Wege der Mühsal

In Psalm 139, diesem wunderbaren Psalm von David, werden uns die inneren Vorgänge in der Seele eines Menschen vorgestellt, wie er von Unruhe zu Ruhe, von Unsicherheit zu Vertrauen gelangt. Wie interessant und belehrend ist es zu sehen, daß das, was zuerst als eine Unruhe hervorrufende Tatsache ausgedrückt wird, am Ende die Bitte des Herzens ist, in dem der Friede wohnt!

„Du hast mich erforscht und erkannt“ ist die Feststellung Davids, als es ihm zum Bewußtsein kam, daß er es mit Dem zu tun hatte, vor dem die Gedanken und Beweggründe des Herzens offenliegen – mit Dem, der ihn durch und durch kannte. Aber als er sich dann in der göttlichen Gegenwart daheim fühlte, konnte er zu dem großen Erforscher des Herzens beten: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne meine Gedanken! Und sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf ewigem Wege!“

Der erneuerte Mensch wendet sich instinktiv von dem Bösen (in dem Sinne von bösen Wegen) ab, aber es gibt auch noch andere Wege, „kleine Füchse, die den Weinberg verderben“, die zu Mühsal und Kummer führen. Deswegen nennt sie Gottes Wort Wege der Mühsal. Das Gefährliche an ihnen ist: Wir merken zu Anfang meist nicht, daß der Weg, den wir einschlagen wollen, ein Weg der Mühsal ist. Die Dinge dringen oft unbemerkt in unser Leben ein. Das Herz dessen aber, der sich in Gott erfreut und Seine Güte geschmeckt hat, wünscht mit ernstestem Verlangen, vor ihnen bewahrt zu bleiben. Der ewige Weg ist die sichere Straße, der Pfad der Freude und des Friedens, und auf diesem Weg führt Er. Ist es nicht für unser praktisches Glück von äußerstem Wert, das Bewußtsein der Führung Gottes zu haben?

Wege der Mühsal verhindern den praktischen Genuß an der Gemeinschaft und Gegenwart Gottes. Wir wollen nun einige dieser nicht guten Wege vor uns stellen, damit wir von ihnen befreit werden und in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus wachsen (2. Pet 3,18).

Da ist zunächst der Weg der Weltförmigkeit. Wie leicht gelingt es Satan, uns durch die Welt zu beflecken! Das Vergessen der großen Tatsache, daß Christus sich „für unsere Sünden hingegeben hat, damit er uns herausnehme aus der gegenwärtigen bösen Welt“ (Gal 1,4), führt zur Weltförmigkeit. Wenn wir dagegen die erhabene Wahrheit, die in diesem Vers ausgedrückt wird, mit dem Herzen erfassen, sie auf unser Herz anwenden, werden wir von diesem Weg der Mühsal errettet. Denn Der, der für uns starb, lebt, lebt in Ewigkeit, ER ist der Gegenstand unseres Glaubens und unserer Hoffnung. Wenn wir jedoch auf unserem Weg den Herrn Jesus aus dem Auge verlieren, werden zwangsläufig andere Dinge Seinen Platz einnehmen.

In der ernsten Sprache von 1. Korinther 10, Verse 7-10, wo wir vor den ernsten Gefahren eines fleischlichen Verhaltens gewarnt werden, wird uns gezeigt, daß wir im geistlichen Sinn „Hurerei“ treiben können. Wenn die Augen des Herzens nicht auf Christus gerichtet sind, wird die Welt mit ihren Vergnügungen und Verlockungen den Gesichtskreis ausfüllen. Ein Vorangehen mit der Welt wird stets das Warten auf Christus verdrängen. Und wie ernst ist auch dies: Weltförmigkeit beraubt uns der Kraft zum Zeugnis.

In Texas gibt es einen Baum, der Kompaß-Baum genannt wird, und man behauptet, seine Blätter zeigten die Richtung an. Man sagt, sie zeigten wie die Nadel des Kompasses stets nach Norden. Das wurde in Frage gestellt, und eine Nachforschung ergab, daß nur frische und saubere Blätter diese Fähigkeit besaßen. Sobald Schmutz oder Staub sie bedeckten, verhärteten sie sich und verloren diese interessante Fähigkeit. Dann waren sie als „Wegweiser“ wertlos.

Liegt darin nicht eine Lektion für uns? Wir sollten Wegweiser auf Christus hin sein. Wenn uns aber die Liebe zur Welt besudelt, wird unser Leben, wie bei Demas, auf die Welt und nicht, wie bei Paulus, auf Christus ausgerichtet sein. Dennoch wissen wir aus Erfahrung, daß wir nicht der Welt Schuldner sind, um der Welt entsprechend zu wandeln, sondern umgekehrt. Wenn wir nach der Weise der Welt leben, werden sich Mühsal und Kummer auf unserem Weg einstellen. Aber für Christus zu leben bedeutet unaussprechliche, verherrlichte Freude (1. Pet 1,8).

