Die Einheit des Geistes bewahren

(Apostelgeschichte 6; 8; 10.11; 15)

Während der ersten 20 Jahre der christlichen Zeitrechnung kamen, wie die Apostelgeschichte zeigt, Probleme auf, die die Einheit von Herz und Seele ernstlich gefährdeten, von der die Gläubigen des Anfangs so schön geprägt waren. Wir finden dort:

1. Das Murren der Hellenisten gegen die Hebräer (Apg 6).

2. Die Aufnahme der Gläubigen aus Samaria (Apg 8).

3. Die Bekehrung der ersten Heiden – Kornelius mit seinen Freunden (Apg 10,11).

4. Die Streitfrage über das Gesetz Moses und die Nationen (Apg 15).

In allen Fällen sehen wir, wie die spaltenden Kräfte, die am Werk waren, gehemmt und abgewehrt wurden. Ein kurzer Überblick darüber wird auch für uns heute nicht ohne Nutzen sein:

Zweierlei fällt dabei besonders auf und muss sorgfältig unterschieden werden: Erstens die Weisheit Gottes, die vorausblickend im Verborgenen wirkte, und zweitens die Gnade und Weisheit der Apostel und ersten Christen als dem menschlichen Anteil an der Sache.

Das Erstere können wir nur mit Bewunderung betrachten und beten, dass auch heute, wo Spaltungen so sehr um sich gegriffen haben, die gleiche Vorsehung dennoch für die Heiligen Gottes tätig bleibt. Das Letztere lasst uns beachten und mit aufgewecktem Gewissen in uns aufnehmen, damit wenigstens wir lernen, wie man „die Einheit des Geistes im Band des Friedens“ besser „bewahren“ kann (Eph 4,3). Dabei werden wir von neuem erleben, wie diese von Gott eingegebenen Schriften nützlich sind „zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit“ (2. Tim 3,16).

1. Das Murren der Hellenisten (Apg 6,1-6)

Alle an diesem Streit Beteiligten waren von Geburt Juden. Sie unterschieden sich nur in Erziehung und Tradition. Die Hellenisten oder Griechisch sprechenden Juden, deren Vorfahren sich seit langem außerhalb der Grenzen Palästinas aufhielten, hatten natürlich eine andere Sicht der Dinge als die Hebräisch sprechenden, die im Land unter einem strengen Regime sorgsam gehütet worden waren. Da konnte leicht Argwohn aufkommen, der sofort geäußert wurde. Der Streitpunkt war also ganz weltlicher Natur.

Das Wirken der Vorsehung Gottes ist in diesem Fall nicht klar erkennbar. Die menschliche Seite ist jedoch deutlich genug. Wir wollen drei Dinge anführen:

Erstens behandelten die Apostel das Problem, sobald es erkennbar wurde. Sie warteten nicht erst, bis es sich ausbreitete und wuchs. „Siehe, ein kleines Feuer, welch einen großen Wald zündet es an!“ (Jak 3,5).

Zweitens ließen sie sich nicht durch solche Meinungsverschiedenheiten von ihrer großen Aufgabe abhalten, mit dem Wort zu dienen, sondern legten die Verantwortung für eine gottgemäße Lösung auf die ganze Versammlung.

Drittens erkannten die Gläubigen in der Gesamtheit darin eine Gelegenheit, ihr Interesse an diesen Hellenisten, die ja mehr oder weniger fremd in ihrer Mitte waren, auszudrücken und zu bekräftigen und wählten daher Männer als Aufseher, deren Namen darauf schließen lassen, dass sie vornehmlich zu den Griechisch sprechenden Juden gehörten. So hatte die Selbstlosigkeit gesiegt, und der Argwohn war zerstreut.

2. Die Arbeit in Samaria (Apg 8,4-8)

Zwar war hier keine Uneinigkeit erkennbar, es war eher ein Fall von Vorbeugung als von Heilung. Die Abneigung zwischen Juden und Samaritern hatte eine lange Vorgeschichte. Stellen wie 2. Könige 17,24-41 und Johannes 4 belehren uns darüber. So können wir gut verstehen, wie die sehr erfolgreichen evangelistischen Bemühungen von Philippus eine gefährliche Frage aufkommen lassen konnten. Einerseits hätte die Versammlung in Jerusalem wünschen können, jede echte Verbindung mit Gläubigen aus ihren verachteten Rivalen zurückzuweisen. Andererseits wäre es für die Versammlung von Samaria nur zu natürlich gewesen, ihre eigenen Gefühle zu nähren und es abzulehnen, sich irgendwie der Autorität der Apostel in Jerusalem unterzuordnen. Auf diese Weise hätte der Skandal einer Trennung schon früh in Gestalt einer samaritischen „Versammlung“ und einer Jerusalemer „Versammlung“ eintreten können.

Im Gegensatz zu der ersten Begebenheit ist das Wichtigste, was in diesem Kapitel erwähnt wird, das vorausblickende Wirken Gottes. Philippus predigte, viele glaubten und wurden getauft, doch der Heilige Geist wurde ihnen noch nicht gegeben. Der gewöhnliche Ablauf wurde in diesem Fall aufgehoben, und erst nachdem die zwei Apostel dazukamen mit Gebet und Auflegen der Hände – dem Symbol der Einsmachung der Apostel und der Gläubigen aus Jerusalem mit denen in Samaria -, wurde der Heilige Geist ausgeteilt. Durch diese Fügung Gottes kam es weder für die jüdischen Gläubigen infrage, die samaritischen abzulehnen, noch für die samaritischen, ihre Unabhängigkeit von den jüdischen zu erklären.

