Rekabiter-Gesinnung

(Jeremia 35)

In der Zeit des Propheten Jeremia war die Schuld Judas gegenüber seinem Gott aufs Höchste gestiegen. Die Kinder Israel hatten nicht auf Ihn gehört, obwohl Gott, „früh sich aufmachend und sendend“, sie unablässig durch Seine Propheten zur Umkehr aufgefordert hatte. In Jeremia 35 sehen wir, wie der Herr sich ein weiteres Mal bemüht, Herz und Gewissen Seines Volkes zu erreichen, indem Er auf das eindrucksvolle Beispiel der Rekabiter hinweist, die schon seit Jahrhunderten einem Gebot ihres Vaters Jonadab treu geblieben waren und es immer noch standhaft befolgten. Aber Sein Volk hatte das Ohr nicht geneigt und blieb anscheinend auch durch dieses Beispiel der gehorsamen Rekabiter völlig unbeeindruckt.

Wenn wir Christen von heute, Menschen des 21. Jahrhunderts, diese kurze und uns so sehr ansprechende Geschichte über die Rekabiter lesen, die sich vor ca. 2600 Jahren zugetragen hat – kommt einem dabei nicht der Gedanke, was diese Geschichte wohl uns zu sagen haben mag? Hat sie uns überhaupt etwas zu sagen? Sie etwa nur als eine kleine und unbedeutende Episode sozusagen am Rand der großen und wichtigen Geschichte Israels anzusehen, wird sicherlich nicht der Tatsache gerecht, dass sie in Gottes ewiges Wort aufgenommen ist. Gott spricht also auch durch diesen kurzen Bericht über die Rekabiter zu uns. Sicher will Er uns dadurch auf den Gehorsam hinweisen, der das Verhalten der Rekabiter in Jeremia 35 bestimmt hat.

1. Im Vordergrund steht der Gehorsam der Rekabiter. Wiederholt erwähnt die Schrift, dass Jonadab seinen Kindern „geboten“ hat und dass sie „gehorcht“ haben (V. 6.8.10.14.16.18). Gerade diese Haltung sollte auf „die Männer von Juda und die Bewohner von Jerusalem“ beispielhaft wirken. Die Rekabiter gehorchten ihrem
irdischen Vater, das Volk Gottes damals aber und wir gläubigen Christen heute stehen in einer viel höheren Gehorsamsbeziehung zu Gott. Gott ist unser Vater in Christus, und wir, „auserwählt … zum Gehorsam Jesu Christi“, sind „Kinder des Gehorsams“ (1. Pet 1,2.14). Vor unserer Bekehrung waren wir „Söhne des Ungehorsams“ (Eph 2,2; 5,6; Kol 3,6). Unsere Liebe zum Herrn und unser Gehorsam Seinen Geboten und Seinem Wort gegenüber sind eng miteinander verbunden, wie uns der Herr Jesus selbst in den bekannten Versen in Johannes 14,21.23 unterweist. Der Herr hat ein besonderes Auge für Menschen, die Sein Wort bewahren und Seinen Namen nicht verleugnen (Off 3,8).

Nach ihren Worten und ihrem Auftreten kann man sich kaum vorstellen, dass die Rekabiter sich durch das Gebot Jonadabs bedrängt oder eingeengt fühlten oder dass sie sich irgendwie belastet vorkamen. Wenn sie getan hätten, wozu Jeremia sie auf Geheiß Gottes zunächst aufgefordert hatte (V. 2.5) – natürlich nur, um ihren Gehorsam gegenüber dem väterlichen Gebot zu testen und um damit dem ungehorsamen Volk Juda einen eindrucksvollen Anschauungsunterricht zu geben -, hätten sie sich zutiefst beschwert gefühlt, denn dann hätten sie den Gegensatz zwischen dem Gebot des Vaters und dem Verlangen des Propheten verspürt. Für sie jedoch war das als gut erkannte Gebot allein verbindlich. Davon wichen sie nicht ab.

Diese Gesinnung spricht zu uns. Sie gilt auch in unserer Zeit. Gehorsam gegenüber Gottes Wort ist für uns kein Joch, sondern bedeutet uns wahre Freiheit und wahres Glück. Gläubige Christen, die den Wunsch haben, Gottes Wort zu gehorchen und der biblischen Wahrheit gegenüber unterwürfig zu sein, sind zugleich die freiesten Menschen auf dieser Erde.

2. Die Rekabiter in der Zeit des Propheten Jeremia hatten schon seit Generationen das Gebot ihres Vaters Jonadab befolgt. Gott selbst hatte, wie wir dem Text entnehmen können (V. 14.16.18), Wohlgefallen an dieser Gehorsamshaltung und stellte sie Seinem Volk als Gegensatz zu dessen Ungehorsam vor. Daraus ist zu schließen, dass die Haltung der Rekabiter für sie nicht zu einer Sache der Form oder der bloßen Gewohnheit geworden war. Ihre entschiedene Ablehnung und ihre anscheinend mit großem Nachdruck vorgebrachte Erklärung ihres Verhaltens (V. 6-11) machen unschwer deutlich, dass sie aus eigener Überzeugung das Gebot Jonadabs befolgt hatten. Es war Gehorsam aus Überzeugung.

Und ganz ähnlich erwartet der Herr auch bei uns einen echten Gehorsam aus tiefstem Herzen, wenn es um Seinen Willen geht. Ein nur gewohnheitsmäßiges Befolgen ist für Ihn ohne Wert.

