Das Geheimnis der Kraft

Der stärkste Mann der Bibel

Wir möchten uns heute ein wenig mit der Frage geistlicher Kraft beschäftigen: Wie kann man persönlich geistliche Kraft besitzen und entfalten? Daß diese Frage gerade in unseren Tagen geistlicher Kraftlosigkeit von besonderer Bedeutung ist, wird kaum jemand bestreiten wollen. Laßt mich gleich zu Anfang auf einen tiefen Trost aufmerksam machen, den die Heilige Schrift in dieser Sache für uns bereithält: Der stärkste Mann der Bibel – Simson – lebte in Tagen größter Schwachheit (Ri 13-16). Als in Israel jeder tat, was recht war in seinen Augen, als das Volk seinen Gott aufgegeben hatte und als Folge davon unter das Joch seiner Feinde gekommen war – in den Tagen der Richter -, erweckte Gott den Mann, der für seine unbändige Kraft sprichwörtlich geworden ist. Gewiß, Simsons Kraft war körperlicher Art, was aber war ihre Quelle? Wenn wir dieser Frage nachspüren, werden wir feststellen, daß uns die Schrift in Simson ein außerordentlich hilfreiches Vorbild dafür gegeben hat, wie wir heute in den Besitz geistlicher Kraft kommen können.

Gott – die Quelle der Kraft

Der Psalmist sagt, er habe zweimal gehört, daß, die Stärke Gottes sei (Ps 62,11). Dieser wichtige Kernsatz ist in jeder Hinsicht wahr, um welche Art von Kraft es sich auch handeln mag. Und immer sind wir in dem Bereich des einen oder anderen Zuges der Kraft Gottes. Wenn wir an die Schöpfungsmacht Gottes denken, so erfahren wir aus Römer 1, daß sowohl Seine ewige Kraft als auch Seine Göttlichkeit in dem Gemachten wahrgenommen wird (Vers 20). Seine ewige Kraft! Die Menschen rühmen sich oft großer Dinge und meinen, große Kraft zu haben, gerade in unseren Tagen, wo Wissenschaft und Technik so gut wie alles möglich zu machen scheinen. Aber bringe den größten wissenschaftlichen Experten in die Konfrontation mit dem Tod. Welch eine Schwachheit wird da offenbar! Was nützt ihm all seine Intelligenz! Nichts läßt den Menschen mehr seine Schwachheit fühlen als der Tod. Alle haben sich früher oder später seiner Macht zu beugen. Aber die Sonne scheint noch immer, verströmt noch immer unvorstellbare Energien in jedem Augenblick, und das seit undenklichen Zeiten.

Es ist gut, daß wir uns der ewigen Kraft unseres Gottes stets bewußt sind. Er hat nicht nur die Welten geschaffen, sondern Er trägt sie auch durch das Wort Seiner Macht. Viele Menschen glauben, daß sich die Welt selber trägt, selber am Laufen erhält. Die Heilige Schrift jedoch sagt uns etwas anderes: Alle Dinge werden durch das Wort der Macht Christi getragen (Heb 1,3). Die ewige Kraft Gottes hält das Weltall in Gang, und es ist gut, wenn wenigstens wir Kinder Gottes geöffnete Augen für Seine Größe haben und in den sichtbaren Dingen die ewige Kraft Gottes wahrnehmen – eine Kraft, der wir jeden Augenblick den eigenen Atem verdanken.

Aber in 1. Korinther 1, Vers 18, wird uns eine ganz andersartige Kraft Gottes gezeigt: das Wort vom Kreuz Christi. „Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft.“ Welch ein Gegensatz zu der Kraft Gottes in der Schöpfung! Wir können begreifen, daß Sonnen und Sonnensysteme Seine ewige Kraft offenbaren, aber das Wort vom Kreuz Gottes Kraft? Wie kann man das verstehen? Das Wort vom Kreuz besitzt eine unwiderstehliche sittliche Kraft. Wie sonst nichts in der Welt offenbart das Kreuz Christi in göttlicher Kraft den wahren Charakter dieser Welt. Was könnte mehr zeigen, was die Welt wirklich ist, als die Tatsache, daß ihre Fürsten den Herrn der Herrlichkeit, als Er hier war, gekreuzigt haben? Gott hat eine Kraft, die das wahre Wesen der Welt bloßlegt, und diese Kraft liegt in dem Kreuz, dem Wort vom Kreuz.

