Absonderung, Abhängigkeit, Leiden
(Schluß)
Was uns weiter kennzeichnen sollte, ist
die Abhängigkeit.
Wir sehen sie vollkommen verwirklicht bei dem Herrn, der von sich sagen konnte: „Ich bin vom Himmel herniedergekommen, nicht auch daß Ich Meinen Willen tue, sondern den Willen Dessen, Der Mich gesandt hat.“ In dieser Abhängigkeit hat Er verharrt bis zum Tode am Kreuze. Wie steht es nun mit uns? Wir können nur gottwohlgefällig handeln, wenn wir in allem Tun und Lassen unserer Abhängigkeit von Gott Ausdruck geben. Die Abhängigkeit war es, die auch jenen Überrest aus Israel in Babylon kennzeichnete. Bei aller Schwachheit waren sie doch glückselige und gesegnete Werkzeuge für Gott. Sie vertrauten auf Gott, der ihre Hülfe und ihre einzige, aber zugleich allgenugsame Stütze war.
Wie oft, geliebte Freunde, denken wir es und sagen es auch zueinander: „Wir haben niemand als Gott, an den wir uns wenden können; wir haben niemand als den Herrn“, gerade als ob Er nicht genug wäre. Wie genau zeigt dies, wo es bei uns fehlt! „Wir haben niemand als den Herrn!“ Glaubt ihr denn, daß wir deswegen schlechter fahren? Sind wir nicht im Gegenteil nur umso bester dran, weil wir niemand haben als Gott? Genügt Er nicht für alles? Könnte der Herr diejenigen, welche Ihm so teuer sind, vergessen? Könnte das Haupt im Himmel gleichgültig sein bezüglich dessen, was die Glieder auf Erden angeht, oder können wir annehmen, daß das Ohr Gottes dem Rufen Seiner Kinder nicht geöffnet sei?
Aber ach, so schwach und arm ist unser Glaubensleben, daß man aus unserem Benehmen kaum schließen könnte, daß droben ein Ohr für uns geöffnet sei, welches nur auf unsere Gebete wartet. Man würde kaum glauben, daß wir einen mächtigen,
Wunder wirkenden Gott
haben, welcher sich zu dem Seufzen eines armen Herzens herabläßt, welches Ihm nichts als seine Bedürfnisse bringen kann. Wir sehen in unserer Geschichte die herrlichen Ergebnisse des Wartens auf Gott: Die Bitte Daniels wird gewährt, die dunkle Sache ihm sofort kundgetan und der Weg aus der Schwierigkeit gezeigt. Es ist unmöglich, daß jemand, der wahrhaftig und aufrichtig, mit wirklichem Ernst auf Gott wartet, Seine Anerkennung und Hülfe nicht erfahren wird. Und dieser Gott wird immer im Verhältnis stehen zu unserem Glauben an die Liebe Gottes, die sich um alles kümmert und für alles interessiert.
Der Herr schenke uns mehr Abhängigkeit von Ihm und den Geist des Gebets! Möge uns dies doch mehr kennzeichnen, anstatt, daß wir in unseren Schwierigkeiten und Verlegenheiten hin- und herlaufen, und Hilfe von jeder anderen als von Gottes Seite her erwarten. Unser Auge ist so wenig auf Gott gerichtet, vielmehr wir möchten uns auf irgend einen Arm von Fleisch stützen, und das Endergebnis ist oft, daß wir, wie Abraham, nach Ägypten hinabziehen. Das dritte Kennzeichen endlich, welches wir bei dem Überrest in Babylon finden ist
Leiden,
ein Kennzeichen, welches auch heutzutage bei uns nicht fehlen sollte. Die Treue dieser Männer gegen Gott wird hier durch den König auf die Probe gestellt: es muß sich entscheiden, ob sie in Wahrheit die Knechte des lebendigen Gottes bleiben, oder sich vor dem Bild, das Nebukadnezar aufgestellt, bücken wollen. Welch ein schönes Seitenstück bildet diese Erzählung zu der Stelle in Phil 1, wo der Apostel von seiner „sehnlichen Erwartung und Hoffnung“ spricht, „daß Christus hoch erhoben werde an Seinem Leibe, sei es durch Leben, sei es durch Tod“. Der Leib des Menschen, das Feld, auf dem einst Satan seine Macht entfaltete und seinen Haß und seine Bosheit gegen Gott und Christum kundgab, er ist durch die wunderbare Gnade Gottes zu einem Gefäß geworden, durch welches die Macht Christi offenbart wird. Der Apostel hatte völlige Gemeinschaft mit dem Gedanken Gottes, und die Bedeutung der Worte: „meine sehnliche Erwartung und Hoffnung“ ist sozusagen die: Ich habe Gemeinschaft mit Gott in dem, was Er mit mir tut. Und hier in Daniel finden wir wieder solche, welche nach dem Maße ihres Lichts, von dem gleichen Gedanken beseelt sind, und, nach des Königs eigenen Worten, „ihre Leiber hingegeben haben, um keinem Gott zu dienen, denn ihrem Gott“ (Kap. 3,23.)
