Gnade und Herrlichkeit

Psalm 84

Dieser schöne Psalm gibt die Erfahrungen des gottseligen Überrests Israels in der Endzeit wieder, wenn sie aus ihrer langen Gefangenschaft befreit sind und zurückkehren zum Wohnort Gottes in Zion.

Der Geist der Gnade, der diesen Psalm durchweht, macht es uns hier leichter als in vielen anderen Psalmen, eine Anwendung auf den Christen zu machen, wie auch er auf dem Pilgerpfad zum Vaterhaus in der Höhe unterwegs ist.

Drei Themen kennzeichnen die drei Abschnitte dieses Psalms:

1. Die Schönheit des Hauses Gottes, wohin der Gläubige unterwegs ist, und die Glückseligkeit derer, die in diesem Haus wohnen (V. 1-5).

2. Die Erfahrungen auf dem Weg, der zu dem Haus führt, und die Glückseligkeit dessen, der diesen Weg beschreitet (V. 6-8).

3. Der Trost des Gebets und die Glückseligkeit des Menschen, der auf den Herrn vertraut (V. 9-13).

So wird uns hier eine dreifache Glückseligkeit vorgestellt. Die Glückseligkeit des Wohnens, da wo Gott wohnt; die Glückseligkeit im Beschreiten des Weges, der zu Gottes Wohnung führt; und die Glückseligkeit des Vertrauens auf Gott beim Beschreiten dieses Weges – jeweils in den Versen 5, 6 und 13.

Die Wohnungen Gottes (Verse 1-5)

Der Psalm beginnt mit einem Ausdruck der Wonne im Haus Gottes: „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr der Heerscharen!“ Das gottesfürchtige Herz erkennt, dass es berufen ist, bei Gott zu wohnen, in Gottes eigenen Wohnungen. Was diese Wohnungen so lieblich macht für das Herz des Psalmdichters, ist die Tatsache, dass Gott selbst da ist – der lebendige Gott. Alles in diesen Vorhöfen spricht von der Herrlichkeit Gottes. Dort ist Gott völlig offenbart, und weil Er völlig offenbart ist, kann Er auch völlig erkannt werden. Die Seele verlangt danach, diese Vorhöfe der Herrlichkeit zu erreichen, das Herz und das Fleisch können getrennt von dem lebendigen Gott nicht befriedigt sein.

Im gleichen Geist blickt der Christ hin zum Haus des Vaters – einem Haus, wo alles von Gott, dem Vater, spricht. Der Gläubige befindet sich in widrigen Umständen, in denen die Gottesfürchtigen leiden, wo das Böse zunimmt, sowohl in der Welt als auch allgemein im Volk Gottes. Dort herrschen Eigenwille und Herrlichkeit des Menschen vor, während Gott anscheinend nicht eingreift, sondern sich still verhält. Trotzdem weiß der Glaube, dass Gott lebt, und er blickt hin zum Wohnort Gottes. Dort wird einmal offenbar werden, dass Gott der lebendige Gott ist, und alles wird die Herrlichkeit Gottes verkünden. Zwar ist auch das Haus selbst, zu dem wir unterwegs sind, vollkommen heilig; doch was wäre eine vollkommene Umgebung ohne den Einen, dem das Haus gehört, und ohne Christus, den Einen, der den Vater kundmacht?

Das Herz des wahren Israeliten ist sich bewusst, dass Der, der ein Zuhause findet für einen gering geachteten Vogel und Ruhe für einen ruhelosen Vogel, ganz sicher auch einen Ruheplatz für Sein Volk hat: „Deine Altäre, Herr der Heerscharen, mein König und mein Gott.“ Der Christ kann sagen, dass Gott einen Ruheplatz für Sein Volk gefunden hat in dem wohlgefälligen Opfer Christi, „den Gott dargestellt hat als ein Sühnmittel durch den Glauben an sein Blut, … zur Erweisung seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist“ (Röm 3,25.26).

Wenn Gott jedoch Seinem Volk durch Seinen Altar einen festen Ruheplatz gesichert hat, dann hat Er es getan, um Sein Volk bei Sich in Seinem Haus wohnen zu lassen. In diesen Wohnungen werden sie Ihn stets loben (V. 5). Christus ist das wunderbare Opfer auf dem Altar Golgathas geworden, um Gott ein lobsingendes Volk in Seinem Haus zu erwerben. Der Eine, der den Schrei ausstieß: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, konnte allein die Antwort geben: „Doch du bist heilig, der du wohnst bei den Lobgesängen Israels“
(Ps 22,1-4). Er starb, um der Heiligkeit Gottes zu entsprechen und ein lobsingendes Volk zu erwerben. So eröffnet sich vor unseren Augen die Lieblichkeit des Wohnortes Gottes – wo Gott in der Mitte eines lobsingenden Volkes wohnen wird.

