Ein ausgegossenes Salböl ist dein Name

Hohelied 1,3

In diesen Worten kommt zum Ausdruck, wie kostbar Christus als der Bräutigam der Braut ist. Das ist bei einer Prüfung des Zusammenhangs sofort zu erkennen. „Er küsse mich“, ruft die Braut, „mit den Küssen seines Mundes, denn“ (nun spricht sie Ihn direkt an) „deine Liebe ist besser als Wein.“ Sie spricht nicht so sehr von der Liebe selbst, sondern mehr von dem Genuß der Liebe; er ist es, der „besser ist als Wein“. Jedes erneuerte Herz wird dieser Feststellung zustimmen; denn während die Liebe Christi all unser Denken weit übersteigt, unendlich und unaussprechlich ist, können wir nur in dem Maße in sie eindringen und sie hochschätzen, wie wir uns in ihr erfreuen. Wenn sich das Herz jedoch unter der Macht des Geistes für ihre gesegneten Einflüsse und ihre Stärke und Größe erweitert, wenn es sich ungehindert dem Durchströmen ihrer mächtigen Fluten öffnet, dann lernt die Seele erfahrungsgemäß den wunderbaren Charakter der Liebe Christi, die alle Erkenntnis übersteigt, kennen.

Etwas anderes ist ebenso wahr. Je mehr wir die Liebe Christi genießen, desto mehr begehren wir sie. Jede Erfahrung mit ihr ruft das innige Verlangen hervor, sie in größerem Maße zu erleben. Wenn die Braut nicht vorher etwas von der Zuneigung des Bräutigams gewußt hätte, hätte sie niemals diesen leidenschaftlichen Wunsch geäußert. Göttliche Erkenntnis wiederum kann nur mit dem Herzen gewonnen werden. Es ist dann so wie hier, wo die Braut von der Schilderung der Freude, mit der sie die Liebe des Bräutigams genießt, dazu übergeht, die Wirkung Seiner Vortrefflichkeiten und Vollkommenheiten zu verkünden. Ihr Herz erfährt durch den Genuß Seiner Liebe den Geruch Seiner „guten Salben“ …

Sowohl im Herzen der Braut als auch des Christen ist es immer wahr, daß Liebe das Mittel zu göttlicher Erkenntnis und ihr Inhalt ist. Mit anderen Worten heißt das, daß der, der am meisten liebt, am meisten weiß (siehe 1. Kor 8,1-3, Eph 1,18). Maria Magdalena ist in diesem Punkt ein treffendes Beispiel. Petrus und Johannes besaßen mehr Licht als sie, da sie gesehen hatten, daß das Grab leer war, während Maria sich in bezug auf die Auferstehung in völliger Dunkelheit befand. Aber gerade Maria hat sich der Herr offenbart. Die beiden Jünger aber, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß das Grab seiner Beute beraubt worden war (und zumindest Johannes glaubte, daß der Herr als Triumphator über den Tod auferstanden war), „gingen wieder heim“.

Maria aber stand bei der Gruft draußen und weinte. Mit der ganzen Stärke ihrer Zuneigungen völlig mit ihrem Gegenstand beschäftigt, blieb sie wie angewurzelt auf der Stelle stehen. Da sie Christus verloren hatte, hatte sie alles verloren. Die ganze Welt war ihr nur ein Grab, wenn Christus nicht lebte. Ihr Herz befand sich in dem richtigen Zustand, obwohl ihr geistliches Verständnis nicht erleuchtet worden war. Daher konnte der Herr zu ihr kommen und sich ihr offenbaren, sie danach zum glücklichen Überbringer der guten Botschaft machen, daß Er hinfort Seine Brüder mit sich selbst verbinden würde vor Seinem Vater und Gott, an Seinem eigenen Platz und in Seiner Beziehung.

