Gold aus Ägypten

Das Gold, das die Kinder Israel bei ihrem Auszug aus Ägypten mitbrachten, hat auf ihrem Weg durch die Wüste eine bedeutende Rolle gespielt – im Guten wie im Bösen. Darin liegen ganz aktuelle Belehrungen für uns heute. Auch wir als Gläubige sind ja herausgenommen aus der Welt und wandern auf dem Weg des Glaubens dem Ziel entgegen, das Gott für uns bereitet hat. Was für Israel die Wüste war, das sind für uns die Umstände des irdischen Lebens, und was ihnen damals „als Vorbild“ begegnete, ist „zu unserer Ermahnung geschrieben“.

Kein „ungerechter Mammon“

Bei der Berufung Moses, noch bevor die zehn Plagen über das Land kamen, hatte Gott bereits angekündigt:

„Und ich werde diesem Volke Gnade geben in den Augen der Ägypter, und es wird geschehen, wenn ihr ausziehet, sollt ihr nicht leer ausziehen: und es soll jedes Weib von ihrer Nachbarin und von ihrer Hausgenossin silberne Geräte und goldene Geräte und Kleider fordern. Und ihr sollt sie auf eure Söhne und auf eure Töchter legen und die Ägypter berauben“ (2. Mo 3,21.22).

Auch zu Abraham hatte Gott gesagt: „Aber ich werde die Nation auch richten, welcher sie dienen werden; und danach werden sie ausziehen mit großer Habe“ (1. Mo 15,14). Seine Gerechtigkeit duldete nicht, daß Seinem Volk der Lohn für die lange Sklavenarbeit auf die Dauer vorenthalten blieb. So bildete nicht nur das viele Vieh, das sie durch ihre Viehzucht erworben hatten, diese „große Habe“, sondern auch das Silber und das Gold, dessen Menge nicht gering gewesen sein kann.

Schließlich war es soweit: Gott „gab dem Volke Gnade in den Augen der Ägypter“, so daß sie das Geforderte ohne weiteres herausgaben (2. Mo 12,35.36; vgl. auch 11,2). Auf diese Weise, ohne Gewalt, ganz dem Charakter des „Ungesäuerten“ entsprechend, „beraubten“ die Israeliten die Ägypter. Dieses Gold trug nicht den Charakter des „ungerechten Mammon“.

Material zum Bau des Hauses Gottes

Gold, das Symbol göttlicher Gerechtigkeit in Gnade, ist das hervorragendste Material, das beim Bau des Heiligtums in der Wüste benötigt wurde – denken wir nur an den massiv goldenen Deckel der Bundeslade, der den Thron Gottes vorstellt. Aber auch das Silber als Symbol der Erlösung und die verschiedenen kostbaren Gewebe nehmen einen bedeutenden Platz ein.

Ist es nicht auffallend, daß diese wichtigen Materialien ausgerechnet aus Ägypten kamen, das im Vorbild doch die Welt bedeutet? Aber wir dürfen nicht übersehen, daß das Heiligtum Israels ein „weltliches“ war. Es war ein Abbild, geschaffen mit Darstellungsmitteln aus der „Welt“ des Sichtbaren (Heb 9,1; vgl. V. 23). Deshalb braucht uns die Herkunft des Goldes nicht zu wundern. Aber was weiter damit geschah, das verdient unsere Aufmerksamkeit.

Bezaleel, der große Werkmeister Gottes

Das Gold und alles kostbare Material sollte nach Gottes Absicht nicht in der Hand der Israeliten bleiben. Es stand ihnen nicht frei, damit nach ihren eigenen Vorstellungen zu handeln. Sie sollten es als Hebopfer weggeben in die Hand eines Mannes, den Gott einführt mit den Worten: „Siehe, ich habe Bezaleel, den Sohn Uris, des Sohnes Hurs, vom Stamme Juda, mit Namen berufen und habe ihn mit dem Geiste Gottes erfüllt in Weisheit und Verstand und in Kenntnis und in jeglichem Werk, um Künstliches zu ersinnen, zu arbeiten in Gold und in Silber und in Erz …“ Ihm hatte Gott „Oholiab, den Sohn Achisamaks, vom Stamme Dan, beigegeben“ und andere, die weisen Herzens waren (2. Mo 31,1-6). Dieser Bezaleel war der eigentliche Erbauer des Heiligtums. Alles, was durch seine Hand ging, und nur das, gewann Gestalt zur Verherrlichung Gottes an dem wunderbaren Bau, in dem Gott in der Mitte Seines Volkes wohnen wollte. Man muß die Kapitel 35-38 des zweiten Buches Mose gelesen haben, um zu erkennen, was für eine zentrale Gestalt dieser Mann war, von dessen Fähigkeit jede Einzelheit am Heiligtum zeugte. Noch zur Zeit Salomos bestand die Erinnerung an ihn fort (2. Chr 1,5).

