Der verlorenen Sohn
(Schluß v. S. 271)
Bekehrung, Buße und Bekenntnis
Dieses Sich-Aufmachen und Zum-Vater-Gehen ist das, was die Schrift an vielen Stellen Bekehrung nennt „So tut nun Buße und bekehret euch, daß eure Sünden ausgetilgt werden“, sagt Petrus seinen jüdischen Landsleuten (Apostg. 3,19). Auch der Apostel Paulus verkündigte den Menschen, „Buße zu tun und sich zu Gott zu bekehren, indem sie der Buße würdige Werke vollbrächten“ (Apostg. 26,20). Man bekehrt sich von etwas zu etwas:
„… auf daß sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott, auf daß sie Vergebung der Sünden empfangen“ (Apostg. 26,18).
„… wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt, dem lebendigen und wahren Gott zu dienen“ (1. Thes 1,9).
Diesen Grundsatz sehen wir in der Geschichte des verlorenen Sohnes sehr einprägsam vorgestellt. Bisher hatte er seinem Vater den Rücken zugewandt, und sein Angesicht war vom Vater abgewandt und den Dingen m der Welt zugewandt gewesen. Jetzt aber wendet er sich von der Welt ab, und sein Angesicht ist zu dem Vater gerichtet. Er hat den Vater noch nicht, er weiß noch nicht, wie er ihn aufnehmen werde, d. h. er hat noch keinen Frieden, aber er will zu ihm gehen. „Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater.“ Das ist Bekehrung.
Mit der Bekehrung geht, wenn sie echt ist, immer die Buße einher. Buße meint nicht Bußübungen. Buße ist eine Änderung der Gesinnung (das griechische Wort metanoia bedeutet wörtlich „der Sinn danach“), und sie wird stets von einer gottgemäßen Betrübnis der Seele über den eigenen Zustand und die eigenen Wege begleitet. So lesen wir: „Denn die Betrübnis Gott gemäß bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil“ (2. Kor 7,10). Man ändert also nicht einfach rein verstandesmäßig seinen Sinn, wie man ein Hemd wechselt, sondern man schämt sich über sich selbst, schämt sich darüber, daß man Gott so tief verunehrt hat.
Diese Betrübnis der Seele führt ganz natürlich zu einem Bekenntnis der Sünde vor Gott: „… und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen; mache mich wie einen deiner Tagelöhner.“ Wie schwer fällt es dem Menschen, solch ein Bekenntnis abzulegen! Wie lange dauert es oft, wieviel bittere Erfahrungen müssen erst gemacht werden, ehe man endlich dahin kommt, den Stab über sich zu brechen und seine Schuld zuzugeben!
Doch der Weg zum Heil führt über das Bekenntnis der Schuld, es ist der Buße würdige Frucht.
„Als ich schwieg“, mußte David bekennen, „verzehrten sich meine Gebeine durch mein Gestöhn den ganzen Tag … ich tat dir kund meine Sünde und habe meine Ungerechtigkeit nicht zugedeckt. Ich sagte: Ich will Jehova meine Übertretungen bekennen; und du, du hast vergeben die Ungerechtigkeit meiner Sünde“ (Ps 32,3. 5)
„Mit dem Munde wird bekannt zum Heil“ (Röm 10,10), sagt der Geist Gottes durch einen anderen Gottesmann, durch Paulus. Und wie kostbar und zuverlässig ist die Zusage Gottes, die wir im ersten Brief des Johannes finden: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (Kapitel 1,9)! Wir wollen festhalten: Auf das Bekenntnis der Sünden folgt Vergebung der Sünden, aller Sünden. Gott ist sogar treu und gerecht, wenn Er die Sünden vergibt.
Gewiß enthält das Bekenntnis des Sohnes manches, was wir mit Recht beanstanden könnten, aber es war ein echtes Bekenntnis, ein Beweis des Glaubens und des neuen Lebens, und der Vater nahm es an. Das sollte jeden bußfertigen Menschen ermuntern. Sehr tief gingen die Gefühle des Sohnes noch nicht; denn er war tatsächlich nicht nur nicht mehr würdig, sein Sohn genannt zu werden, sondern er hatte es verdient, für immer vom Haus des Vaters getrennt zu bleiben und in die äußere Finsternis geworfen zu werden. Dazu noch war er „würdig“, zu nichts anderem.