Wenn wir die hier dargelegten göttlichen Prinzipien verstanden haben, werden wir die Sprache der Braut leicht verstehen, die nun betrachtet werden soll. „Lieblich an Geruch sind deine Salben“, sagt sie, „ein ausgegossenes Salböl ist dein Name.“ Die „guten Salben“ reden zu uns von dem beglückenden Wohlgeruch Seiner Vollkommenheit, wie sie sowohl in Seinem Leben, in Seinen Handlungen in Zärtlichkeit und Gnade als auch in Seinen Worten und Seiner völligen Abhängigkeit und Seinem Gehorsam vor Gott auf Seinem Weg durch diese Welt gesehen werden. Sie werden zweifellos in der Vertrautheit Seiner eigenen Gegenwart erfahren und genossen, in Seiner festen Beziehung mit der Seele, in Seinen Wegen und persönlichen Handlungen.

In der Tat konnte die Braut auf keinem anderen Weg den Wohlgeruch Seiner Salben kennengelernt haben. Es bleibt immer wahr, daß wir, je näher wir Christus sind, um so mehr die gleichen Erfahrungen machen wie der geliebte Jünger, der in großer Vertrautheit an der Brust des Herrn ruhen konnte. Um so klarer werden wir Seine Schönheit und Gnade wahrnehmen. Wir mögen durch Berichte und Zeugnisse sehr beeindruckt sein, auch durch solche aus der Ferne, gleich der Königin von Scheba. Aber nur wenn wir, wie sie, selbst hören und sehen, werden wir bei dem Wohlgeruch Seiner Salben in Bewunderung ausbrechen. Wenn wir dann von dem Gefühl Seiner Gnade und Schönheit gefesselt worden sind, müssen wir, wie die beiden Jünger, die durch Seine Anziehungskraft herbeigekommen waren, vorwärtsdrängen zu dem Platz, wo Er wohnt (Joh 1,37.38). Dort vereint mit Ihm, wird der Geruch Seiner Vortrefflichkeiten die fortwährende Freude der Seele ausmachen.

Bevor wir fortfahren, wollen wir uns daran erinnern, daß der liebliche Geruch des Lebens Christi, wie aus 3. Mose 2 hervorgeht, in erster Linie und hauptsächlich für Gott war. Der Priester durfte zwar von dem Feinmehl, gemengt mit Öl, woraus das Speisopfer zusammengesetzt war, essen, aber der gesamte Weihrauch mußte mit einem Teil des Opfers auf dem Altar verbrannt werden als ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Jehova. Wie gesegnet ist es, dies zu wissen! Selbst wenn es auf dieser Erde nicht eine einzige Seele gegeben hätte, die ihre Freude an dem Geruch der Salben Christi gefunden hätte, wäre Sein Leben nicht umsonst gewesen, insofern als es Gott Ruhm brachte und Sein Herz mit einer unendlichen Freude erfüllte.

Nein, es konnte nicht sein, daß unser gepriesener Herr Seine Lieblichkeit für nichts verzehrte: Dort war Einer, dessen Auge ständig mit unaussprechlicher Zufriedenheit auf Ihm ruhte, weil Er mit Freude die Vollkommenheit jedes Seiner Gedanken, Seiner Handlungen, Worte und Schritte bemerkte. Dadurch kamen aus dem überfließenden Herzen Gottes die Worte: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ Je mehr Christus auf die Probe gestellt wurde – und Er wurde auf jede Weise durch das heilige Feuer des Altars selbst geprüft -, desto reichlicher strömte Sein lieblicher Geruch aus, um das Herz Seines Gottes zu erfreuen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit darauf, denn es ist der Braut, ja uns selbst erlaubt, an der Freude über den lieblichen Geruch Seines Lebens teilzunehmen, uns zu nähren von der Vollkommenheit Seiner völligen Demut zur Verherrlichung Seines Gottes, weil Gott zuerst Seinen Anteil erhalten hat und weil Er in Seiner unaussprechlichen Gnade uns berufen hat, an Seiner eigenen Freude an dem Weg und der Person Seines geliebten Sohnes teilzunehmen.

