In dieser Zeit

Es war eine harte Zeit für das Volk Israel, von der Stephanus in seiner Rede vor dem Synedrium spricht – eine Zeit schwerster Bedrängnis durch den damaligen König von Ägypten. Dieser behandelte die Israeliten hart und bedrückte und misshandelte sie. Nach seinem Erlass mussten sie sogar ihre neugeborenen Kinder aussetzen, damit sie nicht am Leben blieben. Stephanus fährt dann in seiner Schilderung jener Tage fort und sagt:

„In dieser Zeit wurde Mose geboren, und er war schön für Gott; und er wurde drei Monate im Haus des Vaters aufgezogen“ (Apg 7,20).

So ernst die Zeit, in der Mose geboren wurde, für die Israeliten auch war, noch ernster war, dass sie Jehova, ihren Gott, vergessen und sich sogar den Götzen Ägyptens zugewandt hatten. Das wird aus den Worten Josuas ersichtlich, die er später an das Volk richtete: „Tut die Götter hinweg, welchen eure Väter jenseits des Stromes und in Ägypten gedient haben, und dienet Jehova“ (Jos 24,14). Auch Hesekiel erinnert noch später an diese traurige Tatsache, wenn er die Worte Jehovas wiedergibt: „Und sie mehrte ihre Hurereien, indem sie der Tage ihrer Jugend gedachte, als sie im Lande Ägypten hurte“ (Kap. 23,19).

Die schweren Lastarbeiten, mit denen die Ägypter sie bedrückten, ja selbst die quälende Not, in die sie durch den eben erwähnten Erlass des Königs kamen, hatten sie nicht dahin gebracht, sich an Jehova und an Seine Verheißungen zu erinnern und zu Ihm zu schreien. Wie ernst auch für uns, wenn unser Gott und Vater selbst durch notvolle Umstände uns nicht so an Sein Herz zurückbringen kann, wie Er es gern haben möchte!

Wohl schrien die Kinder Israel in ihrer Not, und Gott ließ in Seiner Gnade ihr Geschrei vor Sich kommen, aber sie schrien nicht zu Ihm Jedenfalls lesen wir hier nichts davon. Wenn es in 5. Mo 26 dennoch von ihnen gesagt wird (Vers 7), dann nur, weil Gott es in Seiner Gnade so ansah. Sie mochten sich nicht daran erinnern, aber Jehova dachte in Gnaden an Seinen Bund (2. Mo 2,24,6,5), den Er lange zuvor mit Abraham geschlossen hatte: „Gewisslich sollst du wissen, dass dein Same ein Fremdling sein wird in einem Lande, das nicht das ihre ist; und sie werden ihnen dienen, und sie werden sie bedrücken vierhundert Jahre. … Und im vierten Geschlecht werden sie hierher zurückkehren“ (1. Mo 15,13-16). Aber hatten die Kinder Israel in Ägypten diese Verheißungsworte Gottes noch vor sich, warteten sie auf deren Einlösung? Hatten sie die Jahre gezählt, merkten sie, wie Jahrhunderte später Daniel in Babel, „auf die Zahl der Jahre, betreffs welcher das Wort Jehovas … geschehen war“ (Dan 9,2)?

Dennoch, die Zeit der Verheißung kam näher. Kostbarer, tröstender Gedanke! Aber hatte er in den Gedanken und Herzen der Israeliten einen Platz? Warteten sie in dem Bewusstsein, dass sie nun bald „im vierten Geschlecht“ in der Fremde waren, auf die Erlösung, ja, auf den Erlöser? Wir sahen schon, dass das nicht der Fall war, und hätte Gott nicht die Bemühungen Satans, der immer durch seine Werkzeuge (hier den Pharao) gegen das Volk Gottes streitet und es zu unterdrücken sucht, benutzt, um es dadurch von Ägypten zu lösen – wir können sicher sein, es hätte den Israeliten in Ägypten so gut gefallen, dass sie nie daran gedacht hätten, es zu verlassen und in das Land der Verheißung zurückzukehren. Selbst später noch, nachdem sie die Wundertaten Jehovas erlebt hatten, dachten sie mit Wehmut an die Fleischtöpfe und das Gemüse Ägyptens zurück.

Das alles spricht auch zu uns. Wir leben in Tagen, die das Wort Gottes „schwere Zeiten“ nennt – in Tagen, die durch sittliche Verderbtheit und das Aufgeben all dessen, was göttlich ist, gekennzeichnet sind. Die Liebe der Vielen erkaltet, und selbst viele vom Volk Gottes suchen das Ihre, nicht das, was Jesu Christi ist. Die Weltförmigkeit ist weithin bei uns eingedrungen; sie ist die besondere Form des Angriffs Satans in unseren Tagen und Gegenden, um uns von dem Genuss unserer himmlischen Segnungen einerseits und von dem Zeugnis für einen verherrlichten, wiederkommenden Herrn andererseits zu trennen. Besteht nicht auch für uns die Gefahr, dass es uns in dieser Welt, die Christus verwarf und verwirft, ganz gut gefällt? Kennen nicht auch wir den verhängnisvollen Zug unserer Herzen nach >Ägypten<? Will nicht Gott auch uns durch manche Nöte des Leibes und der Seele von diesem Schauplatz, auf dem Satan Fürst und Gott ist, trennen und unsere Herzen zu Dem emporrichten, der bald für uns wiederzukommen verheißen hat?