Auch macht sein Zusatz: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner“ deutlich, daß er in gewissem Maß noch von einem gesetzlichen Geist erfüllt war, weil er weder sich noch seinen Vater und dessen Liebe in Wahrheit kannte. Er war weder ganz mit sich zu Ende, noch war er dahin gekommen zu erkennen, daß es nur Gnade, nichts als Gnade sein mußte, die ihm begegnen mußte und helfen konnte. Aber im Grunde seines Herzens war, wie schwach auch immer, ein echtes Bewußtsein seiner Sünde und Schuld vorhanden; und da er auf die Güte des Vaters vertraute, machte er sich auf, um mit dem Bekenntnis seiner Schuld vor seinen Vater zu kommen.
Die überschwengliche Gnade Gottes
„Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küßte ihn sehr“ (Vers 20).
Es heißt nicht von dem Sohn, daß er „lief“. Zögernd mochte vielmehr sein Schritt gewesen sein, als er nun zu seinem Vater ging. Ungewißheit und Beschämung mochten sich in seine Hoffnung gemischt und seine Schritte verlangsamt haben.
Aber der Vater „lief“, lief hin zu seinem Sohn, der da in Lumpen zu ihm kam. Er hatte ihn schon gesehen, als er noch ferne war. Offenbar hatte er längst auf ihn gewartet. Der elende Zustand seines heruntergekommenen Sohnes gab ihm nur Veranlassung, über ihn innerlich bewegt zu sein. Kein Groll, kein Zürnen, nicht einmal ein zarter Vorwurf! „Der nichts vorwirft“ – wunderbare Gnade Gottes! Nein, der Vater wirft dem Sohn nicht das Geringste vor, sondern fällt ihm in seinen Lumpen um den Hals und küßt ihn sehr. Er nimmt ihn so an, wie er ist, und er liebt ihn trotz alledem.
Wunderbare Gnade und Liebe Gottes, die hier vorgeschaltet werden! Gott ist „reich an Barmherzigkeit wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat“ (Eph 2,4). Diese Liebe Gottes gegen uns erweist sich darin, „daß Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“ (Röm 5,8). Wir werden hier unwillkürlich an die kostbaren Worte in Römer 5,20 erinnert: „Wo aber die Sünde überströmend geworden, ist die Gnade noch überschwenglicher geworden.“ Es ist eine unermeßliche Wahrheit, die wir wohl nie ganz fassen können, die wir aber glauben dürfen: GOTT IST FÜR UNS (Röm 8,31). Daß Gott bei all Seiner Gnade auch gerecht ist, zeigen uns andere Stellen des Neuen Testamentes.
Beachten wir: Ehe der Sohn sein Bekenntnis, das er sich vorgenommen hatte, ablegen konnte, fiel ihm sein Vater um den Hals und küßte ihn sehr. Das ist wahrlich unverdiente Liebe – Gnade! Aber nun macht der Sohn seinem Gewissen Luft: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen.“ Fällt uns auf, daß er die Worte: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner“ nicht ausspricht? Hätte er sie angesichts solcher Liebe über die Lippen bringen können? Unmöglich! Es wäre eine Geringschätzung der Liebe seines Vaters gewesen.
