David – ein Leben zwischen Gesetz und Gnade
Ein Mann nach dem Herzen Gottes
Die Geschichte Davids kann den Bibelleser immer wieder neu fesseln. Schon Samuel kündigte den von Gott auserwählten König – ohne seinen Namen zu nennen zum ersten Mal mit den Worten an: „Jehova hat sich einen Mann gesucht nach seinem Herzen“ (1. Sam 13,14). Das sagte er, um ihn Saul, dem König nach dem Wohlgefallen des Menschen, gegenüberzustellen. Davids
Leben war zu diesem Zeitpunkt noch ein unbeschriebenes Blatt Ähnlich wie einst Gideon war er der Jüngste im Haus seines Vaters und wurde von den Seinen verkannt; und für Saul war er sogar dann noch ein Namenloser, als er durch den Sieg über Goliath schlagartig ins „Rampenlicht“ der Öffentlichkeit nicht nur in Israel gerückt war (1. Sam 17,55). – Aber finden nicht gerade die Geringen bei Gott das größte Interesse? Unter solchen hat Er zu allen Zeiten seine Auswahl getroffen (vgl. 1. Kor 1,26-29).
Menschen mag es überraschen, dass Gott ausgerechnet David einen Mann nach seinem Herzen nennt, obwohl dieser doch alles andere als einen vollkommenen Lebenswandel aufzuweisen hatte. Gottes Wort verschweigt seine Sünden überhaupt nicht. Natürlich kannte der allwissende Gott den Lebenslauf Davids im Voraus, wie Er auch das Leben jedes einzelnen Gläubigen heute kennt, mit allen Ungereimtheiten und wunden Punkten, die auch wir aufzuweisen haben. Aber was David auszeichnete, war die Tatsache, dass er bei allen seinen Verirrungen sich immer wieder zur Buße leiten ließ, so dass er Gnade bei Gott fand gemäß dem Grundsatz: „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade“ (Jak 4,6). Das ist heute noch genauso wahr wie damals.
Was uns David so sympathisch macht
Und das ist es gerade, was uns die Person Davids auch heute so anziehend erscheinen lässt. In seinem Leben schimmern immer wieder Züge durch, die wir bei einem Gläubigen des Alten Testaments eigentlich so nicht erwartet hätten. Man meint, an ihm Merkmale zu erkennen, die uns lehrmäßig erst im Neuen Testament vorgestellt werden. Was wusste David denn von Christus? Zwar spricht er gelegentlich, wie auch andere Männer des Alten Bundes, durch den prophetischen Geist geleitet, von Christus im kommenden tausendjährigen Friedensreich. Aber dieser „Herrscher unter den Menschen, gerecht, ein Herrscher in Gottesfurcht“ (2. Sam 23,3.4) war ihm noch nicht bekannt als Der, der seine Sünden und die seines Volkes auf sich nehmen und dafür leiden und sterben sollte. Um so mehr staunen wir, wenn wir David nach einer schweren Sünde – ausrufen hören: „Lass mir wiederkehren die Freude deines Heils!“ (Ps 51,12). War es denn nicht absurd, von „Freude des Heils“ zu sprechen in einer Zeit, in der Christus noch gar nicht als das Lamm Gottes offenbart worden war? Was gab ihm die Berechtigung dazu?
Die Antwort ist vielleicht einfacher, als wir denken. David hatte von Jugend an praktische Erfahrungen gemacht im täglichen Umgang mit seinem Gott. Er hatte etwas von der Liebe Gottes verstanden, auch wenn er von der uns so geläufigen Aussage des Apostels Johannes „Gott ist Liebe“ noch nichts wissen konnte. Denn der Gott Davids ist derselbe Gott, der erst viel später als der „Vater unseres Herrn Jesus Christus“ den Gläubigen der Gnadenzeit offenbart werden sollte. David hatte die Nähe Gottes und seine Rettungen in Verfolgungen und Gefahren erlebt, und sein Vertrauen zu Ihm war immer größer geworden. Insofern kannte er persönlich etwas von der „Freude des Heils“.
Die Lade Jehovas: das Zentrum der Wohnung Gottes
Besonders deutlich kommt das Verlangen Davids nach der Nähe und Gemeinschaft mit seinem Gott darin zum Ausdruck, wie er mit der Bundeslade, dem Symbol der Gegenwart Gottes unter seinem Volk, umging. Ursprünglich stand die Lade im Allerheiligsten des „Zeltes der Zusammenkunft“. Dort war sie vor den Augen der Israeliten verborgen, bedeckt mit Decken aus Dachs- und Widderfellen Solange die Lade mit der Stiftshütte vor dem Volk Gottes her durch die Wüste zog, bildete sie das Zentrum der ganzen Wohnung. Dort, vom Deckel der Lade her, hörte Mose die Stimme Gottes (4. Mo 7,89); dort, über dem Allerheiligsten, stand als sichtbarer Ausdruck der Gegenwart Gottes am Tag die Wolkensäule und nachts die Feuersäule.
