Wie kann man als Christ glücklich leben?

(Fortsetzung von Seite 320)

Christliche Erkenntnis

Nachdem der Apostel sich selbst vorgestellt und die Empfänger des Briefes auf so wunderbare Weise angeredet und charakterisiert hat, folgt sein Segensgruß:

„Gnade und Friede sei euch vermehrt in der Erkenntnis Gottes undjesu, unseres Herrn“ (2. Pet 1,2).

Wenn wir fragen, wie wir als Christen glücklich leben können, so finden wir hier eine weitere Antwort: dadurch, daß wir in der Gnade und dem Frieden Gottes leben. Gnade ist Liebe, die wir nicht verdient haben. Sie bildet die Quelle, den Ursprung des Handelns Gottes mit uns. Friede ist der Ausfluß, das Ergebnis davon. Beides, sowohl Gnade als auch Friede, können in einer zweifachen Weise erfahren werden: in einer grundsätzlichen und in einer mehr praktischen Weise. In der einen sind sie mit dem Gewissen verbunden, in der anderen mit dem Herzen oder der Seele.

Als wir uns in unseren Sünden in Buße und Glauben zu Gott wandten, errettete Er uns durch die Gnade, mittels des Glaubens (Eph 2,8). Und da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus (Röm 5,1). Es ist der Frieden des Gewissens, das glückliche Bewußtsein davon, daß die Frage unserer Sünde und Schuld vor Gott vollkommen geordnet ist. Daß wir Frieden mit Gott haben, ist heute nicht weniger wahr, als es in der Herrlichkeit des Himmels wahr sein wird. Es ist eine feststehende, unerschütterliche Tatsache.

Aber neben dieser grundsätzlichen Seite gibt es die mehr praktische. Sie hat mit unserem Wandel zu tun, und von ihr ist in dem Segensgruß die Rede. In diesem praktischen Sinn brauchen wir täglich neue Gnade, bedürfen wir oft der Wiedererlangung oder Befestigung des Friedens des Herzens. Auf unserem Weg durch diese Welt gibt es viel Widriges (von Sünde ganz zu schweigen), und ohne eine erneute Inanspruchnahme der Gnade Gottes können wir uns darin nicht den Frieden des Herzens bewahren. Deswegen wird hier von einer Vermehrung von Gnade und Frieden gesprochen: „Gnade und Friede sei euch vermehrt.“ Gott möchte, daß wir uns vermehrt auf Seine Gnade stützen, daß wir sie vermehrt gebrauchen, daß wir uns mehr bewußt werden, wie sehr wir von Seiner Gnade abhängig sind. Der Strom Seiner Gnade ist zwar stets „voll Wassers“ (Ps 65,9), aber wir lassen ihn oft ungenützt an uns vorüberfließen. So nötigt Gott uns zuweilen durch die Umstände, uns wieder mehr auf Seine Gnade zu verlassen. Er weiß, daß wir nur auf diese Weise den kostbaren Frieden genießen können – diese durch nichts zu ersetzende Übereinstimmung des Herzens mit Ihm und Seinen Gedanken. Dann wird auch der Frieden tief „wie ein Strom“ (Jes 48,18), weil er auf der Gnade Gottes ruht und auf nichts sonst. Empfinden wir nicht alle, daß wir gerade in unseren Tagen des Unfriedens, der Zerrissenheit und der Auflösung diesen Frieden nötig haben? Deswegen kommt dieser Segenswunsch wie Balsam in unser Herz.

Außer hier und im ersten Petrus-Brief wird nur noch im Brief des Judas der Ausdruck „sei euch vermehrt“ benutzt (1. Pet 1,2; Jud 2). Das ist sicher nicht von ungefähr. Petrus schrieb seinen ersten Brief an leidende Kinder Gottes. Wie sehr haben gerade sie nötig, vermehrt auf Gott zu rechnen und Seine Gnade in Anspruch zu nehmen. Aber der zweite Brief des Petrus und der Judas-Brief blicken voraus auf die letzten Tage, auf das Ende des Zeitalters mit dem vorhergesagten Abfall, und auch für diese Tage verheißt Gott die Vermehrung von Gnade und Friede. Ist das nicht geeignet, uns Trost zu verleihen?

Aber dann folgt ein bemerkenswerter Zusatz, der nur dem zweiten Brief des Petrus eigen ist:

„… in der Erkenntnis Gottes und Jesu, unseres Herrn“ (Vers 2).

