Ein Appell zur Hilfe für den gemeinsamen Weg

1. Thessalonicher 5,14

(Schluß von Seite 256)

Tröstet die Kleinmütigen

Das Wort „Kleinmütige“ kommt in der Heiligen Schrift nur in unserer Stelle vor; in der Septuaginta (Übersetzung des Alten Testaments etwa 3./2. Jh. v. Chr. ins Griechische) jedoch auch in Sprüche 18,14 („Ein zerschlagener Geist, wer richtet in auf?“) und in Jesaja 57,15 („um zu beleben den Geist der Gebeugten“). Bei Kleinmütigen handelt es sich also um solche, deren Mut gesunken ist, so daß sie zerschlagen und gebeugt sind.

Wie es bei einzelnen Geschwistern zu diesem Zustand des Kleinmuts kam, können wir wegen des nur einmaligen Vorkommens des Wortes „Kleinmütige“ bedingt aus dem Inhalt der beiden Briefe an die Thessalonicher schließen. – Die Thessalonicher gingen durch Drangsale. Schon während seines Aufenthaltes bei ihnen hatte der Apostel ihnen das ja angekündigt (1. Thes 3,4). Nun erlitten sie „dasselbe von den eigenen Landsleuten“, was die Versammlung Gottes in Judäa von den Juden erlitten hatten (1. Thes 2,14). Der zu ihnen gesandte Timotheus sollte sie trösten, „auf daß niemand wankend werde in diesen Drangsalen“ (1. Thes 3,3). Im ganzen zeigten sie Ausharren und Glauben in allen ihren „Verfolgungen und Drangsalen“, die sie erduldeten (2. Thes 1,4), aber dennoch scheinen einige unter ihnen kleinmütig geworden zu sein. – Auch ein gewisses Unkundigsein infolge nicht klar aufgenommener oder falscher Belehrungen hinsichtlich der Ankunft des Herrn (die Zeit von seinem Kommen für die Seinen bis zu seinem Kommen mit den Seinen am „Tag des Herrn“) hatte Betrübnis, „was die Entschlafenen“ betraf (1. Thes 4,13), und sogar Erschrecken, „als ob der Tag des Herrn da wäre“ (1. Thes 2,2), hervorgerufen.

Vom Grundsatz her sind es auch heute noch die gleichen Gründe, die Gläubige kleinmütig machen können. Wenn es um Drangsale geht, so erleiden wir in unserem Land ja kaum Verfolgungen. Es bleibt aber doch bestehen, daß wir, wenn wir in Treue einen von der Welt abgesonderten Weg gehen, von Seiten der Welt „die Schmach des Christus“ (Heb 11,26) zu tragen haben. Und wenn Brüder in Christo das schriftgemäße Zusammenkommen der Gläubigen als Überheblichkeit auslegen und uns als „Exklusive“ behandeln, dann erfahren wir aufs neue, was es bedeutet, daß wir außerhalb des Lagers seine Schmach tragen (Heb 13,13). Wie niederdrückend ist es aber erst für uns, wenn Brüder, die mit uns den Weg gehen, uns durch fleischliche Gesinnung in ihrem Reden – besonders auch über uns – und Handeln gegen uns gleichsam Drangsale bereiten. Wie mancher treue Bruder ist dadurch schon kleinmütig, vielleicht sogar mundtot gemacht worden. – Aber auch Unkundigsein, ein Mangel an der Erkenntnis der Gedanken Gottes, zeigt sich häufig auch bei uns, wenn auch nicht unbedingt in bezug auf die Ankunft des Herrn wie bei den Thessalonichern. Wo liegen die Gründe? Vielleicht haben wir das persönliche Lesen des Wortes Gottes vernachlässigt oder sind „im Hören träge geworden“ (Heb 5,11). Oder haben wir uns gar falscher Belehrung geöffnet, besonders durch die Lektüre fragwürdiger Schriften? Wie hat es doch der Teufel darauf abgesehen, Zweifel an Gottes Wort („Hat Gott wirklich gesagt?“,1. Mose 3,3) in unsere Herzen zu säen.

