Sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren

(Fortsetzung)

5. Vom Seelenschlaf

Bezüglich der Menschen, die im Unglauben sterben, sagt die Schrift einfach: „Es ist den Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht“ (Heb 9,27). Und das Gleichnis von dem reichen Manne und dem armen Lazarus zeigt uns, daß in dem Zwischenzustand, in welchem alle Abgeschiedenen sich befinden, für den in seinen Sünden Gestorbenen die Pein bereits begonnen hat und keine Hoffnung auf eine Änderung mehr ist. Es handelt sich auch in diesem Falle nicht um den Endzustand, das Gericht in seiner vollen Wirkung und Entfaltung, um den zweiten Tod, den Feuersee (die Hölle), sondern um eine Übergangszeit, in welcher die Seele aber bereits die Folgen ihrer Sünden und ihres Unglaubens zu tragen hat. Wie es „Geister der vollendeten Gerechten“ im Himmel gibt, so finden wir auch „Geister im Gefängnis“ (1. Pet 3,19). Beide Klassen sind im Hades, aber die einen in Ruhe und Freude, die anderen gefangen und friedelos.

Das sind die einfachen, ernsten Lehren des Wortes Gottes. Demgegenüber aber behaupten die Zeugen Jehovas: Nein, „wenn jemand stirbt, so schließt er seine Augen, gelangt in einen Zustand der Bewußtlosigkeit, und ein Zwischenraum verfließt. Dieser mag Wochen, Jahre oder Jahrhunderte andauern; aber die Länge der Dauer hat nichts auf sich, denn für jene Person ist diese Periode eine Zeit völliger Bewußtlosigkeit, totaler Leere. In anderen Worten: Jedem, der am Auferstehungsmorgen erwacht, wird es sein, als hätte er lediglich seine Augen geschlossen und sie im nächsten Augenblick wieder geöffnet. So ist der Zustand der Toten, Sie wissen gar nichts.“

Ein nur flüchtiges Vergleichen dieser Behauptung mit den Worten des Apostels in Philipper 1,21-24 wird uns zeigen, wie böse und abgeschmackt sie ist. Paulus redet vom Sterben (V. 21) und nennt es Gewinn; er hatte Lust, abzuscheiden und bei Christo zu sein, weil es weit besser für ihn war. Seine Hoffnung und sein Verlangen gingen also dahin, diese Erde verlassen, den Leib der Niedrigkeit ablegen zu dürfen und zu Jesu zu gehen. Seine Worte lassen in Bezug auf Deutlichkeit wahrlich nichts zu wünschen übrig. Er sehnte sich danach, nicht nur in Schwachheit, im Glauben, Den zu genießen, Den er über alles liebte und Dem sein ganzes Leben galt, sondern in Seiner unmittelbaren Gegenwart, ohne jede Störung von innen und außen, sich Seiner erfreuen zu können. Und nun scheuen sich jene Lehrer nicht, den Zustand, dem er so freudig entgegensah, „eine Zeit völliger Bewußtlosigkeit, totaler Leere“ zu nennen. Die Verlegenheit, in welche ihre eigene Behauptung sie in Verbindung mit dieser Stelle bringt, zwingt sie denn auch, nach einem Ausweg zu suchen. Sie haben ihn darin gefunden, daß sie sagen, das hier für „abscheiden“ gebrauchte griechische Wort bedeute, wenn man es buchstäblich übersetzen wolle, „wieder gelöst werden“? der Apostel habe also an sein „Wiedergelöstwerden“ aus dem Gefängnis des Todes beim Kommen des Herrn gedacht.

Man weiß nicht, ob man sich mehr über die Vergewaltigung des Griechischen oder über die des ganzen Textes Wundern soll. Das betreffende Wort kommt im Neuen Testament nur noch in Lukas 12,36 vor, wo es mit „aufbrechen“ übersetzt ist, und als Hauptwort in 2. Timotheus 4,6: „Die Zeit meines Abscheidens (oder Aufbruchs) ist vorhanden.“ Der Apostel betrachtet das Sterben gleichsam als einen Aufbruch zur Abreise aus dem zeitlichen Leben zu Christo. An ein Wiedergelöstwerden ist gar kein Gedanke. Stellen wir uns überhaupt den Fall vor, ein Mensch schaue mit heißem Verlangen danach aus, zu einer anderen geliebten Person hinzukommen, wisse aber im voraus, er werde nur schlafend, nur völlig bewußtlos dort anlangen und eine totale Leere vorfinden!

