Schwachheiten

Was bedeutet Schwachheit?

Wir möchten uns heute mit der Hilfe Gottes ein wenig damit beschäftigen, was die Heilige Schrift unter Schwachheit versteht und in welcher Verbindung sie davon spricht.

Wenn wir in geistlicher Beziehung von Schwachheit reden, denken wir im allgemeinen an Versagen und Sünde. Aber das ist, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen1, nicht der eigentliche Gedanke der Heiligen Schrift.

1 Heb 5,2; 7,28. In Römer 15,1 steht ein anderes griechisches Wort, das Schwächen bedeutet. Das Eigenschaftswort schwach wird durchaus in einem sittlichen Sinn benutzt, z. B. „schwach im Glauben“ (Röm 4,19), nicht aber das Hauptwort Schwachheit, das sich mehr auf äußere Dinge und Umstände bezieht.

Auch sind es nicht charakterliche Schwächen der Gläubigen oder ihr niedriger geistlicher Zustand, die mit Schwachheit umschrieben werden. Fast immer wird Schwachheit im Neuen Testament dann mit dem Gläubigen in Verbindung gebracht, wenn er als Geschöpf gesehen, wenn er als mit einem Körper behaftet betrachtet wird – einem Körper, der noch nicht erlöst und durch den er mit der sichtbaren, seufzenden Schöpfung verbunden ist.

Häufig wird deswegen das griechische Wort astheneia, das ursprünglich ohne Kraft bedeutet, auch direkt mit Krankheit übersetzt (z. B. in Lk 5,15; 8,2; Joh 5,5; 11,4; Apg 28,9). Aber von der Bedeutung Krankheit einmal abgesehen, können wir in den meisten Fällen Schwachheit als den Zustand verstehen, der in der Unzulänglichkeit des menschlichen Gefäßes begründet ist. Zuweilen tritt der Gedanke hinzu, daß wir durch eine böse, gefahrvolle Welt zu gehen haben mit einem Körper, in dem noch die Sünde wohnt. Daß zum Beispiel die Gläubigen des Alten Testaments „aus der Schwachheit Kraft gewannen“ (Heb 11,34), ist eine treffende Illustration dessen, was mit Schwachheit gemeint ist.

Er selbst nahm unsere Schwachheiten

In Matthäus 8, Vers 17, wird Schwachheit mit Krankheit verbunden und gesagt: „Er selbst nahm unsere Schwachheiten und trug unsere Krankheiten.“ Viele denken, daß der Herr Jesus das auf dem Kreuz getan hat; aber das ist, wie der Zusammenhang zeigt, nicht richtig. Er tat das in Seinem Leben, als Er die Leidenden heilte. Wie kostbar ist dieses Mitempfinden des Herrn mit den Leiden der Menschen! Er besaß die Macht, die Menschen von ihren mannigfachen und oft quälenden Leiden zu befreien, und Er benutzte sie auch. Aber ehe Er das tat, empfand Er tief die Nöte, in die der Mensch durch die Sünde gekommen war.

Das ist auch für uns heute ein großer Trost. Er hat Sich nicht verändert. Er hat nach wie vor dieses vollkommene Mitempfinden für die Leiden der Seinen, und Er besitzt unverändert die Macht, sie zu heilen. Nicht immer wird Er sie jedoch, Seiner Weisheit und Liebe entsprechend, zu unseren Gunsten direkt einsetzen können. Stets aber bleibt uns Sein herzliches Erbarmen und Mitempfinden geschenkt. Darüber wollen wir uns freuen.

Schwachheit des Fleisches

Wiederholt finden wir den Ausdruck Schwachheit des Fleisches im Neuen Testament, wobei Fleisch nicht die Sünde als Grundsatz, sondern den Körper des Gläubigen bezeichnet. Wenn der Herr Jesus in bezug auf Seine Jünger sagt: „Der Geist zwar ist willig, das Fleisch aber schwach“ (Mt 26,41), so hat auch hier Fleisch diese Bedeutung; das heißt, der Herr stellt dem menschlichen Körper den menschlichen Geist gegenüber. Der Apostel Paulus mußte zu den Gläubigen in Rom „menschlich“ reden wegen der Schwachheit ihres Fleisches (Röm 6,19). Das in ihrem Körper, ja in ihrer ganzen menschlichen Konstitution begründete Unvermögen, geistliche Dinge direkt und ohne Vergleiche zu verstehen, nötigte ihn dazu. Den Galatern hatte er einst das Evangelium „in Schwachheit des Fleisches“ verkündigt (Gal 4,13). Paulus empfand die Unzulänglichkeit des menschlichen Gefäßes angesichts der erhabenen, ihm anvertrauten Aufgabe und war deswegen auch bei den Korinthern „in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern“ gewesen (1. Kor 2,3).

