Die Endzeitrede des Herrn: Überblick

Matthäus 24,1-14

Die Endzeit

Zu Recht werden die Kapitel 24 und 25 des Matthäusevangeliums, die die fünfte und letzte Rede des Herrn Jesus enthalten, als die große prophetische Endzeitrede bezeichnet. Unter „Endzeit“ oder „Zeit des Endes“ (vgl. Dan 11,40) ist die Zeit zu verstehen, die zwischen der Entrückung der Gläubigen und der Erscheinung Christi in Herrlichkeit liegt. Zwar wird auch das Ende der jetzigen Gnadenzeit, in der wir leben, das „Ende der Zeit“ und die „letzten Tage“ genannt (Jud 18; 2. Tim 3,1; 2. Pet 3,3), aber der Begriff „Endzeit“ sollte nur für die zukünftige Zeit der Gerichte verwendet werden. Sonst besteht die Gefahr der Vermischung zweier ganz verschiedener Perioden.

Allerdings spricht der Herr Jesus in diesen beiden Kapiteln nicht nur über die Endzeit, sondern teilweise auch über die jetzige Zeit. In Seiner Rede behandelt Er nämlich drei Themen:

– die Ereignisse in Verbindung mit dem jüdischen Volk in der Endzeit (Kap. 24,4-44),

– das christliche Bekenntnis während der jetzigen Zeit (Kap. 24,45 – Kap. 25,30),

– das Gericht über die Nationen bei der Erscheinung Christi (Kap. 25,31-46).

Diese Einteilung kann man auch daran erkennen, daß der Herr sich zwar im ersten und letzten Abschnitt „Sohn des Menschen“ nennt (Kap. 24,27.30.37.39.44; 25,31), nicht aber im mittleren, in dem Er vom christlichen Bekenntnis spricht. Als Sohn des Menschen wird Er einmal Richter und Herrscher sein (Joh 5,27; Heb 2,6.7). Aber so steht Er jetzt nicht in Beziehung mit den Gläubigen der Gnadenzeit. Deshalb kommt der Titel „Sohn des Menschen“ unter all den herrlichen Namen Christi in den Briefen des Neuen Testaments außer in einem Zitat in Hebräer 2,6 nicht mehr vor.

Der Herr verläßt den Tempel

Nach Seinem siebenmaligen „Wehe“-Ruf über die Schriftgelehrten und Pharisäer verließ der Herr Jesus den Tempel in Jerusalem (Vers 1). Während Seines ganzen Lebens auf der Erde hatte Er ihn als das Haus Seines Vaters anerkannt (Lk 2,49; Joh 2,16). Doch jetzt, wo der Zeitpunkt Seiner endgültigen Verwerfung und Seines Todes unmittelbar bevorstand, brachte Er durch Seine Abwendung das Ende des jüdischen Systems zum Ausdruck. Das jüdische Volk würde für lange Zeit nicht mehr von Gott als Sein irdisches Volk anerkannt werden (vgl. Mt 23,38.39). Erst, wenn es diese Stellung wieder einnehmen wird (was trotz der Staatsgründung 1948 noch nicht der Fall ist), werden auch die noch unerfüllten Prophezeiungen in Erfüllung gehen. Dazwischen aber liegt jetzt die Gnadenzeit und die Sammlung der Kirche auf der Erde.

Die Jünger konnten sich nur schwer von ihren jüdisch geprägten Vorstellungen lösen. Sie blickten zurück und zeigten auf diese monumentalen Gebäude, deren Umfassungsmauer mit ihren gewaltigen Quaderresten auch den heutigen Betrachter noch beeindruckt. Aber der Herr antwortete nur: „Sehet ihr nicht dies alles? Wahrlich, ich sage euch: Hier wird nicht ein Stein auf dem anderen gelassen werden, der nicht abgebrochen werden wird“ (Kap. 24,2). – Wie wir aus der Geschichte wissen, wurden Jerusalem und der Tempel wenige Jahrzehnte später, im Jahr 70 n. Chr., von den Soldaten des römischen Heeres unter dem Oberbefehl des späteren Kaisers Titus verbrannt und dem Erdboden gleichgemacht.

