Daniel

Kapitel 9

Die Preisgabe des Landes Gottes durch den Überrest vollendete die Zerstreuung des Volkes Gottes. Fünfzig Jahre gingen vorüber, und dann schreitet Gott in Seiner Gnade ein und gewährt eine Belebung, indem einige aus Seinem Volk aus der Gefangenschaft freikommen, um in das Land zurückzukehren. Die besonderen Erfahrungen derer, die von dieser Bewegung betroffen waren, sowie die Grundsätze, die sie hätten leiten sollen, kommen in dem Gebet und dem Bekenntnis Daniels zum Ausdruck. Und darin werden wir vieles finden, das lehrreich ist für solche, die in unseren Tagen aus den menschlichen Systemen befreit worden sind, um im Lichte Christi und Seiner Versammlung zu wandeln.

Die Tage, in denen wir leben, sind, was die göttliche Haushaltung betrifft, sehr verschieden von denen, in denen Daniel lebte, und doch gibt es in sittlicher Hinsicht vieles, das beiden Zeitabschnitten gemeinsam ist.

In erster Linie konnte Daniel in seinen Tagen auf tausend Jahre des Versagens inmitten des Volkes Gottes zurückblicken, denn er geht in seinem Bekenntnis bis zu der Zeit zurück, als Gott Israel aus Ägypten hinausbrachte, und er sagt von der Zeit seither: „Wir haben gesündigt, wir haben gesetzlos gehandelt“ (9,15).

Zweitens wird Daniel, wie wir es in Kapitel 7 und 8 finden, ein Blick in die Zukunft gewährt, und immer noch sieht er, daß Versagen und Leiden das Volk Gottes erwarten. Er sieht, daß die heidnischen Mächte Krieg gegen die Heiligen führen und die Oberhand über sie gewinnen würden; das beständige Opfer würde weggenommen werden; die Wahrheit würde zu Boden geworfen werden und das Heiligtum zur Zertretung hingegeben; und er sieht, daß der Feind Gelingen haben „und Starke und das Volk der Heiligen verderben“ würde (7,21; 8,11. 12. 13. 24).

Drittens sieht er, daß es für Gottes Volk keine Befreiung von seiner langen Geschichte des Versagens geben würde, bis der Sohn des Menschen käme und Sein Reich aufrichtete (7,13. 14).

So sieht Daniel in seinen Tagen die Vergangenheit durch Versagen gekennzeichnet, die Zukunft dunkel von Voraussagen über noch tiefere Kümmernisse und noch größeres Versagen und keine Hoffnung auf Befreiung für das Volk Gottes als Ganzes, bis der König kommen würde.

Angesichts dieser Dinge war Daniel tief betroffen, seine Gedanken ängstigten ihn, seine Gesichtsfarbe veränderte sich an ihm, und er „war dahin und war einige Tage krank“ (7,28; 8,27).

Wir können kaum umhin zu sehen, daß wir das, was diesen Erfahrungen Daniels entspricht, in unseren Tagen finden; denn auch wir blicken über beinahe zweitausend Jahre des Versagens unter dem bekennenden Volke

Gottes zurück, und auch wir haben gelernt, daß die kurze Zeit, die noch übrigbleiben mag, durch zunehmenden Verfall unter dem Volke Gottes gekennzeichnet sein wird. Der Apostel sagt, „daß in den letzten Tagen schwere Zeiten da sein werden“ (2. Tim 3,1). „Böse Menschen aber und Gaukler werden im Bösen fortschreiten“ (2. Tim 3,13). Weiter sagt er: „Denn es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen … werden …; und sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren“ (2. Tim 4,3. 4). Petrus warnt uns auch, daß unter dem Volke Gottes „falsche Lehrer sein werden, welche verderbliche Sekten nebeneinführen werden und den Gebieter verleugnen, der sie erkauft hat“ (2. Pet 2,1).

Ferner ist auch die dritte Sache, die Daniel sah, für uns ebenso deutlich, denn auch wir erkennen aus der Schrift, daß es für das Volk Gottes als Ganzes keine Wiederherstellung geben wird, bis Christus kommt.