Wir sehen, wie diese Männer mit gebundenen Händen und Füßen, ein wahres Bild der Schwachheit in den Feuerofen geworfen werden, der bei dieser Gelegenheit siebenmal heißer als sonst gemacht worden war. Alle Macht des Bösen ward zu ihrer Zerstörung in Bewegung gesetzt. Wurde Gott nicht hocherhoben an den Leibern dieser Männer? Sie verließen den Feuerofen unversehrt, selbst kein Geruch des Feuers ist an ihren Kleidern, kein Haar ihres Hauptes versengt. Und mehr als dies: „Siehe, ich sehe vier Männer frei wandeln inmitten des Feuers“, sagt der König, „und das Ansehen des vierten ist gleich einem Sohne der Götter“. Gott ließ sie nicht ohne glückliche, gesegnete Gemeinschaft mit dieser Feuerprobe, welche sie für Ihn bestanden, und zwar ohne ein Wort der Klage. Sie waren nicht besorgt, nicht verwirrt, noch verlegen, sondern übergaben sich gänzlich in Gottes Hände in Sanftmut und Geduld. „Wir haben nicht nötig“, sagen sie zum Könige, „dir darauf zu antworten.“ Gott, für den sie bereit sind, alles zu leiden, ist ihre Zuversicht und Stärke: Und Er tritt auch für sie ins Mittel und würdigt sie der Erfahrung und Offenbarung Seiner Macht, durch welche Er sich verherrlichen kann auch an deinem und meinem Leibe.
Ach, wie wenig sehen wir doch Christum
verherrlicht
an uns! Die Welt und das eigene Ich und das Fleisch, alles dies sieht man mehr erhoben an unsern Leibern als Ihn. Es ist völlig demütigend, daran zu denken. Was trägt, wenn wir um uns her blicken, die äußere Erscheinung der Gläubigen zur Schau? Ach, gewöhnlich wenig von der Macht Christi, und dagegen viel von der Macht der Welt und des Fleisches. „Daß Christus hoch erhoben werde an meinem Leibe, sei es durch Leben, sei es durch Tod“, war des Apostels „sehnliche Erwartung und Hoffnung“. O möge es auch die unsrige sein!
Absonderung für Gott um jeden Preis, Abhängigkeit von Ihm in Schwierigkeiten, Ausharren im Leiden für Seinen Namen, sind also die Grundsätze, welche uns bei der Betrachtung dieser Kapitel entgegentreten; sie sollten auch die charakteristischen Kennzeichen der Kinder Gottes unserer Tage sein. O welch ein Einfluß würde diese Treue der einzelnen auf den Zustand der Versammlung haben, welch frisches Leben, welche Kraft ihr mitteilen!
Ich möchte noch einige Worte über einen anderen Überrest sagen, den wir im Alten Testament finden. Wir lesen in Maleachi 3,16: „Da unterredeten sich die Jehova fürchten miteinander, und Jehova merkte auf und hörte; und ein Gedenkbuch ward vor Ihm geschrieben für die, welche Jehova fürchten und welche Seinen Namen achten“.
Die Furcht Gottes und Gemeinschaft
untereinander war das Merkmal der Gläubigen in der letzten Zeit der alttestamentlichen Geschichte. Kennzeichnet dasselbe auch uns? Es ist gut, einen richtigen Begriff von dem wahren Zustand der Dinge zu haben und mir scheint, daß jemand, der mit demselben zufrieden sein kann, sehr weit von Gott entfernt sein muß. Jemand, der sagen kann: „Nun, ich glaube doch nicht, daß es so betrübend um uns steht. Wir sind doch nicht so gar schlecht, man muß die Sachen nicht auf so extreme Weise anschauen und so streng urteilen – – ich sage, wer so sprechen kann, versteht wenig davon, was dem Zeugnis für den Herrn geziemt. Je näher bei Gott wir praktischer Weise sind, je enger mit Ihm verbunden wir wandeln, je mehr Seine Gedanken unser Wesen, unsre Zuneigung beherrschen, desto mehr werden wir fühlen, wieviel uns fehlt, wie angesteckt wir sogar sind von der Selbstgenügsamkeit Laodicäas, das von sich sagte: „Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts“, während sie vor allen anderen (dies ist die Kraft des hier gebrauchten Ausdrucks) elend und jämmerlich und arm und blind und bloß war.
