Joseph

Kapitel 5: Die Jahre der Hungersnot (1. Mo 41,53-57; 42)

Wir haben Josephs Weg bis zu seiner Erhöhung und Macht verfolgt und gesehen, wie er diese Macht in den Jahren des Überflusses gebrauchte. Aber „es endigten die sieben Jahre des Überflusses, der im Lande Ägypten gewesen war; und die sieben Jahre der Hungersnot begannen zu kommen“ (V. 53. 54). Wie wird Joseph in den Jahren der Hungersnot handeln? Seine Brüder hatten ihn in die Grube geworfen, und die Heiden hatten ihn ins Gefängnis gesteckt. Wird Joseph die höchste Not der Welt und den Mangel seiner Brüder als Gelegenheit benutzen, um seine Macht zu gebrauchen und Rache zu üben? Der natürliche Mensch mag so handeln, aber die Gnade wird einen anderen Weg gehen. Joseph wird seine Stellung der Überlegenheit und Macht zum allgemeinen Segen benutzen. Aber wenn er auch Gnade zeigt, so wird er doch Gerechtigkeit aufrechterhalten. Deshalb müssen die Heiden um Brot schreien und sich Joseph unterwerfen, bevor der Segen auf sie kommt. So muß ebenfalls bei den Brüdern Josephs die Reue dem Segen vorangehen.

Gewecktes Bedürfnis

In den Tagen des Überflusses beachtete die Welt Joseph kaum. Von seinen Brüdern hören wir nichts, sie waren ihm gegenüber völlig gleichgültig. Als jedoch die Hungersnot einsetzt, wird das Bedürfnis geweckt: „Das ganze Land Ägypten hungerte“ (V. 55), und Jakob und seine Söhne stehen dem Hunger und dem Tod gegenüber (Kap. 42,12). Die Not ruft einen Schrei nach Brot hervor; aber die Heiden müssen lernen, und die Brüder müssen entdecken, daß niemand der Not begegnen kann außer dem einen, den sie einst verachtet und verworfen haben. Den Ägyptern wird gesagt: „Gehet zu Joseph“ (Kap. 41,55), und die Brüder müssen sich vor ihm niederbeugen mit dem Antlitz zur Erde (Kap. 42,6). Der einst verworfene, aber nun erhöhte Mann ist die einzige Zuflucht, sowohl für heidnische Völker als auch für Jakob und seine Söhne.

Die einzige Zuflucht

All das spricht jedoch deutlich von zukünftigen Dingen. „Die Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, welche auf der Erde wohnen“ (Offb. 3,10), steht nahe bevor. Für den Juden kommt bald die Zeit, wo große Drangsal sein wird, „dergleichen von Anfang der Welt. .. nicht gewesen ist“ (Mt 24,21). „Wehe“, sagt der Prophet Jeremia, „denn groß ist jener Tag, ohnegleichen, und es ist eine Zeit der Drangsal für Jakob“ (Jer 30,7). Und an jenem Tag beispielloser Prüfung wird die einzige Zuflucht der verherrlichte Christus sein, der in den Tagen Seiner Erniedrigung von Juden und Nationen verworfen und gekreuzigt wurde.

Die Getreidehäuser des Segens

Sowohl Juden als Nationen werden durch tiefe Trübsal gehen in ihrem Bestreben, Wohlstand und Frieden in einer Welt zu schaffen, von der Gott und Sein Christus ausgeschlossen sind. Aber erst wenn der Heide sich Christus als dem König der Könige und Herrn der Herren unterwirft und der Jude endlich bekennt: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn“ (Mt 23,39), wird die Zeit des Segens gekommen sein. Dann wird der verherrlichte Christus wie zuvor Joseph alle Seine „Getreidehäuser des Segens“ öffnen.

Tiefere Drangsal

In der Geschichte Josephs gibt es jedoch einen großen Unterschied zwischen der Behandlung, die er den Heiden zukommen läßt, und seinem Umgang mit seinen Brüdern. Die Heiden müssen ihre Not wirklich erfahren und sich Joseph unterwerfen, bevor die Getreidehäuser des Segens geöffnet werden. Die Schuld der Brüder war jedoch viel größer als die der Heiden, und die Übungen, die sie zur Buße führen, müssen entsprechend tiefer sein, ehe sie den Segen empfangen.

