Gedanken zum Brief an die Philipper

(Fortsetzung von Seite 109)

Kapitel 2

Der Apostel Paulus hatte in Kapitel 1,27 den Wunsch seines Herzens ausgedrückt, dass die Philipper in Einmütigkeit miteinander wandelten. Diesen Gedanken greift er nun noch einmal auf, und zwar in rührender Weise:

„Wenn es nun irgendeine Ermunterung gibt in Christus, wenn irgendeinen Trost der Liebe, wenn irgendeine Gemeinschaft des Geistes, wenn irgend innerliche Gefühle und Erbarmungen, so erfüllt meine Freude, dass ihr gleich gesinnt seid, dieselbe Liebe habend, einmütig, eines Sinnes“ (V. 1.2).

Das alles genoss sein Herz zutiefst, und ihre Gaben und liebevollen Botschaften, die ihn im Gefängnis erreicht hatten, waren die unmittelbare Ursache dafür. Dass jemand solcherart an ihn dachte, als so viele ihn vergaßen und sich seiner Ketten schämten, bedeutete wirklich Ermunterung. Ihre Liebe hatte sein Herz getröstet und war eine echte Darstellung von Gemeinschaft im Geist und innerlichen Gefühlen und Erbarmungen, d. h. dem Erbarmen Christi, gewesen. Würden sie seinen Freudenkelch voll machen? Dazu genügte ihm eines: zu hören, sie wären „einmütig, eines Sinnes“. Er begehrte, dass sie einander dieselbe Liebe erwiesen, die sie ihm so wohltuend bezeugt hatten. Sein Herz konnte sich nicht damit begnügen, sie nach außen eins zu wissen – nur äußerlich nicht entzweit -, sondern er wünschte, dass ihre Herzen „vereinigt wären in Liebe“. Ihr Zustand war weit besser als der der Gläubigen in Korinth, wo sich in der Versammlung auf ganz fleischliche Weise Parteien bildeten. Dennoch war das Herz des Apostels noch nicht ganz befriedigt. Sein Wunsch war immer, dass die Gläubigen das waren, was sie für Christus sein sollten. Sie sollten der Absicht Gottes nicht weniger als völlig entsprechen.

Es ist ein Fallstrick, wenn wir mit unserem geistlichen Zustand zufrieden sind, auch wenn er verhältnismäßig gut ist. Paulus konnte die Thessalonicher loben für ihre Liebe zueinander und zu allen Brüdern in ganz Mazedonien, wollte aber nicht, dass sie dabei stehen blieben; deshalb fügt er hinzu: „Wir ermahnen euch aber, Brüder, reichlicher zuzunehmen“ (1. Thes 4,10). Um solcherart miteinander in Eintracht zu wandeln, braucht man Demut und liebevolle Rücksichtnahme. Daher warnt der Apostel vor Streitsucht und eitlem Ruhm (vgl. Phil 1,15; Gal 5,26), und ein anderer Diener des Herrn sagt, dass, „wo Neid und Streitsucht ist, Zerrüttung ist und jede schlechte Tat“ (Jak 3,16). Doch ein ganz anderer Geist sollte bei uns herrschen: jeder in Demut den anderen höher einschätzen als sich selbst. Dazu kann uns nur die Gnade befähigen; doch wo sie herrscht und der Geist ungehindert wirkt, ist es eine Freude, wenn ich Christus in meinem Bruder sehe, während ich Versagen und Unzulänglichkeit bei mir selbst wahrnehme. Weiter wird uns ein liebevolles Interesse am anderen aufs Herz gelegt; die Gläubigen sollen nicht ausschließlich mit ihren eigenen Interessen beschäftigt sein, sondern, wie Paulus es anderweitig ausdrückt: „Durch die Liebe dient einander“ (Gal 5,6.13).

Verse 5-11

Das Vorbild finden wir in Christus Jesus, der in Liebe sich selbst erniedrigte, um uns zu erretten. Wunderbare Gnade! Wunderbares und erhabenes Vorbild für unsere Seelen! Er war in Gestalt Gottes. Für Ihn war es kein Raub, Gott gleich zu sein, sondern Er machte sich zu nichts und nahm die Gestalt eines Knechtes an. Der Gegensatz zum ersten Adam ist sehr markant. Adam war erschaffen in Gestalt eines Knechtes und dazu geschaffen, zu gehorchen – aber er wollte „sein wie Gott“. Das war Raub und brachte das Gericht mit sich. Wie anders war es beim zweiten Menschen! Als das ewige Wort war Er im Anfang bei Gott und war Gott: Ohne Ihn wurde nichts geschaffen, was geschaffen ist. Aber Er machte sich selbst zu nichts, indem Er zu dienen wählte. Für eine Zeit legte Er die Gestalt Gottes ab, aber nie Seine göttlichen Vorrechte. Als Er hier im Fleisch war, konnte Er Tote auferwecken, Aussätzige reinigen, dem Wind und den Wellen befehlen und die Herzen und Gedanken der Menschen lesen.

