Daniel

Kapitel 9 (Schluß von Seite 337)

Beachte nur das Ergebnis dieses Gebets und dieses Bekenntnisses Das erste Ergebnis davon, daß er sich zu Gott wendet, ist, daß er ein tiefes Empfinden für die Große, Heiligkeit und Treue Gottes bekommt Der Mensch ist sehr klein, und Daniel mochte schwach werden, aber der Herr ist groß Weiter erkennt er, daß Gott Seinem Worte treu bleibt und daß Sem Volk, wenn es nur Seinen Namen hochhalten, Ihn lieben und Sem Wort bewahren will, trotz all seines Versagens Barmherzigkeit finden wird

Das zweite Ergebnis seiner Hinwendung zu Gott m Gebet und Bekenntnis ist, daß er den totalen Rum des Volkes Gottes schmerzlich empfindet Er erkennt, daß der niedrige Zustand des Volkes Gottes die Wurzel aller Spaltung und aller Zerstreuung ist, die das Volk Gottes betroffen haben Er sucht die Schuld für die Spaltung und Zerstreuung nicht auf gewisse Personen zu schieben, die m der Tat m hochfahrender Weise gehandelt, die Wahrheit verdreht und viele m die Irre geführt haben mögen, sondern indem er über das Versagen einzelner Personen hinausblickt, sieht und anerkennt er das Versagen des Volkes Gottes als Ganzes Er sagt „Wir haben gesündigt“, unsere Könige, unsere Fürsten und unsere Vater und alles Volk des Landes (9,5 6) Persönlich hatte Daniel keinen direkten Anteil an der Herbeiführung der Zerstreuung, die siebzig Jahre vorher stattgefunden hatte, aber das Fehlen persönlicher Verantwortlichkeit und der Ablauf der Zeit bringen ihn nicht dahin, die Spaltung und die Zerstreuung zu ignorieren oder die Schuld daran einzelnen Personen, die langst vom Schauplatz verschwunden waren, zu geben, im Gegenteil, er macht sich vor Gott eins mit dem Volke Gottes, er sagt „Wir haben gesündigt“

In der Geschichte Israels fehlte das Volk und bestand m seinem niedrigen Zustand auf einem König, und dann brachten die Könige es vom rechten Wege ab So war es auch m der Geschichte der Kirche In 1. Korinther 3 und 4 fuhrt der Apostel Paulus jede Spaltung auf den niedrigen fleischlichen Zustand derer zurück, die sich dazu verleiten ließen, sich gewissen Führern zuzuordnen, und der Apostel sieht voraus, daß nach seinem Abschied Führer aufstehen wurden, die eine offene Spaltung hervorbringen wurden, denn er kann sagen „Ich weiß dieses, daß nach meinem Abschiede aus euch selbst Männer aufstehen werden, die verkehrte Dinge reden, um die Junger abzuziehen hinter sich her“ (Apg 20,29,30).

Daraus ergibt sich offenbar, daß die Wurzel jeglicher Spaltung, ob m Israel oder m der Kirche, auf den niedrigen Zustand des Volkes Gottes als Ganzes und nicht einfach auf das falsche Tun einzelner Personen zurückzuführen ist Deshalb muß ein wahres Bekenntnis das ganze Volk Gottes im Blickfeld haben Daniel denkt nicht nur an eine Stadt (wiewohl sie im Versagen vorangegangen sein mag), sondern er verbindet mit Jerusalem ganz Israel, er beschrankt seine Gedanken auch nicht nur auf die „Nahen“ des Volkes Israel, denn er schließt die „Nahen und die Fernen“ ein (9,7) Mit diesem Beispiel vor uns mögen wir uns wohl fragen, was unser großes Ziel m Bekenntnis und Demütigung sein sollte Sollte es nur das sein, daß die Einbrüche geheilt werden? Sicher nicht – das muß den Händen Dessen überlassen bleiben, vor Dem wir so schmerzlich versagt haben Unser Endziel sollte sein, daß wir m sittlicher Hinsicht wiederhergestellt werden mochten zu der Höhe unserer Berufung, von der wir abgewichen sind.

Ein drittes Ergebnis des Gebets und Bekenntnisses Daniels ist, daß er die Hand Gottes m Seiner Regierung über Sem Volk erkennt Er erfaßt den äußerst wichtigen Grundsatz, daß, wenn Spaltung und Zerstreuung eingetreten sind, diese Übel als von Gott kommend angenommen werden müssen, der m Seiner heiligen Zucht handelt, und nicht einfach als durch besondere törichte oder boshafte Handlungen einzelner Menschen hervorgebracht betrachtet werden dürfen Das sieht man deutlich an der großen Spaltung, die m Israel stattfand Vom eigentlichen Werkzeug her gesehen, wurde sie durch die Torheit Rehabeams herbeigeführt, aber Gott sagt „Von mir aus ist diese Sache geschehen“ (2 Chron 11,4) Vierhundertfünfzig Jahre später, als das Volk Gottes nicht nur geteilt, sondern auch unter die Nationen zerstreut war, erkennt Daniel sehr deutlich diesen großen Grundsatz Er sagt „Dem, o Herr, ist die Gerechtigkeit, unser aber die Beschämung des Angesichts, wie es an diesem Tage ist der Männer von Juda und der Bewohner von Jerusalem und des ganzen Israel, der Nahen und der Fernen, m allen Ländern, wohin du sie vertrieben hast“ Dann spricht er wieder von Gott „Indem er ein großes Unglück über uns brachte“, und nochmals „Und so hat Jehova über das Unglück gewacht und es über uns kommen lassen“ (9,7 12 14) So verliert Daniel die Bosheit und Torheit einzelner Menschen aus den Augen Er erwähnt keine Namen Er spricht nicht von Jojakim oder den Greueln, die er tat, auch nicht von Zedekia und seiner Torheit, auch bezieht er sich nicht auf die unbarmherzige Gewalttätigkeit Nebukadnezars, sondern indem er über alle Menschen hinwegsieht, erkennt er in der Zerstreuung die Hand eines gerechten Gottes.