Gott kann uns Seine Gnade und Seinen Frieden nur auf eine bestimmte Weise vermehren: in einer echten Herzensvertrautheit mit Ihm und Seinem Sohn, unserem Herrn. Das übersehen wir leicht. Nicht selten bewegen wir uns in einigem Abstand von Ihm, oder wir geben uns mit einer kopfmäßigen Erkenntnis Gottes und Christi zufrieden. Davon lesen wir in Kapitel 2, Verse 20-22. Das alles sind keine Voraussetzungen für Frucht. Nur wenn wir mit Gott unseren Weg gehen, wird Er sich uns offenbaren. Der Herr Jesus sprach davon in Seinen Abschiedsreden: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden; und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbaren“ (Joh 14.21). Lieben wir wirklich den Herrn Jesus, sehnen wir uns danach, daß Er sich uns mehr zu erkennen gibt? Dann laßt uns Ihm gehorsam sein, und Er wird Sein Wort einlösen. So werden wir mehr und mehr mit Seiner gesegneten Person vertraut, und Gnade und Frieden fließen wie von selbst hervor. Was könnte uns – schon in dieser Zeit -mehr beglücken?

Die Erkenntnis Gottes und Jesu, unseres Herrn, nimmt in diesem zweiten Brief des Petrus einen zentralen Platz ein. Viermal benutzt er bei deren Erwähnung das Wort für >volle Erkenntnis<: >epignosis< (Kap. 1,2.3.8; 2,20). Tatsächlich ist die Erkenntnis des Herrn der Angelpunkt für unseren Glauben. Ohne sie ist unser Glaubensleben, ist der ganze Glaube leer. Deswegen ist es für uns so wichtig, in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus zu wachsen (Kap. 3,18), ist Er doch das Bild des unsichtbaren Gottes. Im Sohn offenbart sich der Vater, und das in der Kraft des Heiligen Geistes. „An jenem Tag werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch“, hat der Herr Jesus gesagt (Joh 14,20). Dieser >Tag< ist heute. Wir haben das unendliche Vorrecht, Gott in der vollen Offenbarung, die Er von Sich in Seinem Sohn gegeben hat, zu erkennen. Das ist wahrhaft christliche Erkenntnis.

In den Tagen des Alten Testaments hatte Gott sich nur bruchstückhaft offenbart, Er wohnte gewissermaßen „im Dunkel“ (1.Kön 8,12); und es war für die Gläubigen aus den Juden, an die Petrus schrieb, wichtig, dies zu erkennen. Zu fest waren sie in den väterlichen Überlieferungen verwurzelt, als daß nicht die Gefahr bestanden hätte, das helle Licht des Evangeliums darüber zu vernachlässigen. Denn so gesegnet die vergleichsweise undeutlichen Offenbarungen Gottes in den früheren Zeiten auch waren, der volle „Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes“ ist nur „im Angesicht Jesu Christi“ zu erblicken (2. Kor 4,6). Erst der Herr Jesus hat uns die volle Erkenntnis Gottes, Seines Vaters, gebracht, und zwar nach dem Maß dessen, wie Er Ihn kennt. Dieses Kundmachen Gottes, Seines Vaters, geschah in den Tagen Seines Erdenlebens und auch nach Seiner Auferstehung, so daß Er sagen konnte: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14.9; vgl. auch Kap. 1,18). Johannes drückt in seinem ersten Brief dieselbe Wahrheit so aus: „Wir wissen aber, daß der Sohn Gottes gekommen ist und uns Verständnis gegeben hat, damit wir den Wahrhaftigen erkennen“ (1. Joh 5,20).

Den Wahrhaftigen erkennen – wunderbare Gnade! Ist es nicht seltsam, ja, beschämend, daß wir für das Kostbarste, was es gibt, oft so wenig Interesse zeigen? Wenn wir Gott erkennen, erkennen wir auch, was in Seinem Herzen für uns ist. Und mit diesem Wissen ist sittliche Kraft für einen Wandel in Gottseligkeit verbunden, wie wir sogleich sehen werden.

Doch bevor wir diesen Gedanken weiterverfolgen, sei noch ein anderer Hinweis gegeben: In Vers l wird vom Herrn Jesus als Heiland gesprochen, in Vers 2 wird Er als Herr vorgestellt. Das ist der Weg, den Gott uns stets führt, und diese Reihenfolge entspricht auch unserer Erfahrung. Wir haben Christus zuerst als Heiland kennengelernt. Ohne diese Erfahrung wären wir noch in unseren Sünden, wären wir ewig verloren. Aber so grundlegend diese Erfahrung oder Erkenntnis auch ist, Gott möchte nicht, daß wir dabei stehenbleiben. Es ist Seine Absicht, uns weiterzuführen zur Erkenntnis des Herrn – dessen, der alle Anrechte über uns hat.