Mose, der Mittler, hatte als einziger auf dem Berg „das Muster“ des Heiligtums „gesehen“ (2. Mo 25,9.40). Darin ist er zweifellos ein Vorbild auf den Herrn Jesus, der allein den Menschen Kunde geben kann vom Himmel. Er, „der vom Himmel kommt, ist über allen, und was er gesehen und gehört hat, dieses bezeugt er“ (Joh 3,31.32). Aber können wir daneben nicht in Bezaleel Züge des Heiligen Geistes erkennen, durch dessen Wirken „die himmlischen Dinge“ hier auf der Erde Gestalt gewinnen? Nur geht es heute nicht um ein sichtbares Heiligtum, sondern um ein geistliches; deshalb bedeutet auch das Gold in diesem Zusammenhang für uns nicht in erster Linie etwas Materielles.

„Gold aus Ägypten“ – was heißt das für uns?

Jeder von uns hat aus der Welt etwas mitgebracht. Es sind die erworbenen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten. Diese verdanken wir einer Ausbildung, die jeder in irgendeiner Form erfahren hat. Anfangend mit den elementaren Schulkenntnissen des Lesens, Schreibens und Rechnens, hat man uns darin unterwiesen, folgerichtig zu denken, aus unseren Beobachtungen Schlüsse zu ziehen, uns verständlich auszudrücken und vieles mehr. Manche haben Kenntnisse in Fremdsprachen, Geschichte oder Literatur. Dazu kommt das weite Gebiet der beruflichen Ausbildung, die dem Menschen vieles vermittelt, was auch außerhalb des Berufs wertvoll ist. All das kommt aus „Ägypten“ – der Welt. Wir haben es dort erworben.

Etwas ganz anderes sind die natürlichen Fähigkeiten, unsere Begabungen. Die haben wir nicht erworben; der Schöpfer hat sie seinen Geschöpfen mitgegeben. Der Herr weiß das und berücksichtigt es. Den Knechten in dem Gleichnis in Matthäus 25 werden unterschiedlich viele Talente zugeteilt, „einem jeden nach seiner eigenen Fähigkeit“. Die vorhandene Fähigkeit bestimmt hier die Anzahl der Talente, die dem Knecht anvertraut werden. Das bedeutet, daß der Herr von keinem Seiner Knechte mehr verlangt, als er zu leisten fähig ist – ein durchaus tröstlicher Gedanke. Aber beim Gold aus Ägypten geht es um etwas anderes: um in der Welt erworbenes Wissen und Können.

Übrigens, auch die „ungelehrten und ungebildeten Leute“ Petrus und Johannes (Apg 4,13) waren keine unfähigen Leute. Der Herr wußte, wen Er auserwählt hatte und wie viele Talente Er gerade diesen beiden Aposteln anvertrauen konnte, „einem jeden nach seiner eigenen Fähigkeit“. Und etwas „Gold aus Ägypten“ hatten auch sie erworben – zumindest ihre Kenntnis der griechischen Sprache, in der sie später die heiligen Texte abfaßten, die einen Teil des geschriebenen Wortes Gottes bilden. Aber sie besaßen nicht die Gelehrsamkeit und Bildung nach Art der religiösen Führer des Volkes.