Durch das Kidrontal gingen der Herr und Seine Jünger nun zum Ölberg hinauf, von wo der Blick ungehindert über die ganze Stadt wandern kann. Dort setzte der Herr sich. Seine Jünger (nach Mk 13,3 Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas) waren von Seinen letzten Worten tief beeindruckt. Sie traten deshalb ein wenig abseits zu Ihm hin und fragten Ihn: „Sage uns, wann wird das sein, und was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?“ (Vers 3).

Die Ankunft des Herrn

Die Jünger dachten bei ihrer Frage nicht an Sein Kommen zur Entrückung der Gläubigen. Diese war für sie damals noch eine völlig unbekannte Tatsache, die erst vom Apostel Paulus enthüllt wurde, und in seinen Mitteilungen in 1. Korinther 15,51ff. und 1. Thessalonicher 4,13ff. lesen wir außer dem „Posaunenklang“ für die Gläubigen nichts von einem Zeichen Seiner Ankunft.

Die Ankunft bezeichnet nämlich nicht nur das Kommen des Herrn zur Entrückung der Gläubigen, sondern auch Seine Erscheinung in Herrlichkeit (vgl. 1. Thes 3,13; 2. Thes 2,8), und nur diese kann hier gemeint sein. Die folgende Erwähnung der Vollendung des Zeitalters bestätigt das, denn überall sonst, wo diese Bezeichnung vorkommt, spricht der Herr Jesus von Seiner Offenbarung in Herrlichkeit (vgl. Mt 13,39.40.49; 24,3; 28,20).

Den ersten Teil ihrer Frage: „Wann wird das sein …?“ beantwortet der Herr nicht. Auf die kommende Zerstörung des Tempels hatte Er ja schon hingewiesen. Aber der zweite Teil der Frage: „… was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?“ berührte das wichtige Thema „Endzeit“. Deshalb geht der Herr Jesus darauf ausführlich ein.

Verführung und Drangsal

Er beginnt mit der Warnung: „Gebt acht, daß euch niemand verführe!“ (Vers 4), die sich an die Jünger richtet und doch den gläubigen jüdischen Volksteil in der Zukunft meint. Die Erklärung dafür gibt der Herr in Vers 34 dieses Kapitels: „Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen ist.“ Der Begriff „Geschlecht“ wird hier nicht auf „Generation“ begrenzt gesehen, sondern in einer zeitübergreifenden Bedeutung für das Geschlecht der Juden allgemein verwendet. Wenn Er also die Jünger direkt anredet, betrachtet Er sie nicht als Christen, sondern als Repräsentanten des jüdischen Volkes bis in die Endzeit.

Eine der Verführungen des auf seinen Messias wartenden Volkes wird dann darin bestehen, daß viele unter Seinem Namen kommen und behaupten werden: „Ich bin der Christus“ (Vers 5). Zwar warnt auch Johannes in seinem ersten Brief vor den Antichristen der jetzigen Zeit (Kap. 2,18), aber nach der Entrückung der Gläubigen wird diese Gefahr eine völlig andere Dimension annehmen. Diese Antichristen sind gewissermaßen Vorläufer des kommenden Antichristen, die von demselben satanischen Geist erfüllt sind, ohne jedoch wie jener den alles übersteigenden Anspruch eigener Göttlichkeit zu erheben (vgl. 2. Thes 2,3.4; Off 13,11ff.).

