Sehet hin auf die Vögel des Himmels

Matthäus 6,26. 27

Durch diese Aufforderung will der Herr uns einen Weg zeigen, von unseren Sorgen frei zu werden. – Aber haben wir nicht manchmal Mühe, einen solchen Vergleich in die heutige Zeit zu übertragen? Die Vögel ernähren sich ja von dem, was sie in der Natur vorfinden, und bei dem einfachen Leben in alter Zeit konnten auch die Menschen noch viel eher mit dem überleben, was in Feld und Wald zu finden war. Aber wir heute, in einer Welt komplizierter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Zusammenhänge, sind doch für den Erwerb unseres Lebensunterhalts auf so vieles angewiesen: Wir brauchen eine Berufsausbildung, eine Arbeitsstelle, Verkehrsmittel und vieles andere. Zudem sind wir von der Wirtschaftslage und den politischen Verhältnissen abhängig. Ist da der Vergleich mit den „Vögeln des Himmels“ überhaupt noch möglich? – Dennoch bleibt das Wort des Herrn bestehen:

„Sehet hin auf die Vögel des Himmels, daß sie nicht säen noch ernten, noch in Scheunen sammeln, und euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel vorzüglicher als sie? Wer aber unter euch vermag mit Sorgen seiner Größe eine Elle zuzusetzen?“ (Mt 6,26. 27).

Was der Herr uns hier lehren will, bezieht sich nicht auf die Art und Weise, wie wir zu unserem Lebensunterhalt kommen, sondern auf die Gesinnung, die innere Haltung, in der wir dieser Frage gegenüberstehen. Ganz gewiß finden wir unsere Nahrung nicht; wir müssen sie erwerben. Aber ist unser Vertrauen auf Gott gerichtet, rechnen wir mit Seiner Fürsorge, oder auf was vertrauen wir? Davon hängt es ab, ob wir von Sorgen geplagt sind oder nicht.

Der Herr benutzt hier einen Vergleich mit Geschöpfen, die dem Menschen, dem Haupt der Schöpfung, unterworfen sind. Sie, die soviel weniger wert sind als der Mensch, werden von Gott ernährt, obwohl sie nicht fähig sind, „zu säen, zu ernten und in Scheunen zu sammeln“, d.h. irgendeine Form der Vorsorge zu betreiben. Es ist eben die Fürsorge Gottes, auf die es ankommt. Sollte diese Fürsorge für uns Menschen – obwohl wir sehr wohl „säen und ernten und in Scheunen sammeln“ – geringer sein, da wir doch in Seinen Augen „viel vorzüglicher“ sind als sie?

So lernen wir auf diese anschauliche Weise, daß allein der Gedanke an die Fürsorge Gottes fähig ist, die Sorgen zu vertreiben. Der Herr fordert die Jünger keineswegs auf, die Vögel nachzuahmen; das ist auch gar nicht denkbar, weder damals noch heute, denn Menschen sind mit Einsicht begabte Wesen, die verantwortlich sind für ihr Tun, und die Vögel sind „unvernünftige Tiere“. Nein, die Jünger sollten nur erkennen, wie Gott sogar für diese geringen Geschöpfe sorgt, und dann bedenken, daß dieser Gott „euer himmlischer Vater“ genannt wird, für den sie als Söhne des Reiches „viel vorzüglicher“ waren. Es ist der Vatername, der hier der Unterweisung ihr Gewicht verleiht, die enge Beziehung zu sich selbst, in die Gott die Seinen gebracht hat.

Aber die Sache hat noch eine andere Seite, und das ist die der Abhängigkeit. Nicht nur sind die „Vögel des Himmels“ ein beredtes Zeugnis von der gütigen Fürsorge Gottes, sondern das Fehlen jeder eigenen Vorsorge bei ihnen ist für uns zugleich eine Lektion in Abhängigkeit. Die Vögel können gar nicht anders, als abhängig zu sein. Und gerade darin liegt die Lektion, die für uns zwar demütigend, aber heilsam ist. Können wir denn anders; wollen wir anders? Sind wir weniger abhängig von Gott als sie? Wenn wir das bisher geglaubt haben, dann könnte hier die Ursache für manche unnötige Sorge liegen; dann müssen wir uns von denen, die in der Schöpfungsordnung unter uns stehen, belehren lassen.

Geht es aber um die Art und Weise, wie wir den nötigen Lebensunterhalt erwerben, dann haben wir deutliche Belehrungen an anderer Stelle in Gottes Wort. Denken wir nur an den Hinweis auf die Ameise in Sprüche 6,6-8. Auch hier finden wir einen Vergleich mit einem geringen Geschöpf; doch welch ein Tadel für jeden, der mit den von Gott gegebenen Fähigkeiten und Möglichkeiten nicht treu handelt! Weit davon entfernt, etwa ein Widerspruch zu den Worten des Herrn zu sein – wie manche behauptet haben -, ergänzt also diese Stelle die Belehrung im Blick auf unsere Verantwortung: Wir sollen durchaus fleißig sein (übrigens auch in bezug auf die geistliche Nahrung), aber frei von dem nagenden, lähmenden Sorgengeist.

Es hat nicht an solchen gefehlt, die sich in geistlicher Beziehung für zu hochstehend hielten, um noch für ihr Brot zu arbeiten. Anfänge dazu finden wir schon in Thessalonich. Aber man braucht nur 2. Thessalonicher 3,6-12 aufzuschlagen, um zu sehen, wie energisch der Apostel Paulus ein solches Verhalten bekämpft und wie er es nennt: Es ist ganz einfach unordentlicher Wandel und nichts anderes.

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf den Schluß unserer Stelle: „Wer aber unter euch vermag mit Sorgen seiner Größe eine Elle zuzusetzen?“ Hatten wir es bisher mit der gütigen Fürsorge unseres himmlischen Vaters zu tun und mit unserer völligen Abhängigkeit von Ihm, so finden wir hier noch einen ergänzenden Hinweis auf die gänzliche Nutzlosigkeit der Sorgen. Uns will es zwar als etwas Gewaltiges erscheinen, wenn jemand es fertigbrächte, seiner Größe etwas zuzusetzen, und doch: wie nutzlos wäre es! Deshalb fügt der Herr an anderer Stelle hinzu: „Wenn ihr nun auch das Geringste nicht vermöget, warum seid ihr um das übrige besorgt?“ (Lk 12,26). Ja, für den Schöpfer sind solche Dinge Geringfügigkeiten, und deshalb kann Er sie als Musterbeispiel für die Nutzlosigkeit unserer Sorgen gebrauchen.

Wollen wir uns nicht gern an die Belehrungen des Herrn erinnern, wenn uns das nächste Mal die Sorgen zu schaffen machen? Der Sorgengeist ist eine große Gefahr für uns alle. Wir verunehren den Herrn und schaden uns selbst, wenn wir ihm nachgeben. Denken wir an den Apostel Paulus, auf den „die Sorge um alle Versammlungen täglich andrang“ (2. Kor 11,28) und der doch so völlig frei von dem schädlichen Sorgengeist war, daß er sich im Gefängnis freuen und von dort aus Ungezählten zum Segen sein konnte! E.E.H.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1988, Seite 321

Bibelstellen: Mt 6, 26.27

Stichwörter: Fürsorge