Die die Erkenntnis übersteigende Liebe

(Epheser 3,14-21)

Christus ist der Mittelpunkt aller Gedanken Gottes und aller Seiner Wege und Ratschlüsse. „Jede Familie in den Himmeln und auf Erden wird benannt von dem Vater unseres Herrn Jesus Christus“: die Juden, die Versammlung und die Engel.

Der Apostel beugt dieserhalb seine Knie, damit die Epheser mit Kraft gestärkt werden möchten, den ganzen Reichtum der Herrlichkeit Gottes und die gar mannigfaltige Weisheit Seiner Ratschlüsse zu erfassen, und daß sie auch die Liebe des Christus als des Mittelpunktes des Herzens Gottes erkennen sollten. Christus Selber, Seine Person, vermag auch unsere Herzen mehr auszufüllen als selbst alle Herrlichkeit, die Er uns gibt, das zu tun vermöchte. Er, Der alle Dinge erfüllt, tut das vor allem auch in bezug auf unsere Herzen. Dann müssen wir uns aber selber völlig aus dem Auge verlieren, um uns in der Liebe des Christus wiederzufinden: eine Liebe, die unbeschreiblich, unermeßlich ist und alle Erkenntnis übersteigt, eine Liebe, die uns zu der ganzen Fülle Gottes erfüllt.

Laßt uns einen Augenblick mit dem beschäftigt bleiben, was der Apostel hier den Heiligen vorstellt: die Fülle der Liebe des Christus, das Höchste, was es auf Erden gibt! Denn was könnte mit der Liebe des Christus verglichen werden? Alles verblaßt und verschwindet vor ihrer Größe und Herrlichkeit!

Die Liebe, die die Erkenntnis übersteigt!

Diese Liebe ist größer als Glaube und Hoffnung. „Die größte aber von diesen ist die Liebe“ (1. Kor 13,13). Nicht unsere ärmliche Liebe, sondern Seine unfaßbare große Liebe. „Die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus“ (1. Joh 4,18). Nicht unsere schwache Liebe, sondern Seine wunderbare Liebe. Von dieser Seiner Liebe schreibt Paulus: „Auf daß ihr zu erkennen vermöget die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, und auf daß ihr erfüllt sein möget zu der ganzen Fülle Gottes“ (Eph 3,19). Diese Liebe ist das große Thema des ganzen Wortes Gottes. Es wird hier von den Ratschlüssen und Vorsätzen Gottes gesagt, daß sie unermeßlich sind. Wer könnte ihre Länge und Breite und Tiefe und Höhe abmessen? Ebenso ist es aber auch mit der Liebe des Christus. Unmeßbar ist sie! Unergründlich! Die Liebe des Christus ist so tief, daß sie für uns hinabstieg in den schrecklichen Abgrund des Todes. Sie ist so hoch, daß sie den Sünder in die Herrlichkeit des Himmels bringt und zu Gottes Vaterherz emporzieht, Sie ist so breit wie die ganze Welt, die sich von Osten bis zum Westen und vom Norden bis zum Süden ausdehnt. Und sie ist so lang, daß sie durch alle Zeiten hindurch den Menschen nachgegangen ist und noch nachgeht und insbesondere auch alle Jünger und Jüngerinnen des Herrn umfaßt und trägt: bis ans Ende (Joh 13,1). Diese Liebe allein kann das tiefste Sehnen unserer Herzen stillen. Diese Liebe allein ist der Ruhort unserer Seelen. Nicht unsere unvollkommene, veränderliche, menschliche Liebe, sondern Seine vollkommene, ewige, göttliche Liebe. Diese Liebe zu erkennen bringt Friede und Freude ins Herz, selbst in den Tagen der Leiden. Die Liebe weckt in der Seele das Verlangen, nur Ihn, die Person des Geliebten, zu umfassen.

Die die Erkenntnis übersteigende Liebe hat schon vor Grundlegung der Welt an uns gedacht. Schon da hat sie unsere Sünde und unser Verderben vorausgesehen und Vorsorge für unsere Errettung getroffen. Ja, es ist eine unausforschliche, ewige Liebe.

Diese die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus geht jeden einzelnen von uns ganz persönlich an. Nicht nur hat Christus die Versammlung, Seine Braut, lieb, sondern wir dürfen mit Paulus auch sagen: „Der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20). Das Evangelium spricht nicht nur von einem Gericht, das jedem einzelnen Menschen ganz persönlich gesetzt ist, sondern auch von einer jeden einzelnen ganz persönlich suchenden Liebe, und es fordert von jedem einzelnen eine ganz persönliche Entscheidung.

In Joh 6,39. 40. 44 und 34 lesen wir viermal von einer persönlichen Auferweckung am letzten Tage. Zunächst wird uns da gesagt, daß nicht einer der durch Christus Erlösten verloren gehen wird; jeder von ihnen wird auferweckt werden, um auf ewig mit Ihm vereinigt zu werden. Doch der Vater muß uns zum Sohne ziehen; es ist Sein Wille, daß wir den Sohn sehen und an Ihn glauben. Und dann werden wir mit dem gestorbenen Christus vereinigt werden, werden Sein Fleisch essen, d. h. mit Ihm Gemeinschaft haben, von Ihm genährt werden und durch Ihn leben in Ewigkeit. Das alles ist Gottes Werk, Der Seinen Sohn aus der Herrlichkeit gesandt und dann an unseren Herzen durch Seinen Geist gewirkt hat, so daß wir sehen und glauben konnten. Doch das würde unmöglich gewesen sein, wenn Christus nicht für uns gestorben wäre.

