Jeremia

Kapitel 42 und 43,1-7

Vierhundert Jahre waren seit der großen Spaltung in Israel vergangen, als die in unserem Abschnitt berichteten Ereignisse geschahen. Zu diesem Zeitpunkt finden wir das Volk Gottes nicht nur geteilt, sondern zerstreut. Hundertdreißig Jahre vorher waren die zehn Stämme in Gefangenschaft gekommen, um sich unter die Nationen zu verlieren. Wiederholte Gefangenschaften hatten die Reihen Judas gelichtet, bis schließlich das Reich als solches aufgehört hatte zu existieren.

Ein Überrest des Volkes Gottes findet sich jedoch immer noch in Gottes Land. In den ersten Versen von Jeremia 42 kommen sie zu dem Propheten und bekunden, daß sie für ihren Weg am Tage der Zerstreuung Licht vom Herrn suchen. „Da traten herzu … das ganze Volk, vom Kleinsten bis zum Größten“. Wenn sie jedoch die Kleinsten mit den Größten zählen, müssen sie anerkennen, daß sie nur ein Überrest sind, denn sie sagen: „Wenige sind wir übriggeblieben von vielen“ (V. 2). Ihr Wunsch ist, so sagen sie, daß der Herr „uns den Weg kundtue, auf welchem wir gehen, und die Sache, die wir tun sollen“ (V. 3).

Sie erkennen den Ruin der Nation, sie erkennen an, daß sie nur wenige sind. Inmitten des Verfalls und in anerkannter Schwachheit kommen sie zusammen, um vom Herrn den Weg, den Er sie gehen und die Sache, die Er sie tun sehen möchte, zu erfragen. Was konnte unter solchen Umständen für eine kleine Gruppe des Volkes Gottes passender sein, als sich an den Herrn um Leitung zu wenden?

Jeremia übernimmt es demgemäß, um ihretwillen zum Herrn zu beten und ihnen die Gedanken des Herrn kundzutun, ohne etwas vorzuenthalten (V. 4). Das führt diesen Überrest dahin, höchst feierlich zu beteuern, daß sie, was auch die Antwort des Herrn sein mag, „hören wollen auf die Stimme Jehovas“ (V. 5. 6).

Etwas jedoch verdarb diese schönen Worte. Wie wir sehen werden, enthüllt die spätere Geschichte, daß hinter ihren guten Worten der Eigenwille am Werke war. Sie hatten sich schon entschlossen, ihren eigenen Weg zu nehmen. Der Eigenwille des Fleisches verrät sich durch ihr zu sehr von Selbstvertrauen geprägtes Gelöbnis, der Stimme des Herrn gehorchen zu wollen. Wie oft hat sich seit jenem Tage das Fleisch durch Worte des Selbstvertrauens, die den Eigenwillen des Herzens verrieten, gezeigt! Gibt es nicht solche, die nach der Weise dieses Überrestes sagen: „Gib uns die Schrift, gib uns das Wort des Herrn, und wir wollen uns darunter beugen!“? Wir fürchten, daß sich hinter solchen schönen Worten Eigenwille verbirgt.

Jeremia indessen wendet sich an den Herrn und erhält nach zehn Tagen eine Antwort. Während dieser Tage hat er offensichtlich keine Verbindung zu dem Volke. Er will es nicht wagen, eine eigene Meinung von sich zu geben, wie sie wandeln und handeln sollten. Er will auf klare Anweisungen des Herrn warten (V. 7). Der Weg des Herrn ist sehr deutlich. Wenn dieser kleine Überrest wünscht, aufgebaut und befestigt zu werden, wenn sie die Gegenwart des Herrn in ihrer Mitte und Seine Barmherzigkeiten genießen wollen, so ist da eine Bedingung, die sie erfüllen müssen. Sie müssen „in diesem Lande wohnen“ bleiben. Wie groß der Verfall, wie vollständig auch der Ruin sein mochte, Er würde immer noch Segen für einen kleinen Überrest – wenige von vielen – geben, solange sie auf Gottes Boden für Gottes Volk blieben. Ihr König und ihre Führer mochten geflohen, das Haus des Herrn niedergebrannt und die Mauern Jerusalems abgebrochen sein (Kap. 52,7.8.13), ungeachtet dessen würde es noch Segen für die geben, die im Lande blieben. Das Land war der Platz für ganz Israel, aber ach, die große Masse war in Gefangenschaft geraten und unter die Nationen verlorengegangen, aber aller Segen für die wenigen, die übrigblieben, hing von ihrem Verbleiben im Lande ab (V. 9-12).