Als Israel den Jordan durchschritt, musste die Bundeslade auf Anweisung Gottes mitten im Jordan niedergesetzt werden, während sich die Wasser des Jordan vor ihr auftürmten und die Kinder Israel auf der anderen Seite im Abstand von 2000 Ellen den Fluss trockenen Fußes überquerten. Ihr erster vorläufiger Ruheort im Land Kanaan war Silo; dort war sie noch Mittelpunkt des Zeltes der Zusammenkunft. Von der Wolken- und Feuersäule lesen wir aber nach dem Betreten des verheißenen Landes nichts mehr; das Volk hatte das Ziel, Kanaan, erreicht und brauchte dieses Orientierungsmittel nicht mehr.
Die Bundeslade getrennt von der Wohnung Gottes
Als David zum König gesalbt wurde, hatte sich die Lage völlig verändert. Schon nach dem Tod Josuas, in der Zeit der Richter, entfremdete sich das Volk zunehmend von seinem Gott. Die Kinder Israel riefen Jehova schließlich nur noch an, wenn Er sie im eigenen Land in Bedrängnis brachte vor ihren Feinden, die sie eigentlich längst hätten austreiben sollen. Und das Priestertum war, statt der Mittler zwischen dem Volk und Jehova zu sein, sozusagen der Schrittmacher im Abfall von Gott; denken wir nur an die Gräuel, die im Buch der Richter beschrieben werden, und an das böse Treiben der Söhne des Hohenpriesters Eli (Ri 17-21; 1. Sam 2-4). Wegen des verderbten Zustands des Volkes ließ Gott es schließlich zu, dass die Lade Gottes, die von Israel wie ein Talisman (ein Schutzzauber) gehandhabt wurde, in die Gefangenschaft der Philister geriet.
Wir übergehen den Aufenthalt der Bundeslade im Land der Philister. Als diese die Lade auf einem neuen Wagen, gezogen von säugenden Kühen, nach Israel zurücksandten, ließen die Bewohner von Beth-Semes jede Ehrfurcht vor ihr vermissen und schauten hinein (die Philister hatten ihr nämlich ein Schuldopfer mitgegeben) – mit dem Ergebnis, dass Gottes Strafgericht über sie kam. Nun fürchteten sich die Israeliten vor ihr, und nur die Bewohner von Kirjath-Jearim waren bereit, sie zu sich zu nehmen. So kam die Lade in das Haus Abinadabs, wo sie blieb, bis David das Königtum über ganz Israel angetreten hatte (1. Sam 6,17 bis 7,1).
Es war sicher kein Zufall, dass die Bundeslade so lange Zeit getrennt war von der Stiftshutte, so als habe sich Gott aus seiner Wohnung zurückgezogen. David scheint von Anfang an ein Empfinden dafür gehabt zu haben, dass die Kinder Israel, nachdem sie einen König für sich begehrt hatten wie alle Nationen, gewissermaßen auf Distanz zu Jehova gegangen waren, der doch ihr König sein wollte. Deshalb wohl die große Zurückhaltung Davids, sich selbst auf den Thron Israels zu setzen – obwohl er zum König gesalbt worden war -, sondern er wartete auf Gott, bis Er ihm die Herrschaft übertragen würde. Dazu passt gut, dass er auch Saul, dessen Feindschaft ihm unverhohlen entgegenschlug, nicht antastete, obwohl ihm die Gelegenheit dafür mehrmals geboten wurde. Aber je weiter Israel als Nation sich von Gott entfernte, desto mehr trieb es David in die Nähe Jehovas. Das äußerte sich nicht nur darin, dass er sich in den Besitz eines Ephods zu bringen wusste (dieses Überkleides der Priester, das den direkten Zutritt zu Gott gewährte; vgl. 2. Sam 6,14), sondern auch darin, dass er die Bundeslade in seiner Nähe, in der Burg Zion, seinem ständigen Wohnsitz, haben wollte.