Aber das ist nicht alles. Das Wort vom Kreuz, das Evangelium, ist auch Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden (Röm 1,16). Es zieht unsere Herzen aus dieser Welt zu Ihm selbst, dem Gekreuzigten hin. Denn Er enthüllt uns nicht nur, was die Welt ist, sondern auch, was im Herzen Gottes für uns ist. Wie der Herr gesagt hat: „Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32). Wunderbare Kraft (und auch Weisheit) Gottes, die durch die Torheit der Predigt die Glaubenden zu erretten vermag!

Eine weitere Quelle der Kraft ist der Heilige Geist in uns. Ehe der auferstandene Herr in den Himmel ging, befahl Er Seinen Jüngern, in der Stadt zu bleiben, „bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe“ (Lk 24,49). Der Geist Gottes wohnt als Ergebnis der vollbrachten Erlösung in uns. Er ist die Quelle der himmlischen Kraft für uns heute, und Er verbindet uns mit dem verherrlichten Christus droben. Das verleiht der Seele sittliche Kraft Halten wir noch einmal fest: Gott als solcher ist die Quelle jeder Kraft; die Offenbarung Gottes in der Person Christi führt durch den Heiligen Geist in uns zu einer sittlichen Kraft, die uns nicht allein errettet (1. Kor 1), sondern uns auch in Sein Bild umgestaltet (2. Kor 3). Das ist die eine, die göttliche Seite. Die andere Seite, unsere Seite, wird uns in Simson vorgestellt. Hier lernen wir, auf welche Weise die göttliche Kraft in uns und unserer Erfahrung praktisch Gestalt gewinnen kann. Und das ist es, was uns heute besonders beschäftigen soll.

Zurückgehen zum Anfang

Wenn wir Richter 13, Verse 2-5, lesen, fällt uns auf, daß Gott in der Erwählung Simsons bis ganz zum Anfang zurückgeht. Das ist für Eltern von größter Bedeutung. Gottes Auge blickt auf die, die Er einmal benutzen will, schon ehe sie überhaupt geboren sind (vgl. auch Jer 1,5; Gal 1,15). Und bevor Er durch Seinen Engel zu der Frau Manoahs davon spricht, daß kein Schermesser auf das Haupt des Knaben kommen sollte, sagt Er ihr, daß sie sich selbst hüten und daß sie weder Wein noch starkes Getränk trinken und daß sie nichts Unreines essen solle. Das ist die Seite der Mutter. Ihre Bedeutung wird noch dadurch unterstrichen, daß Gott zu Manoah genau dieselben Worte noch einmal sagt (Verse 13.14).

Wir verstehen, was das bedeutet. Gott möchte nicht, daß die Eltern von den Freuden dieser Welt erfüllt sind und sich mit unreinen Dingen beschäftigen. Wenn sie wünschen, daß ihre Kinder einmal „Helden Gottes“ werden, dürfen sie der Welt nicht gestatten, ihre Herzen zu erfüllen. Das ist übrigens ein ernster Gedanke für uns alle, für alle Lebenslagen, auch für die, die selbst keine Kinder haben. Denn in irgendeiner Weise werden die jungen Menschen in unserer Mitte von uns allen beeinflußt, sei es zum Guten oder zum Bösen. Sind wir uns bewußt, daß sie ihr Gepräge durch das erhalten, was wir selbst sind? Wenn wir den Freuden dieses Lebens nachjagen, sie müssen gar nicht direkt böse sein; wenn wir gar den unreinen Dingen in unser Herz und Haus Einlaß gewähren – unreinen Dingen, die die Welt kennzeichnen -, wundern wir uns dann, wenn unsere Kinder geistlich schwach sind? Seien wir versichert: Unbedingt werden sie durch das beeinflußt werden, was sie an uns sehen. Nicht, wie schön und fromm wir zuweilen reden, wird den Ausschlag für ihre geistliche Entwicklung geben, sondern das, was sie an uns sehen. Es kann nicht anders sein. Gott weiß, es kann nicht anders sein. Und deswegen geht Er zurück bis zur Zeit vor der Geburt Simsons, damit das Kind unter dem Einfluß von jemand gebildet werde, der etwas von den Freuden des Himmels weiß und der das liebt, was rein ist in den Augen Gottes.