Aber was irgend mir Gewinn war …

Kaum ein anderer hat wohl die Lektion des „Goldes aus Ägypten“ so gut verstanden und danach gehandelt wie der Apostel Paulus. Ein Mann von so hervorragender Ausbildung, mit einer sittlich so hochstehenden Erziehung und Kenntnissen, wie sie wenige besaßen, hatte begriffen, daß das alles nur „Verlust“ für ihn war und der Erkenntnis Christi Jesu, seines Herrn, im Wege stand. Tief im Herzen hatte er sich davon getrennt, es von sich geworfen, ja „für Dreck geachtet“, um „Christum zu gewinnen“. Er hat nicht gemeint, seine Kenntnisse und Fähigkeiten seien etwas Wertvolles, das er gleichsam als Kapital in den Dienst seines Herrn einbringen könne. Als er nach Korinth kam, „hielt er nicht dafür, etwas unter ihnen zu wissen“ – er, der „Lehrer der Nationen“, dem sie doch alles verdankten! „In Furcht und in vielem Zittern“ war er bei ihnen gewesen – nicht weil er nicht reden konnte, sondern damit nicht durch Redeweisheit „das Kreuz Christi zunichte gemacht“ würde. Der Mann mit den einst so glänzenden Beziehungen war bereit, „als Auskehricht der Welt“ zu gelten. Wie tief im Herzen wurzelt ein solcher Verzicht! Was für ein „Hebopfer“ für Gott!

Und dann geschieht das Erstaunliche: Wenn wir seine Briefe lesen, sind wir überrascht, wie vieles von dem „Gold aus Ägypten“ sich darin wiederfindet. Seine Kenntnis vom römischen Heer, die vielfachen Anspielungen auf die damaligen sportlichen Wettkämpfe, Zitate aus der Literatur jener Zeit und manches andere Zeugnis seiner umfassenden Bildung sind so typisch „Paulus“ und machen seine Briefe und Reden unverwechselbar. Und doch ist jedes Wort vom Heiligen Geist eingegeben: Der göttliche „Bezaleel“ hat sein Werk getan.

Paulus hatte sein Allgemeinwissen nicht vergessen. Aber er hatte sich im Herzen davon getrennt. Seit seiner Begegnung mit dem verherrlichten Herrn waren seine Beweggründe völlig umgewandelt. Ähnlich war es schon bei Mose gewesen. Auch er hatte in den 40 Jahren bei Jehro nicht vergessen, was er in Ägypten gelernt hatte, das zeigte sich später bei seinem Ein- und Ausgehen am Hof des Pharao; aber sein Selbstvertrauen hatte er verlernt. Er meinte nun nicht mehr, „daß Gott durch seine Hand seinen Brüdern Rettung geben“ würde, und begehrte nichts weiter, als die Schafe Jethros zu weiden -und von da an konnte Gott ihn gebrauchen.

Gold als Schmuck

Die Geschichte Israels zeigt uns auch die unrühmliche Rolle, die das Gold spielte, wenn es nicht als Hebopfer Gott gegeben wurde: Ein Götzenbild, das goldene Kalb, wurde daraus und brachte Gericht und Not über das Volk (2. Mo 32). Noch bevor Mose die Anordnungen Gottes über das Hebopfer und den Bau des Heiligtums dem Volk überbringen konnte, machte sich die Ungeduld des Fleisches bemerkbar und führte zu einem schrecklichen Mißbrauch dessen, was Gott für Seine Zwecke vorgesehen hatte. „Auf! Mache uns einen Gott, der vor uns hergehe!“ rief das Volk. „Reißet die goldenen Ringe ab … und bringet sie zu mir“, war die Antwort Aarons. „Und das ganze Volk riß sich die goldenen Ringe ab, die in ihren Ohren waren, und sie brachten sie zu Aaron.“ Dieser behauptet am Ende: „Ich warf es ins Feuer, und dieses Kalb ging hervor“ – als ob dieser Götze von selbst entstanden wäre! (2. Mo 32,1-4.24).

Es ist jetzt nicht die Gelegenheit, bei den Einzelheiten dieses traurigen Ereignisses zu verweilen, dieser „großen Sünde“, durch die das erste der zehn Gebote auch als erstes gebrochen wurde. Wir wollen uns damit begnügen, den Weg des Goldes noch zu Ende zu verfolgen. Mose hatte durch seine glühende Fürbitte Gottes Gnade für das Volk erfleht; doch dann mußte er Gott gemäß mit dem Bösen handeln. „Er nahm das Kalb … und verbrannte es im Feuer und zermalmte es, bis es zu Staub wurde; und er streute es auf das Wasser und ließ es die Kinder Israel trinken“ (V. 20). So mußten sie die Frucht ihres Tuns buchstäblich bis zum bitteren Ende auskosten -ganz zu schweigen von dem Gericht des Schwertes über die Zügellosigkeit des Volkes (V. 26-29).