Die Bundeslade im Haus Obed-Edoms, des Gathiters
Man muss davon ausgehen, dass der Wunsch Davids, die Bundeslade nach Jerusalem zu holen, den Gedanken Gottes entsprach. Warum er aber nicht gleich auch das Heiligtum als solches (die Stiftshütte), das sich ja noch in Silo (oder schon in Gibeon? vgl. 1. Chr 16,39.40) befand, nach Jerusalem brachte, das kann mehrere Gründe haben.
Wie schon angedeutet, war das Priestertum seit der Richterzeit immer weniger geeignet, das Volk vor Gott zu vertreten, da die, die es ausübten, teilweise selbst vor Gott schuldig geworden waren. Entscheidend aber ist wohl, dass David schon lange den Gedanken hatte, Jehova ein festes Haus zu bauen. Doch durch den Propheten Nathan gab Gott ihm zu verstehen, dass nicht er, sondern sein Sohn Salomo den Tempel errichten sollte (2. Sam 7; 1. Chr 17). Auch stand die Lade, wie gesagt, nicht mehr im Zelt der Zusammenkunft, sondern in Kirjath-Jearim im Haus Abinadabs, dessen Söhne zu Priestern geweiht worden waren.
Obwohl nun David das Haus Jehovas nicht bauen durfte, so suchte er doch die Nähe des Herrn und sann darauf, die Lade zu sich zu holen. Dennoch – der erste Versuch, sie nach Jerusalem, in die Stadt Davids, zu bringen, schlug fehl. Zwar hatte er sich „mit den Obersten über tausend und über hundert und mit allen Fürsten“ beraten, aber es ist interessant, dass trotz dieser Beteiligung der „Führungs-Elite“ an dem Vorhaben weder David selbst noch seine Berater auf den Gedanken gekommen sind, dass die Bundeslade nicht auf einem Wagen transportiert werden durfte, sondern getragen werden musste. Das führte dann zu dem schockierenden Zwischenfall mit Ussa, der sterben musste, weil er die Lade in der zweifellos gut gemeinten Absicht, sie nicht zu Fall kommen zu lassen, verbotenerweise anfasste. -Davids Bestürzung ist groß, und er lässt die Lade nicht in seine Stadt, sondern in das Haus Obed-Edoms, des Gathiters, bringen (1. Chr 13).
Doch dann lesen wir zu unserer Überraschung: „Und Jehova segnete das Haus Obed-Edoms und alles, was sein war“ (1. Chr 13,14). Das blieb auch David nicht verborgen. Schon seine Frage: „Wie soll ich die Lade Gottes zu mir bringen?“ (V. 12) zeigt, dass er verstanden hatte, dass es hier um das „Wie“ ging; er hatte die Anordnungen Gottes, wie mit der Lade umzugehen war, nicht beachtet (vgl. 5. Mo 10,18 u. a. St.). Wie beschämend für David, dass der Segen der Gegenwart Gottes, nach dem er ohne Frage verlangt hatte, nicht auf ihn, sondern auf die Familie des Gathiters Obed-Edom gekommen war! (Unter den Gathitern hatte David manche vertraute Freunde, bei denen er in Zeiten der Verfolgung mehrfach Zuflucht gefunden hatte; 1. Sam 21,10 ff; Kap. 27; s. a. Ittai,2. Sam 15.)
War dieser Misserfolg für David nun ein Grund, sein Vorhaben endgültig aufzugeben? Lasst uns seinen Weg weiter verfolgen!
Die Lade Gottes in Jerusalem
David hat aus diesem Zwischenfall gelernt, wie wir in 1. Chronika 15,2/7. erfahren. Danach gibt er nämlich Anweisungen, dass die Lade von den Leviten getragen werden sollte. Darüber ist offensichtlich nur wenig Zeit vergangen, etwa drei Monate (1. Chr 13,14). Und er beginnt noch einmal, alle Vorbereitungen für den Einzug der Lade in Jerusalem zu treffen. Jede Einzelheit wird festgelegt, für jeden der nötigen Dienste bestimmt David selbst die Personen, die sie verrichten sollen.
Und dann beginnt der Umzug unter großem Jubel, und die Freude bleibt diesmal ungetrübt. Auch für Brand- und Friedensopfer hat der König gesorgt (1. Chr 16,2), und das alles, ohne die Altäre der „Stiftshütte“ dafür in Anspruch zu nehmen; sie werden überhaupt nicht erwähnt. Darüber kann man nachdenken: ein Freudentag für Israel, ganz augenscheinlich in Übereinstimmung und in Gemeinschaft mit Gott, und doch, was den Ort anbelangt, wo die Opfer dargebracht wurden, gänzlich außerhalb der Anordnungen des Gesetzes. Die Bemerkung in 1. Chronika 15, Vers 26, dass „Gott den Leviten half, die die Lade des Bundes Jehovas trugen“, zeigt unmissverständlich, dass diese Szene Gottes uneingeschränktes Wohlwollen fand. David muss das verspürt haben, denn nur das Bewusstsein, dass er vor dem Angesicht des Höchsten war und seine Zustimmung hatte, erklärt den Überschwang seiner Freude.
