Der brennende Dornbusch

(Schluss von Seite 93)

Die Liebe Gottes

„Gesehen habe ich die Misshandlung meines Volkes, das in Ägypten ist, und ihr Seufzen habe ich gehört, und ich bin herabgekommen, um sie herauszureißen. Und nun komm, ich will dich nach Ägypten senden“ (Apg 7,34).

Dieser Vers enthüllt uns zweierlei. Zuerst die unendliche Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Wie groß das Elend Seines Volkes auch sein mochte, Sein Herz ist darüber bewegt. All die Jahre hat Er es mitangesehen, und all die Zeit war es in Seinem Herzen, sie daraus zu befreien. Und dann das zweite: Da nun die Zeit zur Erfüllung Seines Ratschlusses gekommen war, ist Er es selbst, der die Initiative ergreift. Dieses Vorrecht lässt Er sich nicht nehmen, Menschen können Ihm darin nicht vorweglaufen, wie zum Beispiel Mose es versucht hatte.

Doch auch die Reihenfolge, in der uns hier die Vorgänge geschildert werden, ist beachtenswert. Zuerst offenbart sich Gott, indem Er zu Mose sagt: „Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs.“ Erst danach spricht Er von dem Elend Seines Volkes und davon, was Er für sie tun will. Wir lernen daraus etwas sehr Köstliches: Nicht der Zustand Israels, sondern Seine Liebe zu Seinem Volk war der eigentliche Beweggrund für Sein Eingreifen. Stets findet Er den Beweggrund für Sein Tun in Sich selbst, in Seinem Herzen. Er handelt aus dem heraus, was Er selbst ist. Der erbarmungswürdige Zustand Seines Volkes gibt Ihm gewiss den äußeren Anlass dazu. Aber Er handelt gemäß dem, was Er ist, und nicht gemäß dem, wie Er den Menschen vorfindet.

Diese gesegnete Wahrheit finden wir später im Neuen Testament noch deutlicher entfaltet. So zeigt zum Beispiel Epheser 1, dass Gott in Seiner Gnade die Seinen schon vor Grundlegung der Welt auserwählt hat, ehe es überhaupt eine Frage der Sünde gab (Vers 3 ff). Erst im zweiten Kapitel kommt dann der Heilige Geist auch auf diesen Punkt zu sprechen. Nicht unser Zustand als geistlich tot in Vergehungen und Sünden veranlasste Gott zu Seinem wunderbaren Handeln mit uns, sondern das, was in Seinem Herzen für uns war, ehe die Welt war. Nach Seinem Vorsatz hat Er uns in Christus Jesus schon „vor ewigen Zeiten Gnade gegeben“ (2. Tim 1,9). Nur im Glauben können wir die Tiefe dieses Ratschlusses in etwa erfassen und Den dafür anbeten, in dessen Herzen solche Gedanken der Liebe waren.

Was nun den Zustand des Volkes Israel damals angeht, so war er in der Tat traurig und beklagenswert. Aber Gott hatte von allem genau Kenntnis genommen, hatte ihr Seufzen gehört. Obwohl wir im historischen Bericht vom zweiten Buch Mose nichts davon hören, dass sie zu Ihm gerufen hätten, bewegte doch ihr Los Sein Herz. Welch eine Gnade und Zartheit erkennen wir hier! Und was sollen wir dazu sagen, dass Er überhaupt diese armen, versklavten Israeliten „Mein Volk“ nennt? Hätte nicht jeder andere sie zuerst in einen Zustand gebracht, der ihm entsprach, ehe er sich mit ihnen eins machte? Wir denken daran, wie Gott uns geliebt hat: „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“ (Röm 5,8). Auch dem verlorenen Sohn in Lukas 15 lief der Vater, innerlich bewegt, entgegen und fiel ihm – in seinen Lumpen – um seinen Hals und küsste ihn sehr. Erst danach ließ er ihm das beste Kleid bringen und es ihn anziehen. So handelt die Gnade.

Die Absicht Gottes wird in den Worten deutlich: „Ich bin herabgekommen, um sie herauszureißen.“ Das griechische Wort für >herausreißen< bedeutet in der Form, in der es hier vorliegt, sowohl >befreien< als auch >für sich selbst aussondern, für sich auswählen*. Gott beabsichtigte nicht nur, die Kinder Israel von der furchtbaren Last und Knechtschaft zu befreien. Er hatte Höheres mit ihnen vor und wollte sie für Sich haben. Wie er sie später erinnert: „Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe, wie ich euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht habe. Und nun, wenn ihr fleißig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, so sollt ihr mein Eigentum sein aus allen Völkern“ (2. Mo 19,4.5). Wenn sich der Herr Jesus für uns hingegeben hat, so tat Er das, „damit er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und sich selbst ein Eigentumsvolk reinigte, das eifrig sei in guten Werken“ (Tit 2,14). Es ist gesegnet, den Parallelen zwischen dem Handeln Gottes mit Israel und mit uns nachzuspüren.

