Das einzigartige Wirken der Liebe Jesu

(nach Gedanken von J. G. B.)

Der Abstand zu Gott im Alten Testament

Gott hatte Seine reiche und vielfältige Gnade schon in alten Zeiten erwiesen; aber sie konnte sich noch nicht vorbehaltlos dem Sünder zuwenden, solange der Erlöser Jesus Christus noch nicht erschienen war. Schon das Alte Testament berichtet von Sündenvergebung, Krankenheilung und Speisung von Volksmengen. Aber das alles geschah auf eine für diese Zeit charakteristische, eingeschränkte Weise. Es bestand damals noch ein gewisser Abstand, Gottes Wesenszüge kamen noch nicht voll zur Entfaltung; Er selbst verblieb gewissermaßen in Seinem Heiligtum – Er war vom Himmel aus tätig, wenn auch in Gnade.

Wohl begegnete Gott den Bedürfnissen des Sünders -aber Er war im Tempel, zurückgezogen in das Allerheiligste, und der Sünder musste auf einem vorgeschriebenen, geweihten Weg zu Ihm kommen, um an der Wirkung des Gnadenthrones teilzuhaben. Er stillte die Bedürfnisse Seines Volkes im Lager in der Wüste – aber es geschah, indem Er im Himmel blieb und ihnen von dort das „Brot vom Himmel“, das „Brot der Starken“ sandte und ihnen Wasser gab, nachdem Sein geheimnisvoller Stab den Felsen geöffnet hatte (Neh 9,15; ps 78,25).

Er begegnete dem Übel eines armen Aussätzigen – aber erst, nachdem ein solcher ausgeschlossen wurde aus dem Lager, so dass jedes Eingreifen des Menschen ihm entzogen war. Dort erwies Er sich als Gott, und handelte in der Liebe und Macht, die Ihm eigen ist. Aber es lag ein Charakter in der Handlung, der Abstand zu denen verriet, denen Er Seine Liebe und Güte erwies. Ob Er Vergebung gewährte, speiste oder heilte, immer blieb diese Art und Weise gewahrt.

Wenn Gott dem Menschen in Christus naht

Den Herrn Jesus, Gott, „offenbart im Fleisch“ (1. Tim 3,16), sehen wir dieselben Werke göttlicher Liebe und Macht tun: Er vergibt Sünden, speist und heilt; und Er tut das mit der vollen Autorität Seines Gottesanspruchs und Seiner Herrlichkeit, denn Er „achtete es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein“ (Phil 2,6). Aber das alles geschieht jetzt – obwohl es dieselben Handlungen sind – auf eine völlig neue Weise. Die Zurückhaltung und der Abstand sind verschwunden.

Jetzt sehen wir Gott nicht zurückgezogen im Heiligtum, sondern unterwegs in den Gefängnissen, Krankenhäusern und Armenhäusern dieser Welt des Elends. Er vergibt – aber Er steht dabei an der Seite des Sünders und ruft ihm zu „Deine Sünden sind vergeben“. Er gibt Nahrung – aber ist am selben Tisch mit denen, die Er sättigt. Er heilt – aber Er streckt Seine Hände aus in der Menge zu allen Leidenden oder steht an ihrem Krankenbett. So kommt Er zu den Bedürftigen herab, um zu vergeben, Speise auszuteilen und zu heilen. Er begibt sich mitten unter sie, um sie wissen und sehen zu lassen, dass Er mit vielfältiger Kraft ausgestattet ist, damit sie ohne Vorbehalt davon Gebrauch machen können. Darin liegt eine Herrlichkeit, die alles übertrifft. Dahinter verblasst der Glanz der alttestamentlichen Gnadenerweisungen Gottes.

Die Antworten der Menschen auf die Liebe Jesu

Die religiösen Führer in Israel fühlten sich durch diese Art der Kundgebung Jesu gestört. Sie hatten ein Interesse daran, Gott und Sein Volk nicht allzu vertraut werden zu lassen; denn dann konnten sie hoffen, selbst benötigt zu werden Darum ärgerten sie sich, als Jesus zu dem gelähmten Mann sagte: „Deine Sünden sind vergeben“ (Mk 2,5). Das war eine große Störung für sie. Es entzog ihnen den Boden. „Wer kann Sünden vergeben als nur einer, Gott?“ (V. 7) – und Gott war im Himmel. Dass der Sohn des Menschen auf der Erde Sünden vergab, war eine schlimme Störung dessen, wovon sie in Ansehen und Wohlstand in der Welt lebten.