3. Wein zu trinken war an sich nicht böse oder sündig. Ebenso war es keine Sünde, ein Haus zu bauen, Samen zu säen oder einen Weinberg zu pflanzen; es war sogar ein Teil des Segens, den Gott Seinem Volk geschenkt hatte (5. Mo 6,10-12; 8,7-10). Man kann sich daher fragen, warum Jonadab seinen Nachkommen die erwähnte Verpflichtung auferlegt hatte. Eine Antwort könnte darin liegen, dass Jonadab in der Regierungszeit des Königs Jehu lebte (2. Kön 10,15.23), einer Zeit starken Niedergangs in Israel. „In jenen Tagen begann der Herr abzuhauen unter Israel“ (2. Kön 10,32). Vielleicht hat ein treuer Mann wie er in seinem Herzen überlegt, wie dem ständigen Verfall in seinem Volk Einhalt geboten werden könne, und hat sich gesagt, dass nur eine Rückkehr zur alten israelitischen Frömmigkeit und Einfachheit Besserung bewirken könne.

4. Für die Rekabiter bedeuteten die einzelnen Anweisungen im Gebot ihres Vorfahren eine recht ungewöhnliche Lebensführung. Diese unterschied und trennte sie von ihrer Umwelt und isolierte sie von ihren Zeitgenossen. Sie lebten außerhalb von Jerusalem. Erst die kriegerische Bedrohung durch Nebukadnezar zwang sie, von Jonadabs Gebot in einem Punkt abzuweichen und in Jerusalem zu „wohnen“ und dort Schutz zu suchen (V. 11).

In neutestamentlicher Anwendung könnte man bei dem von Jonadab verlangten Lebensstil an Kolosser 3,1-3 denken: „… sucht, was droben ist, wo der Christus ist … Sinnt auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist; denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott.“ Und gerade darin mag für uns Christen die Lehre liegen, die wir aus dem vor uns liegenden Schriftwort ziehen können. Natürlich handelt es sich für uns nicht um den Genuss von Wein, das Bauen von Häusern und das Wohnen in Zelten, ja überhaupt nicht um ein Gebot von Vorvätern, sondern um den Gehorsam dem Wort Gottes gegenüber. Insofern verzichten auch wir auf „Wein“, d. h. auf manche irdischen Freuden, weil wir bessere Freuden kennen, Freuden, die mit dem Himmel verbunden sind. Wir haben hier kein „Haus“, sondern fühlen uns als Fremde, halten uns sozusagen nur in „Zelten“ auf, jederzeit bereit zum Aufbrechen in unsere wahre Heimat, das Haus des Vaters. – In diesem geistlichen Sinn dürfen wir täglich „Rekabiter“ sein.

5. Die Rekabiter lebten in der Regierungszeit des Königs Jojakim, der ein Sohn Josias war, eines der besten Könige Judas (V. 1). Jojakim war der böse und gottlose Sohn eines guten und gottesfürchtigen Vaters. Der Vater war zurückgekehrt zum Wort Gottes, „zum Anfang“, in Demütigung und mit Tränen (2. Chr. 34,19 ff.; 35,1-19); der Sohn aber zerschnitt die Buchrolle des Propheten Jeremia, auf der die Worte Gottes verzeichnet waren, und warf sie Stück um Stück ins Feuer (Jer 36,20-26). Jojakim war die Einstellung seines frommen Vaters offensichtlich völlig gleichgültig und fremd, während die Rekabiter sogar ein äußerliches Gebot ihres gottesfürchtigen Vaters als teures Vermächtnis über Jahrhunderte hindurch bewahrten. Die Verhaltensweisen und die jeweils dahinter stehenden Gesinnungen könnten in beiden Fällen kaum gegensätzlicher sein. So nachdrücklich und nachahmenswert der Gehorsam der Rekabiter ist, so verabscheuungswert ist das Beispiel des Königs Jojakim. Beide reden ernst zu unseren Herzen und Gewissen. Auch wenn wir nicht so frevelhaft mit Gottes Wort umgehen, können wir uns gleichwohl vielem, was es uns gebietet, entziehen. Aber das wäre die Gesinnung Jojakims, und nicht die der Rekabiter.

Die Rekabiter waren nach dem, was Jeremia 35 über sie berichtet, eine besondere Gruppe von Menschen. Ihrer Herkunft nach waren sie Keniter, die ihrerseits mit den Midianitern verwandt waren. Der Name „Rekab“ kann im Deutschen mit „Kameradschaft“ oder „Genossenschaft“ wiedergegeben werden. Und klingt nicht in dieser Bedeutung des Namens die innere Beziehung an, die zwischen den Rekabitern bestand, indem sie einmütig der Erfüllung des Gebotes Jonadabs nachkamen? Auch die Bedeutung des Namens „Jonadab“ ist auffallend. „Jonadab“ kann mit „Freiwilliger Jehovas“ wiedergegeben werden. Er war offensichtlich ein Mann, der in eigener freier Entscheidung, nämlich „freiwillig“, Gott diente. Niemand hatte ihm anscheinend ein solches Verhalten nahegelegt, und niemand hatte ihn aufgefordert, seine Nachkommen an die in Jeremia 35 aufgezählten Anweisungen „in Ewigkeit“ (V. 6) zu binden. Jonadab hatte von sich aus so gehandelt.

Auch wir Gläubigen in heutiger Zeit können von der Gesinnung der Rekabiter lernen, von ihrem Gehorsam und ihrer unwandelbaren Treue. Als „Freiwillige“ im Dienst unseres Herrn sollten wir wie sie eine heilige „Genossenschaft“ mit einfachen und klaren Zielvorstellungen sein. Da wir Kinder Gottes mit einer himmlischen Berufung sind, können wir auch weit mehr als diese treuen Menschen aus der Zeit Jeremias Rekabiter-Gesinnung in unseren Herzen tragen, d. h. eine geistliche Haltung, die unseren Herrn ehrt und von Ihm anerkannt wird.

K. S.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2007, Heft 2, Seite 49

Bibelstellen: Jer 35