Seid stark

Haggai 2,4

Die Geschichte des aus Babel zurückgekehrten jüdischen Überrestes, die in den Büchern Esra und Nehemia beschrieben wird, weist manche Parallelen zu unserer Zeit auf. Die Juden, die nach Jerusalem und in ihr Land zurückkehrten, handelten anfänglich wie ein Mann und richteten sich in allem nach dem Gesetz Moses (Esra 1-2). Doch ihr Eifer beim Aufbau des zerstörten Tempels erlahmte bald. Widerstand von außen, aber auch die Beschäftigung mit persönlichen Interessen führten zu einem jahrelangen Stillstand der Arbeiten (Esra 3-4; Hag 1).

In dieser Situation beruft Gott die beiden Propheten Haggai und Sacharja (Esra 5,1.2). Während der Dienst Sacharjas fast ganz auf die Zukunft gerichtet ist, beschäftigt sich Haggai mehr mit dem Zustand des Überrestes. Dem positiven Echo auf seinen Ruf zur Umkehr („Richtet euer Herz auf eure Wege“) folgt am Anfang des zweiten Kapitels eine ermunterte Botschaft.

Gott erinnert die Juden hier zunächst an die Herrlichkeit des salomonischen Tempels, seit dessen Zerstörung ungefähr fünfundsechzig Jahre vergangen waren. Nur wenige von ihnen hatten in ihrer Jugend noch „dieses Haus in seiner früheren Herrlichkeit“ gesehen (Vers 3). Wenn sie den jetzigen Bau damit verglichen, mußte er tatsächlich wie nichts in ihren Augen sein. Wohl mochten seine Ausmaße gleich oder ähnlich sein, aber er war unvollendet, besaß äußerlich keine Herrlichkeit, und es fehlte ihm das Wichtigste: die Lade des Bundes Gottes. Schon bei der Grundlegung des Tempels hatten viele geweint (Esra 3,12), und je weiter der Bau fortschritt, desto deutlicher wurde, daß er seine frühere Herrlichkeit nicht wieder erreichen würde.

Aber wie steht es heute mit der geistlichen Wohnung Gottes, Seiner Versammlung? Wenn wir ihren gegenwärtigen Zustand mit ihrem Anfang vergleichen, dann kann uns außer Trauer auch leicht Mutlosigkeit beschleichen. Vieles ist zu tun, viele erkennbare Lücken müssen geschlossen werden, aber unsere Kraftlosigkeit ist groß, und wir haben wenig Mut zum Bauen.

Wie ermunternd sind da die Worte: „Und nun sei stark, Serubbabel, spricht Jehova; und sei stark, Josua, Sohn Jozadaks, du Hoherpriester, und seid stark, alles Volk des Landes, spricht Jehova, und arbeitet! denn ich bin mit euch, spricht Jehova der Heerscharen“ (Hag 2,4). Das sind keine Durchhalteparolen, keine menschlichen Appelle, die eigenen Kräfte zusammenzunehmen, sondern Gott selbst spricht seinem Volk Mut zu. Von Ihm kommt der dreimalige Zuruf, stark zu sein. Er gibt Sein Volk und Sein Werk nicht auf, und auch wir dürfen es nicht. Er ist die Quelle aller Kraft für diejenigen, die an Ihn glauben und auf Ihn vertrauen. So ist und bleibt es in guten wie in schweren Zeiten.

„Sei stark und mutig“ hatte Gott schon Jahrhunderte vorher zu Josua, dem Sohn Nuns, gesagt, als dieser im Begriff stand, Israel durch den Jordan hindurch in die irdischen Segnungen des Landes Kanaan zu führen (Jos 1,6.7.9.18). „Seid stark in dem Herrn“ schrieb Paulus später den Christen in Ephesus, die er in den Reichtum der geistlichen Segnungen in Christus in den himmlischen Örtern einführte (Eph 6,10).

Mit den Worten „Sei stark“ ermutigte David den noch jungen Salomo, als er ihm den großen Auftrag erteilte, an dem Ort, wo Gott Seinen Namen wohnen lassen wollte, den Tempel zu bauen (1.Chr 22,13). „Seid stark“ schrieb Paulus den Gläubigen in Korinth, denen er im gleichen Brief die Frage stellte: „Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid?“ und die er ermahnte: „Ein jeder aber sehe zu, wie er … baut“ (1. Kor 3,10.16; 16,13).

„Seid stark“ durfte Haggai dem schwachen Überrest zurufen, der vor der schweren Aufgabe stand, die Trümmer des Hauses Gottes aufzubauen. „Sei stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist“, so hat der Apostel Paulus schließlich in seinem letzten Brief den jungen und vielleicht zaghaften Timotheus angesichts der schweren Zeiten in den letzten Tagen ermuntert (2. Tim 2,1).

Dies sind nur einige der vielen Gelegenheiten, bei denen Gott uns in Seinem Wort durch Seinen Geist mit den Worten „Seid stark“ dazu ermuntert, Mut zu fassen und uns in Ihm zu stärken. Er tut es, weil ein mächtiger und listiger Widersacher auf dem Plan ist, der alles, was zur Ehre und Verherrlichung Gottes und zum Segen der Seinen getan wird, zerstören will. Er tut es aber auch,

weil Er weiß, wie leicht wir verzagt, mutlos und glaubensschwach werden. Mit den Worten „Seid stark“ will Er uns gerade dann, wenn wir uns schwach fühlen, daran erinnern, daß bei Ihm Kraft und Stärke wohnt. „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht“ (2. Kor 12,9). A.R.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 1999, Seite 34

Bibelstellen: Hag 2, 4