Mögen wir angesichts dieser Geschichte des Volkes und längst vergangener Ereignisse innehalten und uns fragen, ob sie nicht für uns irgendeine Lehre enthält in den gegenwärtigen Tagen großer Schwachheit und Erschlaffung, und den Weg zu erkennen suchen, „auf welchem wir gehen, und die Sache, die wir tun sollen“ inmitten der Spaltungen und Zerstreuungen, die unter dem Volke Gottes stattgefunden haben! Liegt die große Belehrung nicht darin, daß, wie groß auch der Ruin, wie geteilt und zerstreut das Volk Gottes auch sein mag, Segen von solchen gefunden werden wird, die dennoch auf dem Boden Gottes für das ganze Volk Gottes verharren? Anders ausgedrückt: Der Weg des Segens trotz allen Verfalls ist der, dennoch im Lichte dessen, was für die ganze Versammlung wahr ist, zu wandeln, und jede andere Grundlage abzulehnen.

Kein Versagen auf unserer Seite kann uns von der Verantwortung entbinden, gemäß der Wahrheit der Versammlung Gottes, ob örtlich oder allgemein gesehen, zu wandeln und zu handeln. Die Grundsätze der Versammlung bleiben immer noch in all ihrer Kraft bestehen, wie sie uns im ersten Korintherbrief entfaltet werden. Es ist so, wie jemand gesagt hat: „Es ist nicht an uns, diese Kapitel nachzuahmen oder die Rolle der Korinther spielen zu wollen, als ob wir alle Gaben der Korinther besäßen Wir sollen uns auch nicht anmaßen, das einzige Licht an unserem Platz zu sein, wie es die Versammlung in Korinth damals war Aber wir müssen Glauben haben zu erkennen, daß die Zerstreuung der Gläubigen oder das Gericht über die Kirche nicht den Rückzug des Geistes bedeutet Wir müssen an unserem Platz und in unserer Umgebung an Gottes Grundsätzen festhalten Wir sollten vielleicht nicht eine solche gemeinsame Kraft erwarten, wie sie noch vorhanden sein wurde, wäre nicht das göttliche Gericht über die Kirche gekommen Andererseits, wie wir Grundsätze nicht wegen der Verderbtheiten um uns her aufgeben sollten, sollten wir sie auch nicht wegen erfahrener Enttäuschungen bei dem Bemühen, sie hochzuhalten, fahren lassen ‚Gott aber sei wahrhaftig, jeder Mensch aber Lügner‘ Wir dürfen einen Grundsatz nicht aufgeben, weil er heftig angegriffen wird, aber auch nicht, weil er nur ärmlich und schwach verwirklicht wird Der Grundsatz überlebt tausend enttäuschende Versuche, ihn festzuhalten Das Licht kann nicht wegen der verschmutzten Lampe, durch die es scheinen soll, verurteilt werden Ich mag bekümmert und enttäuscht sein, daß sich das Licht gewissermaßen unter dem Scheffel befunden hat, aber ich habe mich daran zu erinnern, daß es dennoch ein Licht ist, das allen, die im Hause sind, Licht zu geben vermag“ (J G B)

Wenn wir uns nun dem Bericht über den Überrest m Jeremias Tagen zuwenden, so finden wir, daß er für uns sowohl eine Warnung als auch eine Belehrung enthält Nachdem er ihnen das Wort des Herrn bezüglich des

Weges des Segens gegeben hat, fährt er fort, daß Wort des Herrn als Warnung kundzutun (V 13-17) Wenn der Überrest sagt „Wir wollen nicht m diesem Lande bleiben“, wir furchten, daß, wenn wir es tun, das für uns Krieg und beständige Warnungen durch den Schall der Posaune und vielleicht sogar Mangel an Brot bedeutet, und deshalb beabsichtigen wir, das Land zu verlassen, und suchen vor diesen Dingen m ein anderes Land zu entrinnen – dann werden sie gewarnt, daß gerade die Dinge, denen sie zu entrinnen suchen, sie einholen werden Noch mehr, das ernsteste bei all dem wird sein, daß sie, anstatt den Herrn m Segen auf ihrer Seite zu haben, die Hand des Herrn m Seiner Regierung auf sich ziehen werden Sie werden, sagt der Herr, nicht entrinnen „vor dem Unglück, welches ich über sie bringen werde“ (V 17)