Und so zeigt die Schrift ganz deutlich, daß die Juden wegen ihrer größeren Schuld – sie haben ihren eigenen Messias gekreuzigt – durch viel tiefere Drangsal gehen müssen als die Nationen, ehe sie den tausendjährigen Segen unter Christus empfangen werden.

Tiefere Übungen

Diese tieferen Übungen der Juden werden durch Josephs Umgang mit seinen Brüdern vorgeschaltet, wie es in den folgenden Abschnitten ausführlich dargestellt ist. Unter dem Druck der Hungersnot muß Jakob zu seinen Söhnen sagen: „Was sehet ihr einander an?“ (Kap. 42,1). Sie sind in einem hoffnungslosen Zustand, und sie erkennen soviel, daß sie sich gegenseitig nicht helfen können. Wenn Hilfe kommen sollte, dann konnte sie nur von außen kommen, nicht von ihnen selbst. Deshalb kommen die zehn Brüder nach Ägypten und zeigen sich Joseph.

Veränderte Umstände

Es gab eine Zeit, da war Joseph ein schwacher und hilfloser Jüngling in den Händen seiner älteren Brüder. Was konnte ein Jüngling in der Gewalt von zehn Männern tun? Und in jenen längst zurückliegenden Tagen zögerten diese nicht, ihre Macht zu gebrauchen, um den Haß und Neid zu befriedigen, der ihre Herzen füllte. Zwanzig Jahre sind vergangen; die Umstände haben sich geändert; Joseph ist erhöht; seine Brüder beugen sich vor ihm nieder – zehn hilflose, notleidende Männer. Was können zehn Fremde in der Gegenwart des allmächtigen Herrschers von Ägypten tun? Die Zeit der Erniedrigung ist vergangen, der Tag der Macht ist gekommen. Wie wird Joseph seine Macht gebrauchen? Wird er seine Brüder zu harter Knechtschaft verdammen, so wie er durch ihre Hand Knechtschaft erdulden mußte? Die menschliche Natur mag so handeln, die Rache mag Freude daran finden, und das Recht mag dafür plädieren. Die menschliche Natur könnte auch ganz anders handeln: Joseph könnte großzügig reagieren und die Sünde seiner Brüder völlig übersehen, so wie einst Esau als natürlicher Mensch das Unrecht seines Bruders übersah. Die menschliche Natur kann oft in leichtfertigerweise davon reden, die Vergangenheit ruhen zu lassen mit dem Ziel, sich selbst dadurch hervorzutun, daß man Großzügigkeit zeigt. Joseph wird jedoch einen anderen Weg einschlagen. Das Verhalten, das in den Augen des natürlichen Menschen so lobenswert erscheint, ist für den Menschen, der Gott fürchtet, ohne Anziehungskraft.

Geleitet durch Liebe

Das war das Geheimnis von Josephs Leben. Durch alle Wechselfälle seines Lebens von der Jugend bis ins hohe Alter wurde er nicht von Geboten der Natur geleitet, sondern von der heiligen Furcht Gottes. Dadurch kann er in der Gegenwart seiner Brüder sagen: „Ich fürchte Gott“ (V. 18). Das ist die geheime Quelle all seines Tuns. Seine Gedanken, seine Worte, seine Wege werden von der Furcht Gottes beherrscht. Die Natur klammert Gott aus und denkt nur daran, sich selbst zu rechtfertigen, zu befriedigen oder zu erhöhen. Der Glaube denkt an Gott und an das, was Ihm wohlgefällig und gebührend ist. Joseph trachtete danach, Gott wohlgefällig zu dienen „mit Frömmigkeit und Furcht“ (Heb 12,28). Am Tag seiner Versuchung wurde er vor dem Pfad des Bösen durch die Furcht Gottes bewahrt, denn er konnte sagen: „Wie sollte ich dieses große Übel tun und wider Gott sündigen?“ (Kap. 39,9). In den Tagen seiner Erhöhung wird er durch die Furcht Gottes davor bewahrt, an seinen Brüdern Rache zu üben. Weder die Leiden in seiner Erniedrigung noch die Herrlichkeiten in seiner Erhöhung konnten seine Seele von der Furcht Gottes abbewegen. Er wußte, sowohl erniedrigt zu sein als auch Überfluß zu haben. Mochten die Umstände widrig oder günstig sein, immer stellte er Gott zwischen sich und seine Umstände. So geht er in der Furcht Gottes den Weg Gottes mit seinen Brüdern, und dies war ein Weg der Liebe, jedoch nicht einfach menschlicher Liebe, die oft schwach ist und nachläßt, so wie Menschen sagen: „Liebe macht blind.“ Göttliche Liebe mit ihrem klaren Blick ist nicht blind für die Fehler in den Gegenständen der Liebe, sondern beginnt vielmehr – indem sie alles, was ihr selbst entgegen ist, wahrnimmt -, jeden Fehler zu entfernen, um schließlich mit Befriedigung auf die Seinen blicken zu können.