Beachte auch, daß durch den Geruch der Salben Sein Name, die Offenbarung all dessen, was Er ist, überall ausgebreitet wurde als der Wohlgeruch eines ausgegossenen Salböls.

Beispiele dafür sind in den Evangelien reichlich vorhanden. „Und Jesus zog in ganz Galiläa umher, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen unter dem Volke. Und sein Ruf ging aus in das ganze Syrien.“ Oder wie wir an anderer Stelle lesen: „Und er stand auf von dannen und ging in das Gebiet von Tyrus und Sidon; und als er in ein Haus getreten war, wollte er, daß niemand es erfahre; und er konnte nicht verborgen sein.“ Nein, teurer Herr, der Geruch Deiner Salben ist überall verbreitet worden und hat Dich überall bekannt gemacht, so daß Dein Name all denen unter Deinem Volk, die mit Bedrängnis und Sorgen beladen waren, den müden und bedürftigen Seelen, zu einem Wohlgeruch ausgegossenen Salböls geworden ist!

Dies ist zweifellos nur eine Seite dieser kostbaren Wahrheit; denn was unsere Schriftstelle vor uns stellt, ist nur das Eingangstor der Seele zu den Kostbarkeiten Christi, durch das Seine verschiedenen Vortrefflichkeiten, wie sie in Ihm und Seinen Wegen entfaltet wurden, ergriffen werden können. Doch es entspricht immer unseren Bedürfnissen, daß wir zuerst zu Christus gehen und lernen, was Er in Seiner Liebe und Gnade ist. Wenn dann unseren Bedürfnissen begegnet wurde und wir befriedigt worden sind, sind wir in der Lage, von uns selbst freigemacht und in Freiheit in Seiner Gegenwart Ihn selbst zu betrachten.

In der Tat wird der Geruch Seiner Salben mit seiner erfreuenden Erquickung kaum in die Seele eindringen, ehe nicht jede Frage, die uns selbst oder unsere Beziehung zu Gott betrifft, geregelt ist. In seltenen Fällen mag es vorkommen, daß Christus selbst schon zu Beginn -des geistlichen Lebens gekannt wird. Aber in der Regel muß zuerst ein gequältes Gewissen durch die Wirksamkeit des Blutes Christi beruhigt werden, bevor wir frei und fähig sind, Seine herrlichen Vollkommenheiten zu überblicken. Welche Überraschung und welche Freude werden sie dann für unsere erwachten Seelen sein! Und Sein Name wird, sogar dessen bloße Erwähnung, unsere Herzen erfüllen mit der Empfindung für die Lieblichkeit und den Wohlgeruch und solche Gefühle hervorrufen, die nur in Anbetung zu Seinen Füßen ausgedrückt werden können.

Es muß noch etwas anderes erwähnt werden. Es ist möglich, daß der Geruch der Salben Christi durch das heilige Leben derer ausströmt, die zu Seinem Volke gehören. Jeder Seiner Charakterzüge, jede Seiner vollkommenen Äußerungen in Seinem Wandel durch diese Welt kann in denen nachgebildet werden, die Sein sind.

Seht euch zum Beispiel die Vorschriften und Ermahnungen in den Briefen an. Jede von ihnen ist vollkommen durch Christus veranschaulicht worden. Wenn das nicht beachtet wird und sie nicht mit Christus selbst als dem lebendigen Wort in Verbindung gebracht werden, werden sie zu harten und gesetzlichen Verpflichtungen. „Christus in uns“, „Christus unser Leben“, wie es der Kolosser-Brief schildert, hat zur Folge, daß Christus durch uns in der Kraft des Heiligen Geistes gezeigt werden kann. Die Voraussetzung dafür ist, daß wir uns in enger Gemeinschaft mit Ihm befinden; denn je mehr wir bei Ihm sind und je mehr mit Ihm beschäftigt, desto mehr werden wir in Sein Bild verwandelt werden, und mit um so größerer Sicherheit wird der Geruch Seiner Salben verbreitet werden.

