Johannes – das Evangelium für Gläubige

Einleitung

Gott hat „sein Evangelium über seinen Sohn“ (vgl. Röm 1,1-3) in vier Berichten niederschreiben lassen. Die Berichte nach Matthäus, Markus und Lukas wurden in einer gewissen zeitlichen Nähe verfasst; man nimmt an, zwischen den Jahren 55 und 70. Dann dauerte es eine lange Zeit – wahrscheinlich knapp 30 Jahre – bis Johannes sich unter der Inspiration des Geistes Gottes entschließen sollte, um das vierte Evangelium niederzulegen. Obwohl Johannes Jünger und Augenzeuge des Herrn war; obwohl er als „der Jünger, den Jesus liebte“ (Joh 13,23), die Liebe seines Herrn am meisten empfand und somit doch sicher den Wunsch gehabt haben wird, seine Erlebnisse mit dem Herrn sofort aufzuzeichnen, wollte Gott, dass sich Johannes fast 70 Jahre lang mit diesen Erlebnissen beschäftigte, bevor er seine Gedanken niederlegen durfte. Und auch dann schreibt Johannes nichts von gewissen Ereignissen, die er als Einziger der Evangelisten erlebt hatte: von der Auferweckung der Tochter von Jairus, dem Erlebnis auf dem Berg der Verklärung, den Endzeitreden, den Ereignissen in Gethsemane. Es hat den Anschein, dass Gott ein ganz besonderes Ziel mit dem vierten Evangelium im Sinn hat. Die Aufgabe von Johannes ist offenbar nicht, einen Überblick über die historischen Ereignisse zu geben.

Nun hat natürlich jedes Evangelium sein ganz besonderes Thema und Ziel – auch die ersten drei. Und doch unterscheiden sich diese so genannten synoptischen Evangelien vom vierten ganz grundlegend. Vielleicht kann man sagen, dass die ersten drei Evangelien ganz besonders Menschen zum Retter Jesus Christus führen sollen, damit sie sich bekehren. Wer ist nicht beeindruckt, wenn er sich mit der Person und Herrlichkeit unsres Herrn beschäftigt, wie Er als Mensch hier auf der Erde unsere Bedürfnisse sah und ihnen in Seiner Barmherzigkeit begegnete. Aber Johannes zeigt uns etwas anderes. Er offenbart das Herz des Vaters. Er zeigt uns die Herrlichkeit des ewigen Sohnes des ewigen Vaters. Und doch sehen wir zugleich auch hier das Wesen des Menschen Jesus so deutlich, beispielsweise wie Er ermüdet sein konnte (Joh 6).

Johannes richtet sich nicht (in erster Linie) an Ungläubige – er spricht zu Gläubigen. Schon in der Berufung dieses Jüngers erkennen wir den Charakter seines Auftrages: „Und als Jesus ein wenig weitergegangen war, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, auch sie in dem Schiff, wie sie die Netze ausbesserten; und sogleich rief er sie“ (Mk 1,19). Johannes reparierte und säuberte die Netze. Wie einmal jemand gesagt hat, kann man darin einen Hinweis auf seine Aufgabe im Dienst für den Herrn sehen: Er „reparierte“, wo ein falscher Blick auf Christus entstanden war; er sah die Gläubigen in Gefahr, sich falschen Lehren zu öffnen – also stellte er die christliche Lehre in der Person des Herrn Jesus, des vom Vater Ausgegangenen, vor ihre Blicke; er sah die Gläubigen, geistlich gesprochen, in Gefahr von „Götzen“ – also stellt er ihnen die einzigartige Herrlichkeit des Sohnes Gottes vor und warnt vor den „Götzen“.

Johannes spricht Gläubige an – doch auch Ungläubige

So wendet sich Johannes in seinem Evangelium Gläubigen zu. Manche von ihnen glichen Thomas, der sehen und fühlen wollte (Joh 20,25), bevor er glauben wollte. Er gehörte dem Herrn an, aber es fehlte ihm der Glaube an die Botschaft. Diesen Mangel an Glauben nimmt der Geist Gottes zum Anlass und sagt: „Diese Zeichen aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr glaubend Leben habt in seinem Namen“ (Joh 20,31). Er will ihren Glauben stärken, damit dieser Wurzeln schlagen kann.

Auch wenn Johannes den Glauben der Empfänger des Evangeliums im Blick hat, so schildert er es doch zugleich so, dass es wie kein zweites auch Ungläubige erreicht: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh 3,16). „Wir selbst haben gehört und wissen, dass dieser wahrhaftig der Heiland der Welt ist“ (Joh 4,42). „Denn dies ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tage“ (Joh 6,40). „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke!“ (Joh 7,37). Und man könnte noch weiter fortfahren.

Johannes wendet sich an Christen, die ihr Leben Christus übergeben haben. Das sehen wir besonders deutlich in den Kapiteln 13-17, die durch ihre so intime Sprache nur von Gläubigen verstanden werden können. Warum wendet sich der Apostel an Gläubige? Er hatte über Jahrzehnte die Gefahr sehen müssen, dass diese Gläubigen die Herrlichkeit und Einzigartigkeit der Person ihres Herrn aus dem Auge und vor allem aus dem Herzen verloren. Andere Lehren, wie die so genannte Gnostik, versuchten viele Gläubige dahin zu bringen, dass sie nicht mehr mit Christus und Seinem schlichten Evangelium zufrieden waren, sondern mehr wollten. So suchten sie nach neuen Erkenntnissen, die über die Person und das Werk Christi hinausgingen. Dadurch wurden schon sehr früh Irrlehren unter die Christen gesät – mit schlimmen Folgen.

