Zucht und Einheit im Handeln

Als allgemeine Grundlage des Handelns einer Versammlung, die im Namen des Herrn Jesus Christus und in der Einheit Seines Leibes versammelt ist, wird anerkannt, daß sie dies als Körperschaft in ihrer eigenen Verantwortlichkeit gegenüber dem Herrn tut, sei es, daß sie im Namen des Herrn Zucht ausübt oder etwas dergleichen tut oder daß sie jemand zur Teilnahme an Seinem Tische zuläßt. Jede Versammlung handelt in einem solchen Fall aus eigenem Antrieb und in ihrem Bereich, wenn sie über rein örtliche Dinge entscheidet, was aber nichtsdestoweniger eine Tragweite für die ganze Kirche hat. Die geistlichen Männer, die sich dieser Tätigkeit widmen und sich mit den Einzelheiten beschäftigen, bevor der Fall vor die Versammlung gebracht wird, damit das Gewissen aller an der Sache beteiligt sei, können selbstverständlich in sehr nützlicher Weise und mit Sorgfalt auf alle Einzelheiten eingehen; aber wenn sie irgendeine Sache entscheiden wollen ohne die Versammlung der Heiligen (selbst in den gewöhnlichsten Dingen), so wäre dies keine Handlung der Versammlung mehr und könnte daher nicht anerkannt werden.

Wenn solche örtlichen Angelegenheiten in dieser Weise durch eine in ihrer Zuständigkeit handelnde Versammlung entschieden worden sind, so sind alle anderen Versammlungen der Heiligen, da sie die Einheit des Leibes darstellen, gebunden, das, was getan worden ist, anzuerkennen, indem sie voraussetzen (wenigstens solange nicht das Gegenteil bewiesen ist), daß alles in richtiger Weise und in der Furcht Gottes, im Namen des Herrn geschehen ist. Ich bin gewiß, daß der Himmel diese heilige Handlung anerkennt und bestätigt; denn der Herr hat gesagt, daß es so sein werde (Mt 18,18).

Es ist oft ausgesprochen und anerkannt worden, daß die Zucht des Von-euch-selbst-Hinaustuns (1. Kor 5,13), das letzte Mittel sein soll, wozu man seine Zuflucht nimmt, und zwar nachdem jede Geduld und Gnade erschöpft ist, und wenn ein längeres Gehenlassen des Bösen nichts anderes sein würde als eine Verunehrung des Namens des Herrn und ein Verbinden des Bösen (praktischerweise) mit Ihm und dem Bekenntnis Seines Namens. Andererseits geschieht die Zucht des Ausschlusses stets mit dem Ziel der Wiederherstellung dessen, an dem man sie ausübt, und niemals, um sich seiner zu entledigen. So ist es auch in den Wegen Gottes mit uns. Gott hat immer das Wohl der Seele, ihre Wiederherstellung zu voller Freude und Gemeinschaft, im Auge, und niemals zieht Er Seine Hand zurück, bevor dieses Ergebnis erreicht ist. Die den Gedanken Gottes entsprechende, in Seiner Furcht ausgeübte Zucht hat dasselbe Ziel; sonst ist sie nicht von Gott.

Aber wenn auch eine örtliche Versammlung wirklich in ihrer eigenen und persönlichen Verantwortlichkeit dasteht und ihre Handlungen, vorausgesetzt daß sie von Gott sind, die anderen Versammlungen binden, da sie alle zu der Einheit eines einzigen Leibes gehören, so hebt doch diese Tatsache nicht eine andere auf, die von größter Wichtigkeit ist und oft vergessen zu werden scheint: daß die Stimme der Brüder anderer Örtlichkeiten ebensoviel Freiheit hat wie die der Brüder des Ortes, sich in ihrer Mitte hören zu lassen, um die Angelegenheiten einer Versammlung zu besprechen, obwohl sie örtlich nicht zu dieser Versammlung gehören. Sich dem widersetzen würde tatsächlich eine ernste Leugnung der Einheit des Leibes Christi sein.

Das Gewissen und der innere Zustand einer örtlichen Versammlung kann so sein, daß sie kein Bewußtsein oder doch nur ein sehr unvollkommenes Verständnis von dem hat, was der Ehre Christi und ihr selbst geziemt. Das alles macht dann das Auffassungsvermögen so schwach, daß keine geistliche Kraft mehr vorhanden sein kann, um das Gute und das Böse zu unterscheiden. Vielleicht können auch in einer Versammlung Vorurteile, Übereilung, der geistliche Zustand oder der Einfluß einer oder mehrerer Personen das Urteil der Versammlung irreführen und so bewirken, daß sie die Zucht unrichtig ausübt und einem Bruder schweren Schaden zufügt. In einem solchen Falle ist es ein wahrer Segen, wenn geistliche und einsichtsvolle Männer aus anderen Versammlungen ins Mittel treten und das Gewissen der Versammlung wieder auf den rechten Weg zu bringen suchen, oder auch, wenn sie auf Bitten der Versammlung oder solcher kommen, deren Angelegenheit im Augenblick die Hauptschwierigkeit bildet. Statt daß ihr Dazwischentreten in einem solchen Augenblick als ein unberechtigtes Eindringen betrachtet werden dürfte, muß es vielmehr angenommen und im Namen des Herrn anerkannt werden. Wollte man anders handeln, so würde man damit ganz einfach die Unabhängigkeit gutheißen und die Einheit des Leibes Christi leugnen.

Nichtsdestoweniger dürfen diejenigen, welche so handeln, nicht getrennt von dem übrigen Teil der Versammlung handeln, sondern das Gewissen aller muß berücksichtigt werden. – Sollte eine Versammlung jede Vorstellung zurückweisen und es ablehnen, die Hilfe und das Urteil anderer Brüder anzunehmen, so ist, nach Anwendung aller Geduld, eine Versammlung, die mit jener in Gemeinschaft stand, berechtigt, deren irrtümliche Handlung für nichtig zu erklären und die zurückgewiesene Person, falls man sich in bezug auf sie getäuscht hat, zuzulassen. Hat sich jedoch eine Schwierigkeit bis zu diesem äußersten Schritt entwickelt, so stellt sich die Frage der Verweigerung der Gemeinschaft mit jener Versammlung, die verkehrt gehandelt und auf diese Weise selbst ihre Gemeinschaft mit den übrigen, die in der Einheit des Leibes handeln, gebrochen hat. Solche Maßregeln können nur nach viel Sorgfalt und Geduld getroffen werden, damit das Gewissen aller die Handlung als von Gott kommend anerkennen kann.

Ich mache auf diese Gegenstände aufmerksam, weil eine Neigung vorhanden sein könnte, das Einschreiten solcher, die in Gemeinschaft sind und aus anderen Orten kommen, für unberechtigt zu erklären und einen Grundsatz der Unabhängigkeit im Handeln in jeder örtlichen Versammlung aufzustellen. Jede Handlung ist jedoch, wie ich zu Anfang gesagt habe, zunächst Sache der örtlichen Versammlung.

JND

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1980, Seite 233

Stichwörter: Versammlung, Zucht