Das wird ein mächtiges Zeugnis dafür sein, was Er ist; denn in diesem Fall wird Sein Name durch uns gleich einem ausgegossenen Salböl sein; der liebliche Geruch des Namens Christi wird sowohl durch unseren Wandel als auch durch unsere Worte ausgeströmt. Der Apostel Paulus gebraucht diese Worte, wenn er von seiner Predigt spricht und sagt: „Denn wir sind Gott ein Wohlgeruch Christi.“ In einem folgenden Kapitel (2. Kor 6) zeigt der Apostel, daß das Zeugnis sowohl mit dem Leben als auch mit den Lippen verbunden ist. Ist es nicht so, daß wir, wenn wir darüber nachdenken, sagen: „Welch ein Vorrecht! Welch eine Aufgabe, in diese Welt gesandt worden zu sein, um den Geruch der Salben Christi bekannt zu machen, damit Sein Name durch uns einem ausgegossenen Salböl gleiche!“

Das Ergebnis dessen muß nun noch beachtet werden: „Darum lieben dich die Jungfrauen.“ Der Wohlgeruch des Namens Jesu zieht die Herzen der Jungfrauen an – nicht all derer, die zum Volke Gottes gehören; denn es ist zu beobachten, daß nur die Herzen der Jungfrauen angezogen werden.

In der Schrift wird mit „Jungfrauen“ immer ein besonderer Gedanke verbunden. Es ist eine Charakterbezeichnung, ein moralischer Charakter, und sie spricht von der Absonderung von jeder Befleckung, von einem Unberührtsein von den verunreinigenden Einflüssen der Welt (vgl. Off 14,4). Jungfrauen stehen daher in der Schrift für solche, die durch Gnade befähigt wurden, eine heilige Absonderung von den Befleckungen des Schauplatzes, durch den sie gehen müssen, aufrechtzuerhalten; solche, deren Herzen in Wahrheit auf der Seite Christi stehen und die beschützt sind in Treue Ihm gegenüber durch das Verständnis Seiner Forderungen und Seiner Liebe. Ein Herz, das von Christus erfüllt ist, ist gewappnet gegen die äußerst verführerischen Verlockungen der Welt. Jungfrauen werden immer durch absondernde Zuneigungen gekennzeichnet. Diese Zuneigung wird bei jeder neuen Entdeckung der Vollkommenheit Christi verstärkt und vertieft. Mit anderen Worten bedeutet das, daß diejenigen, die den Charakter der Jungfrauen haben, für jede Offenbarung der Kostbarkeit Christi empfänglich sind. Er ist der alleinige Gegenstand ihrer Herzen, sie befinden sich in einem Zustand der Seele, der auf Seine Schönheiten eingeht und sich daran erfreut. Sie werden dort Seine Gegenwart entdecken, den gesegneten Wohlgeruch Seiner Worte und Handlungen, wo andere nichts beobachten. Sie leben in Seiner Gegenwart; sie sind ganz für Ihn. Daher ist es die Freude Christi, sich ihnen gegenüber auf solch anziehende Weise zu offenbaren, damit ihre Zuneigungen Ihm gegenüber wachsen und hervorgelockt werden.

Aus dem, was gesagt wurde, muß die Folgerung gezogen werden, daß der Zustand unserer Seelen entsprechend dem Eindruck, den der Name Jesus bei uns hervorruft, unterschiedlich ist. Wenn unsere Herzen sorglos und ohne Widerhall sind, wenn Er nicht das Thema von Gesprächen oder Besuchen ist, können wir nicht in Gemeinschaft mit dem Herzen Gottes sein. Denn schon der Name einer geliebten Person auf der Erde ruft angenehme Gefühle hervor. Wieviel mehr sollte der Name Christi, der Gegenstand des Herzens Gottes und auch unserer Herzen, wenn wir Ihn kennen, heilige Gefühle der Freude in uns hervorrufen, die nur in Lob und Anbetung ausgedrückt werden können! E.De.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1988, Seite 355

Bibelstellen: Hld 1, 3

Stichwörter: Braut, Liebe, Salbe, Wohlgeruch