So vernimmt auch Sacharja wenig später die Worte Jehovas an die Priester und das ganze Volk des Landes „Ich stürmte sie hinweg unter alle Nationen, die sie nicht kannten“ (Sach 7,5 14)

Und so erinnert sich noch später auch Nehemia m seinem Gebet an die Worte des Herrn zu Mose „Werdet ihr treulos handeln, so werde ich euch unter die Volker zerstreuen“ (Neh 1,8).

Diese Männer Gottes machen nicht den Versuch, ihre strengen Feststellungen über Gottes Handeln m Zucht abzuschwächen Sie sagen nicht einmal, daß Gott es zugelassen habe, daß Sein Volk zerstreut oder vertrieben worden sei, sondern sie sagen deutlich, daß Gott das Volk vertrieben und das Unglück gebracht habe.

Viertens ist ein weiterer großer Grundsatz, der aus der Hinwendung zu Gott in Gebet und Bekenntnis hervorgeht, daß wir nicht nur Gottes Hand m Seinem Handeln mit uns in Zucht erkennen, sondern daß wir uns zu dem Einen gewandt haben, der allein Sein Volk sammeln und segnen kann So hegt m der Anerkennung der züchtigenden Hand Gottes die einzige Hoffnung auf irgendeine Belebung oder auf irgendein Ausmaß an Wiederherstellung, denn indem wir unsere Angesichter auf Gott richten, schauen wir auf den Einen, der nicht nur teilen, sondern auch vereinen, nicht nur zerstreuen, sondern auch sammeln, nicht nur zerschlagen, sondern auch heilen kann (Hos 6,1) Der Mensch kann m der Tat zerstreuen und spalten und zerschlagen, aber er kann nicht wieder sammeln und vereinen oder heilen Gott kann beides tun und beides auf gerechte Weise Das sieht man deutlich m Daniels Bekenntnis, denn er sagt „Dem, o Herr, ist die Gerechtigkeit wohin du sie vertrieben hast“ usw, und dann wieder „Und so hat Jehova über das Unglück gewacht und es über uns kommen lassen Denn Jehova, unser Gott, ist gerecht m allen seinen Taten, die er getan hat“ (V 7 14) Dann beruft er sich ein drittes Mal auf die Gerechtigkeit Gottes, aber dieses Mal, um zu segnen und Barmherzigkeit zu erweisen, wenn er sagt „Herr, nach allen deinen Gerechtigkeiten laß doch deinen Zorn und deinen Grimm sich wenden“ (V 16)

Daniel gründet diese Bitte auf die Tatsache, daß, wie auch immer das Volk versagt haben mochte und Gott es züchtigen mußte, es doch Sem Volk ist Es ist, so sagt er, Deine Stadt Jerusalem, Dem heiliger Berg, Dem Volk, das zum Hohne geworden, Dem verwüstetes Heiligtum und das Gebet Deines Knechtes (V. 16,17) Dann tritt er dafür ein, daß der Segen „um des Herrn willen“ gewahrt werden möge Drittens macht er die „vielen Erbarmungen“ (V. 18) des Herrn geltend, und schließlich beruft er sich auf den Namen des Herrn, denn er sagt „Deine Stadt und dem Volk sind nach deinem Namen genannt“ (V. 19).

So haben wir hier einige der großen Grundsätze, die uns an einem Tage der Verwirrung und des Ruins kennzeichnen sollten

1 Hinwendung zu Gott m Gebet und Bekenntnis, um m Seiner Gegenwart neue Empfindungen von Seiner Große, Heiligkeit und Barmherzigkeit denen gegenüber zu erlangen, die bereit sind, Sem Wort zu bewahren (V. 3. 4)

2 Bekenntnis unseres Versagens und der Vollständigkeit unseres Ruins (V. 5-15)

3 Erkennen und Anerkennen der Gerechtigkeit Gottes m Seinem Handeln mit uns m Seinen Regierungswegen (V. 7. 14. 15)

4 Völliges Stutzen auf die Gerechtigkeit Gottes, der m Barmherzigkeit handeln und eine gewisse Belebung schenken kann.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1984, Seite 364

Bibelstellen: Dan 9

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