Was lasse ich zurück?

Die Frage „Was lasse ich zurück?“ stellt sich jedem von uns, solange wir auf der Erde sind. Ein Dichter hat einmal etwa Folgendes gesagt: „Alle Menschen, denen wir begegnen, lassen in unserer Seele eine Spur zurück, und an unseren Kleidern bleibt stets ein wenig Staub von jedem Weg hängen, den wir gegangen sind.“ – Umgekehrt lassen auch wir bei allem, was wir tun und sagen, eine Spur bei anderen zurück. Diesen Gedanken drückt das Wort Gottes so aus: „Das Gedächtnis des Gerechten ist zum Segen, aber der Name der Gesetzlosen verwest“ (Spr 10,7).

Was lasse ich zurück?

Einer hat durch Fleiß und Tüchtigkeit ein Vermögen erworben, das seinen Kindern verblieb, als er die Augen schloss. Ein anderer hat durch einen vorbildlichen Lebenswandel dem Namen seiner Eltern Ehre gemacht. Sicher soll niemand seinen Erben Schulden hinterlassen oder den Namen seiner Eltern entehren. Aber es gibt noch anderes, was zur „Erbschaft“ gehört oder gehören sollte, und davon soll hier die Rede sein.

Sind wir in unserem Leben nicht Menschen begegnet, die in unserer Erinnerung fortgelebt haben, nachdem sie in die Ewigkeit hinübergegangen waren – Menschen, deren Gedächtnis zum Segen ist und denen wir vieles verdanken, auch wenn ihr „Erbe“ nichts zu tun hatte mit materiellen Gütern? Ich denke an solche, die anderen gedient haben, ohne ihre eigenen Interessen zu verfolgen.

Gott war es, der sie in ihrer Tätigkeit leitete, und Er ist es, der ihnen gegenüber Gefühle der Liebe und der Dankbarkeit erweckt, sogar noch lange Zeit, nachdem sie in Seine Ruhe eingegangen sind. Das bestätigt uns Gottes Wort.

Was veranlasste die Rekabiter, die Söhne Jonadabs, sich zu weigern. Wein zu trinken, Häuser zu bauen, Weinberge zu pflanzen oder Felder zu besitzen (Jer 35)? Liegt die Antwort nicht darin, dass das Leben und das Betragen des Vaters den Söhnen solchen Respekt eingeflößt hatte, dass sie gedrängt wurden, seine Gebote auch nach seinem Tod noch zu halten? Das war ein Erbe, dessen Wert Gold und irdische Güter weit überstieg, denn damit fanden sie Gottes Zustimmung, zum Vorbild für das Volk (Jer 35,14).

So war es auch mit Abraham. Gott sagt ausdrücklich von ihm: „Ich habe ihn erkannt, auf dass er seinen Kindern und seinem Haus nach ihm befehle, dass sie den Weg Jehovas bewahren, Gerechtigkeit und Recht zu üben“ (1. Mo 18,19). Auch aus diesem Wort geht klar hervor, dass der Einfluss des Vaters noch lange nach seinem Tod andauern würde. Gesegnete Häuser, denen ein solches Erbe zufällt! Glückliche Kinder, die eine derartige Hinterlassenschaft zu schätzen wissen!

Die Familie ist der Bereich, in dem wir den nachhaltigsten Einfluss ausüben. Dort müssen unsere ersten Anstrengungen einsetzen. Dieser Einfluss erstreckt sich nicht nur auf unser gegenwärtiges Leben, sondern auch auf das „Erbe“, das wir hinterlassen. Vernachlässigen wir unsere Aufgabe, kann das sehr schmerzliche und demütigende Folgen haben, weil wir uns dabei den Anordnungen Gottes widersetzen.

Aber wir leben auch in einem Bereich, der die Interessen Gottes selbst berührt und weit über die Grenzen des Familienkreises hinausgeht. Das ist Sein Haus, die Versammlung des lebendigen Gottes, Sein Zeugnis auf der Erde, es sind die Auserwählten, die Er durch das Blut Seines Sohnes erkauft hat. Wer durch die Gnade Gottes dazu gehört, hat allen Grund, sich zu fragen: Was lasse ich darin zurück?

Der Apostel Petrus bemühte sich, die Gläubigen durch die Erinnerung an das, was für ihr geistliches Leben wichtig war, aufzuwecken, damit sie nach seinem Abschied imstande wären, sich das alles ins Gedächtnis zu rufen (2. Pet 1,12-15). Auch dem Apostel Paulus lag die Zukunft der Herde am Herzen, als er sich von ihr verabschiedete (Apg 20,32). Und der Bericht in Apostelgeschichte 9,36 zeigt, wie Gott von den Werken der Liebe gegenüber den Seinen Kenntnis nimmt. Es wird dort vom Tod einer Jüngerin mit Namen Tabitha (Dorkas) gesprochen. Das Wort Gottes gibt ihr das Zeugnis: „Alle Witwen traten weinend zu ihm und zeigten ihm die Unterkleider und Gewänder, die Dorkas gemacht hatte, während sie noch bei ihnen war.“ Der Heimgang dieser Dienerin Christi hatte in dem Kreis, wo sie lebte, eine so große Leere zurückgelassen, dass die Jünger dieses Ortes Petrus holen ließen. Haben nicht auch wir Diener des Herrn gekannt, deren Heimgang nicht nur für ihre Familie, sondern auch für die ganze Versammlung einen Verlust bedeutete? Sicher ist es die Mehrzahl unserer Weggenossen, die nach einem Leben treuen Dienstes für den Herrn ein Erbe zurückgelassen haben, das für die heutigen Gläubigen zum Segen ist. An uns ist es nun, dieses Erbe zu pflegen, entsprechend der Ermahnung des Apostels: „Gedenkt eurer Führer, die das Wort Gottes zu euch geredet haben, und, den Ausgang ihres Wandels anschauend, ahmt ihren Glauben nach“ (Heb 13,7).

