Der Segen des Friedensreiches

Man kann im Buch Jesaja zwei Hauptteile unterscheiden. Der erste reicht vom Anfang bis zu Kapitel 35. Nach dem historischen „Zwischenspiel“ der Kapitel 36 bis 39 folgt mit den Kapiteln 40 bis 66 dann der zweite Hauptteil. Unser heutiges Thema schließt also den ersten Hauptteil ab.

Das Land Israel im Tausendjährigen Reich (Jes 35,1-7)

Die herrliche Zukunft des Landes Israel steht im krassen Gegensatz zur bleibenden Verwüstung der Landschaft Edoms, die im vorigen Kapitel beschrieben wurde. Nach lang andauernder Zucht und schweren Strafgerichten wird es im Tausendjährigen Reich nicht nur für das Volk Israel, sondern auch für sein Land ein herrliches Aufleben geben. Jahrhundertelang war das Gebiet, das einst von „Milch und Honig“ floss, eine armselige Gegend voller Sümpfe und Steppen. Wenn auch durch die Kultivierungsarbeiten der zurückgekehrten Juden in den letzten hundert Jahren gewaltige Verbesserungen eingetreten sind, besteht der Süden des Landes doch noch heute zum Teil aus Wüste und wüstenähnlichen Gegenden. Aber in der Zeit der „Wiederherstellung aller Dinge“ wird Gott klimatische und biologische Umwälzungen herbeiführen, durch die „die Wüste und das dürre Land sich freuen werden und die Steppe frohlocken und aufblühen wird wie eine Narzisse“ (V. 1; vgl. Apg 3,21).

Diese Vorhersage, die bereits in den Kapiteln 14,7 und 32,15 angeklungen ist, bezieht sich weder auf die Rückführung des Überrestes der zwei Stämme Juda und Benjamin nach der babylonischen Gefangenschaft noch auf die Bildung der Versammlung Gottes in der jetzigen Gnadenzeit (wie manche meinen, die alle alttestamentlichen Weissagungen über das Volk Israel auf die Kirche oder Versammlung beziehen wollen), sondern wird sich im Tausendjährigen Reich buchstäblich erfüllen. Damit stimmt die Lehre des Neuen Testaments überein. Nach Römer 8,19-22 „wartet das sehnliche Harren der Schöpfung auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn die Schöpfung ist der Nichtigkeit [oder: Vergänglichkeit, Eitelkeit] unterworfen worden (nicht freiwillig, sondern dessentwegen, der sie unterworfen hat), auf Hoffnung, dass auch die Schöpfung selbst freigemacht werden wird von der Knechtschaft des Verderbens zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mitseufzt und mit in Geburtswehen liegt bis jetzt.“ Dieses Sehnen wird nicht erst in der Ewigkeit seine Erfüllung finden, denn dann wird es die gegenwärtige Schöpfung nicht mehr geben! Himmel und Erde werden vergehen und einem neuen Himmel und einer neuen Erde Platz machen (2. Pet 3,10-13; Off 20,11; 21,1). Doch vorher, während der „Verwaltung der Fülle der Zeiten“, das heißt im Tausendjährigen Reich, wird Gott alles, was in den Himmeln und auf der Erde ist, unter ein Haupt zusammenbringen in dem Christus, dem Erben aller Dinge (Eph 1,10; Heb 1,2.6). Dass wir, die an Ihn glauben, auch mit Ihm verherrlicht werden, mit Ihm erben und mit Ihm herrschen werden, ist ein besonderes Vorrecht, das weit über die Segnungen des irdischen Volkes Israel unter Seiner Friedensherrschaft hinausgeht (Röm 8,17; 2. Tim 2,12). Doch wird auch Israel im Tausendjährigen Reich nicht nur in materieller, sondern auch in geistlicher Hinsicht reich gesegnet werden (Kap. 11,1-10; 29,17; 41,18-20; Hes 34,23-31; Joel 2,21-32).

