Geldbeutel – Tasche – Schwert – vor und nach dem Kreuz

Kurz bevor der Herr Jesus sich in den Garten Gethse-mane begab und sich danach von Seinen Häschern festnehmen ließ, hatte Er ein Gespräch mit Seinen Jüngern, das sich nur im Lukas-Evangelium findet, nicht aber in Matthäus, Markus und Johannes. Es handelt sich um den Abschnitt in Lukas 22,35-38. Der Herr Jesus hatte hier zu den Jüngern von ihrer früheren Aussendung ohne Geldbeutel, Tasche und Sandalen gesprochen (vgl. Lk 9,3), aber ihnen jetzt die Anweisung erteilt, in Zukunft doch einen Geldbeutel, eine Tasche und sogar ein Schwert bei sich zu tragen. Wie kann man diese Stelle erklären, und was mag sie uns zu sagen haben?

1. Bei der erwähnten früheren Gelegenheit (vgl. Lk 9,1-5) hatte der Herr Jesus den Jüngern „Kraft und Gewalt über alle Dämonen und zum Heilen von Krankheiten“ gegeben. Dann sandte Er sie aus, „das Reich Gottes zu predigen und die Kranken zu heilen“. Und in diesem Zusammenhang hatte der Herr ihnen u. a. befohlen, weder Tasche noch Geld mitzunehmen (vgl. Lk 9,3). Für die Mission der Siebzig, von der das nächste Kapitel berichtet, hatte Er ein ganz ähnliches Gebot erteilt (vgl. Lk 10,4). Die Jünger hatten also keine Vorsorge für ihren Lebensunterhalt zu treffen, denn ihr Herr selbst als der Messias war ja in Israel, um für ihre materiellen Bedürfnisse zu sorgen; so gingen sie daher im Gehorsam und im Vertrauen auf Sein Wort, ohne eine einzige menschliche Hilfsquelle. Während ihres damaligen Dienstes hatte es ihnen in der Tat niemals an etwas gefehlt, nie hatten sie Mangel gehabt, und das hatten sie dem Herrn auf Seine Frage ausdrücklich geantwortet (Lk 22,35).

In Lukas 22,36 eröffnet der Herr Jesus Seinen Jüngern, dass ein Wechsel eintreten werde. Er deutet das durch den Gebrauch der Worte „Aber jetzt…“ an. Menschlich gesprochen, mussten die Jünger von nun an für sich selbst sorgen. Der Herr Jesus ging Seinen Leiden und Seinem Tod entgegen und konnte daher nicht mehr wie bisher, als Er bei ihnen war, um sie bemüht bleiben. „Tasche“ und „Geldbeutel“ stehen hier für das, was sie enthalten, nämlich für Nahrung und die für ihren Erwerb oder für andere Bedürfnisse erforderlichen Mittel. Wenn der Herr dann von einem „Schwert“ spricht, das die Jünger kaufen sollten, setzt Er voraus, dass sie in Zukunft Kämpfe zu bestehen hätten und dass sie dafür entsprechend gerüstet sein mussten. Bei dem „Schwert“ handelt es sich nicht um eine Waffe im buchstäblichen Sinn, sondern um das „Schwert des Geistes“, das Wort Gottes. Nur das „Schwert“ in diesem Sinn ist bei geistigen und geistlichen Auseinandersetzungen brauchbar und wirkungsvoll. Der Besitz dieses „Schwertes“ ist für den Herrn von so hohem Wert, dass Er den Jüngern empfiehlt, notfalls ein anderes Wertobjekt, ein „Oberkleid“, zu verkaufen, um dieses „Schwert“ zu erwerben. Die Jünger hatten die Worte des Herrn in diesem Punkt völlig missverstanden, denn als Reaktion auf Seine Aufforderung, ein Schwert zu kaufen, brachten sie Ihm zwei Schwerter: „Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter“ (Lk 22,38). Sie nahmen Sein Wort über das Schwert wörtlich. Dabei wollte der Herr die Jünger in einer bildhaften Ausdrucksweise – Geldbeutel, Tasche, Schwert- darüber belehren, dass sie in Zukunft nicht mehr mit der Versorgung und Beschützung in der Form rechnen konnten wie in der Zeit, als Er bei ihnen war. Als Er sie damals ausgesandt hatte, brauchten sie sich nicht selbst vor Feinden zu schützen, weil übernatürliche Mächte vorhanden waren, die jeden Feind abwehrten. Die Schrift sagt nichts darüber – was auffallend ist -, dass man die Jünger, als sie damals für den Herrn unterwegs waren, etwa geschlagen hätte oder dass Gefängnistüren sich hinter ihnen geschlossen hätten (wie das in der Zeit der Apostelgeschichte und später so oft geschehen sollte). „Aber jetzt“ würde sich alles ändern, „jetzt“ sollten sie sich der natürlichen Mittel bedienen, die Gott ihnen nach dem Maß ihres persönlichen Glaubens für ihren Lebensunterhalt und ihre Bedürfnisse geben würde, allerdings mit der Einschränkung, dass ein natürliches Mittel wie ein „Schwert“ in buchstäblichem Sinn als Waffe des Fleisches nicht in Betracht kommen konnte.

