Was tut dann der Gerechte?

In den Psalmen 11 bis 14 finden wir eine zunehmende Tätigkeit des Bösen, und damit verbunden eine größere Drangsal des Gläubigen. In erster Linie sind mit den Gerechten hier die Gläubigen des Überrestes in Israel während der Zeit und Herrschaft des Antichristen gemeint. Aber den Trost, das Vertrauen und die Zuflucht der Gläubigen jener noch zukünftigen Zeit zu betrachten ist auch für uns, die wir in einer Zeit zunehmender Gottlosigkeit leben, von Gewinn.

Psalm 11

Hier sind die Widersacher noch im Verborgenen tätig: „Denn siehe, die Gesetzlosen spannen den Bogen, sie haben ihren Pfeil auf der Sehne gerichtet, um im Finstern zu schießen auf die von Herzen Aufrichtigen“ (Vers 2). Der Gerechte empfindet aber schon deutlich, daß die Angriffe auf die Grundlagen gerichtet sind: „Wenn die Grundpfeiler umgerissen werden, was tut dann der Gerechte?“ (Vers 3). Die Antwort auf diese Frage gibt Vers 4: „Jehova ist in seinem heiligen Palast.“ Der Ausdruck,Palast‘ oder,Tempel’ spricht von dem Wohnort Gottes. Dort schaut der Glaube Gott – durch alle Verwirrung hindurch. Das Bewußtsein von Seiner Beständigkeit befestigt die Seele, und der Gedanke an Seine Heiligkeit führt sie zur Anbetung, denn dieser heilige Gott ist dem Gläubigen in Gnade begegnet.

„In den Himmeln ist sein Thron.“ – Der Thron spricht von den Regierungswegen Gottes. Dieser Thron ist im Himmel. Er kann durch nichts, was auf der Erde geschiebt, auch nur im Geringsten erschüttert werden. Der Glaube weiß, daß Gott den Gerechten prüft, aber den Gesetzlosen haßt (V. 5) und daß sein Gericht über den Gesetzlosen kommen wird (V. 6), auch wenn die Umstände momentan so aussehen, als ob das Böse triumphieren würde. In dem Bewußtsein, daß „sein Angesicht den Aufrichtigen anschaut“, aber auch daß „die Aufrichtigen sein Angesicht schauen werden“ (V. 7 siehe Fußnote), setzt der Gerechte sein ganzes Vertrauen auf seinen Gott. „Auf Jehova traue ich“ (V. 1). Der Glaube kann das Ansinnen des Feindes, zu fliehen und aufzugeben, nur abweisen (VI).

Psalm 12

In diesem Psalm wirkt das Böse nicht mehr im Geheimen sondern offen. Der Gerechte breitet vor seinem Gott aus, was auf seiner Seele liegt: „Der Fromme ist dahin, denn die Treuen sind verschwunden unter den Menschenkindern“ (V. 1). Angesichts des überhandnehmenden Bösen wird es schwer, die Frommen, die Gott fürchten, und die Treuen, die die Wahrheit Gottes aufrechterhalten, zu finden.

Der Psalmist schildert von Vers 2 bis 5 die Worte der gottlosen Menschen. Die Kennzeichen der Rede jener Menschen sind auch uns sicher nicht unbekannt: Eitelkeit und Falschheit („Sie reden Falschheit – Eitles – ein jeder mit seinem Nächsten“); Schmeichelei („ihre Lippen schmeicheln“), Unaufrichtigkeit („mit doppeltem Herzen reden sie“). Das Ganze wird gekrönt mit einem maßlosen Eigenwillen, der in den Worten gipfelt: „Wer ist unser Herr?“

Wenn die Frommen dahin und die Treuen verschwunden sind unter den Menschenkindern und wenn man den Worten der Menschen nicht mehr trauen kann, worauf verläßt sich dann der Gerechte? Auf die Worte Jehovas (V. 6). Sie sind reine Worte, wie geläutertes Silber, siebenmal gereinigt. Auch wenn das Böse allenthalben zunimmt und die Verwirrung auf christlichem Gebiet immer größer wird, so bleibt dem Gläubigen doch das unerschütterliche Fundament des Wortes Gottes. Der Gerechte, der sich darauf stützt, vertraut auf die bewahrende Gnade seines Gottes. „Du, Jehova, wirst sie bewahren, wirst sie behüten vor diesem Geschlecht ewiglich“ (V. 7). Ein befähigter Ausleger sagt dazu: „Unsere Weisheit besteht darin, daß wir am Wort des Herrn festhalten, komme, was da wolle … Das Wort ist für die Seele der Prüfstein, an dem sie alles prüft.“

Psalm 13

Die Übungen der Seele des Gläubigen gehen noch tiefer. Während er in Psalm 11 die Grundpfeiler umgerissen sieht und in Psalm 12 die Treuen im Lande scheinbar verschwinden, sind seine Umstände jetzt so, daß es den Anschein hat, als ob Gott selbst die Seele vergessen hat. „Bis wann, Jehova, willst du meiner vergessen immerdar? Bis wann willst du dein Angesicht vor mir verbergen?“ Obwohl das Böse von außen und die Furcht von innen die Seele erschüttern, so zeigen diese Worte doch den Funken Glauben, der sich an Gott klammert. „Bis wann?“ – das ist die Sprache des Glaubens, der weiß, daß Gott allen Prüfungen eine Grenze gesetzt hat.