Dann kündigt der Herr Jesus für die Zeit des Endes Kriege, Hungersnöte, Seuchen und Erdbeben an. In der Offenbarung werden diese Voraussagen bestätigt und weiter ausgeführt. Nach der Eröffnung der ersten vier Siegel (Off 6,1-8) sehen wir die vier „apokalyptischen Reiter“ auf ihren weißen, roten, schwarzen und fahlen Pferden Eroberung, Krieg, Hungersnot und Tod bringen. Zwar hat es im Lauf der Jahrhunderte immer wieder ähnliche Katastrophen gegeben, aber hier handelt es sich um vom Himmel angekündigte und hervorgerufene Strafgerichte, deren Ausmaß alles Dagewesene übersteigen wird.

Der Vergleich mit den Beschreibungen in der Offenbarung zeigt auch, daß diese Plagen noch nicht das Ende sind, sondern erst den Anfang der Wehen vor dem Erscheinen des Herrn kennzeichnen (Verse 6-8).

Aber es werden nicht nur allgemeine Prüfungen kommen, sondern auch direkte Verfolgungen der Juden von außen und Haß untereinander (Verse 9 und 10). Falsche Propheten werden auftreten und viele verführen, und die Gesetzlosigkeit wird derart überhandnehmen, daß die Liebe eines großen Teils des Volkes erkalten wird (Verse 11-13). Hier spricht der Herr offenbar – wenn auch in sehr allgemein gehaltenen Worten – von der Zeit des Antichristen, die in die letzten dreieinhalb Jahre dieser Periode fällt. Aber diejenigen unter ihnen, die sich durch alle diese Schrecken nicht beeinflussen lassen, sondern in der Drangsal treu bis zum Schluß ausharren, werden bei der Erscheinung des Herrn als Sein Volk anerkannt werden (vgl. Röm 11,16; Off 14,1-5).

Das Evangelium des Reiches

In dieser schweren Zeit wird wiederum das Evangelium des Reiches verkündigt werden (Vers 14). Der Herr nennt es „dieses Evangelium“, weil es bereits vor Seinem öffentlichen Auftreten von Johannes dem Täufer verkündigt und auch von Ihm selbst gepredigt worden war (vgl. Mk 1,15; Mt 3,1.2; 4,17.23). Es lautete: „Tut Buße, denn das Reich Gottes [oder: der Himmel] ist nahe gekommen.“ Der Inhalt dieses Evangeliums ist also ein völlig anderer als der des Evangeliums der Gnade, der Botschaft Gottes in der jetzigen Zeit. Die Juden als Volk haben damals das Evangelium des Reiches nicht angenommen. Gott in seinem Erbarmen läßt es darum von neuem predigen, und nicht nur diesem Volk, sondern der ganzen Erde. Erst danach wird mit der Erscheinung Christi zur Aufrichtung des Tausendjährigen Reiches das Ende kommen.

Zeugt es nicht von der unermeßlichen Gnade Gottes, daß Er auch nach dem Ende der Gnadenzeit den Menschen Gelegenheit zur Buße und zum Glauben schenkt? Alle, die das Evangelium der Gnade nicht gehört haben, können in jener Zeit die Botschaft des Reiches annehmen. Dadurch wird eine vollkommene Anzahl aus dem Volk Israel und eine große Menge aus allen Völkern gerettet werden (Off 7). – Diejenigen, die jetzt das Angebot der Gnade Gottes in Christus ablehnen, werden diese Möglichkeit jedoch nicht haben. Sie werden nach der Entrückung durch einen von Gott gesandten Irrwahn verhärtet und gehen ewig verloren (2. Thes 2,9-12).

Niemand verfalle deshalb in den Irrtum, in der endzeitlichen Verkündigung des Evangeliums des Reiches gebe es noch eine Hoffnung für solche, die heute das Evangelium der Gnade verworfen haben. Sie gehören zu denen, die jetzt „der Wahrheit nicht geglaubt haben“ und „dann der Lüge glauben werden“. A.R.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1997, Seite 208

Bibelstellen: Mt 24, 1-14

Stichwörter: Drangsal, Endzeit, Evangelium des Reiches, Sohn des Menschen, Verführung, Wiederkunft