Diese dankbare Erinnerung soll nicht zur Verherrlichung eines Menschen führen, sondern zur Wertschätzung der Gaben Gottes, die im Glauben und mit Segen von denen ausgeübt worden sind, die sie empfangen haben. Und die Güte des Gebers, zusammen mit der Treue der Empfänger, soll uns ermuntern, die Ermahnung zu Herzen zu nehmen: „Ahmt ihren Glauben nach.“

Als Gegensatz zu den angeführten Beispielen sei hier ein Wort der Schrift erwähnt, das sich auf einen Mann bezieht, dem eine hohe Verantwortung gegeben war, der aber völlig versagt hat. Es handelt sich um Joram, den König von Juda. Er war der Sohn Josaphats, von dem gesagt wird: „Er tat, was recht war in den Augen Jehovas“ (2. Chr 20,32). Aber Joram hatte eine Tochter Ahabs, des gottlosen Königs von Israel, geheiratet, und „er tat, was böse war in den Augen Jehovas“ (Kap. 21,6). Er regierte in Jerusalem, wo sich der Tempel Jehovas befand. Aber das hinderte ihn nicht, auf den Höhen zu opfern und die Bewohner von Jerusalem zum Götzendienst zu verleiten. Als König war er für den Zustand des Volkes verantwortlich; aber anstatt dieses Volk zu Gott zu führen, verleitete er es zum Bösen und zum Fall. Sein Ende war schrecklich, die Bilanz seines Lebens erbärmlich. „Er ging hin, ohne vermisst zu werden“ (2. Chr 21,20). Was für ein niederschmetterndes Zeugnis!

Ein Kind, das in frühem Alter zu Gott zurückkehrt, wird tief betrauert, obwohl es noch nichts anderes sein konnte als die Freude der Eltern und der Sonnenschein des Hauses. Das Abscheiden manches müden Pilgers und mancher betagten Schwester wird tief bedauert, obwohl sie zurückgezogen gelebt hatten und scheinbar keinen Einfluss ausübten. Aber sie hatten die Herzen und Hände ihrer Brüder und Schwestern durch ihre Gebete gestärkt und dazu beigetragen, die Geschwister durch die Bande der Liebe zu verbinden und einander näher zu bringen.

Wie leer ist das Dasein eines Menschen, wie erbärmlich sein Einfluss, wenn man nach seinem Weggang sagen muss: „Er wird nicht vermisst“! Und Joram war ein König, nicht ein Armer des Volkes. Viel war ihm anvertraut worden. Seine Möglichkeiten waren groß gewesen. Als König konnte er das Volk sowohl zum Guten als auch zum Bösen mitreißen. Aber er hatte versagt. Armes Volk, dessen König hingeht, ohne vermisst zu werden! Sollte je ein Familienvater, ein Glied einer Versammlung, ihm gleichen wollen?

Noch einmal: Was lasse ich zurück?

Liebe Brüder und Schwestern, stellen wir uns diese Frage in Beziehung zu dem Kreis der Gläubigen, wo wir uns bewegen! Handelt es sich um Schwestern, deren Dienst mehr im Verborgenen geschieht? Eine Frau des Gebets, die eifrig und hingebend ist, wird von allen vermisst werden, wenn sie nicht mehr da ist, auch wenn sie nicht wie Dorkas sichtbare Zeugnisse ihrer Liebe hinterlässt. Wie kann doch jede Schwester, die schlicht die Gaben ausübt, die sie vom Herrn empfangen hat, zu einem reichen Segen werden!

Zum Schluss noch die Frage: „Was lasse ich unter denen zurück, die mich täglich umgeben?“ Was war ich bei der Ausübung meines Berufes? Hat das Wort „ehrbar“ für mich sein volles Gewicht? Die Schrift redet davon: „Seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen“ (Röm 12,17). Darüber werden wir nicht leichtfertig hinweggehen, wenn uns der Name Jesu und Sein Zeugnis kostbar sind. Diese Ermahnung richtet sich ja an Gläubige, so beschämend uns das scheinen mag; aber sollte sie etwa überflüssig sein? Was lasse ich zurück, wenn die Führung meiner Geschäfte mich zwar nicht mit den menschlichen Gesetzen in Konflikt bringt, aber doch nicht jeder gerechten Beurteilung standzuhalten vermag? Der Begriff „ehrbar vor allen Menschen“ ist ja nicht beschränkt auf das Gebiet menschlicher Gerechtigkeit! „Alle aber auch, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden“ (2. Tim 3,12). Wenn das einmal an uns herantritt, sind wir nur dann „glückselig“ zu preisen, wenn wir wirklich „im Namen Christi geschmäht“ werden (1. Pet 4,14). Aber es ist eine Schande für uns, wenn dann unter uns etwas gefunden wird, was nicht „ehrbar ist vor allen Menschen“.

Wir sind nicht für lange Zeit hier auf der Erde. „Wir fliegen dahin.“ Ob wir nun wenige oder viele materielle Güter zurücklassen – die eine Verheißung bleibt bestehen: „Das Gedächtnis des Gerechten ist zum Segen.“ Der Glaube hat Jesus, unseren Herrn, zum Inhalt. Wir gehören Ihm für Zeit und Ewigkeit. Ihm zu dienen sollte die erste und herrlichste Aufgabe unseres Lebens sein. „Er ist für alle gestorben, damit die, die leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist“ (2. Kor 5,15).

B. H. C.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2003, Seite 36

Bibelstellen: Spr 10, 7; Hebr, 13, 7; 2Chr 21, 20; Rfö 12, 17