Joseph

Kapitel 3: Leidend und gestärkt (1. Mo 39-40)

Die bisher betrachtete Geschichte Josephs zeigt uns im Vorbild die Verwerfung des Christus durch die Juden. Die weitere Geschichte, die uns von den Erfahrungen Josephs in der Hand der Ägypter berichtet, spricht von der Verwerfung Christi durch die Nationen. Durch die Hand seiner Brüder wird Joseph der Grube übergeben, durch die Nationen ins Gefängnis geworfen. Wir benötigen beide Bilder, um die Wahrheit angemessen vorzustellen, denn das Kommen des Sohnes Gottes in die Welt kann nicht auf die Juden beschränkt werden. Es ist wahr, daß Er von dem Vater zu den Seinen gesandt wurde, aber es ist ebenso wahr, daß Er kam, damit die Welt durch Ihn errettet werde. Ach, Er wurde von beiden, Juden und Nationen abgelehnt; „Er war in der Welt…, und die Welt kannte ihn nicht. Er kam in das Seinige, und die Seinigen nahmen ihn nicht an“ (Joh 1,10. 11).

Zweifache Leiden

Wenn auch beide, Juden und Nationen, sich in der Ablehnung Christi vereinten, gab es doch einen Unterschied in der Weise, wie sie Ihn behandelten – einen Unterschied, der durch die Geschichte Josephs vorgeschaltet wurde. Neid und Haß war für die Brüder das leitende Motiv ihrer Ablehnung Josephs. Doch wenn wir auch Verderbtheit und Ungerechtigkeit in dem Haus des Heiden am Werk sehen und selbstsüchtige Gleichgültigkeit im Gefängnis der Heiden, war dort doch in keinem Fall tatsächliche Feindschaft gegen Joseph.

Diese Unterschiede zwischen Juden und Nationen werden am Kreuz eindrucksvoll sichtbar. Die Vertreter der Nationen, Herodes und Pilatus, mochte grobe Ungerechtigkeit und herzlose Gleichgültigkeit kennzeichnen, aber was die Juden kennzeichnete, war Neid und tödlicher Haß – ein solcher Neid, der sogar von den Nationen wahrgenommen wurde, und solch ein Haß, der sie gegen jeden Aufruf der Vernunft, gegen jede Forderung der Gerechtigkeit und jegliches Empfinden von Scham verschloß.

Fortdauernde Leiden

Wenn wir uns wieder der Geschichte Josephs in Ägypten zuwenden, finden wir noch andere Lektionen, aus denen wir lernen können. Getrennt von den Seinen, in einem fremden Land, wird Joseph Sklave im Haus des Ägypters; fälschlich durch eine böse Frau beschuldigt, wird er, mit dem Schimpf einer großen Sünde behaftet, ins Gefängnis geworfen. Dort wird er in gemeiner Undankbarkeit zurückgelassen, um zu verschmachten – ein vergessener Mann. Schmach auf Schmach erleidend geht Josephs Weg immer tiefer hinab. Die Wolken sammeln sich über ihm, und sein Weg wird immer dunkler, bis seine Sonne in hoffnungsloser Dunkelheit unterzugehen scheint.

Grausame Leiden

Hinter allem jedoch, was für den natürlichen Menschen sichtbar ist, kann der Glaube den Vorsatz Gottes erkennen, Joseph zu einem Platz der Herrschaft und Herrlichkeit zu erheben. Wenn Gott mit der Erfüllung Seines Vorsatzes beginnt, wird Satan alle Mühe aufwenden, den Vorsatz Gottes zu durchkreuzen. Satan benutzt die Bosheit der Brüder, um Joseph von Haus und Heimat zu verbannen. Er benutzt die böse Frau Potiphars, um ihn ins Gefängnis zu bringen, er läßt den undankbaren Schenken Pharaos Joseph dort vergessen.

Jeder Schritt auf diesem Weg der Erniedrigung war scheinbar ein Triumph für Satan und schien die Erfüllung des Vorsatzes Gottes immer mehr in die Ferne zu rücken. Aus natürlicher Sicht scheint es, als ob die Pläne Satans gelingen und Gottes Vorsätze eine Niederlage erleiden.

Die Notwendigkeit der Leiden

Der Glaube jedoch kann hinter den Listen Satans die Hand Gottes erkennen. Wenn Satan Menschen benutzt, um Gottes Absicht zu verhindern, dann benutzt Gott Satan, um sie auszuführen. Jede Art wirkender Kraft steht Gott zur Verfügung. Engel und Erzengel, Heilige und Sünder, der Teufel und seine Dämonen, alle müssen dazu dienen, Gottes Pläne auszuführen. Sogar die Naturkräfte – Feuer und Hagel, Schnee und Nebel und Sturmwind – „richten sein Wort aus“ (Ps 148,8).

So ist es auch mit den Umständen des Lebens, wie wir in der Geschichte Josephs sehen. Die Prüfungen, durch die er geht, die Behandlung durch seine Brüder, die Knechtschaft im Haus des Ägypters, die falsche Beschuldigung durch Potiphars Frau, das Gefängnis Pharaos und die Vernachlässigung durch den Schenken Pharaos sind deshalb nur einige Etappen auf dem Weg, der zur Herrlichkeit führt. Seine Aufgabe als Schafhirte, die Sendung zu seinen Brüdern, sein Dienst im Hause Potiphars und im Gefängnis Pharaos bereiten ihn für die Ausübung der Macht in den Tagen seiner Herrlichkeit vor. Der Dienst in den Prüfungen ist eine Zubereitung für den rechten Gebrauch der Herrlichkeit.

