Die Entstehung der Versammlung in Antiochien

Apostelgeschichte 11,19-30

(Fortsetzung von Seite 288)

Die gute Hand des Herrn

Damit kommen wir auf unseren Bibeltext zurück. Wenn uns auch die Namen derer, die in Antiochien das Evangelium von dem Herrn Jesus verkündigten, nicht bekannt sind; wenn diese Gläubigen auch in den Geschichtsbüchern dieser Welt keine Spuren hinterlassen haben, so hat doch ihre Arbeit reiche Frucht für den Himmel gebracht. Denn es heißt:

„Und die Hand des Herrn war mit ihnen, und eine große Zahl glaubte und bekehrte sich zu dem Herrn“ (Apg 11,21).

Wenn die Hand des Herrn mit den Männern war, so ist dies die Umschreibung dafür, dass der Herr in Seiner Vorsehung alle Hindernisse beiseite räumte und Kraft und Weisheit gab, so dass die Jünger den Griechen in Antiochien das Evangelium bringen konnten. Es ist eine liebliche Illustration dessen, was der Herr Jesus im Sendschreiben an Philadelphia sagt: dass Er es ist, „der da öffnet, und niemand wird schließen, und schließt, und niemand öffnet“. „Siehe, ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben, die niemand zu schließen vermag“ (Off 3,7.8). Das ist für jede missionarische Tätigkeit, ja, für jeden Dienst von äußerster Wichtigkeit. Das Werk ist das Werk Gottes, nicht das unsere, und Er öffnet entweder die Tür oder Er schließt sie. Wir können von uns aus nichts tun, können keine Türen öffnen. Und wenn Er sie nicht öffnet, ist es vergeblich, gegen verschlossene Türen anzurennen.

Hier öffnete Er die Tür. Und dabei wird eine köstliche Wechselseitigkeit sichtbar. Einerseits benutzt Gott Menschen als Seine Instrumente oder Werkzeuge. Andererseits geht die Kraft, die etwas bewirkt, allein von Gott aus. So wahr es ist, dass der Mensch im Werk Gottes nichts tun kann ohne Gott, so wahr ist es auch, dass Gott in diesem Werk nichts tun will ohne den Menschen. „Wie aber werden sie hören ohne einen Prediger? Wie aber werden sie predigen, wenn sie nicht gesandt sind?“ (Röm 10,14.15). Und wenn Menschen „pflanzen“ und Menschen „begießen“, so ist es doch Gott allein, „der das Wachstum gibt“ (1. Kor 3,6.7). Alle Ehre kommt daher Ihm zu. Dass jedoch der Mensch in glücklicher Übereinstimmung mit Gott an Seinem Werk teilhaben und mitarbeiten, dass er in diesem Sinn „Gottes Mitarbeiter“ sein darf, ist und bleibt eine tröstliche, ermutigende Tatsache auch für uns heute.

Die Ergebnisse der Arbeit in Antiochien werden nun im zweiten Teil des Verses angegeben: „Und eine große Zahl glaubte und bekehrte sich zu dem Herrn.“ Das, was mit dem Verkündigen begann, fand seinen Abschluss darin, dass viele glaubten, das heißt zum Glauben kamen. Das Verkündigen des Evangeliums ist eine Sache, aber dem Menschen ewiges Leben mitzuteilen ist eine andere. Nur Gott, der Heilige Geist, kann das bewirken, es liegt gänzlich außerhalb der Möglichkeiten eines Dieners. Dieses Wissen wird uns an dem uns gebührenden Platz erhalten.

Tatsächlich sind es zwei Ergebnisse, die hier genannt werden. Einerseits glaubten diese Griechen, und andererseits bekehrten sie sich zum Herrn. Diese beiden Tätigkeiten stehen hier in einer interessanten Wechselbeziehung zueinander. An manchen Stellen steht nur der eine oder nur der andere Ausdruck, so dass beide Ausdrücke dem Wesen nach dasselbe bedeuten. Wenn sie aber wie hier nebeneinander stehen, weist das „Glauben“ auf die Wurzel hin und das „Sich-Bekehren“ auf die daraus entstehende Praxis.

Es ist wie im Natürlichen. Die Wurzeln eines Baumes sind im Allgemeinen für das Auge unsichtbar. Die Art und Weise, wie sie ihr Leben und ihre Wirksamkeit entfalten, ist dem Betrachter weitgehend verborgen. Die Frucht dagegen kann gesehen und genossen werden. Und an den Früchten erkennen wir die Art des Baumes. Zu glauben ist ein verborgener Vorgang im Herzen des Menschen; sich zum Herrn zu bekehren ist das sichtbare Ergebnis im Leben eines Gläubigen.

Ein Mensch, der zum Glauben an den Herrn Jesus gekommen ist, wirft seine toten Götzen fort und betet den lebendigen Gott an. Wir sehen das so deutlich bei den Thessalonichern, die sich „von den Götzenbildern zu Gott bekehrt“ hatten, „um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen“ (1. Thes 1,9). Man bekehrt sich von etwas weg und zu etwas hin: weg von den Götzenbildern – hin zu dem lebendigen Gott; weg von der Finsternis – hin zum Licht; weg von der Gewalt des Satans – hin zu Gott (Apg 26,18).

In Antiochien waren es viele, die zum Glauben kamen und sich zum Herrn bekehrten. Wie ein auffliegender Taubenschwarm nahmen sie scharenweise ihre Zuflucht zum Herrn Jesus. So vermehrte sich schon damals die Frucht der Mühsal Seiner Seele. Kostbarer Gedanke: Er „sättigt“ sich daran!