Wir haben so schon manches gesehen, was uns wie einst die Thessalonicher verzagt macht. Es gibt aber darüber hinaus auch noch manche andere Ursachen, die zum Kleinmut führen können. Da sind wahrhaft Gläubige, die bekümmert darüber sind, ob ihre Bekehrung wohl echt ist. Sie horchen sozusagen immer wieder in sich hinein, um das zu prüfen, beten auch oft und lange (und drehen sich dabei doch oft „im Kreis“, nämlich um sich selbst) und doch zeigt sich keine durchgreifende Besserung. Warum nicht? Sie sind mit sich selbst beschäftigt und richten ihren Blick nicht allein auf den Herrn Jesus und Sein auch für sie vollbrachtes Werk. – Andere mögen an Gottes Liebe zweifeln, weil Er ihnen einen geliebten Menschen genommen, sie aufs Krankenlager gelegt oder ihnen einen herben materiellen Verlust auferlegt hat. Da fällt es dann so schwer, Gottes Tun, das immer vollkommen ist (5. Mo 32,4), still anzunehmen. – Kleinmut kann schließlich auch durch – vielleicht selbstverschuldete -Kümmernisse in der Familie und auch durch Nöte in der Versammlung entstehen. Die Dinge stehen dann wie Berge vor solchen Kleinmütigen, und ihre Gebete scheinen nicht erhört zu werden: Wie soll das alles enden?

Da haben wir nun die schöne Aufgabe „Tröstet die Kleinmütigen“. Das hier für „trösten“ gebrauchte Wort kommt (außer in Joh 11,19. 31) nur in unserem Brief (in unserer Stelle und in 1. Thes 2,11) vor. Es bedeutet hier genau genommen zureden. Das zeigt uns, daß es nicht um „billigen Trost“, nicht nur um das bloße Aussprechen liebevoller Worte, so wohltuend sie allein schon sein mögen, geht, sondern auch und besonders darum, durch unser Reden in eine bestimmte Richtung zu weisen, weg besonders von der nutzlosen Beschäftigung mit unserem eigenen Ich und hin zu unserem Gott und Vater, der nie kleinmütig, sondern getrost, ja mutig machen will. Gott wünscht, daß wir uns Ihm in allem überlassen, damit Er Sein Ziel, unsere Herzen vollkommen zu stillen und uns mit neuem Mut zu erfüllen, bei uns erreicht. Dazu will Er auch besonders Sein Wort benutzen, uns sozusagen durch Sein Wort zureden und auch belehren, damit wir Seine Gedanken besser erkennen und darin ruhen.

Wie gut ist es, wenn wir so befähigt werden, die Kleinmütigen unter uns zu trösten, und wenn die Kleinmütigen sich dann auch solchem Trost öffnen, besonders auch, damit der Kleinmut nicht weiter um sich greift und unser Zeugnis schwächt. Möchten wir doch alle mit dem Apostel sagen können:

Eines aber tue ich: Vergessend was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu“ (Phil 3,14).

Nehmet euch der Schwachen an

Das dem Wort „Schwache“ zugrundeliegende griechische Wort („ohne Kraft“) kommt im Neuen Testament in verschiedenen Bedeutungen vor. Für zwei dieser Bedeutungen ist der Apostel Paulus selbst ein Beispiel, so, wenn es um solche geht, die in sich selbst keine Kraft mehr suchen, deren Kraft aber „in Schwachheit vollbracht“ wird (2. Kor 12,5. 9. 10), und im Hinblick auf körperliche Schwäche (2. Kor 10,10). Am häufigsten aber zeigt das Wort eine geistliche Schwäche an, die sich einmal als Schwäche des Gewissens zeigen kann: Das Gewissen wird beschwert durch Bindung an unnötige Vorschriften, seien es solche, die einem unberechtigterweise von außen gemacht werden (damals meist jüdische Vorschriften) oder solche, die man sich überflüssigerweise selbst macht (vgl. Röm 14,1 bis 15,7 und 1. Kor 8,7-12). Dann finden wir auch Schwäche im glaubenden Vertrauen: Es fehlt am festen Vertrauen auf Gottes Zusagen (Gegensatz in Röm 4,19: „nicht schwach im Glauben“) und auf sein Hindurchbringen (einige Gläubige dagegen haben sogar die besondere Gnadengabe des über den Schwierigkeiten stehenden und des Ausgangs gewissen Glaubens: 1. Kor 12,9; siehe auch den Apostel Paulus auf seiner Schiffsreise nach Rom: Apg 27,1 – 28,10). Schließlich zeigt sich geistliche Schwäche noch als Schwäche im Ergreifen des überlieferten Glaubensgutes, wo wir es doch bewahren (2. Tim 1,14) und sogar dafür kämpfen (Jud 1,3) sollen.