Das Vorbild in den Leiden

In allem diesem ist Joseph lediglich ein Vorbild von dem Einen, dessen Leiden viel tiefer waren, wie auch Seine Herrlichkeit viel größer ist. Auch Er war in den Tagen Seines Fleisches unter uns als Einer, der diente, denn Er konnte sagen: „Denn man hat mich gekauft von meiner Jugend an“ (Sach 13,5). Auch Er litt unter den falschen Beschuldigungen der Sünder, denn wiederum konnte Er sagen: „Was ich nicht weiß, fragen sie mich“, oder nach der engl. Übersetzung von J.N.D.: „Sie legen mir Dinge zur Last, die ich nicht weiß“ (Ps 35,11). Auch Er wurde ins Gefängnis gebracht und zum Tode geführt; und Ihm begegnete in vollem Maß die gemeine Undankbarkeit solcher, die nur Gutes aus Seiner Hand empfangen hatten. Mit einem durch unerwiderte Liebe verwundeten Herzen ruft Er: „Meiner ist im Herzen vergessen wie eines Gestorbenen“ (Ps 31,12).

Zubereitende Leiden

Wie jedoch bei Joseph im Vorbild, so war auch bei Christus, dem herrlichen Gegenbild, jeder Schritt abwärts auf dem Rad der Leiden doch eine weitere Stufe aufwärts auf dem Weg zur Herrlichkeit. Sein Dienst in den Tagen Seines Fleisches bereitet Seine Herrschaft als König der Könige und Herr der Herren vor. Die falschen Zeugen, die wider Ihn aufstanden, werden sich vor Ihm niederbeugen, wenn jedes Knie sich beugt und jede Zunge bekennt, daß Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters (Phil 2,11). Der Tag ist nicht mehr fern, an dem „der arme, weise Mann“, an den kein Mensch dachte, „zum ewigen Andenken“ sein wird (Pred. 9,15; Ps 112,6).

Unterwürfig in Leiden

Dieser Teil der Geschichte Josephs gibt uns aber nicht nur ein schönes Bild von Christus, sondern ist auch reich an praktischer Belehrung für den persönlichen Weg des

Gläubigen. Zunächst können wir die Geschichte nicht lesen, ohne von der Tatsache beeindruckt zu sein, daß Joseph ein unterwürfiger Mann war. Seine Umstände waren hart, und seine Stellung war schwierig. Von seiner Verwandtschaft getrennt, ein Fremder in einem unbekannten Land, hatte er die Liebe in seinem Vaterhaus mit der Knechtschaft im Haus des Ägypters vertauschen müssen. Trotzdem ist bei ihm keine Unzufriedenheit zu finden. Er hegt keine bitteren Gedanken gegen seine Brüder, äußert weder Klagen über sein hartes Los noch ein einziges Wort der Auflehnung gegen die Wege Gottes. Sein Geist wurde in wunderbarer Unterwürfigkeit bewahrt.

Hatte Gott ihm nicht seine hohe Bestimmung geoffenbart? Und der Glaube, im stillen Vertrauen auf Gottes Wort ruhend, schaut nach oben mit dem sicheren Bewußtsein auf ein herrliches Ende (siehe 2. Kor 4,17.18).

Der Glaube bringt Gott und Sein Wort zwischen sich und die Umstände. Auf dem Weg des Ratschlusses Gottes unterwirft er sich den Führungen Gottes. Auch Paulus, ein weiterer Gefangener des Herrn zu einer anderen Zeit, schreibt in dem gleichen Geist der Unterwürfigkeit aus dem Gefängnis, daß seine „Umstände mehr zur Förderung des Evangeliums geraten sind“ (Phil 1,12).

Der Nutzen der Leiden

Als Ergebnis war „Jehova mit Joseph, und er war ein Mann, dem alles gelang“ (Kap. 39,2). Der unterwürfige Mensch wird immer auch ein Mensch sein, dem alles gelingt. Der natürliche Mensch würde sagen, daß Knechtschaft und Gedeihen eine unmögliche Verbindung ist, aber wenn wir uns der Führung des Herrn unterwerfen, kann Seine Gegenwart die Tage der Widerwärtigkeit in Tage des Gedeihens wenden. Die ganze Welt würde zugeben, daß Joseph in den Tagen seiner Erhöhung ein Mann war, dem alles gelang; aber der Glaube sieht, und Gott erklärt, daß er es in den Tagen seiner Erniedrigung war. Er wird zu gegebener Zeit als der Herrscher Ägyptens Wohlfahrt haben, aber zuerst muß er als der Knecht eines Ägypters gesegnet leben. Das Gelingen im Gefängnis muß dem Gelingen im Palast vorausgehen.

Prüfungen und Kümmernisse, Verluste und Leiden, die rauhen Wege und die dunklen Täler werden alle ein Anlaß für das größte innere Wachstum, wenn wir uns daran erinnern, daß Gott einen festen Vorsatz für uns in der Herrlichkeit hat und daß unterdessen alle Seine Wege mit uns diesen Vorsatz im Blick haben. Im Licht Seines Ratschlusses werden wir fähig sein, uns Seinen Wegen zu unterwerfen, und indem wir unterwürfig sind, werden wir finden, daß der Herr mit uns ist. Und wenn der Herr mit uns ist, werden wir gesegnet werden mit dem Wohlergehen, das wichtiger ist als alles – dem Wohlergehen der Seele. „Geliebter“, sagte der greise Apostel, „ich wünsche, daß es dir in allem wohlgehe und du gesund seiest, gleichwie es deiner Seele wohlgeht“ (3. Joh 2).

(Wird fortgesetzt) H.S.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1987, Seite 122

Bibelstellen: 1Mo 39-40

Stichwörter: Joseph, Leiden