Gebahnte Wege (Verse 6-8)

Der Psalm beginnt in sehr schöner Weise mit der Herrlichkeit des Wohnortes Gottes. Dann stellt er uns den Weg vor, der zu diesem Wohnort führt. Das ist auch die Weise des Herrn, wenn er vor Seinen Jüngern in Seinen letzten Reden die Wahrheit entfaltet. Er spricht nicht zuerst von den Übungen auf dem Weg, um ihnen erst dann, am Ende Seiner Reden, die Herrlichkeit des Hauses des Vaters vorzustellen. Er schlägt einen besseren Weg ein. Er beginnt die Rede in Johannes 14 mit der Entfaltung der Lieblichkeit des Hauses des Vaters. Bevor wir aufgerufen werden, die Reise mit ihren Proben und Schwierigkeiten anzutreten, wird uns die Herrlichkeit des Hauses versichert, zu dem diese Reise führt. Wie der Psalmdichter, gehen auch wir den Weg durch das Tal im Licht der Stadt, die auf einem Berg liegt.

Diese Reise wird uns in den Versen 6-8 vorgestellt. In Vers 6 werden wir als solche gesehen, die gebahnte Wege beschreiten – wir gehen vorwärts. In Vers 7 sind wir im Tal der Tränen – wir gehen hindurch. In Vers 8 ist Zion in Sicht – wir gehen ein. Die „gebahnten Wege“, die nach Zion führen, gehen durch feindliches Land. Manchmal erscheint der Weg vielleicht lang und rau und trübe, und das Herz sehnt sich nach dem Ende der Reise. Daher wird das allererste Bedürfnis Kraft für die Reise sein. Diese Kraft ist allein in Gott zu finden, deshalb sagt der Psalmdichter: „Glückselig der Mensch, dessen Stärke in dir ist.“ Der Abschnitt im Neuen Testament, der mehr als alle anderen den Pilgerpfad in bösen Tagen beschreibt, beginnt mit der Aufforderung: „Sei stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist“ (2. Tim 2,1). Wenn der Wohnort Gottes das Ziel des Herzens ist, wird auch der Weg dahin einen Platz im Herzen haben. Wenn der Pilgerpfad für unser Herz wenig anziehend ist, zeugt das nicht von Herzen, die nur wenig von der Herrlichkeit der himmlischen Heimat ergriffen sind, zu der wir berufen worden sind?

Nun wird uns der Charakter dieses Weges vorgestellt: Er verläuft durch das Tränental. Es ist nicht nur ein Tal der Erprobung, sondern ein Tal der Tränen. Die „Tränen“ sprechen nicht nur von Proben, sondern viel mehr von den Erfahrungen in den Proben. Die Prüfungen an sich könnten verhärten; die Erfahrungen in den Prüfungen – die „Tränen“, die die tiefen Empfindungen des Herzens vor Gott in den Prüfungen ausdrücken – werden zu einer Quelle des Segens für das Herz. Wenn wir unsere Stärke von Gott beziehen und Ihm unsere Sorgen bringen, werden wir das „Tränental“ in einen „Quellenort“ geistlicher Segnungen verwandeln. Im Geist des Psalmdichters sagt der Apostel zu Timotheus, dass er sich an seine Tränen erinnerte (2. Tim 1,4). Er dachte nicht nur an die Prüfungen von Timotheus, sondern auch an seine „Tränen“.

Darüber hinaus gibt es auf den gebahnten Wegen, die zum Haus Gottes führen, den „Frühregen”, der das Tal mit Segnungen bedeckt (V. 7). Der Regen spricht von dem, was von oben kommt – der ganze Dienst Christi, den der Geist von oben herabbringt, um das Herz zu
erfrischen und zu erfreuen. Das Wort „Frühregen“ bezeichnet den Regen, der den Boden zur Saatzeit erfrischt (5. Mo 11,14). Das „Tränental“ bereitet das Herz vor für den gnädigen Dienst Christi von oben.

So geht die Seele, erfrischt von der Quelle von unten und dem Frühregen von oben, weiter von Kraft zu Kraft. Diese Worte bezeichnen sicher keinen Vorrat an Kraft, zu dem immer mehr Kraft hinzugefügt wird, wie sehr die Kraft auch zunehmen mag. Sie stellen vielmehr eine neue Zufuhr von Kraft für jeden Tag vor.