Aber ein Schatten begleitet diese Szene dennoch. Michal, die Tochter Sauls, die Davids Frau wurde, als dieser noch im Dienst seines Vorgängers Saul. des Königs nach dem Fleisch, stand – sie kann sich nicht freuen. David tanzt mit aller Kraft vor Jehova, aber Michal hat für den König nur Verachtung übrig. „Wie hat der König von 3 Israel sich heute verherrlicht“, sagt sie, „da er sich heute vor den Augen der Mägde seiner Knechte entblößt hat, wie sich nur einer der losen Leute entblößt!“ (2. Sam 6,20). David konnte und wollte seine Herzensempfindungen der Freude und Dankbarkeit vor Gott nicht verbergen, und wenn er sich „entblößte“ und „vor Jehova spielen“ und „noch geringer werden“ und in seinen Augen „niedrig sein“ wollte (V. 21. 22), war das doch nur die angemessene Haltung, die sich für ihn vor Gott geziemte. Michal dagegen hatte anscheinend keine Beziehung zu Gott; deshalb fehlte ihr auch völlig das Verständnis für die Gefühle, die David bewegten.
„Jehova wird ersehen“
Und wieder ist die Lade getrennt von der Wohnung, denn Letztere befand sich ja inzwischen auf der Höhe in Gibeon. Wann und unter welchen Umständen sie dorthin verlegt wurde, ist wohl aus der Heiligen Schrift nicht eindeutig abzuleiten. Für David scheint aber klar gewesen zu sein, dass weder Silo noch Gibeon, noch Kirjath-Jearim der endgültige Ruheort der Lade und damit auch der Wohnung Gottes werden konnten. Vermutlich wusste er als gläubiger Israelit, dass der Patriarch Abraham einstmals dem Ort, an dem er anstelle seines Sohnes Isaak einen Widder als Brandopfer darbrachte, den Namen gab: „Jehova wird ersehen.“ Und der inspirierte Schreiber (Mose) fügt hinzu: „Daher heutigen Tages gesagt wird: Auf dem Berg Jehovas wird ersehen werden“ (1. Mo 22,14). Daraus kann man schließen, dass das „Land Morija“, wo Abraham das Opfer darbrachte, in Israel bekannt war als der ausersehene Ort der Anbetung, in etwa identisch mit dem „Berg Jehovas“, dem Gebiet des späteren Jerusalem (vgl. in diesem Zusammenhang auch das Brandopfer auf der Tenne Arawnas bzw. Omans, des Jebusiters, in 2. Sam 24 u. 1. Chr 21, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann). Es ist der nämliche Ort, auf den Mose die Israeliten kurz vor dem Einzug in das Land Kanaan immer wieder mit ähnlichen Worten hinwies: „… den Ort sollt ihr aufsuchen, den Jehova, euer Gott, aus allen euren Stämmen erwählen wird, um seinen Namen dahin zu setzen, dass er dort wohne, und dahin sollst du kommen“ (5. Mo 12.5).
Solange der Tempel aber noch nicht errichtet worden war, mussten die Priester die Opfer für das Volk noch auf der Höhe in Gibeon darbringen, wo – wie gesagt – damals die Wohnung Gottes stand (1. Chr 16,39.40). David selbst aber opferte seine Brand- und Friedensopfer in Verbindung mit der Bundeslade (V. 1. 2). Es ist nicht zu übersehen, dass David für sich selbst den direkten Zugang zu Gott bevorzugte (vgl. auch PS 84). Er suchte die unmittelbare Verbindung zu Gott (wie vor ihm Abraham, Mose, Samuel u. a.), während er den Opferdienst in der Stiftshütte anscheinend eher als Hindernis empfand, Gott zu nahen, vielleicht weil er schon praktisch erfahren hatte, was erst viel später im Brief an die Hebräer ausgedrückt wird: „In jenen Opfern ist… ein Erinnern an die Sünden“ (Kap. 10,3). Das ist immerhin bemerkenswert, wenn wir bedenken, dass er ja noch nicht – wie der Christ heute -sagen konnte: „Da wir nun, Brüder, Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu …“ (Heb 10,19).