Der Brief an die Hebräer
Eine Einleitung
(Fortsetzung von Seite 141)
So ist denn auch „das Lager“, das einst ein so bevorrechtigter Platz für das Volk Gottes war, für den an Christus gläubigen Juden ein Ort, den er zu verlassen hat. Denn das Sühnungsblut ist für uns in das Heiligtum gebracht worden, und Der, der es vergossen hat, hat „außerhalb des Tores“ gelitten. Unser Platz ist darum jetzt im Heiligtum vor Gott und außerhalb des Lagers vor Menschen, denn an beiden Orten sind wir wirklich bei Christus und sollten das auch sein. „Da wir nun, Brüder, Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu, auf dem neuen und lebendigen Weg, den er uns eingeweiht hat durch den Vorhang hin, das ist sein Fleisch, und einen großen Priester haben über das Haus Gottes, so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens, die Herzen besprengt und so gereinigt vom bösen Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser“ (Heb 10,19-22). Aber lasst uns nicht die andere Seite und unsere gegenwärtige Pflicht vergessen: „Lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Heb 13,13.14).
Es ist unmöglich, irgendetwas zu ersinnen, was diesem Brief gleichkommt: Einerseits beeindruckt uns die gewinnende Art der Annäherung an die Christen aus den Juden, wo sie standen; zum andern ist nicht weniger bewundernswert die Befreiung vom rituellen Joch durch den Beweis aus Gottes Wort, dass das Christentum allein die wahre, beabsichtigte und vollständige Bedeutung von all dem darstellt, was sie dem Buchstaben nach fast vergöttert hätten.
Es sollte niemand überraschen, dass die Schrift selbst die Urheberschaft dieses Briefes festgestellt hat, und das nicht durch Menschen, die über den Hinweis auf die Gefangenschaft und Freilassung von Timotheus in Italien und die Beziehung zu ihm argumentieren, sondern durch eine entscheidende Feststellung von Petrus in seinem zweiten Brief. Dieser richtet sich, wie wir wissen, an die auserwählten Juden aus der Zerstreuung (1. Pet 1,1.2; 2. Pet 3,1), während der Hebräerbrief diejenigen im Land im Sinn hat. In beiden Fällen geht es um gläubige Juden. Was kann also klarer sein als das Wort des Apostels Petrus? „Wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat, wie auch in allen Briefen, wenn er in ihnen von diesen Dingen redet“ (2. Pet 3,15.16). Nun gibt es im Hebräerbrief verschiedentlich Anspielungen auf den Tag des Herrn, wobei einiges wie gewöhnlich schwer zu verstehen ist, vor allem für jüdische Geister. Es ist also sicher, dass Paulus und Petrus beide an hebräische Christen geschrieben haben und dass davon die Rede ist als „Schriften“, wie aus dem, was nachfolgt, ohne weiteres hervorgeht. Entweder ist also der Hebräerbrief das, was Paulus ihnen schrieb, oder dieser Teil der „Schriften“ müsste verloren gegangen sein. Wir haben schon gesehen, dass der Gesichtskreis der Wahrheit hier in hohem Maß der von Paulus ist. Und die Besonderheit seiner Aufgabe macht eine ausführliche Behandlung von Vorbildern nötig, die für Juden höchst wünschenswert ist, aber ganz unangebracht wäre, wenn er an Gläubige aus den Nationen schreibt. Einem denkenden Geist muss das ohne weiteres einleuchten.
Der Inhalt dieses Briefes und die Beziehungen, in denen er steht, sind klar umrissen; von der Art her ist er weniger mit persönlichen Mitteilungen versehen als die anderen Briefe dieses Schreibers. Die persönliche Herrlichkeit des Herrn Jesus ist die Grundlage von allem: in Kapitel 1 als Sohn Gottes, in Kapitel 2 als Sohn des Menschen. Daraus folgt in Kapitel 3 der Vorrang des Apostels und Hohenpriesters des christlichen Bekenntnisses gegenüber Mose und Aaron. Er war der göttliche Baumeister von allem, Sohn über das Haus Gottes, während Mose nur ein Diener war, wenn auch ein treuer. Hiervon wird dann die Wüste abgeleitet als die Umgebung, durch die wir erprobt werden mit der Verheißung, in die Ruhe Gottes einzugehen – die Herrlichkeit bei der Rückkehr Christi. So haben wir nicht nur Gottes Wort nötig, sondern auch einen großen Hohenpriester, der Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten (Kap. 4). Das führt in Kapitel 5 zu dem Gegensatz zwischen dem Priestertum Christi nach der Ordnung Melchisedeks und dem Aarons, der aus Menschen genommen war und fähig, Nachsicht zu haben mit den Unwissenden und Irrenden, da auch er selbst mit Schwachheit behaftet war und wie für das Volk so auch für sich selbst Sündopfer bringen musste.
(Schluss folgt) W. K.
Schreibe einen Kommentar