Dahin führt es, wenn das Gold als Schmuck getragen wird, das doch als Hebopfer Gott gehört.

Lieber kein „Gold aus Ägypten“?

Es ist eine Wanderung auf schmalem Grat, Bildung und Gelehrsamkeit mit dem Dienst für den Herrn in Einklang zu bringen. So gesehen, mögen es Brüder und Schwestern mit geringerer Ausbildung leichter haben. Aber Gott will jedes Werk verwirklicht sehen, das nach Seinem Willen ist, und wählt die Mittel nach Seinem Wohlgefallen. Blicken wir zurück auf die Tage der Vorväter, dann erkennen wir gerade dort den Wert des „Goldes“. Wer hätte uns eine Bibelübersetzung gegeben, die doch damals eine Pioniertat war, wenn nicht Brüder, die große Kenner der alten Sprachen waren? Wer konnte sich mit Gegnern „des Weges“ auseinandersetzen, die mit philosophischen Begriffen operierten, wenn nicht jene Väter, die in der klassischen Bildung unterwiesen waren? Und wer von uns bewundert nicht die gedankliche Kühnheit und den Scharfblick mancher Ausleger, deren Werke für alle Zeiten den Gläubigen unentbehrlich bleiben werden?

Doch warum konnte Gott durch diese Männer so Bedeutendes wirken und sie dabei vor dem Fallstrick des „Goldes“ bewahren? Weil sie so demütig waren! Nur tiefe Herzens-Demut führt uns den Weg des Apostels Paulus; nur sie befähigt uns, alles wegzugeben in die Hand des Herrn – ohne den Nebengedanken, Er müsse nun aber auch Gebrauch davon machen! – und es wirklich für „Verlust“ zu achten. Dann kann Er wahrhaft souverän wirken, kann einen Schmied zum hochgeschätzten Lehrer und Ratgeber in schwerer Zeit berufen und zugleich einen Akademiker zum Evangelisten, dessen Einfachheit in der Sprache und im Denken uns heute noch erstaunt.

Nein, der Verzicht auf das „Gold“ ist nicht die Lösung des Problems (wenn es auch für den einzelnen sehr wohl der Weg des Herrn sein kann, bewußt auf eine höhere Ausbildung zu verzichten!). Letztlich aber entscheidet sich alles nur an der Frage der Demut. Der Einfache braucht Demut, weil der Mensch auch auf seine Einfachheit eingebildet sein kann. Und wer viel „Gold“ erwirbt, braucht noch mehr Demut, damit wir vor dem Irrtum bewahrt bleiben, das Urteil in Fragen des Glaubensweges müsse den am besten ausgebildeten Leuten überlassen bleiben.

Ein Stück „Generationenproblem“

Noch ein Gedanke zum Abschluß: Heute stehen die Väter vielfach Söhnen gegenüber, die besser ausgebildet sind als sie und in vielem das größere Wissen haben. Dadurch hat die größere Lebenserfahrung der Väter, die eigentlich ihre Stärke ist, an Gewicht verloren. Ermahnungen wie „Laß es dir sagen …“ können heute kaum jemand gewinnen, wenn die Aussage nicht von einer überzeugenden Begründung begleitet ist. Hier liegt sicher eine der Ursachen dafür, daß sich das sogenannte Generationenproblem heute deutlicher bemerkbar macht als früher.

Doch auch hier gibt es nur das eine Heilmittel: „Alle aber seid gegeneinander mit Demut fest umhüllt“ (1. Pet 5,5). Mit Recht ist gesagt worden, daß kein Gewand so leicht verrutscht wie dieses Kleid der Demut und daß wir uns deshalb so „fest“ damit umhüllen müssen. Zudem verleiht echte Bewährung ein sittliches Gewicht, das nicht durch vermehrtes Wissen oder Können aufzuwiegen ist, mag es auch vorübergehend so erscheinen.

Zu diesem allen aber ziehet die Liebe an, welche das Band der Vollkommenheit ist (Kol 3,14).

E.E.H.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1996, Seite 119

Bibelstellen: 2Mo 12, 35.36; 2Mo 31, 1-6; 2Mo 32, 1-4; 2Mo 32, 20; 2Mo 32, 24

Stichwörter: Ausbildung, Bezaleel, Fähigkeit, Fertigkeit, Gold, Kenntnis, Schmuck