Ist das nicht auch für uns heute eine warnende Stimme? Sind wir nicht manchmal versucht, des Weges Gottes müde zu werden und in irgendeinem von Menschen errichteten System einen leichteren Weg zu suchen – m einem System, in dem wir auf Grund der Einführung weltlicher Grundsätze und Methoden dem beständigen Ruf, uns im Glauben zu üben, entkommen werden? Ermüden wir nicht manchmal angesichts des beständigen Kampfes, der mit dem Bemühen, die Wahrheit hochzuhalten, verbunden ist, und schrecken davor zurück, vom Posaunenruf angesichts drohender Gefahren aufgeschreckt zu werden? Sind wir nicht versucht zu sagen „Wenn wir uns beständigem Kampf ausgesetzt sehen, furchten wir, geistlich abzusterben“? Werden wir nicht manchmal auf diese Weise heftig vom Versucher bedrängt, Gottes Wahrheit für Gottes Versammlung aufzugeben? Angesichts solcher Argumente, mögen sie nun in unseren eigenen Herzen aufkommen oder uns durch andere vorgestellt werden, wollen wir uns doch an die Warnungen des Herrn an den Überrest in Jeremias Tagen erinnern.

Erstens ist es so, daß, wenn wir einen falschen Schritt tun, um Nöten zu entrinnen, dies der sicherste Weg ist, in die Nöte zu geraten, denen wir zu entkommen suchen. Gottes Boden zu verlassen, um den Schwierigkeiten des Weges des Glaubens zu entgehen, wird uns in die Welt verstricken und uns mit Schwierigkeiten auf dem Weg des Eigenwillens überhäufen. Zweitens wird der Überrest ernst darauf hingewiesen, daß die, die einen solchen Weg nehmen, in Schande fallen und „diesen Ort nicht mehr sehen“ werden (V. 18). Es ist eine feierlich-ernste Erwägung, daß die, die für eine Zeit im Lichte der Wahrheit der Versammlung Gottes gewandelt sind und sie dann zugunsten eines leichteren Weges in einem von Menschen errichteten System aufgegeben haben, selten wiederhergestellt worden sind. Sie sehen „diesen Ort nicht mehr“. Wenn Gott in Seiner Regierung sagt „nicht mehr“, dann bedeutet das ein Ende der Sache.

Ach, jene, zu denen Jeremia sprach, lehnten die Belehrung ab und beachteten nicht die Warnungen des Herrn. Jeremia ist der Grund dafür nicht unbekannt. Er sagt: „Ihr habt um den Preis eurer Seelen geirrt“ (V. 20). Der Eigenwille, der entschlossen war, einen bestimmten Weg zu gehen, täuschte sie. Nichts wird das Verständnis so beeinflussen und das Erfassen der Wahrheit so behindern wie der Eigenwille. Er will nicht sehen, was er nicht zu sehen wünscht. Und wie immer, war hinter dem Eigenwillen Hochmut verborgen, der nicht zugeben wollte, daß sie unrecht hatten, denn wir lesen, daß „alle frechen Männer“ zu Jeremia kamen und sagten: „Du redest Lügen! Jehova, unser Gott, hat dich nicht gesandt und gesagt: Ihr sollt nicht nach Ägypten ziehen, um euch daselbst aufzuhalten“ (Kap. 43,2).

Darüber hinaus sagen sie zu Jeremia, daß er nicht durch das Wort Jehovas geleitet werde, sondern lediglich eines Menschen Wort wiedergäbe. Sie sagen praktisch: „Wir haben dich um das Wort Jehovas gebeten, und du hast uns einfach nur gesagt, was Baruk gesprochen hat, und wenn wir dem folgen, was du sagst, wird es uns alle nur in die Knechtschaft bringen“ (Jer 43,1-3).

So wenden sie sich, in ihren Herzen durch Eigenwillen und Hochmut betrogen, von der Belehrung des Herrn ab und verfehlen ihren Weg. Sie verlassen Gottes Boden für Sein Volk, wählen einen Weg nach eigenem Gutdünken und sehen „diesen Ort nicht mehr“.

Erkennen wir „den Weg … auf welchem wir gehen und die Sache, die wir tun sollen“! Laßt uns dem Worte des Herrn gehorchen und „in diesem Lande bleiben“! Laßt uns Seine Warnung beachten, damit wir nicht, indem wir uns einem anderen Wege zuwenden, auch „diesen Ort nicht mehr sehen“! H.S.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1984, Seite 271

Bibelstellen: Jer 42; Jer 43, 1-7

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