Und wiederum, die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus sucht nicht das Ihrige (1. Kor 13,5). Der Herr, da Er in der Gestalt Gottes war, machte dennoch Sich Selbst zu nichts, nahm Knechtsgestalt an, ist in Gleichheit der Menschen geworden. Er ward geboren in einer Krippe, arbeitete hienieden als einfacher Zimmermann, litt um unsertwillen größte Armut, ward verspottet von den Menschen und für nichts geachtet, ward von ihnen verworfen. Das alles ließ Er Sich gefallen, Er, der Herr der Herrlichkeit, um unsertwillen. Welch eine unfaßbare Liebe! Und Er, der Fürst des Lebens, ging auf diesem Pfade der Niedrigkeit noch weiter; Er ward gehorsam bis zum Tode, ja, bis zu dem schimpflichen, schmach- und qualvollen Tode am Kreuze. Dort hing Er, der König aller Könige, mit Dornen gekrönt. Dort starb Er für dich! Darum hat Gott Ihn auch hoch erhoben und Ihm den Platz zu Seiner Rechten gegeben und Er wird als König herrschen. Wegen des Leidens des Todes wird Er mit Herrlichkeit und Ehre geklönt (Heb 2,9). Er wird mit allen Heiligen auf diese Erde kommen, gekrönt mit vielen Diademen (Offbg. 19,12). Jedes Auge wird Ihn dann sehen, auch die Ihn durchstochen haben (Offbg. 1,7). Und Er wird gekrönt werden am Tage der Freude Seines Herzens (Hld 3,11).

Die die Erkenntnis übersteigende Liebe ist auch göttlich. Sie gilt nicht allein den Kraftlosen, sondern sogar den Gottlosen, den Feinden Gottes. Christus starb für uns, da wir noch Sünder waren (Röm 3,6-8). Und diese göttliche Liebe gibt uns geistliche Segnungen von der höchsten Art. Jeden Tag ist Er Selbst bei uns als der Hirte der Schafe. Er leitet uns. Er führt uns zur Erkenntnis der Wahrheit. Er schenkt uns Freude in Gemeinschaft mit Gottes Kindern.

Ferner ist die die Erkenntnis übersteigende Liebe langmütig. Wir verspüren stets Seine Liebe, auch wenn sie unsern Mängeln, Fehlern, all unserem Zukurzkommen und unseren Verirrungen begegnen muß. Seine Liebe bringt uns zurecht. Petrus verleugnete Ihn, doch blieb Seine Liebe zu Petrus dieselbe. Christi Liebe kommt uns zugut, selbst wenn Er uns auf unsere Sünden aufmerksam machen und sie in das Licht stellen muß. Indes, wie oft haben wir auch die Welt lieb und vergessen Seine Liebe! Wie lieb hat Er uns! Wieviel hat Er für uns getan! Und wie wenig tun wir für Ihn! Seine Liebe denkt allezeit an uns. Und wir? Sind wir wohl allezeit mit Ihm beschäftigt? Was findet Er bei uns? Ach, da gibt es so vieles zu verurteilen, aber am meisten wohl dieses, daß unsere Liebe zu Ihm oft so klein, so schwach, so lau ist. Wenn wir den Herrn Jesus als unseren Heiland kennen und bedenken, um welchen Preis Er uns errettet hat, dann sehen wir auch ein, wie klein demgegenüber unsere Liebe zu Ihm ist und wie wenig wir Ihm unser Leben weihen im Vergleich zu Seiner großen, unendlichen Liebe zu uns. Doch dann laßt uns, wenn wir dieses erkennen, auch danach streben, mehr für Ihn da zu sein, uns selber immer mehr zu vergessen, um immer mehr für Ihn zu leben. Dann wird Er unsere schwachen Bemühungen segnen und uns immer mehr die Liebe erkennen lassen, die die Erkenntnis übersteigt.

