Besonderheiten im Text der Heiligen Schrift

Ruhe

Es gibt im Neuen Testament zwei Wörter, die beide mit „Ruhe“ übersetzt werden, obwohl zwischen ihnen durchaus ein Unterschied in der Bedeutung besteht.

Das erste von ihnen, anäpausis, leitet sich von dem Verb (Tätigkeitswort) anapaüo ab, das ursprünglich soviel wie „machen, daß es aufhört“ bedeutet. Das Hauptwort anäpausis bezeichnet demnach eine Ruhe oder Erfrischung nach Arbeit oder Müdigkeit, auch eine Unterbrechung einer Handlung oder eines Vorgangs. In der Septuaginta (der Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische) wird es konstant für die Ruhe des Sabbats gebraucht. Wenn der Herr Jesus in Matthäus 11 die Mühseligen und Beladenen einlädt, zu Ihm zu kommen, so benutzt Er das Tätigkeitswort anapaüo: Er würde sie „zur Ruhe bringen“, ihnen „Ruhe geben“ (Vers 28). Im nächsten Vers begegnet uns dann das Hauptwort: „… und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen.“ Auch im folgenden Kapitel erscheint es wieder. Dort heißt es, daß der unreine Geist dürre Örter durchwandert und Ruhe sucht, sie aber nicht findet (Vers 43; Lk 11,24). – Wenn von den vier lebendigen Wesen in Offenbarung 4 gesagt wird: „Sie hören Tag und Nacht nicht auf zu sagen: Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott, Allmächtiger“, so lautet der Grundtext wörtlich: „Sie finden Tag und Nacht keine Ruhe, zu sagen …“ (Vers 8). Und wer kann die Qual derer beschreiben, die einmal das „Tier“ anbeten und dafür den Wein des Grimmes Gottes trinken werden! Von ihnen wird gesagt, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe finden werden (Kap. 14,11).

Was für Gegensätze tun sich uns hier auf! Die Menschen, die heute mit ihren Sünden zum Herrn Jesus kommen, finden bei Ihm bleibende Ruhe und Erfrischung von all der Mühsal und Last der Sünde. Diejenigen aber, die unversöhnt in die Ewigkeit gehen, werden nie Ruhe finden, ebensowenig wie die unreinen Geister, denen sie gefolgt sind. Nicht Erfrischung, sondern das ewige Feuer wird ihr Teil sein (Off 20,10.15).

Das andere Wort für „Ruhe“, änesis, leitet sich von dem Verb (Tätigkeitswort) aniemi = „lösen“ ab. Dieses Wort umschreibt daher ursprünglich ein Lösen oder Lockern von Banden oder Fesseln. Dieser buchstäbliche Gebrauch liegt in Apostelgeschichte 24 vor: Felix befahl dem Hauptmann, Paulus Erleichterung zu geben (Vers 23).

Im übertragenen Sinn bedeutet änesis „Ruhe“, aber eine Ruhe, die sich aus dem Nachlassen von Not oder Drangsal ergibt. Der Gedanke an Erleichterung ist also auch bei dieser Bedeutung immer gegenwärtig. Drei Beispiele aus dem Neuen Testament mögen das verdeutlichen. Als der Apostel Paulus über die Wirkung seines ersten Briefes an die Korinther in Sorge war, hatte er „keine Ruhe“ in seinem Geist, weil er nicht seinen Mitarbeiter Titus in Troas vorfand (2. Kor 2,13). Sein Geist war gleichsam noch nicht von der ihn bedrängenden Not „gelöst“, die „Erleichterung“ war noch nicht eingetreten. Die gleichen Empfindungen drückt er in demselben Brief etwas später so aus: „Denn auch als wir nach Macedonien kamen, hatte unser Fleisch keine Ruhe, sondern allenthalben waren wir bedrängt; von außen Kämpfe, von innen Befürchtungen“ (Kap. 7,5). – Die Gläubigen der jungen Versammlung in Thessalonich waren schweren Drangsalen und Verfolgungen um des Reiches Gottes willen ausgesetzt. Doch der Apostel weist sie tröstend hin auf die nahe bevorstehende Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel her. Dann würde Er an denen, die sie jetzt bedrängten, Vergeltung üben und Drangsal über sie bringen, ihnen selbst aber würde Er Ruhe von der Drangsal geben, zusammen mit ihnen, den Aposteln (2. Thes 1,7).

In der einen oder anderen Form haben alle Kinder Gottes in dieser Welt Drangsal (Joh 16,33). Bei allem Ausharren schauen sie mit Sehnsucht nach dieser „Erleichterung“, dieser Ruhe aus. Seien wir getrost, Geliebte, der Herr wird sie uns geben, wenn Sein Tag anbricht! ChB

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1994, Seite 215

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