Betrachten wir dagegen noch einmal den Überrest in den Tagen Maleachis: „Da unterredeten sich die Jehova fürchten, miteinander“. Geschieht dies jetzt unter uns? Fürchten wir den Herrn und reden wir oft von Ihm zueinander? Welch ein Gedanke, daß Gott dies beachtet, und daß „ein Gedenkbuch vor Ihm geschrieben ist für die, so Jehova fürchten und Seinen Namen achten“. Er findet es der Mühe wert, sich für jeden noch so schwachen Ausdruck der Furcht vor ihm und der Gemeinschaft miteinander zu interessieren.
Den nämlichen Charakter finden wir bei den wenigen Gläubigen, welche bei der Geburt des Herrn Jesu lebten. Wenden wir uns den Anfang des Evangeliums Lukas zu, wo wir, dem Grundsatz nach, den gleichen Überrest finden wie am Schlusse des Alten Testamentes. Nichts Großartiges kennzeichnet sie, wir sehen sie keine wunderbaren Taten verrichten, sondern wir lesen nur, daß Simeon „auf den Trost Israels wartet“, und daß ihm, auf dem der Heilige Geist war, durch den Geist ein göttlicher Ausspruch geworden war: „er solle den Tod nicht sehen, ehe er den Christus des Herrn gesehen habe“. Und als er im Tempel das Kind Jesus sah, und den Gesegneten auf seine Arme nahm, – – das Heil Gottes in der Person Jesu – – sprach er: Mein Becher ist voll, jetzt kann ich sterben!
„Herr, nun lassest Du Deinen Diener in Frieden fahren nach Deinem Worte: denn meine Augen haben Dein Heil gesehen“.
So war es auch mit Hanna. Sie wich nicht vom Tempel und der Gegenstand, der sie erfüllte, war Er. Sie „redete von Ihm zu allen, die auf Erlösung warteten in Jerusalem“. Gleichwie ein paar Jahrhunderte vorher diejenigen, die den Herrn fürchteten, oft zueinander gesprochen hatten, so war Er auch ihr Gesprächsgegenstand im Verkehr mit denen, welche von gleicher
Hoffnung und Erwartung
mit ihr waren.
Ist es nicht nützlich für uns, geliebte Freunde, solche Charakterzüge des Volkes Gottes zu beachten, und dies umsomehr, als wir sie in Zeiten allgemeinen Abweichens von Gott, allgemeiner Schwäche finden, und wir gerade auch in solchen leben. Möchten wir in diesen Tagen der Verwirrung die Stellung recht erkennen, welche uns in dieser Welt angewiesen ist, denn dies ist es, was unsern ganzen Wandel regelt und richtig leitet. Dieselbe Stellung ist durch Christum bestimmt, und wo ist Er? Er ist zur Rechten Gottes im Himmel; und diese Tatsache macht uns zu einem himmlischen Volke. Was die Welt betrifft, so ist der Herr daraus verworfen worden, und dies wiederum trennt uns einfach und entschieden von ihr. Die Erhöhung Christi in die Herrlichkeit gibt mir, wenn ich eins mit Ihm bin, einen himmlischen Charakter, und seine Verwerfung durch diese Welt weist mir einen von ihr getrennten Platz an, wenn ich anders die geringste Liebe und Hingabe für Ihn habe.
Möge der Herr durch Seinen Geist unsere Herzen beleben, und aufs Neue auf Ihn selber richten, und uns wachsam machen gegen die Listen des Satans, dessen Trachten stets dahin geht, sie von unserem Herrn weg auf etwas anderes zu richten, auf etwas, das vielleicht aussieht, als ob es von Gott wäre, das ihm aber nur hilft, seinen Zweck bei uns zu erreichen. Der Herr helfe uns, ein für Ihn abgesondertes, heiliges Volk zu sein. Mögen wir auch aufhören, uns auf Menschen zu stützen und lernen, alle unsere Hilfsquellen in Ihm zu haben, der für die Seinigen sorgt, ja, der selber unter ihnen ist, auf daß wir entschiedener für Ihn dastehen in diesen Zeiten zu Lob und Preis Seines Namens!
W. W. T.
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