Doch dann folgt der Auftrag Gottes an Mose: „Und nun komm, ich will dich nach Ägypten senden.“ Wenn Gott einen Auftrag gibt, dann gibt Er auch die Kraft und Weisheit, ihn auszuführen. Wie oft haben wir das in unserem Kleinglauben übersehen! Auch Mose übersah es. Vierzig Jahre zuvor wollte er in eigener Kraft als Befreier auftreten. Jetzt, da Gott ihm den klaren Auftrag gibt, bringt er bis zur Grenze des Unglaubens Einwand um Einwand dagegen vor. So sind wir Menschen! Von einem Extrem fallen wir leicht in ein anderes. Doch Stephanus übergeht auch diese Schwachheit Moses, um seinen jüdischen Richtern vielmehr vorzustellen, was der Auftrag Gottes an Mose im Blick auf Israel in Wirklichkeit in sich schloss.

Der Auftrag Gottes

„Diesen Mose, den sie verleugneten, indem sie sagten: ,Wer hat dich zum Obersten und Richter gesetzt?‘, diesen hat Gott sowohl zum Obersten als auch zum Retter gesandt mit der Hand des Engels, der ihm in dem Dornbusch erschienen war“ (Apg 7,35).

Stephanus zitiert nicht nur alttestamentliche Geschichte, hier die von Mose, sondern er hat in dem, was er daraus auswählt, eine Absicht: die Parallelen aufzuzeigen, die zwischen dem jeweiligen Vorbild und Jesus – zwischen ihren Vätern und ihnen selbst bestanden. Gerade der Mann, den die Väter verleugneten, war das Werkzeug, das Gott zu ihrem Führer und Retter ausersehen hatte. So war es auch in der Geschichte Josephs gewesen. Zuerst verwarfen ihn seine Brüder. Beim zweiten Mal allerdings waren sie genötigt, ihn anzunehmen. Nun wiederholte sich dasselbe bei Mose. Als er das erste Mal zu seinen Brüdern kam, stießen sie ihn von sich. Doch beim zweiten Mal wurden sie dahin geführt, ihn anzunehmen.

Tatsächlich ist die Parallele zu Christus nicht zu übersehen. Als Er zum ersten Mal zu ihnen kam, um sie nicht allein von ihren Sünden, sondern auch von ihren äußeren Feinden zu erretten, verwarfen Ihn die Juden als ihren Messias. Er war der >Stein<, der von den Bauleuten für nichts geachtet, von Gott aber zum Eckstein gemacht worden war (Kap. 4,11). Ihn hatte Gott durch Seine Rechte zum >Führer und Heiland< erhöht (Kap. 5.31). Und hier wird Er prophetisch als >Oberster und Retter* gesehen. Wenn Er in diesem Charakter zum zweiten Mal zu Seinen >Brüdern< kommt, wird der Überrest Ihn im Glauben annehmen. Denn Er wird seine Engel aussenden mit starkem Posaunenschall, „und sie werden seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her, von dem einen Ende der Himmel bis zu ihrem anderen Ende“ (Mt 24,31), um sie in Sein Reich einzuführen und sie zu segnen. Dass sie zuvor noch durch tiefe Drangsale gehen müssen, hatte schon die Geschichte Josephs und seiner Brüder deutlich gemacht.

Der Ausdruck >mit der Hand des Engels< bedeutet, dass Mose seinen von Gott empfangenen Auftrag mit der Hilfe und in der Kraft des Engels, der ihm im Dornbusch erschienen war, ausführen sollte, das heißt mit der Hilfe und Kraft Gottes selbst. Welch ein Trost muss es für Mose gewesen sein, dass die Hand oder Kraft des Engels Jeho-vas ihn stets bei seiner schweren Aufgabe begleiten würde! Dieses Bewusstsein schenkt Er auch heute jedem, der sich mit Ihm und Seinen Interessen eins macht. ChB

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2000, Seite 101

Bibelstellen: Apg 7, 34.35

Stichwörter: Dornbusch, Mose