Da das Wort „Schwache“ in den beiden Briefen an die Thessalonicher nur in unserer Stelle vorkommt, erscheint es zunächst schwierig, die eigentliche Bedeutung zu erkennen. Sich in sich selbst schwach zu wissen ist ja ein Gott wohlgefälliger Zustand und scheidet hier natürlich aus, denn solcher braucht man sich ja nicht anzunehmen. Sicher sollten wir uns der körperlich Schwachen annehmen, und der Herr allein weiß, mit wieviel selbstverleugnender Liebe das an vielen Orten geschieht, aber aus dem Zusammenhang unserer Stelle heraus, in der es ja bei den Unordentlichen und Kleinmütigen um solche geht, die Mängel im Glaubensleben aufweisen, kann es hier eigentlich nur um geistlich Schwache gehen.

„Nehmet euch der Schwachen an.“ Wie soll das nun geschehen? Gegenüber dem von Fall zu Fall erforderlichen Zurechtweisen (der Unordentlichen) und Trösten (der Kleinmütigen) bedürfen Schwache mehr einer ständigen Stützung. „Sich annehmen“ kann nämlich auch als (ständig) „stützen“ ausgedrückt werden. In einer guten (die Erläuterung der griechischen Ausdrücke einbeziehenden) Übersetzung des Neuen Testaments heißt es so auch geradezu: „Seid eine Hauptstütze für die, die geistlich schwach sind.“ Ein freistehender Großmast eines Segelschiffes z. B. würde sehr bald schwanken und schließlich niederbrechen. So ist auch ein Zusammenbruch geistlich Schwacher, denen man nicht zu Hilfe kommt, zu befürchten. Wie verfährt man beim Großmast? Man hält ihn durch starke Draht- und Hanfseile in seiner senkrechten Stellung. So ist auch das im geistlich Schwachen noch Vorhandene aufrechtzuerhalten und zu stärken.

Nun besteht aber gerade hier die Gefahr, daß Gläubige angebliche geistliche Schwäche als Vorwand benutzen, um ihre Geschwister zu tyrannisieren. Sie geben vor, geistlich schwach zu sein und machen anderen unnötige Vorschriften. Sie geben vor, schwach im Glauben zu sein und handeln doch nur im Eigenwillen. Sie geben vor, das Glaubensgut nicht erfassen zu können, und sind doch nur zu träge, sich eingehend mit den Wahrheiten des Wortes Gottes zu beschäftigen. Da ist es wichtig, daß bei der Beschäftigung mit (wirklichen oder vermeintlichen) Schwachen Gnade und Wahrheit Hand in Hand miteinander gehen, wie sie denn ja auch eine Einheit bilden (vgl. Joh 1,17; Eph 4,15; Jak 3,17). Gnade ohne Wahrheit ist keine Gnade, Wahrheit ohne Gnade ist keine Wahrheit. Wenn wir diese Einheit von Gnade und Wahrheit in rechter Weise zum Tragen kommen lassen, dann dürfen wir nützliche Werkzeuge sein, wenn es gilt, Mängeln im Glaubensleben unserer Geschwister zu begegnen.

Seid langmütig gegen alle

Wen umfaßt das Wort „alle“? Aus dem folgenden Vers „… strebet allezeit dem Guten nach gegeneinander und gegen alle“ erkennen wir, daß „gegeneinander“ auf Gläubige zielt und demnach „gegen alle“ auf Ungläubige. Wenn wir in der Schrift die Stellen prüfen, in denen von der Langmut Gottes oder des Herrn Jesus die Rede ist (im Alten Testament „langsam zum Zorn“, im Neuen Testament in Römer 2,4 und 9,22; 1. Tim 1,16; 1. Pet 3,20; 2. Pet 3,9.15), dann sehen wir, daß sich diese Langmut in der Tat auf Ungläubige bezieht. Die bisherigen Ermahnungen in unserer Stelle zielten nun aber auf Gläubige (Unordentliche, Kleinmütige, Schwache), und so dürften wir berechtigt sein zu sagen, daß die uns jetzt vorliegende letzte Ermahnung unseres Verses zumindest auch auf Gläubige zielt, dann aber nicht so sehr im Sinne von Langmut gegeneinander, sondern gerade im Hinblick auf die Beschäftigung mit den zuvor genannten Unordentlichen, Kleinmütigen und Schwachen.