Der Herr Jesus begründet in Lukas 22,37 Seine im vorhergehenden Vers den Jüngern für die Zukunft erteilten Anweisungen damit, dass Er ihnen ankündigt, was Ihm selbst begegnen würde. Die Menschen würden Ihn unter die Gesetzlosen rechnen, wie der Prophet Jesaja schon vorausgesagt hatte (vgl. Jes 53,12). Seine Jünger konnten deshalb auf einer Erde, die das Kreuz des Sohnes Gottes tragen würde, grundsätzlich nichts anderes erwarten. Der Herr deutet ihnen hier an, dass mit Seinem Tod und Seiner Himmelfahrt – obwohl der Text diese nicht ausdrücklich erwähnt, sondern nur den Tod des Herrn im Blickfeld hat – sozusagen eine neue Ordnung der Dinge oder ein tiefgreifender Wechsel eintreten würde. Auch Sein eigener Weg als Mensch auf dieser Erde würde ein Ende haben.

Der letzte Vers in diesem Abschnitt (V. 38) zeigt, dass die Jünger, wie schon weiter oben bemerkt, gar nicht verstanden hatten, was der Herr ihnen sagen wollte, als Er sie zum Kauf eines Schwertes aufforderte. Aus Seinen Worten „Es ist genug“ klingt die Traurigkeit Seines Herzens heraus, dass die Jünger so wenig Seine Gedanken begriffen. Es hatte keinen Sinn mehr, noch weiter mit ihnen zu reden. Es war „genug“. – Nur der Vollständigkeit wegen sei bemerkt, dass der Herr nicht sagen will, zwei Schwerter wären zahlenmäßig „genug“, d. h. ausreichend für den Kampf. Es geht eben überhaupt nicht um irdische Waffen.

2. Das Kreuz und seine Folgen bedeuteten also für Leben und Dienst der Jünger und Apostel eine große Veränderung. Für uns als die heutigen Jünger und als die Nachfolger eines himmlischen Herrn kann es einen Wechsel im gleichen Sinn nicht geben. Wohl muss auch jeder wahre Jünger in unserer Zeit jene fundamentale Lebensveränderung einmal erfahren haben, nämlich die Berufung „aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht“ (1. Pet 2,9), aber in Lukas 22,35-38 handelt es sich nicht um diesen Wechsel. Was für die Apostel damals neu war, ist für einen Diener des Herrn in der Zeit des Christentums durchaus nicht außergewöhnlich, sondern von vornherein völlig normal. Im täglichen Vertrauen auf die göttliche Fürsorge weiß er, dass sein himmlischer Herr in „Geldbeutel“ und „Tasche“ hineinlegen wird, was für alle seine irdischen Bedürfnisse erforderlich ist. Nie wird es ihm an etwas fehlen. Und sicherlich gilt das gleichermaßen bei – nach unserer menschlichen Wertung – kleinen und unauffälligen Diensten und für Diener, die nur ihrem Herrn bekannt sind. Mancher der Leser wird das aus eigener Erfahrung bestätigen können.