Daß wir das doch von Herzen lernten: Gott handelt mit uns aus der Liebe Seines Herzens heraus, weil Er Liebe ist, nicht weil wir liebenswert sind! Wir meinen oft, Gott müsse nach dem handeln, was wir von Ihm verstehen, was wir über Ihn fühlen. Und wenn wir an unsere Armseligkeit denken, dann sagen wir wohl: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner.“ Das sieht so demütig aus, schränkt aber die Größe Gottes in Seiner Liebe auf unerträgliche Weise ein. Die Menschen, selbst wahre Kinder Gottes, haben oft Schwierigkeiten mit der Gnade Gottes, weil sie einen gesetzlichen Boden einnehmen und so von sich selbst auf Gott und Sein Handeln schließen. So wären beispielsweise viele aufrichtige Christen durchaus mit einem „Eckchen im Himmel“ zufrieden, mit irgendeinem kleinen, bescheidenen Platz dort. Wer aber so denkt, kennt Gott noch nicht, weiß noch nicht, was Seine Liebe wirklich ist. Gott handelt aus dem heraus, was Er fühlt und denkt, ja was Er ist. Entspricht ein „kleines Eckchen im Himmel“ der Überschwenglichkeit Seiner Gnade, Seiner Liebe? Würde solch ein bescheidener, um nicht zu sagen, minderwertiger Platz nicht ein beständiges Zeugnis gegen Seine Liebe sein, wie es auch der Fall gewesen wäre, hätte der Vater seinen zurückgekehrten Sohn zu einem seiner Tagelöhner gemacht?
Die Freude Gottes
„Der Vater aber sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid her und ziehet es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße; und bringet das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasset uns essen und fröhlich sein; denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein“ (Verse 22-24).
Es ist die Freude Gottes, den Sünder zurückzuführen und aufzunehmen. Es ist Seine Freude, ihm alle seine Sünden zu vergeben. Gewiß, der Sünder hat die Vergebung der Sünden nötig; und hat er sie durch den Glauben an Christus und Sein Werk erlangt, hat er aller Grund, sich zu freuen. Hier aber geht es nicht so sehr um die Freude des Sünders, sondern um die Freude Gottes selbst. „Es geziemte sich aber, fröhlich zu sein“, lesen wir ein wenig später. Der Vater selbst ist es, der sich freut, und er freut sich mit seinen Knechten. Die Rückkehr de verlorenen Sohnes bewirkt nicht nur Freude im Himmel sondern auch auf der Erde, im Haus des Vaters. Denn wir müssen diese Szene nicht in den Himmel verlegen. Sie ist nicht eine Bild davon, was wir im Himmel erleben werden. Vielmehr ist es der Geist des Himmels, wenn wir so sagen dürfen, den wir schon hier auf Erden atmen dürfen und der in Anbetung mündet. Es ist die Freude Gottes, uns in Seiner Gegenwart zu haben und uns an Seiner Freude teilnehmen zu lassen.
Wie wenig sind wir Christen oft in der Lage, uns zu diesen Gedanken zu erheben! Wir sind viel mit dem beschäftigt, was wir waren und was wir jetzt durch die Gnade sind. Schon recht! Auch das Bekenntnis des Söhnet war recht. Aber dann verschloß ihm die Liebe des Vaters den Mund weiterzureden, und ER tritt in den Vordergrund, ER redet und handelt. Er redet nicht zu dem Sohn, sondern zu seinen Knechten: „Bringet das beste Kleid her und ziehet es ihm an.“ Es ist des Vaters Freude zu geben, im Übermaß zu geben. Nichts ist jetzt für den zurückgekehrten Sohn zu gut. Das beste Kleid, ein Ring, Sandalen – alles wurde, wie wir gleich noch sehen werden, für den hergebracht, der noch draußen, außerhalb des Hauses war – dort, wo sein Vater mit ihm zusammengetroffen war.
Das ist ohne Frage sehr bedeutsam. Der Vater ließ nicht zuerst das beste Kleid bringen, um ihm dann um den Hals zu fallen und ihn zu küssen. Nein, er lief ihm entgegen und küßte ihn, als er noch in seinen Lumpen war. So steht die Gnade und das Herz Gottes dem bußfertigen Sünder vollkommen offen, keinerlei Vorleistungen werden erwartet. Ach, daß doch jeder Leser dieser Zeilen in die offenen Arme des „Vaters“ fliehen möchte – an Sein Herz! Und daß er es jetzt, augenblicklich, täte! Dann würde auch er vorbehaltlos angenommen, würde im weiteren auch das erleben, was im Vorbild dem verlorenen, aber wiedergefundenen Sohn nun geschah.
