Die Wiedereinsetzung des Wortes Gottes

Nehemia 8

Das große, zentrale Thema im dritten Teil des Buches Nehemia ist die Wiedereinsetzung der Autorität des Wortes Gottes. Es ist bedeutsam, daß es bei der letzten aufgezeichneten Erweckung unter dem Volk Gottes in den Tagen des Alten Testaments darum geht, die Tore und Mauern aufzurichten und die Autorität des Wortes Gottes wieder geltend zu machen. Ferner ist es klar, daß diese beiden Merkmale der letzten Erweckung eng miteinander verbunden und voneinander abhängig sind.

Einerseits wäre das Bauen der Mauern, das Aufrichten der Tore, die Anstellung der Torhüter, Sänger und Leviten umsonst gewesen, wenn es nicht in Übereinstimmung mit Gottes Wort durchgeführt worden wäre. Andererseits, nachdem der zurückgekehrte Überrest den Boden Gottes, das Land Israel, wieder eingenommen und das Haus, die Mauern und Tore wiederaufgebaut hat, findet er es möglich und verhältnismäßig einfach, den Anweisungen des Wortes zu gehorchen. In Babel dagegen war vieles aus dem Wort toter Buchstabe geworden. Der Ort, wo sie sich befanden, machte es unmöglich, seine ausdrücklichen Befehle auszuführen, außer in einer beschränkten Form. Im Land wird alles einfach.

Hat diese letzte Erweckung in den Tagen des Alten Testaments dem Volk Gottes in den letzten Tagen des Christentums nicht etwas zu sagen? Fordert das Zunehmen des Bösen in der Christenheit, der Kampf für die Wahrheit und die Erwartung des Kommens des Herrn nicht zu wahrer Absonderung von seiten des Volkes Gottes auf? Und werden solche, die sich wahrhaft vom Bösen absondern, sich nicht – wie der Überrest in Nehemias Tagen – in einer Lage finden, die es ihnen möglich macht, dem Wort zu gehorchen? So mag die Erweckung aus den Tagen Nehemias den Weg zeigen, auf dem der Geist Gottes besonders in diesen letzten Tagen wirkt. Das überhandnehmende Böse verlangt Absonderung, und Absonderung befähigt zum Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes.

Diese Grundsätze werden uns in Nehemia 8 vorgestellt. Nachdem sie das Bauen der Mauer und das Aufrichten der Tore vollendet hatten, „versammelte sich das ganze Volk wie ein Mann“, mit dem Wunsch, dem Vorlesen aus dem „Buch des Gesetzes Moses, welches Jehova Israel geboten hatte“, zuzuhören (V. 1).

Es ist wichtig, zu beachten, daß diese Bewegung „das ganze Volk“ umfaßte (nicht nur jene innerhalb der Stadt). Der erste Satz des neuen Teiles des Buches stellt fest, daß ganz Israel in seinen Städten wohnte (Kap 7,73). Dann fährt die Geschichte unmittelbar fort mit den Worten: „Da versammelte sich das ganze Volk wie ein Mann.“ Der Ausdruck „das ganze Volk“ bzw. „die ganze Versammlung“ wird mehrmals wiederholt (siehe Kap. 8,3.5.6.9.11.13.17). Dies ist um so wichtiger, als gewisse Auslegungen über das Buch Nehemia darin einen Unterschied zwischen denen in der Stadt und jenen außerhalb machen wollen. Was wir hier sehen, läßt diesen Gedanken nicht zu. Das Volk, ob innerhalb oder außerhalb der Mauern, war „eins“ und versammelte sich „wie ein Mann“. Die Mauern waren zum Schutz des Hauses Gottes, nicht zur Trennung des Volkes Sie waren nicht aufgerichtet worden, um zwei Parteien unter dem Volk Gottes zu bilden, und änderten auch später ihren Zweck nicht.

Die Zuhörerschaft setzte sich aus Männern, Frauen und allen denen zusammen, die Verständnis hatten, um zuzuhören. Der Eifer des Volkes war so groß, daß „die Ohren des ganzen Volkes“ vom frühen Morgen bis bis zum Mittag „auf das Buch des Gesetzes gerichtet waren“ (V. 2.3).

Das Wort Gottes wurde deutlich gelesen und der Sinn angegeben, damit das Volk das Gelesene verstehen sollte Und Gott deutete Seine Anerkennung über die Rückkehr zu Seinem Wort an, indem Er die Namen derer aufschreiben ließ, die sich besonders um dieses Werk kümmerten. Die einen standen in Verbindung mit Esra und wandten sich mit Lobpreis zu Gott, als das Buch geöffnet wurde, die anderen befaßten sich mit dem Vorlesen und dem Angeben des Sinnes des Wortes (V. 4-8).

Im verbleibenden Teil des Kapitels sehen wir die unmittelbare Wirkung der eingesetzten Autorität des Wortes über das Volk. Wie immer erreicht es das Gewissen und bewegt das Herz. Aber das Werk am Gewissen kommt zuerst: „Das ganze Volk weinte, als es die Worte des Gesetzes hörte“ (V. 9). Während sie dem Wort zuhören, sagt ihnen das Gewissen, wie weit sie sich von seinen Vorschriften entfernt haben. Aber wenn das Wort das Versagen des Menschen aufdeckt, dann offenbart es auch die Treue des Herrn. Wenn sie wirklich wegen ihrer eigenen Verfehlungen weinen, werden sie auch ermuntert, sich im Herrn zu freuen; denn es wird ihnen gesagt: „Die Freude an Jehova ist eure Stärke“ (V. 10-12).