„Bis wann soll ich Ratschläge hegen in meiner Seele, Kummer in meinem Herzen bei Tage? Bis wann soll sich mein Feind über mich erheben?“ (V. 2). Die geprüfte Seele hat in sich selbst hineingeschaut, und das Ergebnis war – wie es gerade die Psalmen, aber auch unsere eigene Erfahrung so oft zeigen – nur Verzweiflung. Dadurch kann der Feind triumphieren.

Dann wendet sich die Seele jedoch im Gebet an Gott (V. 2-5), und das Ergebnis sind erleuchtete Augen und neues Vertrauen auf die Rettung Gottes. Der Psalm, der mit der verzweifelten Frage „Bis wann?“ begann, endet mit einem Loblied: „Ich will Jehova singen, denn er hat wohlgetan an mir“ (V. 6).

Psalm 14

In diesem Psalm erreicht nun das Böse seinen Höhepunkt, indem „der Tor“ auftritt, der in seinem Herzen spricht: „Es ist kein Gott“ und die Menschen Gott nicht suchen, sondern verderbt handeln (V. 1-3). Wenn wir diese Verse auch oft und sicher zu Recht auf die Menschheit im allgemeinen anwenden, so redet dieser Psalm doch in erster Linie von dem schrecklichen Zustand der Welt unter der Herrschaft des Antichristen. Wenn es in Vers 2 heißt „Jehova hat vom Himmel herniedergeschaut auf die Menschenkinder, um zu sehen, ob ein Verständiger da sei, einer der Gott suche“, so ist das der prüfende Blick Gottes, der dem Gericht vorausgeht: Hatte Gott nicht schon immer so gehandelt? Denken wir an den Turmbau zu Babel (1.Mose 11,5 – „Jehova fuhr hernieder, die Stadt und den Turm zu sehen“), an das Gericht über Sodom (1.Mose 18,16 – „Und die Männer erhoben sich von dannen und blickten hin nach Sodom“) oder an das Gericht über die Ägypter (2. Mo 14,24 – „Und es geschah in der Morgenwache, da schaute Jehova in der Feuer- und Wolkensäule auf das Heer der Ägypter“).

Was hält den Gerechten aufrecht in einer solchen Zeit, wo das Böse regiert und der Gerechte unterdrückt und verfolgt wird, ja, wo die, die Frevel tun, „mein Volk fressen, als äßen sie Brot“ (V. 4)? Es ist gerade dieses Bewußtsein des kommenden Gerichts und die Hoffnung, daß Gottes Verheißung eintritt. „Wenn Jehova die Gefangenschaft seines Volkes wendet, soll Jakob frohlocken, Israel sich freuen“ (V. 7).

Wir leben nicht in jener noch zukünftigen Zeit, und auch die Empfindungen des Gläubigen der Gnadenzeit sind andere als jene des gläubigen Überrestes. Aber sind nicht auch manche Ähnlichkeiten sichtbar? Die Aussage „Es ist kein Gott“ ist Grundlage nahezu jedes Bereichs unserer Gesellschaft, und es fällt nicht schwer zu erkennen, daß die Menschen „verderbt“ und „abscheulich“ handeln. Da wollen auch wir unsere Hoffnung in unseren Herzen lebendig halten, daß unser Herr wiederkommen wird und unsere Lage sich wenden wird. Aber wir wollen auch jederzeit bereit sein zur „Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft von euch fordert über die Hoffnung, die in euch ist, aber mit Sanftmut und Furcht“ (1. Pet 3,15).

Angesichts des Gerichts, dem die Menschen um uns herum entgegengehen, wollen wir die Worte des Apostels Paulus nicht vergessen: „Da wir nun den Schrecken des Herrn kennen, so überreden wir die Menschen … Wir bitten an Christi statt: Laßt euch versöhnen mit Gott“ (2. Kor 5,11.20). Vielleicht gelingt es uns, so noch einzelne Seelen „zurückzuhalten von der Grube, und sein Leben vom Rennen ins Geschoß“ (Hiob 33,18). M.V.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1995, Seite 274

Bibelstellen: Ps 11; Ps 12; Ps 13; Ps 14

Stichwörter: Prüfung, Trost, Überrest, Übung, Vertrauen