Hier handelt es sich jedoch nicht um geistlichen, sondern um irdischen, materiellen Segen. Die Erde – und ganz besonders das Land Israel – wird nicht nur eine nie gekannte Zeit der Fruchtbarkeit erleben, sondern eine vollständige Änderung der bisherigen Naturgegebenheiten. Die gesegnetsten Teile des Landes, Libanon, Karmel und Saron, sind gleichsam der Maßstab für die zukünftige Herrlichkeit und Pracht, die die Wüste erfüllen werden (V. 2; vgl. Kap. 33,9; 60,13).

Am Ende von Vers 2 wird der Blick auf die Quelle all dieser Herrlichkeit und Pracht der Natur gelenkt, die das irdische Volk Gottes, mit dem der Prophet sich vorausschauend eins macht, dann sehen wird: Es ist der Herr, der Gott Israels! Sein herrliches Erscheinen in der Person Seines Sohnes, des Herrn Jesus, bildet den Auftakt zum Tausendjährigen Reich, und auch während dieser Zeit wird die ganze Erde mit Seiner Herrlichkeit erfüllt sein (Mt 25,31; ps 72,19; Jes 60,2). Was wird es für die gläubigen Juden sein, nach all den furchtbaren Drangsalen die Herrlichkeit Christi, ihres ersehnten Messias, zu sehen, den sie einst verworfen haben! Dann werden sie Ihn als den, der Er wirklich ist, nämlich als den Herrn, ihren Gott, erkennen.

Doch davor steht die furchtbare Zeit der endzeitlichen Drangsal für den gläubigen Überrest der Juden, die so sehnlich auf ihren Messias warten. Ihnen ruft der Prophet in Vers 3 die ermunternden Worte zu: „Stärkt die schlaffen Hände und befestigt die wankenden Knie!“, die auch der Schreiber des Hebräerbriefes an die Gläubigen richtet, die schon in der ersten Zeit des Christentums unter dem Druck der Verfolgung von Seiten der Feinde Christi zu verzagen drohten (Heb 12,12). Jesaja fährt fort: „Sagt zu denen, die zaghaften Herzens sind: Seid stark, fürchtet euch nicht! Siehe, euer Gott kommt, Rache kommt, die Vergeltung Gottes! Er selbst kommt und wird euch retten“ (V. 4). Ob es sich um den Antichristen, den Assyrer oder Edom und seine Bundesgenossen handelt, sie alle werden ihre gerechte Strafe von der Hand des in Macht und Herrlichkeit erscheinenden Christus empfangen. Aber für Sein so schwer gezüchtigtes Volk wird Er der Retter sein!

In dieser Zeit wird nicht nur für Israel das Reich wiederhergestellt werden, sondern im „zukünftigen Zeitalter“ wird auf der Erde in jeder Hinsicht ein ganz neuer Zustand eintreten, wie die an anderen Stellen der Schrift gebrauchten Bezeichnungen „Zeiten der Erquickung“, „Wiederherstellung aller Dinge“ und „Wiedergeburt“ für die letzte, glorreiche Epoche der Weltgeschichte, das Tausendjährige Reich, zeigen (Mt 19,28; Apg 1,6; 3,20. 21). Gewaltige Veränderungen werden die segensreiche Herrschaft Christi einleiten und begleiten. Krankheiten, die ja eine Folge der Sünde sind, werden nicht mehr existieren (Verse 5 und 6; vgl. Jes 33,24).

Die verschiedenen Krankenheilungen des Herrn Jesus bei Seinem ersten Kommen auf die Erde waren Beweise Seiner göttlichen Sendung als König (vgl. Jes 53,4; Mt 8,17; Mt 11,2-5). Die Wunder, die Er und Seine Jünger taten und die auch in der ersten Zeit der Versammlung noch geschahen, werden im Hebräerbrief „Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters“ genannt, weil sie eigentlich Kennzeichen des Tausendjährigen Reiches sind (Heb 6,5). Wenn Er zum zweiten Mal erscheinen wird, dann werden jedoch nicht nur einige, sondern alle Kranken geheilt werden! Es wird auf der ganzen Erde keine Blinden, Tauben, Lahmen und Stummen mehr geben. Der Herr wird sie alle gesund machen.