Unterwürfigkeit

Und dann spricht Gott davon, daß, wenn der Knabe geboren sei, kein Schermesser auf sein Haupt kommen solle: von Mutterleibe an sollte er ein Nasir, ein Geweihter Gottes sein. Wovon spricht das lange Haar in der Schrift? Nun, es stellt die weibliche Seite dar, die Stellung der Unterwürfigkeit. Simsons Mutter wird also ermahnt, von der Geburt des Kindes an dafür zu sorgen, daß das Element der Unterwürfigkeit in seinem Leben aufrechterhalten wird, daß kein Schermesser es entfernt. Können wir erwarten, daß unsere Kinder Männer oder Frauen Gottes werden, wenn wir ihnen von Anfang an erlauben, nicht unterwürfig zu sein? Natürlich nicht. Wie schwer werden Kinder allein zur Bekehrung kommen, wenn sie nicht zur Unterwürfigkeit angehalten werden! Der erste Schritt unserer Kinder zu „Helden Gottes“ liegt in dem Grundsatz der Unterwürfigkeit. Die Welt mag heute die Dinge völlig anders sehen, aber die Gedanken Gottes sind dies. Und sehen wir diesen Grundsatz der Unterwürfigkeit nicht so vollkommen in dem Leben des Herrn Jesus auf der Erde vorgestellt? Er war in der Tat der wahre und vollkommene Nasir Gottes. Wenn es Seinem Alter als Mensch angemessen war, war Er Seinen Eltern Untertan (Lk 2,51). Stets aber war Er Seinem himmlischen Vater unterworfen: „Denn ich bin vom Himmel herniedergekommen, nicht auf daß ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Joh 6,38). Das ist Unterwürfigkeit in Vollendung.

Nun, das war das Geheimnis der Kraft Simsons – dieses Mannes, der einen jungen Löwen wie ein Böcklein zerreißen, der mit einem Esels-Kinnbacken tausend Mann erschlagen und der die Flügel des Stadttores herausreißen und sie auf seinen Schultern auf den Gipfel des Berges von Hebron tragen konnte. Es lag darin, daß -vorbildlich gesprochen – nie ein Schermesser auf sein Haupt gekommen war.

Wie wichtig ist das für uns, Geliebte! Das Geheimnis auch unserer Kraft liegt in dem, was ganz und gar schwach zu sein scheint – in unserer Unterwürfigkeit. Sie wird zuerst gegenüber dem Herrn selbst, schließlich aber gegenüber jeder von Ihm gegebenen Autorität in den verschiedenen Bereichen1 des Lebens zum Ausdruck kommen.

1 Es seien hier kurz die einzelnen Bereiche aufgeführt: „… daß sie sich selbst den Heiligen zum Dienst verordnet haben, daß auch ihr solchen unterwürfig seid und jedem, der mitwirkt“ (1. Kor 16,15.16). „… einander unterwürfig in der Furcht Christi“ (Eph 5,21). „Ihr Weiber, seid unterwürfig euren eigenen Männern“ (Eph 5,22; Kol 3,18; 1. Pet 3,1). „Ihr Kinder, gehorchet euren Eltern im Herrn“ (Eph 6,1; Kol 3,20). „Erinnere sie, Obrigkeiten und Gewalten Untertan zu sein“ (Tit 3,1). „Jede Seele unterwerfe sich den obrigkeitlichen Gewalten“ (Röm 13,1). „Unterwerfet euch nun aller menschlichen Einrichtung um des Herrn willen: es sei dem König … oder den Statthaltern“ (1. Pet 2,13). „Ihr Hausknechte, seid den Herren unterwürfig in aller Furcht“ (1. Pet 2,18). „Ihr Knechte (Sklaven), gehorchet in allem euren Herren nach dem Fleische“ (Kol 3,22; Eph 6,5; 1. Tim 6,1.2).

Die Ehre und Herrlichkeit der Frau ist es, langes Haar zu haben, aber gerade das ist das Symbol der Unterwürfigkeit. Verständlich auch – das sei nur nebenbei bemerkt -, daß man in unseren Tagen der Gleichberechtigung von Mann und Frau dieses Symbol abzuschaffen sucht. In dem Maß jedoch, wie wir in unserem täglichen Leben den Grundsatz der Unterwürfigkeit unter Gottes Wort verwirklichen, werden wir geistliche Kraft haben, geistliche Kraft, die Welt zu überwinden und mit den Dingen des Himmels beschäftigt zu sein. Und wir werden finden, daß uns die Welt mit ihren Seilen und Stricken nicht zu fesseln vermag. Wenn sie uns dennoch erfolgreich binden konnte, dann nur deswegen, weil wir von dem Prinzip der Unterwürfigkeit und des Gehorsams abgewichen sind. Das zeigt uns Kapitel 15 so deutlich und so ernst.