Beachten wir auch, daß Christus unser Leben ist? Weil Er lebt, leben wir. Verlieren wir nun jede Verbindung mit Ihm, wenn wir sterben? Schläft Er in uns? Fürwahr, man könnte über solche Sinnlosigkeiten einfach hinweggehen, wenn sie nicht einen so ernsten Untergrund hätten.

Daß der Tod in der Schrift mit dem Schlaf oder das Sterben mit dem Entschlafen verglichen wird, ist wahr; beachtenswert ist aber von vornherein, daß die Schrift die im Unglauben Gestorbenen niemals „Entschlafene“ nennt. Sie wendet diese Bezeichnung nur auf Gläubige an. Darum wird Christus auch „der Erstling der Entschlafenen“ genannt. (1. Kor 15,20.) Nachdem Er Sein Werk vollbracht hatte, übergab Er in Frieden Seinen Geist dem Vater und wurde in der Auferstehung das Haupt eines neuen Geschlechts. Im Anschluß an den lauten Schrei, mit dem Er verschied, wurden viele Leiber der entschlafenen Heiligen auferweckt. (Mt 27,52) Ihr nachheriges Erscheinen verkündete den errungenen Sieg, Doch mehr noch. Stephanus, der erste christliche Blutzeuge, betete sterbend für seine Feinde: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!“ und nachdem er das gesagt hatte, entschlief er. (Apgsch. 7.) Paulus schrieb an die Thessalonicher: „Wir wollen aber nicht, Brüder, daß ihr, was die Entschlafenen betrifft, unkundig seid … Denn Gott wird die durch Jesum Entschlafenen mit Ihm bringen“ (1. Thes 4,13. 14). Man vergleiche auch die Stellen: Apostelgeschichte 13,36; 1. Korinther 11,30; 15,6. 51. Die letzte Stelle, welche im Neuen Testament vom Entschlafen redet, ist 2. Petrus 3,4. Dort sagen die Spötter: „Seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an“, indem sie so das schöne Wort sich zu eigen machen, wie die Welt es so gern tut, um sich über den Ernst des Todes hinwegzutäuschen. Aber selbst sie denken nicht im Entferntesten an ein Einschlafen der Seele.

Im Alten Testament gibt es eigentlich nur drei Stellen, die für die vorliegende Frage in Betracht kommen: Hiob 14,12; Psalm 13,3 und Jeremia 51,39 und 57. In allen dreien ist von entschlafen oder von dem Schlafe als Bild des Todes die Rede, aber in allen handelt es sich so unzweideutig um den leiblichen Tod, das Sterben und Verscheiden in dem allgemeinen angenommenen Sinne des Wortes, daß der Gedanke eines Einschlafens der Seele nur mit rücksichtsloser Gewalt eingeführt werden kann. Die oft angezogene Stelle Daniel 12,2 gehört kaum hierher, weil der Ausdruck: „die im Staube der Erde schlafen“, wohl bildlich zu verstehen ist als eine Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes Israels als Volk. (Vergl. Jes. 26,19.)