Göttliche Kraft

In Vers 2 sprach der Apostel von der Erkenntnis Gottes und Jesu, unseres Herrn. Im nächsten Vers lernen wir nun, daß mit dieser Erkenntnis etwas Wesentliches verbunden ist: göttliche Kraft.

„Da seine göttliche Kraft uns alles zum Leben und zur Gottseligkeit geschenkt hat durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch Herrlichkeit und Tugend“ (Vers 3).

Es ist bemerkenswert, wie der Heilige Geist uns zuerst in Vers 3 die göttliche Kraft und dann in Vers 4 die göttliche Natur vorstellt. Damit sind erhabene Gedanken verbunden. Doch blicken wir zunächst nach Vers 3. Hier sind wir, die Kinder Gottes, die Gegenstände der göttlichen Kraft, des Wirkens Gottes in Macht. Gott hat ein Ziel mit uns, und um dieses Ziel zu erreichen, hat Er an uns gewirkt und wirkt Er an uns in göttlicher Kraft. In diesem Vers wird nun beides beschrieben, die Art der Wirksamkeit und das zu erreichende Ziel.

Das Wirken Gottes

Was die Art des Wirkens Gottes angeht: Er hat uns alles zum Leben und zur Gottseligkeit geschenkt. Das ist also die Art und Weise, in der die göttliche Kraft im Blick auf uns gewirkt hat: Sie hat uns alles geschenkt. Wollen wir dagegen das Ziel verstehen, das Gott damit verfolgt, so müssen wir den Satz anders betonen: Er hat uns alles zum Leben und zur Gottseligkeit geschenkt. Und so wird das Ziel der Wirksamkeit Gottes an uns deutlich: Leben und Gottseligkeit.

Wenn wir bedenken, was Gott getan hat, so können wir nur in Anbetung stehenbleiben. Denn welch ein Bündel von Segnungen finden wir hier! Da gibt es nichts, was Gott uns nicht geschenkt hätte von dem, was zum Leben und zur Gottseligkeit nötig ist. Nach Epheser 1, Vers 3, gehören uns in Christus alle geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern. Das ist grundsätzlich dieselbe Wahrheit, wie wir sie hier haben, nur zeigt Petrus deren sittliche Seite: Nur das, was ich im Glauben von Ihm nehme, ist mein.

Tatsächlich schließt der Ausdruck >seine göttliche Kraft< auch den Gedanken ein, wie wir allein die Segnungen erlangen können: Gottes Macht ist dazu notwendig. Es ist dasselbe Wort (dynamis) wie in 1. Petrus 1, Vers 5: „die ihr durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werdet zur Errettung.“ Gottes Macht wirkt, aber sie wirkt durch den Glauben. Oder anders ausgedrückt: Gottes Macht wirkt nicht einfach außerhalb von uns und tut etwas Gewaltiges, ohne uns irgendwie daran zu beteiligen. Nein, sie wirkt vielmehr dadurch, daß sie unseren Glauben stärkt – in 1. Petrus 1 dazu, daß wir bewahrt werden, in 2. Petrus l dazu, daß wir alles Geschenkte praktisch ergreifen. Es ist schon recht belehrend, daß Gottes Macht notwendig ist, um uns in den Besitz dessen zu bringen, was dann in uns Leben und Gottseligkeit zum Ergebnis hat.

Das Ziel Gottes

Damit sind wir bereits bei dem Ziel, das Gott mit uns im Auge hat: Leben und Gottseligkeit. Offenbar ist mit Leben das ewige Leben gemeint. Es ist das Vorrecht Gottes, tote Seelen lebendig zu machen. Der Vater gibt in Gemeinschaft mit dem Sohn Leben, geistliches, ewiges Leben (Joh 5,26; Röm 6,23). Doch scheint es, daß das ewige Leben, das wir durch den Glauben an den Herrn Jesus besitzen (Joh 3,16; 1. Joh 5,13), hier ebenfalls mehr in seiner praktischen, sittlichen Seite gesehen wird. Petrus geht selten, wenn überhaupt jemals, über die sittlichen Ergebnisse hinaus. So ist es auch hier. Er spricht nicht direkt von der Mitteilung des neuen Lebens, sondern davon, daß Gott alles zugunsten dieses Lebens in uns getan hat und tut, damit es sich mehr und mehr entfalte. Das ewige Leben ist ein Leben, das sich an Gott freut und das Gott entspricht. Und noch einmal, es kommt von Gott, aber es ist nie mit etwas anderem beschäftigt als mit Gott und Seinen Gedanken.