So ermutigt, erstattet das Volk Jehova Sein Teil. Wie groß ihr Versagen auch sein mochte, wie viel sie auch zu bekennen und sich zur bestimmten Zeit vor dem Herrn zu demütigen hatten, so sollten ihre Verfehlungen doch nicht dazu führen, Jehova Sein Teil zu entziehen. Ja, ihre Untreue ließ die unveränderliche Treue des Herrn um so größer werden und rief den Lobpreis Seines Volkes hervor.

So kam es dazu, daß das Volk das Fest der Laubhütten feierte. Es war das letzte Fest des Jahres und schloß den Zyklus der Feste. Es stellt im Vorbild das herrliche Ende aller Wege Gottes mit Seinem Volk vor, wenn Er es, trotz seiner langen Geschichte des Versagens, in die Segnung des Tausendjährigen Reiches gebracht haben wird.

Doch das Volk begeht nicht nur das Fest, sie feiern es in Übereinstimmung mit dem Wort. Es war nichts Neues, das Fest zu feiern – das Volk hatte es schon in einer früheren Erweckung getan (Esra 3). Aber seit den Tagen Josuas hatten sie es nicht mehr in Hütten gefeiert, „nach der Vorschrift“ des Wortes (V. 18). Und können wir in unseren Tagen nicht sagen, daß das Mahl des Herrn durch alle dunklen Jahrhunderte hindurch gefeiert worden ist? Doch erst seit einige wenige aus der Gebundenheit der menschlichen, religiösen Systeme befreit worden sind, konnte es, entblößt von allen Zeremonien und Zutaten der Menschen, in heiliger Einfachheit in der Gegenwart des Herrn wieder gefeiert werden. Wenn das Abendmahl aufs neue mit Geheimnis und Zeremonie umgeben wird, oder von bestimmten, ausgewählten Personen, nach einem eingebürgerten, wenn auch nicht schriftlich festgesetzten Ablauf, bedient wird, dann deckt das eine Neigung zur Rückkehr in ein System auf.

Und genauso wie das Abendmahl des Herrn uns auf Sein Kommen hinlenkt und trotzdem zu Seinem Gedächtnis geschieht, so verhält es sich auch mit dem Laubhüttenfest. Wenn es in Übereinstimmung mit dem Wort gefeiert wird, läßt es vorausblicken auf den Tag zukünftiger Herrlichkeit und ist doch ein Fest der Erinnerung an das Tun des Herrn, wie Er das Volk durch die Wüste führte und sie während dieser Reise in Hütten wohnten (3. Mo 23,43; Sach 14,16-19).

Dadurch, daß das Fest dem Wort gemäß gehalten wurde, wurde es zu einem hellen Zeugnis an einem sehr dunklen Tag. Und damit kommt ein Grundsatz von sehr großer Ermunterung ans Licht: Je dunkler die Tage und je schwächer die Zustände, um so heller das Zeugnis derer, die dem Wort gehorchen.

Es war ein dunkler Tag in der Geschichte Israels, als Hiskia sein Passah feierte. Aber um eine Parallele zur Erweckung unter Hiskia zu finden, müssen wir 250 Jahre zurückgehen, bis zu den Tagen Salomos (2. Chr 30,26).

Noch dunkler war es, als Josia sein Passah feierte, und doch war jene Erweckung so leuchtend, daß sogar die glorreichen Tage Salomos kein solches Zeugnis boten. Wir müssen 500 Jahre zurückgehen, in die Tage des Propheten Samuel, um eine Parallele zu finden (2. Chr 35,18).

Aber in den Tagen Nehemias ging diese Haushaltung langsam ihrem Ende zu – die Dunkelheit wurde schwärzer und die Zustände schwächer als je zuvor. Und doch war das Zeugnis, das der schwache Überrest ablegte – weil er in Übereinstimmung mit dem Wort handelte -, so leuchtend, daß es in den vorangegangenen Jahren der Gefangenschaft, wie auch während der langen Geschichte der Könige oder in den Tagen der Richter, nichts gab, womit es hätte verglichen werden können. Um eine Parallele zu finden, werden wir 1000 Jahre zurückgeführt bis in die Tage Josuas, des Sohnes Nuns (V. 17).

Wie vielsagend und reich an Ermunterung ist diese wunderbare Szene für das heutige Volk Gottes, das sich in den letzten dunklen Tagen der Geschichte der Kirche auf der Erde befindet! Wenn die Gläubigen in heiliger Absonderung vom Bösen und im Gehorsam zum Wort Gottes vorangehen, werden sie finden, daß, obwohl die Dunkelheit um sie her zunimmt und die Schwachheit der Zustände wächst, die Vorrechte, die sie genießen und das schwache Zeugnis, das sie ablegen, heller und reiner sein wird als je vorher in der langen Geschichte des Niedergangs der verantwortlichen Kirche. Ein solches Zeugnis wird nur in den ersten Tagen der Kirchengeschichte eine Parallele finden.

H. S

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1993, Seite 146

Bibelstellen: Neh 8