Ehe wir diesen Gegenstand verlassen, möchte ich noch einmal auf die Geschichte des Räubers am Kreuz zurückkommen. Es wird behauptet, man könne auch übersetzen: „Wahrlich, ich sage dir heute: Du wirst mit mir im Paradiese sein.“ Aber abgesehen davon, daß man mit dieser Übersetzung den klaren Sinn der Stelle völlig verdreht, tut man dem Texte selbst wiederum Gewalt an. Das Wort „heute“ steht im Griechischen ausdrucksvoll der Verheißung des Herrn voran, um der Bitte des Räubers: „Gedenke meiner, wenn du in deinem Reiche kommst“, zu begegnen. Nicht erst am Ende der Tage, bei Seiner Wiederkunft wollte der Herr seiner gedenken, in Seinem Reiche hienieden, nein, heute schon sollte er mit Ihm im Paradiese droben sein. Daher auch die feierliche Einleitung: „Wahrlich, ich sage dir.“ Groß war der Glaube des armen Schächers, groß daher auch die Belohnung. Wie wunderbar steht ferner die Verheißung des Herrn mit dem ganzen Charakter des Evangeliums Lukas im Einklang! Nur Lukas berichtet die Unterredung, er, der in seinem Evangelium immer wieder „den Sohn des Menschen“ vor unsere Blicke stellt. Der erste Mensch, Adam, hat durch seinen Ungehorsam für sich und seine Nachkommenschaft das irdische Paradies verloren und erlangt es nie wieder zurück; der zweite Mensch, Christus, erwirbt durch Seinen Gehorsam bis in den Tod ein neues Eden, das Paradies Gottes (2. Kor 12,4), und führt als erste Siegesbeute den bekehrten Räuber mit sich dort ein. Wie wird dieser Triumph der Gnade Gottes und dieses herrliche Zeugnis für den Wert des Blutes Christi durch jene Behauptung geschmälert! Ganz gewiß wird der Herr einmal in Seinem Reiche kommen, aber diese neubekehrte Seele mit ihrem wunderbaren Glauben sollte nicht bis dahin warten, nein, noch am gleichen Tage sollte sie mit ihrem Herrn und Heiland in das himmlische Paradies eingehen, und damit sollten sich auch unseren Blicken für den Tag unseres Scheidens aus dieser Welt weit höhere Segnungen erschließen, als die Freuden und Herrlichkeiten eines irdischen Reiches sie uns bringen können.

Die Erwartungen dieser höheren Segnungen kennzeichnete auch Stephanus, als der Tod seinem Leben und Dienst auf Erden ein Ende machte. Er sah die Himmel geöffnet und Jesum zur Rechten Gottes stehen, und er betete: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ Hat der Herr das Gebet erhört und den Geist Seines treuen Zeugen aufgenommen? Und geschah das nur zu dem Zweck, seinem Dienst und damit seiner Freude und seinem Genuß an Christo ein Ende zu sehen und ihn einschlafen zu lassen, ihn in eine „Zeit völliger Bewußtlosigkeit, totaler Leere“ einzuführen? Die Zeit ist wirklich zu schade, um sich mit einer solch törichten Behauptung zu beschäftigen.

Zum Schluß noch ein kurzer Hinweis auf Offenbarung 6,9.10. Dort sieht Johannes beim Öffnen des fünften Siegels „die Seelen derer, welche um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses willen, das sie hatten, geschlachtet worden waren“, und hört sie mit lauter Stimme um Rache schreien für ihr vergossenes Blut. Es sind ohne Zweifel Seelen von Heiligen, aber sie sind weder gestorben, noch ausgelöscht, noch schlafen sie. Auf ihren Ruf wird einem jeden von ihnen ein Weißes Gewand gegeben und die Antwort des Herrn zur bestimmten Zeit zugesichert. Sie sollten noch eine kleine Weile ruhen, bis auch ihre Brüder vollendet sein würden. Ohne Frage ist die Sprache hier, wie fast überall in der Offenbarung, symbolisch (sinnbildlich), wie die in der Geschichte von dem reichen und armen Mann bildlich; aber beide, Sinnbild wie Bild, setzen Leben und Bewußtsein, bzw. Gemeinschaft mit Gott und Seinen Gedanken, voraus, keineswegs aber Auslöschung des Seins oder Bewußtlosigkeit nach dem Tode. In beiden Fällen sind die Betreffenden im Blick auf ihr leibliches Dasein gestorben, im Blick auf ihre Seele aber leben sie. Die Seele, vom Leibe getrennt, schläft nicht, ist nicht bewußtlos, sondern denkt, redet und wartet auf den Morgen der Auferstehung.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1963, Seite 23

Stichwörter: Seelenschlaf, Zeugen Jehovas