„Seid langmütig gegen alle“. Das für „langmütig“ im Grundtext gebrauchte Wort hat den Sinn „langdauernd Gemütsruhe zeigen“. Langmut gilt immer Personen (Geduld hingegen Dingen), hier also betont den Gläubigen mit Glaubensmängeln. Sie ist ein Teil der „Frucht des Geistes“ (Gal 5,22) und gehört zu dem, was wir angezogen haben sollten (Kol 3,12).

Die Quelle der Langmut ist die Liebe, wie sie der Herr Jesus so vollkommen gezeigt hat: „Die Liebe ist langmütig“ (1. Kor 13,4). Wir finden diesen Wesenszug der Liebe als ersten unter den Dingen, die über Liebe gesagt werden. Sollte uns das nicht ein Ansporn sein, dem Herrn Jesus gerade in dieser Hinsicht im Umgang mit solchen, die uns Not machen, zu folgen? Wenn wir dabei nicht vergessen, daß wir oft selbst die Langmut unserer Geschwister auf die Probe stellen, dann werden wir vielleicht auch feinfühliger in der Beurteilung der Fehler und Mängel unserer Geschwister. Ja, wenn wir Langmut üben, dann ist das ebenso in unserem eigenen Interesse wie auch in dem unseres Bruders: Langmut ist so nicht nur eine Sache der Barmherzigkeit, sondern auch der Gerechtigkeit. Wie ist doch Langmut untereinander so nötig!

Wir sind am Ende der Betrachtung der wertvollen Ermahnungen unserer Schriftstelle angelangt. Sie sind ein Appell an uns alle, einander auf dem gemeinsamen Weg, besonders innerhalb des örtlichen Zeugnisses von der Versammlung Gottes, eine rechte Hilfe und nicht ein Hindernis zu sein. Haben wir erkannt, daß es gerade in unseren Tagen und in unserer Situation so wichtig ist, daß wir diese Ermahnungen erwägen und befolgen? Wir spüren es doch mehr oder weniger alle, daß der Teufel gerade „in den letzten Tagen“ (2. Tim 3,1) der Gnadenzeit alle Anstrengungen unternimmt, unsere Gemeinschaft untereinander zu stören und, wenn möglich, sogar zu zerstören. Wie traurig, daß ihm das an manchen Orten schon so weitgehend gelungen ist! Ach, unterwerfen wir uns da doch in Einfalt und Demut Gott und Seinem untrüglichen Wort. „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade“ (1. Pet 5,5). Und solche Gnade haben wir alle so bitter nötig!

Harren wir doch noch ein wenig aus! Verharren wir doch „mit Herzensentschluß bei dem Herrn“ (Apg 11,13)! Bald kommt Er, um unseren Leib der Niedrigkeit umzugestalten „zur Gleichförmigkeit mit seinem Leibe der Herrlichkeit“ und uns alle, die wir hier an Ihn geglaubt haben, heimzuführen in das Haus des Vaters. Dann brauchen wir diese Ermahnungen nicht mehr. Dort gibt es keine Unordentlichen, keine Kleinmütigen und keine Schwachen mehr. Dort ist alles in völliger Übereinstimmung mit Ihm, dem Herrn Jesus, und Seine Person erfüllt dann unser aller Herzen. Der Heilige Geist, der uns schon hier die Person des Herrn Jesus immer kostbarer machen wollte, den wir aber so manches Mal daran gehindert haben, weil wir Ihm mit dem, was Ihn betrübte, zu schaffen gemacht haben, wird dann ungehindert die Kraft unserer ewigen Anbetung des Herrn Jesus und der Verherrlichung Gottes sein. „Oh, welch‘ seliges Vollenden!“

O. S.

Dann wird alle Schwachheit enden,

Herr Jesus, komm!

Nie ein Herz von Dir sich wenden,

Herr Jesus, komm‘.

Jeder wird Dich froh begrüßen,

beten an zu Deinen Füßen

und in ew’gem Lob zerfließen.

Herr Jesus, komm!

Herrlich wirst Du dann erscheinen,

Herr Jesus, komm!

In der Mitte all der Deinen,

Herr Jesus, komm!

Erd‘ und Himmel werden spenden

Ruhm und Preis an allen Enden.

O welch seliges Vollenden!

Herr Jesus, komm!

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1988, Seite 279

Bibelstellen: 1Thes 5, 14

Stichwörter: Kleinmütiger, Trost