Diese wunderbare, die Erkenntnis übersteigende Liebe trägt Sorge für uns. Er sorgt sowohl für unsere zeitlichen als auch für unsere geistlichen Bedürfnisse. Wir alle wissen, besonders in unseren Tagen, was Sorge ist. Wieviel Traurigkeit, Heimatlosigkeit, Mangel und Leid gibt es doch auf Erden! Die Welt gibt hieran Gott die Schuld und nennt Ihn ungerecht. Aber das ist eine Lüge des Satan. Der Mensch selber hat all das Leid in die Welt gebracht durch seine Sünden. Aber nicht nur die Welt, sondern sogar der Gläubige macht oft ungeziemende Anmerkungen zu dem Tun des Herrn, wie wir z. B. in Luk 10,40 von der Martha lesen, daß sie Ihm Vorhaltungen macht mit den Worten: „Herr, bekümmert es dich nicht?“ Und doch, Er, der Sohn Gottes, trägt in zarter Liebe Sorge für jeden einzelnen, der Sein Eigentum ist, „bis ans Ende“! So finden wir es auch in der Geschichte von dem barmherzigen Samariter dargelegt, der sich um den armen Menschen, der unter die Räuber gefallen war, liebevoll bemühte, und auch dann noch, als er ihn in die Herberge gebracht hatte, noch weiter auf seine Pflege bedacht war, indem er dem Wirte den Auftrag gab, für den Verwundeten Sorge zu tragen, bis daß er selber wiederkäme. Wenn bittere Gefühle über unsere Heimsuchungen und Nöte in unsern Herzen aufwallen wollen, dann laßt uns immer daran denken, daß der Herr gerade dann uns in besonderer Weise mit Seiner Sorge umgibt, und daß Er unser Helfer in jeder Not sein will, wenn wir nur Ihm vertrauen. Er hat uns einst bei unserer Hand ergriffen und uns „zu sich gebracht“ (2. Mo 19,4). Und Er hat dann unsere Hand festgehalten bis zu diesem Augenblick. Er wird uns auch in Zukunft nimmer loslassen, Er, Der uns zuruft: „Ich will dich nicht versäumen, noch dich verlassen!“ Ja, so oft wir auch bekümmert sein mögen, immer klingt uns aus Seinem Worte das wunderbar herrliche Trostwort entgegen: „Er ist besorgt für euch!“ (1. Pet 5,7). Darum behalte deine Sorge und Traurigkeit nicht für dich selber, sondern bringe sie zu Gott, wirf alle deine Sorgen auf Ihn! Und Ei wird dich in wunderbarer Weise Seine Fürsorge erkennen lassen.

Und nun zum Schlüsse laßt uns daran denken, daß diese die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus auch nimmer aufholen wild. Wir werden von ihr bis ans Ende bewahrt werden. Nichts vermag uns zu scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist. Wir sind jetzt hier noch heimatlose Pilgrimme. Aber wir werden nicht allezeit hier bleiben. Wir werden bald in ewiger Herrlichkeit die Liebe Gottes und die Liebe Christi anschauen, die uns zu Ihm gebracht hat, die stets hienieden mit uns gewesen ist. Was wird es sein, wenn unser geliebter Herr kommt! Seine Versammlung wird dann von Ihm ohne Flecken und Runzeln oder etwas dergleichen für Sich Selbst dargestellt sein. Ja fürwahr, welch eine herrliche Versammlung wird das sein! Und die Liebe des Christus, die von Ewigkeit her ist, wird auch in alle Ewigkeit fortdauern. Ja, dann wird diese die Erkenntnis übersteigende Liebe in ihrer ganzen Fülle offenbart werden!

„Um zu erkennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe!“ – Aber scheint das nicht ein Widerspruch in sich selber zu sein? Nein, das ist keineswegs der Fall. Wir sehen ja auch die Sonne und genießen täglich ihre Segen spendende Fülle und können sie doch nicht in ihrer wunderbaren Kraft ausschöpfen und erkennen. So ist es auch, nur in Vollkommenheit, mit der die Erkenntnis übersteigenden Liebe des Christus. Wir schmecken und genießen täglich diese Liebe, wir vertrauen ihr uns an und empfangen jeden Tag aus ihrem unermeßlichen Reichtum Gnade um Gnade und Segen die Fülle, und wir kommen doch immer wieder zu dem Ergebnis, daß sie all unsere Erkenntnis weit übersteigt. Bald kommt der Herr und dann werden wir in Seiner Herrlichkeit auch Seine Liebe besser erkennen als hier. Und doch werden wir auch dort in Ewigkeit nicht ihre Tiefen und Höhen ausmessen und ihre Grenzen nicht feststellen können, aber wir werden in Ewigkeit anbetend diese Liebe genießen!

Welch eine Freude ist es aber hier schon in dieser Zeit für uns, an diese Liebe des Christus zu denken und uns darin zu erfreuen, uns mit ihr zu beschäftigen und von ihr miteinander zu reden. Und so oft wir das tun, werden wir immer selber reich gesegnet werden. Wir werden dann auch die Seelen der noch nicht erretteten Menschen lieben, so daß wir ihnen immer wieder das Heil in Christo anbieten, und wir werden die Brüder lieben und selber mit ihnen in der Liebe wandeln!

O Liebe, ohnegleichen!
Kein Sinn kann je erreichen
Die Fülle, die Du gibst.
Selbst Engel werden stehen
Und voll Anbetung sehen,
Wie Du, o Herr, die Deinen liebst.

(Nach einem Vortrage von J. N. V. – 1933)

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Bald werden wir Ihn schauen! O, welch eine uns so hoch beseligende Liebe ist doch die Liebe des Herrn Jesus, die uns auf ewig mit Ihm in Seiner Herrlichkeit vereinigt sein läßt.

J. N. D.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1959, Seite 172

Bibelstellen: Eph 3, 14-21

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