Er kam, um zu dienen, indem Er sagte: „Einen Leib hast du mir bereitet… Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“ (Heb 10,5.7). Seinen Jüngern konnte Er sagen: „Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen“ (Mk 10,45). Und wiederum: „Ich bin in eurer Mitte wie der Dienende“ (Lk 22,27). Und in einem gewissen Sinn ist Er noch immer „gegürtet“, wenn auch jetzt in der Herrlichkeit. Er ist das wahre Gegenbild des hebräischen Knechtes, der sagte: „Ich liebe meinen Herrn, meine Frau und meine Kinder, ich will nicht frei ausgehen“ (2. Mo 21). Und selbst in der Zukunft wird es Seine Freude sein, den Seinen zu dienen. „Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend finden wird! Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich umgürten und sie sich zu Tisch legen lassen und wird hinzutreten und sie bedienen“ (Lk 12,37).

Aber der Herr ist auf Seinem gnadenreichen Weg nach unten nicht dabei stehen geblieben, dass Er Knechtsgestalt angenommen hatte. „In seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, hat er sich selbst erniedrigt, indem er gehorsam wurde bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.“ Was für eine Erniedrigung! Was für ein bewunderungswürdiger Pfad! Aber er endete für Ihn in Herrlichkeit. Er selbst hat es gelehrt: „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Und dafür hat Gott gesorgt. Er hat Ihn hoch erhoben und Ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, und hat bestimmt, dass jedes Knie, ob himmlisch, irdisch oder zur Unterwelt gehörend, sich vor Ihm beugen und Ihn als Herrn anerkennen soll. Es ist wichtig, den Gesichtspunkt zu beachten, unter dem in diesem Kapitel von der Erniedrigung des Herrn gesprochen wird. Es geht hier nicht darum, dass Er kam, um durch das Opfer Seiner selbst die Sünde hinwegzutun – obwohl das wahr ist, Ihm sei Dank! -, sondern dass Er in Liebe sich selbst erniedrigte, um zu dienen. Darin besteht unser Vorbild: „Diese Gesinnung sei in euch!“

Verse 12-16

Der Apostel ermahnt die Gläubigen noch weiter. Sie waren allezeit gehorsam gewesen, nicht nur, als er noch bei ihnen war, sondern noch mehr in seiner Abwesenheit. Den Galatern gegenüber hatte er anders reden müssen: „Es ist aber gut, allezeit im Guten zu eifern und nicht nur, wenn ich bei euch zugegen bin“ (Gal 4,18). Die Philipper mussten nun, da der Apostel nicht bei ihnen war, mit Furcht und Zittern ihre Seligkeit selbst bewirken. Sie hatten nicht mehr ihn zur Seite, der sie ermutigte und in ihrem Kampf mit dem Feind anführte, sondern mussten sich jetzt selbstständig allein auf Gott verlassen. Aber wenn auch Paulus nicht in der Lage war, ihnen zu helfen, so war Gott nach wie vor da und wirkte in ihnen das Wollen und das Wirken zu Seinem Wohlgefallen. Das ist auch heute die einzige Hilfsquelle für die Gläubigen. Als Paulus sich von den Ältesten von Ephesus verabschiedete, befahl er sie Gott und dem Wort Seiner Gnade an (Apg 20). Apostel gibt es nicht mehr, aber Gott bleibt. Zu Ihm nehmen wir unsere Zuflucht.

Er wünschte, sie sollten alles ohne Murren und zweifelnde Überlegungen tun, untadelig und lauter sein und sich als unbescholtene Kinder Gottes erweisen inmitten eines verdrehten Geschlechts. Die Verse 15 und 16 sind sehr eindrucksvoll: Jeder Satz erinnert an Christus. War Er nicht tadellos und lauter, als Sohn Gottes ohne Tadel inmitten des verdrehten Israel? War Er nicht das Licht der Welt und das Wort des Lebens? So sollten die Seinen Ihn vor sich haben und Seinen gesegneten Fußstapfen folgen. Und wenn die Gläubigen so wandelten, würde Paulus sich am Tag Christi darüber freuen können, so offensichtlich würde es sein, dass er nicht vergeblich gelaufen war oder gearbeitet hatte. Kein Arbeiter rühmt sich eines Werkes, das schlecht ausgefallen ist, auch wenn der Fehler nicht ausdrücklich bei ihm liegt. Die Ermahnungen der Apostel haben häufig diesen Charakter. So in 2. Korinther 6,3: „… indem wir in keiner Sache irgendeinen Anstoß geben, damit nicht der Dienst verlästert werde.“ Oder in 1. Johannes 2,28: „Und nun, Kinder, bleibt in ihm, damit wir, wenn er offenbart wird, Freimütigkeit haben und nicht vor ihm beschämt werden bei seiner Ankunft.“ Und in vielen anderen Stellen.