Verlust der Kraft

Seien wir uns darüber im klaren: Die Welt in ihrem Charakter als „Philister“ wird unablässig bestrebt sein, das Geheimnis unserer Kraft zu erfahren, um jene zu fesseln, die sich zur Unterwürfigkeit unter Gott und Seine Gedanken bekennen. Wir mögen uns über die wahren Absichten der Welt einer Täuschung hingeben, aber sie liebt uns nicht. Delila liebte Simson nicht, es ging ihr nur um das Geld der Philister-Fürsten. Das Schicksal Simsons war ihr gleichgültig. Jedoch ahnte sie nicht, daß Simsons Kraft gerade in seinem langen, ungeschorenen Haar lag. Das, was von Unterwürfigkeit redet, mag äußerlich schwach aussehen, besonders wenn es sich um einen Mann handelt; denn langes Haar zu haben ist für den Mann eine Unehre (1. Kor 11,14). Unterwürfigkeit ist äußerlich gesehen eine Stellung der Schwachheit, aber in der Verwirklichung dieser Stellung liegt das Geheimnis der Kraft.

Delila plagte Simson so lange, bis er ihr schließlich sein Geheimnis preisgab und ihr sein ganzes Herz kundtat. Damit war sein Schicksal besiegelt. Als die sieben Flechten seines Hauptes abgeschoren waren, wich seine Stärke von ihm, und sie begann, ihn zu bezwingen. Von einem verhängnisvollen Schlaf aufgewacht, dachte er, sich wie die übrigen Male „herauszuschütteln“, aber er wußte nicht einmal, daß Jehova von ihm gewichen und seine Kraft dahin war. Wie viele, oft gerade jüngere Leute, die in geistlicher Hinsicht bessere Tage gesehen hatten, haben gemeint, auch ohne den Herrn Meister der Situation zu bleiben und sich wieder aus der unangenehmen Lage, in die sie sich selbst hineinmanövriert haben, „herauszuschütteln“. Aber das Ergebnis ihrer Unabhängigkeit war nur der Verlust ihrer „beiden Augen“. Wie Simson haben sie nicht nur ihre geistliche Kraft, sondern auch ihr geistliches Unterscheidungsvermögen verloren, um zum Gespött der Welt zu werden und unter ihre Macht zu kommen. Die Welt feiert ihren Gott für den Triumph über das Werkzeug des wahren Gottes, ja über den wahren Gott selbst (Kap. 16,23.24). Der Teufel will nämlich nicht allein den Knechten Gottes schaden, sondern durch deren Versagen Hohn und Unehre über den wahren Gott bringen. Und was war von alledem die eigentliche Ursache? Das Aufgeben dieses für uns so wichtigen Grundsatzes -der Unterwürfigkeit.

Wiederherstellung

Das Ende der Geschichte Simsons ist ergreifend – sein Haar begann wieder zu wachsen. Vorbildlich bedeutet das, daß der Gläubige durch Selbstgericht wieder zu dem großen Grundsatz der Unterwürfigkeit unter Gott zurückfinden kann. Mit dem Wiedererlangen seines Haares kam Simson auch die Kraft wieder, die einst sein gewesen war. Und die Errettung, die er in seinem Tode bewirkte, war größer als die, die er in seinem Leben hatte bewirken können – ein liebliches, wenn auch schwaches Vorbild auf den Herrn Jesus selbst.

Wie danken wir Gott dafür, besonders wohl die Älteren unter uns, daß Gott bereit ist, Wiederherstellung zu schenken dem, der sich im Selbstgericht vor Ihm beugt und zu dem Grundsatz der Unterwürfigkeit und Abhängigkeit zurückkehrt! Wie viele von uns haben schon den Verlust ihrer geistlichen Kraft erfahren durch Nicht-Unterwürfigkeit in der einen oder anderen Form – aber auch erfahren, daß Gott in Seiner Gnade die Kraft wiederkehren ließ, wenigstens in einem gewissen Maße.

Möge der Herr uns helfen zu erfassen, welche Kraft in der Unterwürfigkeit unter Ihn und Sein Wort liegt, und möge Er uns helfen, diesen Grundsatz auf jeden Bereich unseres Lebens auszudehnen!

Gewiß, die Kraft ist Gottes allein, aber Er gibt sie dem, der von Herzen Ihm unterworfen ist. ChB

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1990, Seite 183

Bibelstellen: Ri 13; Ri 14; Ri 15; Ri 16

Stichwörter: Kraft, Nasir, Simson, Stärke, Unterwürfigkeit