Zu den Füßen Jesu
In den Evangelien tritt uns eine Person entgegen, an die wir Christen besonders gern denken. Ihr Name ist Maria, Maria von Bethanien. Warum gedenken wir ihrer mit Zuneigung? Weil ihr der Herr Jesus so viel bedeutete. Und doch wird sie in allen vier Evangelien im ganzen nur dreimal erwähnt. Aber jedes Mal finden wir sie in einer geziemenden Haltung: zu den Füßen des Herrn Jesus.
Es scheint nicht, daß sie irgendeinen bedeutenden Platz in der Welt einnahm; wahrscheinlich war sie die jüngere der beiden Schwestern (wir lesen, daß das Haus der Martha gehörte). Aber kein Herz war mehr dem Herrn Jesus hingegeben, und niemand, selbst nicht die begünstigten Apostel, hatte mehr von Ihm gelernt. Laßt uns nun miteinander die drei Begebenheiten betrachten, wo sie vor uns kommt.
Zu Seinen Füßen, um zu lernen
Bei der ersten Begebenheit, wo sie erwähnt wird – und es scheint, als sei es auch die erste Gelegenheit, daß der Herr das Haus betrat, wo die beiden Schwestern wohnten – lesen wir dies: „Maria, die sich auch zu den Füßen Jesu niedersetzte und seinem Worte zuhörte“ (Lk 10,39). Diese Worte zeigen klar die wahre Demut ihres Herzens, mit der sie zuhörte und auf die wunderbaren Belehrungen des größten aller Lehrer achtgab. Sie wollte auf alles hören, wollte alles ergreifen und bewahren, was Er ihr von sich selbst und Seinem Vater zu sagen hatte. Das Ergebnis dieses Lernens sehen wir später, als ihr Verständnis über Seinen Tod und Seine Auferstehung bei weitem das der Jünger übertraf, die stets bei Ihm gewesen waren.
„Eines aber ist not“, sagte unser Herr, „Maria aber hat das gute Teil erwählt“ (Vers 42). Er beachtete durchaus den Dienst, den Martha Ihm zu Seiner äußeren Erfrischung angedeihen ließ, wie Er alles zu schätzen weiß, was irgendein Gläubiger für Ihn tut. Aber laßt uns diese Lektion lernen: Wir müssen „sein Wort hören“ und das „zu seinen Füßen“ in wahrer Demut und Unterwerfung! Das ist notwendig und geht jedem Dienst voraus, den wir für Ihn tun können. Er selbst sagt: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen“ (Mt 11,29). Der alttestamentliche Prophet hatte das gleiche gelernt: „Deine Worte waren vorhanden, und ich habe sie gegessen, und deine Worte waren mir zur Wonne und zur Freude meines Herzens“ (Jer 15,16).
Es besteht bei uns die Neigung, das in unserem Leben zu vernachlässigen. Laßt uns, ob wir noch so tätig in Seinem Dienst oder gar lässig und träge sind, Seine erforschenden Worte zu Herzen nehmen: „Eines aber ist not“, und laßt uns zusehen, daß wir viel Zeit „zu seinen Füßen“ zubringen, um Seine Worte zu hören! Fragst du: „Wie kann man das auf uns heute anwenden?“ Indem wir Sein Wort lesen und uns in Demut vollkommen Seinem Wort unterwerfen und bewußt in Seiner Gegenwart darüber nachdenken.
Zu Seinen Füßen in der Not
Die nächste Begebenheit, wo wir Maria erwähnt finden, ist in Johannes 11, als ihr Bruder Lazarus durch den Tod jenen glücklichen Kreis in Bethanien verlassen hatte. Als der Herr Jesus nach unerwarteter Verzögerung endlich kam, fiel Maria in ihrer großen Not „ihm zu Füßen“: „Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben“ (Vers 32). Und wie bewegte ihr Kummer das zärtlich empfindende Herz Jesu! Und gerade hier haben wir den wunderbaren Vers, den kürzesten der Bibel: „Jesus vergoß Tränen.“ Es mag wahr sein, daß Er über die besondere Not des Augenblicks hinweg all die Folgen sah, die Sünde und Tod in die Welt gebracht hatten; aber gewiß spiegeln Seine Tränen auch das tiefste und völligste Mitleid mit jenem teuren Herzen wider, das in Not gekommen war. Er stand im Begriff, etwas zu tun, was bei weitem ihre kühnsten Gedanken übertreffen mochte; aber dennoch vergoß Er Tränen, als Er sie weinen sah.