Dann gibt es noch das Selbstvertrauen, den Weg des Selbstvertrauens. Es ist ein Weg der Unabhängigkeit von Gott, und auch er führt zu unsagbarem Elend. Sieh auf den starken Mann, der, durch sein Selbstvertrauen irregeleitet, schließlich bitterlich weinte! Hatte er nicht trotz der warnenden Worte des Herrn seine Absicht immer wieder bekräftigt, dann stehenbleiben zu wollen, wenn alle anderen fliehen würden? Aber es vergingen nicht viele Stunden, bis er mit Eiden und Flüchen vor allen beschwor, daß zwischen ihm, dem kühnen Petrus, und jenem niedrigen Nazarener absolut keine Verbindung bestand.

„Lasset ab von dem Menschen“ (Jes 2,22), sagt unser gnädiger Gott, der das Herz des Menschen kennt und seine Nieren prüft (Jer 17,9.10). Versagen wir darin, wird es Mühsal auf unseren Weg bringen. Die Erfahrung des Apostels Petrus sollte uns dahin leiten, von Herzen das Gebet des Psalmisten zu beten.

Selbstvertrauen setzt uns auf eine Klippe von schwindelerregender Höhe, und würde sich nicht der Herr Jesus für uns verwenden, wie Er auch für Petrus betete (Lk 22,32), wer könnte sagen, was das Ende wäre? Aber Er leitet uns auf ewigem Wege.

Wir können nicht das Buch Hiob lesen und von all den Erfahrungen dieses Mannes hören, ohne zugleich zu erkennen, daß auch Selbstgerechtigkeit ein Weg ist, der unbedingt gemieden werden muß. Dieser Weg ist anfangs nur sehr leicht geneigt, nur wenige Grade abwärts. Seine Gefahr liegt darin, daß man gar nicht merkt, daß er abwärts führt. Gott hat uns in Seiner Barmherzigkeit ein ganzes Buch gegeben, um uns zu zeigen, wie sehr Selbstgerechtigkeit den Segen raubt.

Sieh auf Hiob und höre, was er sagt, obwohl Erprobung auf Erprobung und Leid auf Leid in unbarmherziger Folge kam: „Jehova hat gegeben, und Jehova hat genommen, der Name Jehovas sei gepriesen!“ (Kap. 1,21). Aber höre noch einmal seine Stimme, nachdem er von seinem Selbstvertrauen befreit ist und vor seinem Schöpfer steht: „Aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum verabscheue ich mich und bereue in Staub und Asche“ (Kap. 42,5.6). Das Endziel der Wege Gottes mit ihm wird nun sichtbar. Er war auf den ewigen Weg geführt worden, auf dem sich all die Freuden und all die Segnungen der Gemeinschaft mit Ihm finden.

Selbstvertrauen ist ein Fluch und ein Gift. Es macht den Gläubigen gesetzlich und kalt, zudem auch verschroben und wunderlich. Das Auge des Selbstgerechten ist nur auf sich selbst gerichtet, nicht auf Gott. „Herr, bewahre uns vor solch einem Weg der Mühsal!“

Damit kommen wir zu einem weiteren Weg der Mühsal, dem des Stolzes. Als warnendes Beispiel für die unheilvollen Ergebnisse dieses Weges sei auf David verwiesen, wie er das Volk Israel zählen ließ (2. Sam 24). Die Wichtigkeit, die sich das „Ich“ zulegt, wird hierbei offenkundig. So sehr war des Königs Herz auf dieses Vorhaben gerichtet, daß selbst Joabs dringendes Abraten nichts ausrichtete. Und was für eine Not, was für ein Kummer folgte! Aber David schlug sein Herz, und er bekannte: „Ich habe sehr gesündigt… denn ich habe sehr töricht gehandelt“ (Vers 10). Die Plage kam, und viele in Israel fielen ihr zum Opfer. Stolz bringt nur Verwirrung und Verderben, und er führt zur Züchtigung Gottes.

Ach, daß wir vor diesen schrecklichen Wegen bewahrt blieben! Wir rufen in dieser Verbindung die Worte des Apostels Paulus in Erinnerung: „Die aber des Christus sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Lüsten“ (Gal 5,24). Schenke Gott, daß wir diese göttliche Tatsache, die für den Glauben Wirklichkeit ist, in unserem täglichen Leben anwenden, damit wir den Wohlgeruch des Herrn verbreiten und nicht das erbärmliche Ich gesehen wird! G.&T.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1990, Seite 46

Stichwörter: Mühsal, Selbstgerechtigkeit, Selbstvertrauen, Stolz, Weltförmigkeit