Bei „Geldbeutel“ und „Tasche“ ist möglicherweise nicht nur an einen materiellen Inhalt zu denken, obwohl das die primäre Bedeutung zu sein scheint; vielleicht können im übertragenen Sinn ebenso geistliche Werte und Reichtümer („Geldbeutel“) und geistliche Nahrung („Tasche“) in Betracht kommen, über die man im Dienst für den Herrn verfügen soll, nicht nur für sich selbst, sondern auch im Gedanken an seine Brüder und Schwestern. Sie wünschen „erquickt zu werden in Christus“ (Phlm 20). Praktisch heißt das, dass einem Dienst für andere und an anderen vorauszugehen hat, dass der Diener sich vom Herrn geistliche Segnungen für sein eigenes Herz schenken lässt, um sie dann weitergeben zu können oder, um in der Bildhaf-tigkeit des Bibeltextes zu bleiben, dass er sich „Geldbeutel“ und „Tasche“ mit geistlichen Gütern füllen lässt. Der Herr wird aus dem wenigem, das wir besitzen mögen, in Seiner Gnade gleichwohl viel für andere machen.

Die Worte des Herrn über den Kauf eines Schwertes und über das, was Ihm selbst geschehen würde, mahnen uns daran, dass wir in einer bösen und christusfeindlichen Welt leben. Selbst mit Verfolgungen müssen wir als Nachfolger des Herrn Jesus rechnen. „Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15,20). Das „Schwert des Geistes“, das Wort Gottes, ist aber stets, besonders bei allen geistlichen Konflikten, eine unentbehrliche Waffe. Als gläubige Christen besitzen wir das Wort Gottes in schriftlicher Form bereits, und wenn nun der Herr Jesus in bildhafter Weise davon spricht, das „Oberkleid zu verkaufen“ und ein „Schwert zu kaufen“, so mag das für uns bedeuten, das Wort Gottes über alles hochzuschätzen, über andere Werte, und es sich um jeden Preis innerlich zu eigen zu machen, damit es wahrer Besitz für das Herz wird. Alle anderen Wertobjekte halten keinen Vergleich mit der Kostbarkeit dieser „Waffe“ aus. Das Wort Gottes ist „besser als Tausende von Gold und Silber“ und macht im Kampf „weiser als die Feinde“ (vgl. Ps 119,72.98).

Das Verhalten der Jünger, nachdem der Herr Jesus sie zum Kauf eines Schwertes aufgefordert hatte, ist für uns eine demütigende Lektion: Wie oft mögen auch wir, obwohl wir Gottes Geist besitzen, falsch verstanden haben, was der Herr uns eigentlich sagen wollte, und wir haben dann wie die Jünger in ähnlich törichter Weise reagiert! Wie oft mögen Seine Gedanken an uns vorbeigegangen sein, ohne dass wir die erforderliche „geistliche Einsicht“ (Kol 1,9) aufgebracht haben! Haben wir es nicht immer wieder nötig, den Herrn zu bitten, unsere Herzen zu öffnen, um „die Schriften zu verstehen“ (vgl. Lk 24,45)?

Doch unser Herr ist gnädig und gütig. Der besprochene Abschnitt belehrt uns, dass Er, bevor Er diese Erde verließ, Seine Jünger und ihren zukünftigen Dienst auf Seinem Herzen trug. Und das gilt für die Gläubigen ganz allgemein. Seine Empfindungen haben sich nie geändert. Sie ändern sich auch nicht uns gegenüber, selbst wenn wir wie einst die Jünger unverständig sind. Stets ist der Herr, der für uns in den Tod gegangen ist, vom Himmel aus besorgt und bemüht um uns.

K. S.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2003, Seite 294

Bibelstellen: Lk 9, 3; Lk 22, 35-38