Müssen wir uns nicht, wenn wir das bedenken, mehr oder weniger darüber schämen, wie wenig Gott Sein Ziel mit uns erreichen konnte? Und sehen wir jetzt nicht auch klarer, weshalb göttliche Macht notwendig ist, um die tausend Widerstände zur Auswirkung des ewigen Lebens in uns zu überwinden? Sie hat uns in der Tat alles zum Leben Gehörende geschenkt; ja, wir besitzen das ewige Leben selbst. Aber die göttliche Kraft wird in diesem Leben erst dadurch für uns anwendbar oder wirksam, daß wir im Glauben erfassen, was Gott für uns ist und was Er für uns getan hat.

Neben dem Leben wird Gottseligkeit genannt. In den ersten vier Versen unseres Briefes haben wir im ganzen vier Begriffspaare, und es scheint, als wenn bei den paarweise genannten Begriffen jeweils die zweite Sache aus der ersten hervorfließt. In Vers 2 waren es „Gnade und Friede“, in Vers 3 haben wir zwei Paare: „Leben und Gottseligkeit“ und dann „Herrlichkeit und Tugend“; und in Vers 4 wird uns das letzte Paar gezeigt in solchen, die einerseits „Teilhaber der göttlichen Natur“ geworden und andererseits „dem Verderben entflohen“ sind.

>Gottseligkeit< beschreibt einen Charakter, der Gott entspricht; sie bedeutet eine sittliche Gleichheit mit Ihm. Es ist das Ziel Gottes, diese praktische Frömmigkeit, diese wahre Gottesfurcht in uns hervorzurufen. Und auch hier gilt das, was wir bereits bei dem > Lebern gesagt haben: Die göttliche Kraft hat uns zwar alles, was zur Gottseligkeit gehört oder was dazu führt, geschenkt. Aber es wird erst verwirklicht durch die Erkenntnis Dessen, „der uns berufen hat durch Herrlichkeit und Tugend“.

Die göttliche Berufung

Wir sprachen eben davon, daß das sittliche Ziel Gottes für uns dadurch erreicht wird, daß wir im Glauben erfassen, was Er für uns ist. Die Erkenntnis Gottes, das sehen wir hier erneut, ist der Stützpunkt für unseren Glauben. Wir hatten das schon in Vers 2 gefunden. In dieser gesegneten Erkenntnis liegt Kraft für die Seele. In dem Maß, wie wir uns an Gott erfreuen und an dem, was Er für uns ist, empfangen wir Kraft, das Ihm Wohlgefällige zu tun. Es gibt keinen anderen Weg dorthin, Geliebte. Wir mögen alles mögliche versuchen und manche Anstrengung unternehmen, um ein gottseliges Leben zu führen und gegen das Böse in uns und um uns anzugehen. Doch die Kraft dazu finden wir nur „durch die Erkenntnis dessen, der uns berufen hat durch Herrlichkeit und Tugend“.

Recht bemerkenswert ist die Ausdrucksweise, in der Gott hier beschrieben wird: Er ist, so die wörtliche Wiedergabe, der „uns Berufen-Habende“. Wie groß ist es, daß es da Jemand gibt, der ein Interesse an uns hatte und uns deswegen berufen hat. Aber warum mußten wir berufen werden? Wenn wir das einmal mit dem ersten Menschen vergleichen, dann wird uns diese Gnade um so deutlicher. Als Adam in Unschuld im Garten Eden war, empfing er keinen Ruf Gottes. Wohl besuchte Gott ihn, aber Er berief ihn nicht. Wozu auch? Er war genau an dem Platz, an den Gott ihn gestellt hatte. Dort hätte er einfach bleiben sollen, auch dann, als jemand anders ihn rief – die Schlange. Seitdem er jedoch ihren Einflüsterungen Gehör schenkte, ist der Mensch außerhalb des Paradieses Gottes – in Sünde. Erschreckender Zustand! Ist uns schon einmal bewußt geworden, daß die Errettung daraus nur durch die Berufung Gottes erfolgen kann? Tatsächlich besteht hierin das ganze Prinzip des Christentums: Durch die Berufung Gottes wird der Gläubige aus alledem herausgenommen, worin er natürlicherweise ist, und wird in eine neue Stellung gebracht. Es ist die Herrlichkeit Gottes selbst, zu der wir berufen worden sind (1. Thes 2,12; 1. Pet 5,10).