Ist das nicht ein Empfinden, das auch wir sehr gut kennen? Wenn der Herr uns würdigt, für Ihn ein wenig zu arbeiten, wenn Er eine große Aufgabe vor uns hinlegt, überkommt uns dann nicht – und das völlig zu Recht – das Bewußtsein unserer völligen Unzulänglichkeit? Haben wir dann nicht Furcht, Ihn zu verunehren und Ihn falsch darzustellen? Das wirft uns um so mehr auf den Herrn und Seine Hilfsquellen. Auch läßt uns die gewaltige Tatsache, daß Gott „in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi“, um so mehr und oft schmerzlich bewußt werden, daß wir „diesen Schatz in irdenen Gefäßen“, das heißt in hinfälligen Körpern besitzen, „auf daß die Überschwenglichkeit der Kraft sei Gottes und nicht aus uns“ (2. Kor 4,6.7). Aber daß Gott bei aller Überschwenglichkeit Seiner Mitteilungen an uns wegen der Schwachheit unseres Fleisches „menschlich“ zu uns redet, hat den Verfasser oft beglückt.

Wohlgefallen an Schwachheiten

Das eben Berührte macht uns auch klar, warum der Apostel Paulus sich seiner „Schwachheiten rühmen“, warum er „Wohlgefallen an Schwachheiten“ haben konnte (2. Kor 12,9.10): sie demütigten ihn, hielten ihn gering in seinen Augen. Er hatte nicht etwa an Sünden Wohlgefallen, sondern an Schwachheiten, die ihm auf dem Weg des Dienstes und der Hingabe an seinen Herrn durch den Körper bewußt wurden. Deswegen fügt er hinzu: „… an Schmähungen (oder Mißhandlungen), an Nöten, an Verfolgungen, an Ängsten für Christum; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ Wunderbarer Glaube, der Dinge, die der menschlichen Natur gänzlich zuwider sind, als etwas Gutes aus der Hand des Herrn annehmen kann, damit Seine Kraft um so heller erstrahle! Wie armselig nehmen wir uns oft dagegen aus!

Paulus war in den dritten Himmel und in das Paradies entrückt gewesen, aber damit er sich nicht überhebe, so sagt er, wurde ihm ein Dorn (oder Pfahl) für das Fleisch gegeben, ein Engel Satans, der ihn mit Fäusten schlug. Die sündige Natur ist in jedem von uns dieselbe, und der Hochmut ist uns angeboren. Ich habe oft gedacht: Gefährlich ist nicht, im Himmel zu sein; aber dort gewesen zu sein, das ist gefährlich. Niemand wußte das besser als der Apostel. Lag für ihn nicht die Gefahr nahe zu denken: „Nur ich, Paulus, bin so hoch erhoben worden“? Und deshalb nahm er auch diesen Pfahl zu seiner Demütigung aus der Hand seines Herrn an, wenngleich es ein Engel Satans war, der ihn schlug.

Wenn wir auch nicht genau wissen, worin der Pfahl bestand, so können wir doch aus Hinweisen in anderen Schriftstellen annehmen, daß es sich um etwas handelte, was ihn in den Augen der Menschen verächtlich machte. Gewiß, er flehte dreimal zum Herrn, daß er von ihm abstehen möge, erhielt aber die Antwort: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht“ (Vers 9). Vielleicht hatte er anfangs gedacht, daß sein Dienst für den Herrn durch die Unzulänglichkeit seines Körpers gehindert würde. Aber dann kam er dahin, dieses köstliche „ Und Er hat zu mir gesagt“ anzunehmen. Und wenn die Schwachheit des menschlichen Gefäßes dazu gereichte, daß Sein Herr und dessen Kraft um so größer und herrlicher hervortraten, dann war er es zufrieden.

Andere, seine Gegner, mochten ihn dazu zwingen, sich zu rühmen, das heißt, von sich selbst zu reden. „Gut“, sagt er gleichsam, „dann will ich mich dessen rühmen, was meine Schwachheit betrifft“ (vgl. Kap. 11,30). Damit meint er all die Gefahren und Mühen, die er in den Versen vorher kurz erwähnt hatte und die er „außergewöhnlich“ nennt. In der Tat, es waren außergewöhnliche Prüfungen, durch die er gegangen war. Und war es nicht ebenfalls ein Ausdruck der Schwachheit, wenn er, von Menschen gejagt und verfolgt, durch ein Fenster in einem Korb an der Mauer von Damaskus hinabgelassen worden und so entronnen war (Verse 32-33)? Es war keine heroische Tat gewesen. Auch war kein Engel gekommen, um ihn auf geheimnisvolle Weise oder in offenbarer Macht vor der drohenden Gefahr zu bewahren. Nein, auf diese niedrige, demütigende Weise war er gerettet worden. War es nicht die Gnade Gottes, die in Paulus wirkte und die ihn das schon so lange zurückliegende Ereignis noch einmal erwähnen ließ? Der menschliche Stolz hätte sicherlich die Sache mit dem Korb an der Mauer lieber verschwiegen.