Das Evangelium der Herrlichkeit des Sohnes des Vaters

Diese Entwicklung nimmt der verherrlichte Herr im Himmel zum Anlass, den Jünger, der die Liebe Jesu am meisten empfunden hatte, damit zu beauftragen, das Evangelium unter dem Gesichtspunkt der Herrlichkeit des Sohnes Gottes zu schildern und drei Briefe über das Wesen des göttlichen Lebens des Sohnes Gottes im Gläubigen zu schreiben. Johannes wusste, worüber er sprach. Er hatte nun 60-70 Jahre in Gemeinschaft mit diesem Sohn Gottes sein Leben führen können. Er hatte darüber nachgesonnen, mit was für einer herrlichen Person er über drei Jahre lang Tag für Tag Umgang gehabt hatte. Und diese Person stellt Er uns vor – auch im hohen Alter noch erfüllt von der Herrlichkeit dieses Sohnes Gottes, des Vaters.

Wir leben nicht am Ende des ersten Jahrhunderts, sondern am Anfang des einundzwanzigsten. Die Irrlehren sind nicht weniger, falsche Strömungen nicht unbedeutender geworden. Aber was uns bleibt, ist dieser Blick auf den Ewigen, der Mensch geworden ist. Und wir wollen im Folgenden Johannes kurz (gleichsam aus der „Vogelperspektive“) begleiten bei seiner „Reise“ zu den einzelnen Gesichtspunkten der Herrlichkeit des Sohnes. Nur der Blick auf Ihn wird dazu führen, dass auch „unsere Netze“ wieder geflickt werden, dass alles seinen richtigen Platz in unserem Leben bekommt. Denn die Person Christi ist die Grundlage für unser Leben. Und sie ist, verbunden mit dem Werk am Kreuz, der Ausgangspunkt für jeden Dienst.

Kapitel 1-2: Der Sohn Gottes wird eingeführt

Der Sohn Gottes ist als „das ewige Wort“ Mensch geworden, um als „der eingeborene Sohn“ Gott zu offenbaren (Kap. 1,1-18). Er offenbart dem Gläubigen die Wahrheit über alle Dinge. Und wer ist dieser ewige Sohn, der Gott kundgemacht, offenbart hat? Er ist das Lamm Gottes, das die Frage der Sünde ein für alle Mal regelt (Kap. 1,19-34) – auch für uns. Aber Er ist nicht einfach ein Gott geweihter Diener. Er ist zugleich der Lehrer, von dem wir als Gläubige alles lernen (Kap. 1,35-42). Er ist der Sohn des Menschen, auf dem der ganze Segen des Himmels ruht und der unsere Verbindung zum Himmel darstellt (Kap. 1,43-51). Und doch ist Er auch der König Israels (Kap. 1,49), der eine ganz spezielle Beziehung zu Seinem irdischen Volk Israel hat und auch dieses erlösen wird.

Der Sohn des Vaters ist aber nicht nur in diese Schöpfung eingetreten – Er ist der Schöpfer selbst (Kap. 2,1-12). Bis heute ist Er der Erhalter aller Dinge, besonders der Gläubigen, auch hinsichtlich der äußeren Bedürfnisse. Aber Er ist nicht nur der Erschaffer des natürlichen Lebens; Er ist auch als der Auferstandene (Kap. 2,13-25) der Geber des geistlichen Lebens – auch für uns!

Kapitel 3-8: Der Sohn Gottes als das Leben

Wenn der Herr Jesus der Lehrer ist (so auch in Kapitel 3), dann ist Er zugleich der Inbegriff des Lebens selbst, des ewigen Lebens, das Er als Sohn Gottes, der von Gott gegeben wurde, und als Sohn des Menschen, der starb, anderen schenkt (Kap. 3). Wie tief hat Er sich herabgeneigt, dass Er auch als Mensch die Begrenzungen des menschlichen Daseins erfahren hat – z.B. Durst und Müdigkeit! So war Er fähig, das Werk am Kreuz zu tun, das Ihn zum Retter der Welt machte (Kap. 4). Zudem ist Er der große Arzt der Menschen geworden, der in allem der Wirkende ist.

Dieser auf der Erde Wirkende war aber zugleich der gehorsame Mensch, der Sohn, der das tat, was der Vater wollte. Aufgrund dieser Erniedrigung aber hat Gott Ihn auch zum Richter der Welt gemacht, an dem sich die Zukunft jedes Menschen entscheidet. Und dieser Mensch ist es, der eben nicht einfach ein Mensch wie jeder andere ist! Weil Er der Sohn Gottes ist, besitzt Er auch als Mensch Leben in sich selbst und hat vom Vater die Autorität empfangen, es anderen zu geben, Lebensspender zu sein (Kap. 5). Als solcher ist Er „das Brot des Lebens“, denn Leben gibt es nur bei und von Ihm selbst (Kap. 6).

Der Herr Jesus ist in diese Welt gekommen, um Menschen Leben zu schenken. Er hat zudem nicht geschwiegen zu den Verhältnissen, die Er in der Welt vorfand. Als der große Zeuge Gottes hat Er die Wahrheit verkündigt und alles beim Namen genannt (Kap. 7,1-36), so dass wir bis heute durch Ihn den Charakter der Welt erkennen können. Als Zeuge war Er zugleich der große Prophet Gottes, der hier die Worte Gottes sprach. Und dazu hatte Er das Siegel Gottes, denn Er war der Gesalbte von oben, der Christus (Kap. 7,37-53).

(Wird fortgesetzt) M. S.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2004, Seite 19

Bibelstellen: Joh 1-8

Stichwörter: Johannes-Evangelium, Sohn Gottes