Ohne Zweifel kann man die Heilung körperlicher Gebrechen auch in übertragenem Sinn verstehen, denn es gibt auch geistliche Blindheit, Taubheit, Lahmheit und Stummheit (vgl. Kap. 6,10; 29,10. 18). Doch das ist hier nicht die Bedeutung. Hier geht es um die äußerliche Wiederherstellung alles dessen, was durch die Sünde verdorben ist.

Das zeigen auch die Verse 6 und 7, in denen die Ursachen der in Vers l beschriebenen Fruchtbarkeit der Wüstengegenden angegeben werden. In den trockensten Gegenden werden dann Quellen und Bäche hervorbrechen. Statt vor Hitze glühender und dürrer Landstriche wird es Teiche und Wasserquellen geben, so dass da, wo früher Schakale hausten, nicht nur Gras, sondern sogar Sumpfpflanzen wie Schilfrohr und Papyrus wachsen können (vgl. Kap. 41,18; 43,19)! – [Das gelegentlich mit „Kimmung“ (Luftspiegelung) übersetze Wort bedeutet eher „Sonnenglut“ oder „trockenes Land“.]

Das Volk Israel im Tausendjährigen Reich (Jes 35,8-10)

Gewiss wird es im heiligen Land dann viele Wege geben, auf denen das erlöste Volk in Freiheit und Freude gehen kann. Doch hier wird nur eine Straße mit dem Namen „heiliger Weg“ erwähnt, der für die von ihren Sünden und allen Beschwernissen erlösten Juden bestimmt ist (V. 8.9). Die Bezeichnung „Straße“ erinnert an die „gebahnten Wege“ der Herzen in Psalm 84,5 und an Jesaja 26,7: „Der Pfad des Gerechten ist gerade; du bahnst gerade den Weg des Gerechten.“ Statt der bisherigen eigenen krummen Pfade (Kap. 59,8) gibt es jetzt einen „heiligen Weg“, den Gott für Sein Volk bereitet hat. Kein in Seinen Augen unreiner Mensch wird auf diesem Weg ziehen, und sogar Einfältige [oder „Narren“, wie in Sprüche 1,7; 7,22; 10,8] werden darauf nicht mehr in die Irre gehen. Auch wird es keine Bedrohung irgendwelcher Art mehr geben.

Unter diesem „heiligen Weg“ ist daher wohl keine konkrete Straße zu verstehen, sondern der Weg, auf dem das einst so weit von seinem Gott entfernte Volk, das jetzt „das heilige Volk“ genannt wird, zu Ihm zurückkehrt (V. 10; vgl. Kap. 43,19; 49,11; 62,10-12). „Und die Befreiten des Herrn werden zurückkehren und nach Zion kommen mit Jubel, und ewige Freude wird über ihrem Haupt sein.“ Nie wird ihre Freude enden, denn auch nach dem Ende des Tausendjährigen Reiches werden sie die Freude genießen, die „die Hütte Gottes bei den Menschen“ hervorrufen wird (vgl. Off 21,3).

Die lange Wanderschaft Israels ist dann zu Ende. Wie ihr Stammvater Jakob sind sie umhergeirrt, und auch ihre Tage waren „wenig und böse“, denn die Zeit, die ohne Gemeinschaft mit Gott verbracht wird, ist wertlos. Aber jetzt sind sie am Ziel aller Wege Gottes mit ihnen angekommen. „Kummer und Seufzen“, die sie während langer Jahrhunderte gekannt haben, und ganz besonders in der Zeit der „Drangsal für Jakob“, werden für immer entflohen sein (vgl. Kap. 51,11).

So gesegnet Israel und alle Menschen im Tausendjährigen Reich auch sein werden, wie viel größer ist das Teil derer, die in der jetzigen Gnadenzeit an den Herrn Jesus glauben! In Christus, dem Sohn des Vaters, haben wir den Weg, die Wahrheit und das Leben gefunden (Joh 14,6). Mit Ihm werden wir ins himmlische Vaterhaus eintreten, wo Er eine Stätte für jedes der Seinen bereitet hat, damit wir dort seien, wo Er ist, und ewig Seine Herrlichkeit anschauen (Joh 17,24)! A. R.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2002, Seite 365

Bibelstellen: Jes 35

Stichwörter: Friedensreich, tausendjähriges Reich