Barnabas – ein guter Mann

In Antiochien, jener östlichen Metropole des römischen Imperiums, war die erste örtliche Versammlung entstanden, die nicht jüdischen Ursprungs war – mitten in der heidnischen Welt und unabhängig von jeder menschlichen, irdischen Autorität. Wenn wir die Großartigkeit hiervon bedenken, werden uns die interessanten Geschehnisse und Zeiten, von denen wir hier lesen, zu Lob und Dank Dem gegenüber stimmen, der das alles bewirkte und der das Haupt des Leibes, der Versammlung, ist.

Den Fortgang der Ereignisse schildert der Berichterstatter so:

„Die Kunde über sie kam aber zu den Ohren der Versammlung, die in Jerusalem war, und sie sandten Barnabas aus, dass er hindurchzöge bis nach Antiochien; der, als er hingekommen war und die Gnade Gottes sah, sich freute und alle ermahnte, mit Herzensentschluss bei dem Herrn zu verharren“ (Apg 11,22.23).

Nachdem in Antiochien ein großes Werk Gottes geschehen war, musste das Verhältnis der dort entstandenen Versammlung zu der schon bestehenden Versammlung in Jerusalem geklärt werden; ja, es musste – sollte nicht einer Unabhängigkeit zwischen den Versammlungen Vorschub geleistet werden – eine gewisse Anerkennung des neu Entstandenen erfolgen.

Das ist auch genau das, was nun geschieht. Aber es werden keine Apostel nach Antiochien gesandt, damit sie den Gläubigen dort die Hände auflegten und sie den Heiligen Geist empfingen. So war es in Samaria gewesen, doch Samaria gehörte zum Territorium Israels, Antiochien nicht. Überhaupt hören wir bis zu dieser Zeit nichts davon, dass irgendeiner der Zwölf außerhalb des Landes Kanaan gearbeitet hätte. Und so sendet die Versammlung in Jerusalem einen bewährten Diener des Herrn, Barnabas, aus, „dass er hindurchzöge bis nach Antiochien“. Er würde das Werk dort „besehen“ und auf die Fragen der Brüder in Jerusalem angemessene Antwort geben: ob die „Kunde“ der Wahrheit entsprach.

Auf diese Weise wurde die Einheit der Versammlung Gottes auf der Erde gewahrt. Die Lehre oder Belehrung darüber war noch nicht gegeben, doch der Heilige Geist sorgte dafür, dass diese Einheit dennoch verwirklicht wurde. Dass eine lebendige Beziehung zwischen der Versammlung in Jerusalem und der in Antiochien bestand, wird nicht nur aus späteren Begebenheiten in der Apostelgeschichte, sondern auch aus jenem interessanten Vorfall ersichtlich, den Paulus im Brief an die Galater beschreibt (Kap. 2,11 ff.).

Für die Aufgabe in Antiochien war kein Mann geeigneter als Barnabas. Die Apostel in Jerusalem hatten ihm diesen Beinamen gegeben (Apg 4,36), und er machte diesem Namen alle Ehre, auch jetzt, wie wir sehen werden. „Sohn des Trostes“ bedeutet dieser Name, oder auch „Sohn der Ermunterung, der Ermahnung“. Er hatte in Antiochien keinen apostolischen Auftrag zu erfüllen. Wir hören auch nichts davon, dass er taufte oder die Gläubigen dort förmlich in die Gemeinschaft aufnahm. Stattdessen nennt uns der 23. Vers drei Merkmale von Barnabas, die, als er „hingekommen war“, in seiner Person und seinem Dienst zum Ausdruck kamen und typisch für ihn waren. Wir wollen sie unter drei Überschriften anordnen und ein wenig näher betrachten:

1. Was Barnabas sah: die Gnade Gottes.

2. Was Barnabas empfand: Er freute sich.

3. Was Barnabas tat: Er ermahnte alle.

Was Barnabas sah

„… der, als er hingekommen war und die Gnade Gottes sah …“ Schon im natürlichen Bereich gilt, dass, wenn jemand an einen Ort kommt, er vornehmlich das sieht, wonach er Ausschau hält. Verschiedene Personen werden unterschiedliche Dinge an demselben Ort wahrnehmen, je nach dem Standpunkt, den der Einzelne einnimmt. So wird ein Architekt etwas anderes in einer Stadt „sehen“ als beispielsweise ein Geschäftsmann oder ein Politiker oder ein Künstler. Es kommt eben ganz auf den Blickwinkel des Einzelnen an.

So ist es auch im Geistlichen, und so war es auch mit Barnabas, als er nach Antiochien kam. Er sah nicht die Unzucht und ungezügelte Sünde in dieser Stadt, sah nicht den verderblichen Götzendienst und den von vielen gepriesenen Tempel des Apollo. Nein, sein Blick fiel auf die „Denkmäler“ der Gnade Gottes dort. Er sah, was die Gnade Gottes an sündigen Menschen hatte bewirken können. Das war „sein Blickwinkel“, unter dem er die Dinge dort betrachtete – ein gesegneter Blickwinkel.

Barnabas besaß selbst die Gnade Gottes, andernfalls hätte er sie nicht in anderen wahrnehmen können. Nur jemand, der selbst im Bewusstsein der Gnade Gottes lebt, der täglich darin lebt, ist in der Lage, zu sehen, was die Gnade Gottes in anderen bewirkt oder erreicht hat.

(Wird fortgesetzt) ChB

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2006, Seite 314

Bibelstellen: Apg 11, 21-23