Das sichere Ende der Reise ist, dass alle „vor Gott in Zion” erscheinen werden (V. 8). Wir können straucheln auf dem Weg, und leider tun wir das auch. Wir können zögern auf dem Weg, können den Weg leid werden, wir können in der Nachfolge schwach werden; aber trotz allen Versagens und aller Schwachheit werden alle vor Gott in Zion erscheinen. Wenn der Herr gesagt hat: „Meine Schafe … gehen nicht verloren in Ewigkeit“, dann können wir sicher sein, dass schließlich alle Seine Schafe die Heimat erreichen werden. Sie gehen ihren Weg weiter, einer nach dem anderen entschwindet unseren Blicken, aber alle „erscheinen vor Gott in Zion“. Und dort werden schließlich alle zusammentreffen.

Das Gebet (Verse 9-13)

Der Psalm endet mit dem Gebet der gottesfürchtigen Seele, die auf dem Weg ist, der zum Haus Gottes führt. In schöner Weise spricht der Psalmdichter den Herrn als den „Gott der Heerscharen“ und den „Gott Jakobs“ an. Er wendet sich an Gott im Bewusstsein von dessen göttlicher Majestät und Macht als „Gott der Heerscharen“; zugleich aber sieht er Gott als „Gott Jakobs“, der jede Gnade hat und mit dem er sich durch eine Bundesbeziehung verbunden weiß. Gott trat mit Jakob auf der Grundlage souveräner Gnade in Beziehung, und erwies dem versagenden Jakob die ganze Wanderschaft hindurch jede Gnade. Der Gott der Macht und der Gott der Gnade, mit dem wir in Beziehung stehen, ist auch für uns Der, der uns allein auf unserem Weg in die Herrlichkeit bringen kann.

Dann drückt der Psalmdichter in seinem Gebet die Grundlage seines Vertrauens aus, indem er auf Gott blickt: „Du, unser Schild, sieh, o Gott; und schau an das Angesicht deines Gesalbten!“ Wer, wenn nicht Christus, ist der Gesalbte Gottes? Die Grundlage all unserer Segnungen – der Grund all unseres Vertrauens – besteht darin, dass Christus in allem so ist, wie Gott es haben will, und alles getan hat, was Gott verlangt, damit Seine Gnade ausfließen kann in Segen für unwürdige Sünder. Gott sieht auf Christus als Den, der dazu gesalbt wurde, das große Werk zu vollbringen, und Gottes Anforderungen sind erfüllt in Christus und seinem vollbrachten Werk. Daher kann Gott ein Schild für den Gläubigen sein. Er kann ihn vor dem Gericht, dem Tod und aller Macht des Feindes beschützen aufgrund alles dessen, was Er in Christus gefunden hat. Wie gut, dass wir uns in allem vor Gott auf Christus berufen und sagen können: „Schau an das Angesicht deines Gesalbten!“

Im Licht der kommenden Herrlichkeit bleibt die Welt und alles, was sie zu bieten hat, zurück. Was können die Zelte der Gesetzlosen bieten im Vergleich zu den Vorhöfen des Herrn? Ein Tag in Seinen Vorhöfen ist besser als tausend Tage in den günstigsten Umständen in den Wohnungen der Menschen. Die Welt hat bestenfalls ein vergängliches Zelt zur Wohnung; der Herr bringt uns in eine ewige Heimat.

Mit dem Gott der Macht und Gnade vor dem Herzen; gesegnet und angenommen in dem Gesalbten; die Welt hinter sich und die Herrlichkeit vor sich, kann der Gläubige seinen Weg in dem Bewusstsein weitergehen, dass Gott Sonne und Schild ist. Er ist das Licht, das uns in einer dunklen Welt leitet, und der Schild, der uns vor einer bösen Welt bewahrt. Tag für Tag gibt Er die nötige Gnade; und die Gnade, die auf der Erde begann, wird in der Herrlichkeit in der Höhe enden. Nichts als Herrlichkeit ist die passende Antwort auf Seine Gnade. Das „ewige Gewicht von Herrlichkeit“ ist die einzige angemessene Antwort auf den überragenden Reichtum Seiner Gnade. Am Anfang unserer Reise suchte und fand uns die Gnade, am Ende erwartet uns die Herrlichkeit. Und zwischen der Gnade zu Beginn und der Herrlichkeit am Ende wird Er „kein Gutes vorenthalten denen, die in Lauterkeit wandeln“.

Im sicheren Bewusstsein der „Gnade“, „Herrlichkeit“ und des „Guten“, kann die Seele mit Recht abschließend sagen: „Glückselig der Mensch, der auf dich vertraut!“

H. Smith

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2008, Heft 2, Seite 33

Bibelstellen: Ps 84