Auch hier können wir sagen, daß „zu den Füßen Jesu“ den Platz der Unterwürfigkeit unter Seinen Willen, den Willen Gottes, andeutet. Tatsächlich findet nur das unterwürfige Herz in dem „Gott alles Trostes“ Tröstung (2. Kor 1,3). Ein Herz, das sich gegen die Wege Gottes auflehnt, wird mit Gewißheit den Trost verlieren, den Christus zu geben bereit ist. So möchten wir dir, teurer Freund, der du in tiefer Not oder Trauer bist, mit aller Zartheit sagen: Bringe sie zu den Füßen des Herrn Jesus. Er mag kein Wunder zu deinem Trost tun, das mag nicht in Seinem Weg für dich liegen; aber du wirst das süße und liebevolle Mitleid und den Trost erfahren, den niemand als nur Er zu geben vermag.
Zu Seinen Füßen zur Anbetung
Wir sahen bisher, wie sich Maria zu den Füßen Jesu aufhielt, um dort zu lernen und Trost zu finden. Jetzt kommt sie in einer noch wunderbareren Weise vor uns. In Johannes 12,1-8 finden wir jenen auserlesenen Bericht über das Abendessen, das sie für den Herrn in Bethanien machten, wo Maria die Gelegenheit ergriff, ihren kostbarsten Schatz über Ihn auszugießen. Jenes Rund Salbe von echter, sehr kostbarer Narde wurde ganz und gar über den Herrn Jesus ausgegossen. Warum hatte sie sie nicht über den Leib ihres Bruders gegossen, nachdem er gestorben war? Sie hatte die Salbe aufgehoben, aufbewahrt für den Herrn Jesus.
„Nun“, sagst du, „wir können heute nichts Ähnliches tun.“ Es ist wahr, daß es damals wirkliche Salbe war, die über die Person des Herrn als Mensch auf Erden ausgegossen wurde. Er ist jetzt in den Himmel zurückgegangen. Aber wir können Ihm die Anbetung unserer Herzen bringen. Es ist sehr kostbar, daß wir Ihm alles bringen können, damit Er dafür Sorge trage; denn Er ist der Erhalter aller Dinge, der allem Leben und Odem und alles gibt. Dennoch wertschätzt Er unser Lob und unsere Anbetung; und nicht nur wertschätzt Er sie, sondern Er vermißt sie, wenn sie zurückgehalten werden. Als Er die zehn Aussätzigen geheilt hatte, fragte Er: „Sind nicht die zehn gereinigt worden? Wo sind aber die neun? Sind keine gefunden worden, die zurückkehrten, um Gott Ehre zu geben, außer diesem Fremdling?“ (Lk 17,17. 18). Wie sehr Er die Tat Marias würdigte, erkennen wir aus dem Evangelium nach Matthäus, wo Er verhieß, daß, wo immer das Evangelium in der ganzen Welt verkündigt werden würde, auch ihre Tat erzählt werden würde.
Nebenbei möchten wir die Richtigkeit einer früheren Bemerkung unterstreichen, die das Verständnis der Maria über den Herrn Jesus betraf. Er sagt hier: „Erlaube ihr, es auf den Tag meines Begräbnisses aufbewahrt zu haben.“ Alle anderen, die Seinen Leib salben wollten, kamen zu spät: Er war auferstanden, ehe sie an Sein Grab kamen. Aber der Maria wurde jene besondere Ehre zuteil, Ihn zu Seinem Begräbnis zu salben. Sie muß etliches von Seinem Tod und Seiner Auferstehung verstanden haben – das Ergebnis davon, daß sie zu Seinen Füßen gesessen und Seinem Wort zugehört hatte.
Laßt uns darauf sehen, Geliebte, daß wir Zeit finden, um von Ihm zu lernen; daß wir Ihn nicht jener Anbetung und jenes Dankes berauben, deren Er tatsächlich würdig ist – einer Anbetung, die keinem Geschöpf zuteil werden kann! Sind wir aber in Kummer und Trauer – es gibt keinen Trost, der dem gliche, den wir „zu seinen Füßen“ finden können.
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