Im Hause des Vaters
Dieselbe Liebe, die den verlorenen Sohn in seinem elenden Zustand aufnahm, bringt ihn nun in das Haus des Vaters. Aber dazu muß etwas geschehen: „Bringet das beste Kleid her und ziehet es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße.“
Jetzt, da es nicht allein um die Annahme, um die Vergebung der Sünden geht; jetzt, da der Sohn in das Haus des Vaters, d. h. in die innige Gemeinschaft mit ihm und seinem Haushalt, gebracht werden soll, muß er mit dem besten Kleid, das der Vater für ihn hat, bekleidet werden.
Dieses beste Kleid hatte der Sohn zuvor nie getragen; es ist, ebenso wie der Ring und die Sandalen, die nur die Kinder des Hauses trugen, ein Zeugnis von der Beziehung der Gnade, in die er nun eingeführt ist. Nicht als Knecht soll er in dem Hause des Vaters sein: Es wäre eine beständige Erinnerung an seine Sünde gewesen. Nein, als Sohn soll er dort sein. Er soll in dem Haus des Vaters ein beständiges Zeugnis davon sein, was der Vater in seiner Liebe und Gnade ist, was er über seinen wiedergefundenen Sohn denkt und welche Freude es für ihn ist, ihn so zu ehren.
Wunderbare Gnade Gottes! Sie bekleidet uns mit Christus. Sie befreit uns nicht nur von unseren Lumpen, sondern sie zieht uns Christus an. Das beste Kleid, das Gott für uns hat, ist Sein eigener Sohn, ist Christus, den Er für Sünder in den Tod gab. Gott hat uns nicht nur um des Namens Seines Sohnes willen die Sünden vergeben (1. Joh 2,12), sondern wir sind auch in Ihm „Gottes Gerechtigkeit“ geworden (2. Kor 5,21). Das sind in der Tat unermeßliche Wahrheiten, und sie haben – laßt uns das beachten! – letztendlich die Verherrlichung Seines Sohnes zum Ziel.
Aber das ist noch nicht alles, ist noch nicht genug. „Bringet das gemästete Kalb her und schlachtet es und lasset uns essen und fröhlich sein.“ Auch das gemästete Kalb ist ein Bild von Christus – als der Speise Seines Volkes. Gott hat Seine tiefe Freude an der Person und dem Opfer Seines Sohnes, unseres Herrn; und wir sind gewürdigt, schon jetzt diese Freude mit Ihm zu teilen. Das wird uns hier in den Worten „Lasset uns essen und fröhlich sein“ vorgebildet.
Natürlich ist die Freude des Vaters an Seinem Sohne Jesus Christus vollkommen; die unsrige ist, was ihren praktischen Genuß angeht, sehr mangelhaft. Doch dem Grundsatz nach ist es dieselbe Freude: die Freude des Vaters über den Sohn. Das ist in der Tat Gemeinschaft, deren wir uns im Haus des Vaters, dem Bereich der Segnungen, in den wir durch die Gnade Gottes gekommen sind, erfreuen dürfen. „Und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesus Christus“, und der Apostel Johannes fügt hinzu: „Und dies schreiben wir euch, auf daß eure Freude völlig sei“ (1. Joh 3. 4). Auch in unserem Gleichnis ist das Ergebnis der Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohne Freude: „Und sie fingen an, fröhlich zu sein.“ Es ist eine gemeinsame Freude, es ist die Freude der Gemeinschaft.
Von dieser Freude hören wir, daß sie begann; aber wir hören nichts von ihrem Ende. Wir erfahren den Anlaß für diese Freude und den Zeitpunkt ihres Beginns, aber mehr wird uns darüber nicht gesagt. Es ist, als wollte es der Herr unserem Glauben und geistlichen Verständnis überlassen, die Schlußfolgerung zu ziehen, daß sie nie enden wird. Tatsächlich wird sie nie enden. Sie wird ihre volle Erfüllung im Himmel finden, wenn wir das „Lamm wie geschlachtet“ sehen und anbeten werden (Offb. 5).
ChB
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