Wieviel können wir von diesem treuen Knecht Gottes lernen, der seinem Herrn und Meister so ähnlich geworden war! Und was der Herr Jesus ihm gesagt hat, sagt Er auch jedem von uns inmitten unserer „Schwachheit“, inmitten der uns prüfenden Umstände: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht.“

Mitleid mit unseren Schwachheiten

Wenn Gott die Seinen durch oft sehr prüfende Umstände führt, könnten wir vielleicht den Schluß ziehen, Gott sei unseren Schwachheiten gegenüber unempfindsam. Aber daß das keineswegs so ist, machen besonders zwei Stellen deutlich. Aus Römer 8 erfahren wir: „Desgleichen aber nimmt auch der Geist sich unserer Schwachheit an; denn wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie sich’s gebührt, aber der Geist selbst verwendet sich … für Heilige Gott gemäß“ (Vers 26.27). Hier erkennen wir erneut, daß mit Schwachheit nicht Sünde, nicht Charakterschwäche, nicht Versagen gemeint ist.

Durch den in uns wohnenden Geist Gottes sind wir bereits heute mit dem Himmel verbunden; aber durch den Körper, der noch nicht erlöst ist, stehen wir mit der seufzenden Schöpfung in Verbindung. Um diesen Umstand, um diesen „Spannungszustand“, möchte ich sagen, weiß der Heilige Geist. Und selbst wenn wir vor lauter Not nicht mehr wissen, was wir bitten sollen, verwendet Er Sich für uns in Seufzern, die Er selbst in unserer Seele hervorruft. So hält Sich der Heilige Geist nicht getrennt von unserer Schwachheit, sondern Er nimmt sie zum Anlaß, etwas in uns zu bewirken, was Gott verherrlicht:

Der Gläubige wird gewürdigt, dem unverständlichen Seufzen der Schöpfung vor Gott einen verständlichen Ausdruck zu verleihen – einen Ausdruck, der frei ist von der Ichsucht des menschlichen Seufzens. Es ist wohl recht selten, daß wir unsere Nöte und Leiden in diesem Licht sehen.

Die zweite Stelle finden wir in Hebräer 4, Vers 15. Dort wird von dem Herrn Jesus als dem Hohenpriester gesprochen, der Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten. Nun, Er hat nicht Mitleid mit unseren Sünden oder mit unserem niedrigen geistlichen Zustand. Niemals kann Er sie gutheißen, Er muß sie verurteilen. Auch wir selbst müssen sie verurteilen, und der Glaube tut das auch und stellt sich so auf Seine Seite. Wir haben gelernt, die Sünde zu hassen.

Aber der Herr Jesus weiß aus Erfahrung, was die Welt, was Satan ist. Als der Hohepriester hat Er Mitleid mit unseren Schwachheiten und Unzulänglichkeiten. Er kennt unsere Schwierigkeiten, Nöte, Mühen und Kämpfe im Ringen um das Gute, weiß, welchen Gefahren wir auf dem Weg durch diese böse Welt ausgesetzt sind. Er weiß, wie schwer es für uns ist, in einer sittlich verderbten Welt für Gott zu leben, und Er weiß auch, daß wir noch nicht von diesem bösen Prinzip in uns, dem Fleisch, befreit sind. Das alles ruft Sein Mitleid für uns hervor, Er empfindet mit einem Herzen voller Mitgefühl mit uns. Ja, Er lebt immerdar, um Sich für uns zu verwenden (Kap. 7,25). Gnadenreicher Herr! Laßt uns mehr mit Ihm als mit unseren Schwachheiten beschäftigt sein!

Gesät in Schwachheit

Noch ein Punkt bleibt uns zu berühren. Er betrifft sowohl den Herrn als auch uns Gläubige. Einst ist der Herr Jesus „in Schwachheit gekreuzigt“ worden (2. Kor 13,4). Sein ganzer Weg auf der Erde war, äußerlich gesehen, durch Schwachheit gekennzeichnet gewesen, wovon das Kreuz der Gipfelpunkt war. Auch hier ist Schwachheit nicht etwa mit Sünde oder Versagen zu verwechseln – nein: Er kannte keine Sünde. Aber der Herr Jesus war wahrer Mensch, hatte einen menschlichen Leib und kannte Müdigkeit, Hunger usw. Schließlich erlitt Er in Seiner Gnade den Tod. Sein Leib wurde ins Grab gelegt. Das alles war Schwachheit, die mit dem Leib in Verbindung stand. Doch jetzt lebt Er, lebt „durch Gottes Kraft“.

Wenn Gläubige heimgehen, dann wird auch ihr Leib als nacktes „Samenkorn“ in die Erde gelegt: Es wird, wie die Heilige Schrift es ausdrückt, „in Schwachheit gesät“ (1. Kor 15,43). Sterben, das ist zweifellos nicht der Ausdruck von Kraft. Gewiß, es wird „gesät“, und das birgt für den Glauben eine lebendige Hoffnung in sich. Aber kann es etwas geben, das mehr zeigt, was Schwachheit ist, als ein toter Leib? Doch unser Vers fährt fort: „… es wird auferweckt in Kraft.“ Die Kraft der Auferstehung wird bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus auch unseren Leib der Niedrigkeit erreichen (Phil 3,21), ob er schon im Grab liegt oder nicht. O Gottes Macht!

ChB

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1990, Seite 296

Bibelstellen: Mt 8, 17; Mt 26, 41; 2Kor 12, 9.10; Rö 8, 26.27; Hebr 4, 15

Stichwörter: Schwachheit, Unzulänglichkeit