Die Liebe erkennt

Die Liebe ist auch schnell im Erkennen. Viele Menschen aus den umliegenden Völkern wurden durch die Not getrieben, zu Joseph zu gehen, aber gerade als diese zehn Männer vor ihm erscheinen, erkennt die Liebe, daß es seine Brüder sind. Wir lesen: „Und Joseph sah seine Brüder“ (V. 7). Zwanzig Jahre lang hatte er sie nicht gesehen, aber die Liebe erkennt sofort in jenen zehn bedürftigen Männern die Brüder, von denen er so lange getrennt war. Und die Liebe „erkannte sie“. „Und Joseph erkannte seine Brüder; sie aber erkannten ihn nicht“ (V. 8). Die Liebe erkannte ihre Vergangenheit und die gegenwärtige Not, die sie zu ihm führte.

Die Liebe erinnert sich

Die Liebe erkannte, weil die Liebe sich erinnert. „Und Joseph gedachte der Träume, die er von ihnen gehabt hatte“ (V. 9). Die Träume in der Vergangenheit, die mit Zorn und Verachtung von den Brüdern aufgenommen worden waren, die Behandlung, die sie ihn erfahren ließen – all dessen wird gedacht; jedoch von einem, der sie liebt; denn, als Joseph zu ihnen spricht, wandte er sich von ihnen ab (V. 24). Die Zeit wird kommen, wenn alle Empfindungen Josephs ohne Zurückhaltung fließen werden und er vor ihnen weinen wird. Aber ehe jener Moment kommt, hat er andere Aufgaben zu tun. Die Liebe wird sich selbst einsetzen, um ihre Herzen zu gewinnen und sie in der Gegenwart des einen, gegen den sie so schwer gesündigt hatten, in völlige Ruhe zu bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Liebe eine Möglichkeit finden, um in Gerechtigkeit jeden Fleck in der Vergangenheit auszulöschen, damit, wenn alle Fragen völlig geklärt sind, nichts die Wirkungen der Liebe zwischen Joseph und seinen Brüdern hindern kann. Es gibt jedoch nur eine Möglichkeit, durch die das Herz in der Gegenwart dessen, der beleidigt wurde, in völlige Ruhe gebracht werden kann: Alles muß ans Licht gebracht und vollständig bekannt werden. Das schlummernde Gewissen muß geweckt und die Sünden ins Gedächtnis zurückgerufen und bekannt werden. Nur über das Gewissen kann das Herz erreicht und erleichtert werden. Getrieben von Liebe setzt sich Joseph selbst ein, um ihr Gewissen zu erreichen. „Er stellte sich fremd gegen sie und redete hart mit ihnen“ (V. 7).

Gewinnende Liebe

In derselben Weise stellte Christus sich „fremd“, als eine Frau aus den Nationen durch ihre Not in Seine Gegenwart getrieben wird und Schweigen antrifft, denn wir lesen: „Er aber antwortete ihr nicht ein Wort“ (Mt 15,23). Und als Er spricht, sind es in diesem Moment nicht harte Worte, die sie hören muß? Aber wir wissen, daß dies der Weg vollkommener Liebe war, der zum Segen führte. So wird sich Christus auch in Seinem künftigen Umgang mit den Juden fremd stellen, wenn Er nach den Worten des Propheten sagen wird: „Ich will deinen Weg mit Dornen verzäunen, und ich will ihr eine Mauer errichten, daß sie ihre Pfade nicht finden soll“ und: „Darum werde ich mein Korn zurücknehmen zu seiner Zeit“ (Hos 2,6. 9). Der Herr wird eine Hungersnot über die Juden bringen, um sie in die Wüste zu führen, wo sie außer Gott keine Hilfsquellen haben. An jenem öden Ort kann der Herr sagen: „Ich werde … ihr zum Herzen reden“ (Hos 2,14).