Verse 17-24

Der Dienst für Christus war Paulus so teuer, dass er völlig bereit war, als Trankopfer geopfert zu werden; für ihn würde das ein Anlass zur Freude sein. In Vers 17 betrachtet er die Philipper als ein Opfer und sich selbst nur als das Hin Wein, das darüber gegossen wurde – so demütig war sein Denken (vgl. 4. Mo 15,1-10). Wenn es Christus verherrlichen würde, war er bereit, den Märtyrertod zu sterben, ja er begehrte es sogar, und forderte die Gläubigen auf, sich mit ihm zu freuen. Was für ein selbstloser Diener und was für selbstlose Gläubige, bei denen er damit rechnen konnte, dass sie sich freuten, selbst wenn sie ihn verloren, den sie doch so sehr liebten: wenn nur Christus erhoben würde! Aber obwohl er völlig gewillt war, „ausgegossen“ zu werden, und das auch eher oder später erwartete, war er überzeugt, dass er vorerst bleiben würde, wie wir in Kapitel l gesehen haben. Deshalb hoffte er Timotheus bald zu ihnen zu senden, um durch die neueste Kenntnis ihrer Umstände getröstet zu werden. Er wusste nicht, wen er sonst senden sollte. Timotheus folgte seinen Fußstapfen und hatte Freude daran, sich um die Gläubigen zu kümmern, aber das konnte er nicht von allen sagen. Die Mehrheit ging den eigenen Interessen nach und nicht den Belangen Jesu Christi. Was für ein schmerzliches und frühes Abweichen vom lauteren Sinn und der Schlichtheit des Herzens von Apostelgeschichte 2-4! Was ist der Mensch! Müssen wir uns wundern über den Weltsinn und die Gleichgültigkeit in unseren Tagen? Prüfen wir unsere Herzen: Hat Christus den ersten Platz darin? Sind Seine Belange auch unsere? Timotheus hatte sich bewährt: Wie ein Sohn mit einem Vater hatte er treu und gut im Evangelium gearbeitet – anders als Johannes Markus, der gut angefangen, sich dann aber in Perge von ihnen getrennt hatte (Apg 13,13; 15,38). Darum hoffte Paulus Timotheus sofort zu senden und vertraute auf den Herrn, dass auch er selbst bald nachfolgen könnte.

Verse 25-30

Inzwischen wollte er aber Epaphroditus zu ihnen senden, der mit Gaben von ihnen zu ihm gekommen war, „meinen Bruder und Mitarbeiter und Mitstreiter“, wie er ihn liebevoll bezeichnet, „aber euren Abgesandten und Diener meines Bedarfs“. Die Verse 26-28 zeigen uns ein schönes Bild von feinfühliger Zuneigung und zartem Mitgefühl für andere. Epaphroditus war krank gewesen, „um des Werkes Christi willen dem Tode nahe gekommen“. Davon hatten die Philipper gehört, und das bereitete seinem hingebungsvollen Herzen Not. Dass er ihnen vorübergehend Sorge bereitet haben sollte, bedeutete eine tiefe Übung für ihn und veranlasste ihn, sich nach einem Wiedersehen mit ihnen zu sehnen, damit ihre Herzen wieder froh werden könnten. Paulus teilte dieses Empfinden völlig mit ihm, und so redete er ihm zu, zurückzukehren, so gern er ihn bei sich behalten hätte, damit die Gläubigen sich freuen könnten, wenn sie ihn wiedersähen. – Das ist die Frucht des Geistes, der den neuen Menschen, den Menschen nach Christus, bildet. Gott hatte in Seinem Erbarmen Epaphroditus für Paulus und die Gläubigen verschont, und der Apostel wollte, dass er in Ehren gehalten wurde. Wie Paulus nahm auch er keine Rücksicht auf sein Leben, wenn es darum ging, dem Herrn zu dienen (Apg 20,24). Solche Charaktere leuchten umso heller in Tagen des Niedergangs. Wir haben gesehen, dass der Apostel über die Mehrzahl der Arbeiter klagen musste, doch hier war einer, der sein Herz (und das Herz Gottes) echt erfreute.

(Wird fortgesetzt)

W. W. F.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2004, Seite 140

Bibelstellen: Phil 2