Aber ob sie es sich sagen ließen oder nicht, dies war die Weise des Sohnes des Menschen auf der Erde. Er machte sich eins mit unseren Nöten in einer Weise, die alle Bedürftigen ermutigte, froh und vertrauensvoll Seine Nähe zu suchen. Er tat alles, um zu zeigen, dass Er ein fröhlicher Geber war – ja mehr noch: dass Er mit Seiner Gabe sich selbst gab. Denn mit eigener Hand brachte Er, wie wir gesehen haben, den Segen gleichsam jedem an die Tür.

Deshalb konnte allein das frohe Vertrauen des Glaubens völlig Seinem Geist entsprechen und ihn erquicken – eines Glaubens, der sich bewusst war, dass ein Bedürftiger das Anrecht hat, direkt zu Ihm zu kommen. Denken wir an den Glauben von Bartimäus, der selbst durch die Gefühllosigkeit seiner Umgebung nicht zum Schweigen gebracht werden konnte. Sogar kleine Kinder nahm der Herr auf Seine Arme, wiewohl sogar Seine Jünger denselben Fehler machten, es ihnen zu verwehren (Mk 10,46-52; 10,13-16).

Das war Seine Absicht: Er kam in die Welt und wurde sofort von den kranken und notleidenden Sündern umlagert, und der Glaube, der Ihn darin verstand und in Anspruch nahm, war die gebührende Antwort darauf.

Gottes Liebe offenbart sich dem Glauben

Solch eine Antwort sehen wir auch in der Handlung der gläubigen kleinen Schar, die – wie die Evangelisten berichten – das Dach des Hauses, wo der Herr war, abdeckten und einen Gelähmten auf seinem Bett „in die Mitte vor Jesus“ hinabließen (Lk 5,19).

Das alles geschah ohne Einhaltung ritueller Formen. Keine ehrwürdige Tempelvorschrift kam zum Zug und kein Warten auf irgendeine Einführung. Jene kleine Schar empfand ihr dringendes Bedürfnis, kannte die wirksame Kraft des Sohnes Gottes und glaubte, dass das zueinander passte – ja sogar, dass der Herr das eine mitbrachte, weil bedürftige Sünder das andere trugen. Es war ein starker Ausdruck ihres Glaubens, und diese Stärke scheint ganz nach dem Sinn Jesu gewesen zu sein. Darum heißt es: „Als Jesus ihren Glauben sah, spricht er zu dem Gelähmten: Kind, deine Sünden sind vergeben“ (Mk 2,5). Er verlangte keine weitere Erklärung und konnte ihnen Sein Herz voller Gnade auftun.

Das war echte Liebe und wahres Mitempfinden. Der Herr Jesus zerriss jeden Schleier zwischen Gott und den Sündern, und dem entsprach auch der Glaube dieser kleinen Schar. Sein Blut sollte schon bald bewirken, dass der Vorhang des Tempels, der Gott von den verlorenen Sündern fern hielt, von oben bis unten zerriss. Und nun zerriss ihr Glaube das trennende Element, das den Sünder bisher von Gott fern hielt.

Herrlicher Glaube, der Kenntnis nimmt von Jesus, dem Heiland der Welt, der mächtig ist, alle Trennwände niederzureißen! Wie gesegnet, zu wissen, dass das die Weise Gottes, unseres Heilands, ist! Gnade und Herrlichkeit sind uns zuteil geworden. Um sie zu suchen, brauchen wir nicht „hinaufzusteigen in die Höhe“, noch müssen wir „hinabsteigen in die unteren Teile der Erde“, denn das hat der Herr für uns getan (vgl. Eph 4,8-10). Bald wird Er in Herrlichkeit wiederkommen gemäß Seiner Verheißung: „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir“ (Off 22,12). Wir aber haben Ihn dann schon längst betrachten dürfen, wie Er sich voller Gnade den verlorenen Sündern naht und sich ihrer annimmt.

Das ist wirklich von Gott. Nur göttliche Liebe kann der Grund dafür sein. Aber den religiösen Obersten gefiel es nicht. Ihre Macht und ihr Ansehen in der Welt verlangte, dass Sündenvergebung auch weiterhin in der Hand eines Gottes blieb, der weit weg im Himmel war; denn dann, so hofften sie, würden sie als der geweihte Weg weiterhin benötigt werden.

Und so ist es noch immer. Vergebung der Sünden ist für jeden in erreichbare Nähe gerückt und wird zur Heilsgewissheit – durch den Glauben, den der Mund bekennt (Rom 10,8-10). Das macht den Weg zur Errettung einfach.

J. B.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2004, Seite 370

Bibelstellen: Apg 10, 38