Aber dies ist nicht die einzige Übereinstimmung zwischen unseren Tagen und denen, in denen Daniel lebte. Daniel machte nämlich eine weitere Entdeckung. Er erkannte aus der Schrift, daß Gott trotz allen vergangenen Versagens und allen künftigen Unheils vorhergesagt hatte, daß es eine kleine Belebung inmitten der Jahre geben würde. Er entdeckt durch das „Wort Jehovas“ an Jeremia, daß nach siebzig Jahren eine gewisse Wiederherstellung aus den Trümmern Jerusalems eintreten würde. So haben auch wir aus der Schrift erkannt, daß inmitten der Verderbtheit und Erstarrung der Christenheit, wie sie in Thyatira und Sardes gezeigt werden, wieder eine Belebung inmitten der Jahre eintreten würde, wie es in Philadelphia vorgestellt wird.

Diese Belebung hat vier hervorstechende Kennzeichen, denn der Herr sagt zu Philadelphia erstens: „Du hast eine kleine Kraft“, zweitens: Du „hast mein Wort bewahrt“, drittens: Du „hast meinen Namen nicht verleugnet“ und viertens: Du hast „das Wort meines Ausharrens bewahrt“. In einer Zeit, in der sich das religiöse Fleisch in seiner Macht selbst darstellt wie das große Babylon, würden die von dieser Belebung Erfaßten durch eine Stellung äußerer Schwachheit gekennzeichnet sein; wenn das Wort von allen Seiten herabgesetzt wird, bewahren sie das Wort in seiner Reinheit und Vollständigkeit; und wenn die Person Christi angegriffen wird, verleugnen sie Seinen Namen nicht. Wenn überdies die Menschen verzweifelte Anstrengungen machen, die Spaltungen der Christenheit zu heilen, bewahren sie das Wort Seines Ausharrens. Sie erwarten das Kommen des Herrn, durch das die Spaltungen geheilt werden und Sein Volk in Seiner Gegenwart vereint wird.

Nun werden Gehorsam gegen das Wort und die Weigerung, den Namen Christi zu verleugnen, sehr viel nach sich ziehen. Für die, die dem Wort gehorchen und Christus Seinen Platz geben, bedeutet es die Wiedererlangung der Wahrheit über Christus und Seine Versammlung, über die himmlische Berufung, über das Kommen Christi und andere Wahrheiten.

Solche sind allerdings der beständigen Gefahr ausgesetzt, die Wahrheiten aufzugeben, die wiederentdeckt worden sind, und darum richtet sich an sie die Warnung: „Halte fest, was du hast, auf daß niemand deine Krone nehme“, und die Ermahnung ist, zu überwinden. Wie nun sollen wir festhalten, und wie sollen wir überwinden?

Es ist offensichtlich, daß wir weder festhalten noch überwinden können in unserer eigenen Kraft. Wir können nur festhalten und nur Überwinder sein, indem wir stark sind in der Gnade, die in Christo Jesu ist. Daher müssen wir auf den Herrn blicken, und das erfordert Gebet. Und wenn wir zu dem Herrn beten und Seine Gnade suchen, dann ist es nötig, daß ein dem Herrn angemessener sittlicher Zustand bei uns gefunden wird, und das erfordert Bekenntnis. Und im Hinblick auf diese beiden Dinge, Gebet und Bekenntnis, können wir viel von Daniel lernen. Wie wir gesehen haben, hatte er zurückgeblickt und vorausgeschaut, und als er den Zustand der Dinge unter dem Volke Gottes sah, war er zutiefst bekümmert, und in seiner Not tat er zwei Dinge: erstens blickte er vom Menschen weg hin zu Gott, wie er in Kap. 9,3 sagt: „Ich richtete mein Angesicht zu Gott, dem Herrn, um Ihn mit Gebet und Flehen zu suchen“; zweitens betete er nicht nur, sondern er fügt hinzu: „Und ich bekannte“ (V. 4).

(Schluß folgt)

H.S.

Wir werden oft überwältigt, weil unsere Kraft nicht in Gott ist, der möchte, daß Seine Gnade uns genügt, Seine Gnade, die kostbarer ist als die Entfernung des Domes im Fleisch.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1984, Seite 333

Bibelstellen: Dan 9

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