Sela

Die Vortragsbezeichnung „Sela“ findet sich in den Psalmen über siebzigmal. Neben anderen Bezeichnungen, die sich auf die Melodie oder den Charakter des Gesanges beziehen, ist sie für uns als Leser des Wortes die bedeutsamste, nicht nur wegen ihrer Häufigkeit.

„Sela“ bezeichnet eine Pause. An dieser Stelle hielt der Vortragende kurze Zeit inne – zweifellos, damit das bisher Vorgetragene sich den Hörern besser einprägen konnte und sie zum Nachdenken anregte. Aber auch der Psalmsänger selbst hatte so Gelegenheit, den Empfindungen seines eigenen Herzens einen Augenblick Raum zu geben. Die meisten Psalmen sind ja Gebete; sie richten sich an Gott oder haben Seine Größe und Sein Handeln zum Inhalt.

Die Anwendung für uns heute ist nicht schwer: Es muss auch bei uns Augenblicke geben, in denen der Mund schweigt, damit das Herz zu Wort kommt.

Das ist nicht nur so in geistlichen Belangen; schon im rein menschlichen Bereich verhalten wir uns ja oftmals ebenso. In Augenblicken höchsten Glücks wie in Momenten tiefster Trauer schweigt der Mund – nicht weil wir nichts zu sagen wüssten, sondern weil die Tiefe der Empfindungen uns verbietet zu reden.

Worte sind nötig, aber das Herz muss den Vorrang behalten. Wohl sollen wir unsere Anliegen vor Gott kundwerden lassen, d. h. aussprechen. Doch nicht umsonst hat der Herr in Seinen Belehrungen vor dem Gebrauch vieler Worte gewarnt und sogar den Vergleich mit dem hohlen „Plappern“ der Heiden nicht gescheut.

Auch die Anbetung der Gläubigen, wenn sie versammelt sind, kann nur dann eine gemeinsame Anbetung sein, wenn die Gedanken der Versammelten auch ausgesprochen werden. Und doch muss auch gerade hier das Herz den Vorrang behalten.

Welchen Raum lassen wir dem „Sela“ in unseren Lobgesängen? Hat der Geist Gottes Gelegenheit, die Worte eines Liedes und nicht nur die Melodie in uns nachklingen zu lassen, damit die Empfindungen unserer Herzen als Anbetung zu Gott emporsteigen können? Vielleicht fügen sich daran im Geist des einen oder anderen, zuerst unbestimmt und tastend, Gedanken, die in eine Danksagung einmünden können – wenn die nötige Stille dazu bleibt. Und wenn ein Schriftwort gelesen wurde, fragen wir uns dann in Ruhe, wohin der Geist Gottes unsere Gedanken dadurch führen will?

Wie leicht kann durch Mangel an Stille dieses Wachsen und Werden von Gedanken und geistlichen Empfindungen unterbrochen und das Emporströmen der Anbetung aus den Herzen verhindert werden! Doch Anbetung ist eine Sache des Herzens; Worte sind dabei nur Hilfsmittel.

Das sehen wir besonders deutlich in der Szene in Offenbarung 5: Nachdem das „neue Lied“ der Erlösten verklungen ist, nachdem auch die Engel „mit lauter Stimme“ zu Wort gekommen sind und schließlich „jedes Geschöpf“ Gott und dem Lamm gehuldigt hat, sprechen die vier lebendigen Wesen ihr Amen. Und dann erst heißt es: „Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.“ Was für ein gewaltiges „Sela“ ist diese heilige Stille! Wie reich und mächtig ist die Anbetung, die dem Lamm Gottes entgegenströmt! Nachdem alles gesagt ist, was zu sagen war, bleibt nur noch die Sprache des Herzens.

Sicher kann dieser Gedanke auch jetzt schon unserer Anbetung förderlich sein und uns helfen, die Augenblicke der Stille nicht zu scheuen. Sie könnten das Beste enthalten, was wir zu bringen haben!

E. E. H.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2003, Seite 71

Stichwörter: Anbetung, Pause, Sela