Warten wir tatsächlich auf den Herrn Jesus? Spricht dieses Wort „Als aber die Zeit der Verheißung näher kam“ (Apg 7,17) nicht auch zu uns? Bedenken wir: Schon ist es die „letzte Stunde“, und „jetzt ist unsere Errettung näher als damals, als wir gläubig wurden“ (1. Joh 2,18; Röm 13,11). Auch bezeugt uns die Heilige Schrift ernstlich, dass wir in den „letzten Tagen“ leben (2. Tim 3). Ist es da nicht an der Zeit, aus dem Schlaf aufzuwachen und dem wiederkehrenden Bräutigam mit brennenden Lampen entgegenzugehen?

Gewiss, wir Christen haben es nicht wie Israel mit Zeiten und Zeitpunkten zu tun. Wir müssen nicht gewisse prophetische Ereignisse oder Zeitläufe abwarten: Wir dürfen jeden Tag, jeden Augenblick auf Ihn warten. Lasst uns darüber völlig im Klaren sein: Auf unserem persönlichen wie auch gemeinsamen Weg ist der Niedergang „vorprogrammiert“, wenn wir aufhören, in unserem praktischen Leben unseren Heiland zu erwarten, „der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit (Phil 3,21)! Das Böse kam in die Kirche, als der böse Knecht in seinem Herzen sagte: „Mein Herr bleibt noch aus“ (Mt 24,48). Die Masse der christlichen Bekenner verleugnet den Herrn Jesus als Herrn und Gebieter, sie denkt nicht an Ihn und wartet nicht auf Ihn. Wir aber wollen Knechten gleichen, die die Türklinke in der Hand haben, um Ihm, wenn Er kommt, sogleich zu öffnen!

Wir leben ohne Frage in sehr ernsten Tagen, die uns üben. Aber welch ein Trost: Den Eltern Moses ging es nicht anders. Trotz des traurigen Zustandes des Volkes waren sie treu und machten kostbare Erfahrungen mit Gott! „In dieser Zeit“ – gerade in dieser Zeit – „wurde Mose geboren.“ Sie sagten nicht: „In dieser bösen Zeit können wir kein Kind haben“, sondern sie empfingen ihr Kind als eine besondere Gabe Gottes. Drei Monate verbargen sie es. zogen es auf in ihrem Haus, und das Wort Gottes sagt uns, dass sie das „durch Glauben“ taten und das Gebot des Königs nicht fürchteten (Heb 11,23). Gott würde alles wohl versehen. Aber die Begründung der Schrift für ihre Verhaltensweise ist doch von großer Schönheit: „weil sie sahen, dass das Kind schön war“. Stephanus sagt in unserem Kapitel: „schön für Gott“. Ihr Glaube erblickte in dem Kind Mose eine Schönheit für Gott und ließ sie an den künftigen Befreier ihres Volkes denken. Sie mochten sich sagen: Wenn uns Gott in dieser Zeit ein so schönes Kind gibt, dann hat Er mit ihm etwas Besonderes vor. Und so spürten sie die Verantwortung, es zu beschützen, koste es, was es wolle, indem sie mit der Macht Gottes rechneten. Sie hatten Vertrauen zu Ihm und fürchteten, wie auch später Mose selbst, die Wut des Königs nicht. Ihr Glaube wurde, wie wir wissen, auf wunderbare Weise belohnt.

So hatte Gott damals einen treuen Überrest, und Er hat ihn auch in unseren Tagen. Und wie es damals Söhne Israels gab, die den Glauben an Gott, der die Verheißungen gegeben hatte, sorgfältig bewahrten und mit Gewissheit der Dinge harrten, auf die sie hofften, so gibt es auch heute inmitten eines leblosen Bekennertums solche, die sich auf Sein Wort stützen und auf die Erfüllung Seiner Zusagen warten.

Wollen wir nicht zu ihnen gehören? Sie haben vom Geist gesalbte Augen und sehen Den, der „schön für Gott“ ist. Denn wir möchten die Betrachtung dieses einen Verses aus Apostelgeschichte 7 nicht beschließen, ohne daran erinnert zu haben, dass wir in Mose, außer den Belehrungen für unser praktisches Glaubensleben, ein weiteres gesegnetes Vorbild auf den Herrn Jesus selbst finden. So wie Mose „in dieser Zeit“ geboren wurde, so wurde auch der Herr Jesus, „als die Fülle der Zeit gekommen war“, von einer Frau geboren, geboren auch „unter Gesetz“ (Gal 4,4). Und von wem auf der Erde konnte im absoluten Sinn je gesagt werden, dass er „schön für Gott“ war. als nur von Ihm, über dem sich der Himmel wiederholt öffnete? „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ ChB

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2000, Seite 38

Bibelstellen: Apg 7, 20

Stichwörter: Verfall, Weltförmigkeit