kommt ein Mann, der mir vor ist, denn er war vor mir.“ Aber als sich Johannes im Gefängnis wieder findet – die Volksmengen waren gegangen, die Zeit des Zeugens war vorbei und die Zeit des Wartens gekommen – dann, unter dem Druck dieser neuen Prüfung, sagt er: „Bist du der Kommende …?“ (Joh 1,30; Mt 11,3).

Ununterbrochenes Leid

So ist für Joseph die Wartezeit im Gefängnis eine Zeit der Erprobung für den Glauben. Auch er sucht Befreiung, indem er Fleisch zu seinem Arme macht (Jer 17,5). Nachdem er dem Schenken des Pharao geholfen hat, folgert er natürlich, daß sich dieser für ihn beim Pharao einsetzen wird, um seine Freilassung zu bewirken. „Gedenke meiner bei dir“, sagt Joseph, „wenn es dir wohlgeht, und erweise doch Güte an mir und erwähne meiner bei dem Pharao und bringe mich aus diesem Hause heraus“ (Kap. 40,14). Joseph muß nicht nur lernen, daß Hilfe von Menschen eitel (Ps 60,11), sondern daß Gott seine einzige Hilfsquelle ist. „Gott ist uns Zuflucht und Stärke, eine Hilfe, reichlich gefunden in Drangsalen“ (Ps 46,1). Aber um diese Hilfe zu bekommen, müssen wir lernen, still zu sein. „Lasset ab, und erkennet, daß ich Gott bin“ (Ps 46,10). Gott hat Seine Zeit und auch Seine Weise, um Seinen Vorsatz zur Ausführung zu bringen.

Erleichterung im Leid

Wenn in der Zwischenzeit die Menschen vergessen, Joseph Freundlichkeit zu zeigen, so vergißt Gott nicht, ihm Barmherzigkeit zu erweisen. So lesen wir: „Jehova war mit Joseph und wandte ihm Güte zu“ (Kap. 39,21). Joseph kann versagen, wie auch wir versagen können -aber des Herrn „Erbarmungen sind nicht zu Ende; sie sind alle Morgen neu, deine Treue ist groß. Jehova ist mein Teil, sagt meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen“ (Klgl. 3,22-24). Der Teufel mag uns Tag für Tag versuchen, und Gott mag uns prüfen, indem Er uns einen Tag nach dem anderen warten läßt; dennoch ist Seine Güte jeden Tag neu. Obwohl wir also oft auf die Befreiung des Herrn warten müssen, ist Jehova dennoch „gütig gegen die, welche auf ihn harren“. Wir können daraus lernen, daß es gut ist, still zu warten auf die Rettung Jehovas (Klgl. 3,25. 26). Von Menschen vergessen, weiß doch der Herr um ihn, bis er zu der von Gott gegebenen Zeit lernt, daß die, „die auf Jehova hoffen“, das Land besitzen werden (Ps 37,9).

Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege, des, der den Himmel lenkt! Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.
Hoff, o du arme Seele, hoff und sei unverzagt! Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt, mit großen Gnaden rücken; erwarte nur die Zeit, so wirst du schon erblicken die Sonn‘ der schönsten Freud.

(Paul Gerhardt)

(Wird fortgesetzt) H.S.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1987, Seite 153

Bibelstellen: 1Mo 39-40

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