Können wir die Tragweite dieser Berufung auch nur annähernd ermessen? Gewiß nicht. Aber sollten wir nicht wenigstens öfter stehenbleiben, um uns daran zu erinnern, daß unsere Berufung „nach oben“, daß es eine „himmlische“ Berufung ist (Phil 3,14; Heb 3,1)? Ganz gewiß. Und trotzdem gibt es kaum etwas, was wir leichter zu vergessen geneigt sind als unsere Berufung. Unsere Gaben und Segnungen vergessen wir nicht so schnell wie gerade unsere Berufung, Wie kommt das? Weil wir oft sehr irdisch gesinnt sind und der Widersacher ein diabolisches Interesse daran hat, daß dies so bleibt. Doch Gott läßt uns nicht aus dem Auge, und Er lenkt unseren Blick nach oben zu Christus in der Herrlichkeit. Deswegen heißt es hier: „der euch berufen hat durch Herrlichkeit und Tugend“.

Wieder sind es zwei Stücke, die der Heilige Geist nebeneinanderstellt: „Herrlichkeit und Tugend“, und wieder geht das zweite aus dem ersten hervor. Herrlichkeit ist das Ziel außerhalb dieser Welt, und Tugend (oder geistlicher Mut, geistliche Entschiedenheit) ist auf dem Weg dorthin nötig, um dieses Ziel zu erreichen. Wir sollten es uns mehr bewußt machen, daß unser Heiland bereits am Ziel ist und daß wir mit Ihm eine Stellung der Herrlichkeit einnehmen werden. Wenn dies vor unserem Auge steht, wird es uns auch nicht an der geistlichen Energie und Entschiedenheit fehlen, um dem himmlischen Ziel zuzustreben. Die göttliche Kraft hat uns alles dazu Notwendige geschenkt.

Wenn in der Schrift im Blick auf Gott von Tugend die Rede ist, wie in 1. Petrus 2, Vers 9, dann ist damit die Vortrefflichkeit Seines Wesens gemeint. Im Blick auf den Menschen bedeutet >Tugend< jedoch sittlichen Mut, geistliche Entschiedenheit. Nun, Petrus legt großen Wert auf das Vorhandensein dieses Charakterzuges in den Gläubigen. Er weiß, daß ohne >Tugend< das Leben des Christen weitgehend ohne Frucht für Gott und ohne Freude für ihn selbst bleibt. In Vers 5 wird >Tugend< noch einmal erwähnt, und dort gehört sie zu den grundlegenden Stücken, aus denen sich die anderen Züge geistlichen Lebens entwickeln.

Ja, wir haben geistliche Entschiedenheit nötig, um der Macht des Fleisches in uns und der Macht der Welt um uns zu widerstehen. Wir finden dafür ein schönes Beispiel in Mose, der durch Glauben sich weigerte, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen, und lieber wählte, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, als den zeitlichen Genuß der Sünde zu haben (Heb 11,24.25). Mose wollte diese Welt und ihre Freude nicht. Er sagte „Nein“ zu den Verlockungen durch Fleisch und Welt und stellte sich auf die Seite jener verachteten Sklaven, die nichtsdestoweniger das „Volk Gottes“ waren. Ja, es ist Tugend nötig, geistliche Entschiedenheit, so zu handeln. Mose besaß sie, und so schlug er das aus, wonach er sich seiner menschlichen Natur nach ausgestreckt hätte: den Palast, den Thron, die Krone Ägyptens. Er wählte statt dessen etwas, was der natürliche Mensch niemals begehrt hätte: in Gemeinschaft mit solchen zu sein, die zum Ziegelbrennen gerade gut genug waren. Doch Mose sah in diesen Menschen das Volk Gottes. Das machte den ganzen Unterschied aus.

Brauchen nicht auch wir in unseren Tagen diese geistliche Energie, um uns der Welt in ihren tausendfachen Formen zu verschließen? Und sind wir bereit, uns mit der kleinen Schar derer einszumachen, die heute das „Volk Gottes“ sind? Leider geben wir den Versuchungen zu oft nach, weil uns die >Tugend< fehlt; und das Ergebnis ist, daß wir oft fallen. Wenn wir diese geistliche Entschiedenheit in unserem Herzen nicht lebendig erhalten, gleiten wir früher oder später in jene Dinge zurück, die wir einst aufgegeben haben. Machen wir jedoch die Herrlichkeit, in der unser Heiland schon ist, zu unserem Gegenstand, so entfaltet sich in uns auf dem Weg dorthin geistlicher Mut, sittliche Kraft.

(Wird fortgesetzt) ChB

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1998, Seite 339

Bibelstellen: 2Petr 1, 2; 2Petr 1, 3;

Stichwörter: Berufung, Erkenntnis, Frieden, Glück, Gnade, Petrus