Was die menschliche Seite betrifft, müssen wir nur die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass die Apostel der Leitung Gottes unterworfen waren. Sie versuchten weder natürlichen Vorurteilen nachzugeben, indem sie die Vorgehensweise von Philippus verurteilten, noch verstanden sie das Fehlen der Gabe des Geistes als Grund, das ganze Werk in Samaria herabzuwürdigen oder überhaupt nicht anzuerkennen. Sie beugten sich der souveränen Gnade Gottes und wählten aus ihren Reihen zwei aus, nach Samaria zu gehen, die zu den Bedeutendsten der Apostel zählten – Petrus und Johannes.

3. Die Bekehrung von Kornelius (Apg 10; 11,1-18)

Dieses Ereignis hatte eine vielleicht noch größere Tragweite als das vorherige, insofern als die Empfindungen der Juden den Nationen gegenüber noch weit ausgeprägter waren als gegenüber den Samaritern.

Es gab viele vorausblickende Handlungen Gottes, so die Botschaft des Engels an Kornelius; das Gesicht, das Petrus gewährt wurde, und die Gabe des Geistes unmittelbar nach der Annahme des Evangeliums. Vor allem das Letztere, das geschah ohne die vorherige Taufe (wie es ja auch bei den Juden in Apostelgeschichte 2 gewesen war), machte es jedem Juden unmöglich, den Gläubigen aus den Nationen die Taufe und formelle Aufnahme zu verweigern, wie groß seine natürlichen Vorurteile auch waren. All das zeigt uns, wie Gott am Werk war und die Ereignisse so lenkte, dass jedes Hindernis beseitigt wurde, das einer völligen Vereinigung von Juden und Nationen zu dem einen Leib Christi hätte im Weg stehen können.

Auf der menschlichen Seite fällt besonders das Handeln von Petrus auf, der „einige der Brüder von Joppe“ mitnahm (Apg 10,23) – „diese sechs Brüder“ (Apg 11,12).

Durch dieses weise Vorgehen stellte er nicht nur sicher, dass ausreichend Zeugen bestätigen konnten, was wirklich passierte, sondern er ließ auch nicht den Verdacht aufkommen, hinter dem Rücken seiner Brüder zu handeln. Es war nichts Heimliches, kein Versuch, eine heikle Frage unabhängig von der Gemeinschaft seiner Brüder klären zu wollen.

Die Wirkung davon sehen wir in Apostelgeschichte 11. Als gewisse Brüder mit sehr verengter Sichtweise bei der Konferenz in Jerusalem Schwierigkeiten machten, war die Beweislage so schlüssig, dass sie am Ende das Werk Gottes unter den Nationen anerkannten und Ihn dafür verherrlichten.

4. Der Streit über das Gesetz (Apg 15)

Dies war vielleicht die gefährlichste Krise von allen. Obwohl Menschen aus den Nationen in die Gemeinschaft und die Vorrechte der Versammlung aufgenommen waren, gab es doch viele jüdische Gläubige, die eine judaisierte oder gesetzestreue Form des Christentums aufrechterhalten und deshalb die Bekehrten aus den Nationen judaisieren wollten. Dem widersetzten sich Paulus und seine Mitarbeiter energisch.

Galater 2,1-5 wirft Licht auf diese Begebenheit und zeigt, wie kompromisslos Paulus war, weil er sah, dass die grundlegende Wahrheit auf dem Spiel stand. Die Stelle zeigt auch das vorausblickende Handeln Gottes, da Paulus „infolge einer Offenbarung“ wegen dieser Sache nach Jerusalem hinaufzog. Die Versammlung in Antiochien ordnete an, „dass Paulus und Barnabas und einige andere von ihnen zu den Aposteln und Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen sollten“, doch hinter dem Geschehen stand die Offenbarung an Paulus als ausschlaggebender Faktor.

Auf der menschlichen Seite bemerken wir dreierlei:

Erstens den Gehorsam von Paulus und seinen Begleitern gegenüber der Offenbarung. Von Natur hätten sie es als aussichtslos betrachten können, sich zur Klärung einer Frage – von der sie wussten, wie äußerst wichtig sie war – in die Stadt senden zu lassen, in der der Einfluss ihrer Gegner so groß war. Doch sie verzichteten auf alle natürlichen Gefühle und Berechnungen und gehorchten.

Zweitens wurde eine freie, aber nüchterne Aussprache zugelassen. Beide Standpunkte konnten frei geäußert werden. Dabei ist von keinem Versuch die Rede, Pluspunkte zu sammeln, wie es manchmal bei Anwälten zu beobachten ist, wenn sie vor Gericht argumentieren. Wohl entstand „viel Wortwechsel“, wie Vers 7 sagt. Doch die Wahrheit ist etwas Großes und hat darum keine Überprüfung zu fürchten.

Schließlich führt Petrus Tatsachen an, und Jakobus führt die Schrift an und fällt dann sein Urteil, das sich auf beides gründete und dem sich alle Anwesenden anschlossen. Die Tatsachen und die Schrift, die diese Tatsachen deutete, trugen den Sieg davon. Es gab keinen Einspruch. Die Sache war schlüssig, und alle beugten sich dem Urteil.

Wäre nicht die ganze Kirchengeschichte anders verlaufen, als sie ist, wenn die Haltung der ersten Christen mehr Nachahmung gefunden hätte? Uns heute bleibt nach wie vor die Aufgabe, „die Einheit des Geistes zu bewahren“. Der Herr schenke, dass die betrachteten Beispiele dazu beitragen, unser Denken und Empfinden zu formen.

F. B. Hole

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2011, Heft 8, Seite 227

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