Dem Gesetz gestorben

„Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf daß ich Gott lebe“.
(Gal 2,19)

Dies ist ein wichtiges und gerade heute sehr notwendiges Wort. Das geistliche Erfassen der hier vorgestellten Wahrheit wird die Seele vor zwei Irrtümern bewahren, die in der bekennenden Christenheit sehr häufig sind – Gesetzlichkeit auf der einen Seite und Ausschweifung auf der anderen. Wären wir aufgefordert, diese beiden Übel miteinander zu vergleichen und zwischen ihnen zu wählen, wir würden zweifellos das erstere bevorzugen. Wir würden viel lieber einen Menschen unter der Autorität des Gesetzes Moses sehen als jemanden, der in Gesetzlosigkeit und Zügellosigkeit lebt. Natürlich wissen wir, daß weder das eine noch das andere recht ist und daß das Christentum uns etwas anderes gibt; aber wir haben weit mehr Respekt vor einer Person, die über Moses hinaus nichts sieht und das Gesetz Moses als den einzig göttlichen Maßstab für das Verhalten ansieht und sich demgemäß in Ehrfurcht vor seiner Autorität niederbeugt – vor solch einer Person würden wir mehr Respekt haben als vor jemandem, der nur von dem Gesetz frei zu werden sucht, um sich selbst zu gefallen. Aber Gott sei Dank! Die Wahrheit des Evangeliums gibt uns das göttliche Hilfsmittel für beide Fälle. Aber wie? Lehrt es uns, daß das Gesetz tot ist? Nein! Was denn? Es lehrt, daß ich gestorben bin. „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben.“ Und mit welchem Ziel? Um mir selbst zu gefallen? Daß ich meinen eigenen Vorteil, mein Vergnügen suche? Keineswegs, sondern „auf daß ich Gott lebe“.

Das also ist die erhabene und so überaus wichtige Wahrheit, eine Wahrheit, die zur Grundlage der ganzen christlichen Lehre gehört und ohne die wir kein rechtes Empfinden darüber haben, was Christentum überhaupt ist. So lesen wir auch in Römer 7: „Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, um eines anderen zu werden, des aus den Toten Auferweckten, auf daß wir Gott Frucht brächten“ (Vers 4). Und Vers 6 sagt uns: „Jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind, in welchem wir festgehalten wurden, so daß wir dienen in dem Neuen des Geistes und nicht in dem Alten des Buchstabens.“ Beachten wir den Unterschied zwischen der Art und Weise, in welcher der Apostel die Illustration verwendet: In dem Bilde stirbt der Ehegatte, aber in der Anwendung der Gläubige und nicht das Gesetz. Viele haben dies nicht erkannt und sind dadurch in den Irrtum gekommen, anzunehmen und zu lehren, daß das Gesetz tot sei, aber in 1. Timotheus 1,8 legt der Apostel Nachdruck auf die Tatsache, daß nicht das Gesetz tot, sondern daß gerade das Gegenteil der Fall ist: „Wir wissen aber, daß das Gesetz gut ist, wenn jemand es gesetzmäßig braucht.“ Und wie wird es gesetzmäßig gebraucht? „Indem er dies weiß, daß für einen Gerechten das Gesetz nicht bestimmt ist, sondern für Gesetzlose und Zügellose …“ Es ist von äußerster Wichtigkeit, daß wir über diesen Punkt klar sind. Beachten wir auch, daß wir nicht deswegen gestorben sind, um uns selbst zu gefallen, sondern um zu dienen. Wir sind von dem unerträglichen Joch des Mose befreit worden, um das sanfte Joch Christi zu tragen, aber nicht, um der Natur freien Lauf zu lassen.

Ein geistliches Gemüt wird auf das ernsteste verletzt, wenn es wahrnimmt, wie sich manche Menschen auf gewisse Grundsätze des Evangeliums berufen, um dadurch einen Vorwand für die Zügellosigkeit des Fleisches zu haben. Sie möchten die Autorität Moses beiseite setzen, nicht um sich der Autorität Christi zu erfreuen, sondern nur, um dem Ich zu frönen. Aber es ist vergeblich. Die Wahrheit Gottes läßt solchen Gedanken nicht den geringsten Spielraum, denn nirgends wird in der Schrift gesagt, daß das Gesetz tot oder abgeschafft ist; aber es wird gesagt, und dies wiederholt, daß der Gläubige dem Gesetz gestorben ist und daß er der Sünde gestorben ist, damit er schmecken möge, wie lieblich es ist, Gott zu leben, seine Frucht zur Heiligkeit zu haben und als das Ende ewiges Leben.

Wir möchten diesen wichtigen Gegenstand ernstlich der Aufmerksamkeit des Lesers anbefehlen. Er wird ihn weiter in Römer 4 und 5, in Galater 3 und 4 entwickelt finden. Ein rechtes Verständnis hierüber wird tausend Schwierigkeiten lösen und tausend Fragen beantworten. Und nicht nur das, sondern die Seele wird von mancher Verwirrung und von vielen Irrtümern befreit werden. Möge Gott Seinem eigenen Worte Macht über das Herz und das Gewissen verleihen!

C.H.M.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1982, Seite 83

Bibelstellen: Gal 2, 19

Stichwörter: Gesetz