Prüfende Liebe

Die Brüder beteuern, daß ihre Not sie nach Ägypten führt. „Deine Knechte sind gekommen, um Speise zu kaufen“ (V. 10). Sie sind tatsächlich zur richtigen Person gekommen, aber der Plan und der moralische Anspruch waren falsch. Ihr Plan ist, zu kaufen, und ihr Anspruch oder ihre Verteidigung: „Wir sind redlich“ (V. 11). Bis jetzt kennen sie weder die Liebe im Herzen Josephs noch das Böse in ihren eigenen Herzen. Sie müssen lernen, daß Joseph zu reich ist, den Seinen etwas zu verkaufen, und daß sie in sich selbst nichts zu ihrer Verteidigung oder Entschuldigung haben. Mit ihrem Geld können sie kein Korn kaufen, und einen Vorzug, wodurch sie es beanspruchen könnten, haben sie nicht. Sie müssen lernen, daß Joseph zwar bereit ist, ihnen jeden Segen zu schenken, aber daß sie jeden Anspruch bei ihm verwirkt haben. Liebe gibt, wenn Unwürdige nichts vorbringen können.

Die Liebe im Herzen Josephs schließt jeden bloßen Tausch aus und die Bosheit ihrer Herzen jeden Anspruch auf einen Vorzug. Wenn sie denken, sie seien redlich, so wird Joseph sie prüfen.

Lehrende Liebe

Des weiteren müssen Josephs Brüder lernen, daß ihre ganze Segnung von dem Mann abhängt, von dem sie sagen, er „ist nicht mehr“ (V. 13). Sie sagen, wie es war: „Wir haben ihn seit zwanzig Jahren nicht gesehen; er ist aus unserem Leben getreten. So weit wir wissen, ist er nicht mehr.“ So werden auch an einem noch bevorstehenden Tag die Juden lernen müssen, daß alle ihre Segnungen von dem Einen abhängen, den sie für nichts geachtet haben. „Dieser ist der Stein, der von euch, den Bauleuten, für nichts geachtet, der zum Eckstein geworden ist. Und es ist in keinem anderen das Heil, denn auch kein anderer Name ist unter dem Himmel, der unter den Menschen gegeben ist, in welchem wir errettet werden müssen“ (Apg 4,11. 12).

Überführende Liebe

Die Brüder haben sich durch ihre eigene Rede verurteilt. Sie beteuern, daß sie redlich seien, und im selben Atemzug sagen sie: „Der eine ist nicht mehr“ (V. 13), obwohl sie genau wissen, daß es ausschließlich ihrer Bosheit zuzuschreiben ist, wenn Joseph für sie nicht mehr existierte. Sie stehen in der Gegenwart dessen, den sie mit unbußfertigem Herzen verwarfen, und beteuern sogar noch, daß sie rechtschaffene Männer seien. Joseph tut nun den ersten Schritt, um sie von ihrer Sünde zu überführen, indem er sie gefangensetzt. Die Angst, das Leben zu verlieren, hatte sie nach Ägypten gebracht, mit dem Ergebnis, daß sie nun ihre Freiheit verlieren. Sie müssen drei Tage im Gefängnis bleiben, damit sie bis zu einem gewissen Grad lernen, was ihre Sünden wert sind. Daß Joseph ins Gefängnis geworfen wurde, war ungerecht, aber in ihrem Fall war es eine gerechte Verurteilung. Als Folge davon beginnt das Gewissen zu arbeiten, denn sie sagen: „Fürwahr, wir sind schuldig wegen unseres Bruders“ (V. 21). Das Gewissen bringt ihre gegenwärtige Not in Verbindung mit ihrer Sünde in der Vergangenheit. So hat das Gefängnis seinen Zweck erfüllt. Sie sagen nicht nur: „Fürwahr, wir sind schuldig“, sondern: „Fürwahr, wir sind schuldig wegen unseres Bruders.“ Wir sahen seine Seelenangst, aber wir verhärteten unsere Herzen. Er flehte zu uns, aber wir verschlossen unsere Ohren vor seinen Bitten. „Darum ist diese Drangsal über uns gekommen“ (V. 21). Folgerichtig verbinden sie ihre gegenwärtige Not mit der Sünde vor zwanzig Jahren.

Weinende Liebe

Aber das Erwachen des Gewissens, so gut es auch ist, gestehen sie sich zunächst nur untereinander ein. Aber wenn sie jemals in der Gegenwart Josephs glücklich sein wollen, muß alles vor ihm offenbar werden. Deshalb wird Joseph seine Hand auf ihnen belassen. Simeon wird vor ihren Augen gebunden – aber es ist Liebe, die die Fesseln um Simeon bindet, denn bevor er dies tut, muß er sich abwenden, um zu weinen. Die Fesseln, die ihn banden, waren Bande der Liebe.

Ferner ordnet er an, ihre Gefäße mit Getreide zu füllen. Er weiß wohl um ihre Nöte und gewährt deshalb ein gewisses Maß an Erleichterung; dennoch wird Simeon gefangengehalten. Und in der Weise, wie Joseph ihren Bedürfnissen begegnet, führt er seine Brüder zu einer weiteren Etappe ihrer Wiederherstellung, denn während er sie mit Getreide versorgt, gibt er jedem sein Geld zurück. Hätten sie Augen, um zu sehen, würden sie darin Joseph als einen Geber erkennen. Aber in ihrem Zustand erwecken Geschenke nur noch tiefere Furcht. Als sie ihr Geld entdecken, sinkt ihnen der Mut. „Was hat Gott uns da getan?“ (V. 28). Sie haben sich ihrer Sünde erinnert, nun sehen sie, daß Gott mit ihnen handelt. Die Furcht Gottes steigt in ihren Seelen auf. Allerdings nicht diese heilige Furcht, die Joseph kennzeichnete. Sie fürchteten Ihn, weil sie Missetäter waren; er fürchtete Ihn, damit er nicht gegen Ihn sündigte. Auch als sie zu Jakob zurückgekehrt waren und jeder sein Geld in seinem Sack findet, fürchteten sie sich (V. 35). Die Güte Josephs sollte ihre Herzen erfreut haben, aber sie sind unglücklich und furchtsam in der Gegenwart von Güte, die sie – wie ihnen ihr schuldiges Gewissen sagt – nicht verdient haben.

Falsch verstandene Liebe

Jakob ist nicht schuldig wie seine Söhne, aber sein schwacher Glaube kann kein Zeichen der Hand Gottes in all diesen Umständen sehen. Als er die Geschichte von den Erlebnissen seiner Söhne hört, kann er nur sagen: „Dies alles kommt über mich“ (Fußnote: „Ist wider mich“; V. 36). Wie anders ist die Sprache der Liebe, die sagen kann, daß „denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken“ (Röm 8,28). Genau die Dinge, die seinem Blick und seiner Natur entgegen waren, waren die Mittel, die Gott benutzte, um ihn zu segnen: „Joseph ist nicht mehr, und Simeon ist nicht mehr; und Benjamin wollt ihr nehmen!“ (V. 36). Dies sind die Dinge, die für ihn waren. Joseph, verloren für seinen Vater, verworfen und verkauft, eingekerkert und erhöht, Simeon gefangengehalten, Benjamin von seinem Vater weggenommen: all das waren Etappen auf dem Weg zum Segen und von Gott benutzte Mittel, um Joseph seinem Vater zurückzugeben und Jakob und seine Söhne reicher zu segnen. Jedoch sagt Jakob zu seinen Söhnen: Ihr werdet „mein graues Haar mit Kummer hinabbringen in den Scheel“ (V. 38). In genau dem Augenblick, in dem Jakob für die Zukunft nichts sehen konnte als Kummer und den Scheol, war Gott dabei, ihm Freude und Segen zu bringen. Wäre Jakob in der Lage gewesen, an seiner Absicht festzuhalten, hätte er die Segenswege Gottes durchkreuzt, da Jakob sagt: „Mein Sohn soll nicht mit euch hinabziehen“ (V. 38).

(Wird fortgesetzt) H.S.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1987, Seite 245

Bibelstellen: 1Mo 41, 53-57; 1Mo 42

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