Die Entstehung der Versammlung in Antiochien

Apostelgeschichte 11,19-30

(Schluss von Seite 32)

Dienst in verschiedenen Bereichen

Dabei müssen wir im Auge behalten, dass natürlicherweise der Grieche den Juden mit Verachtung betrachtete. Wenn nun hier gerade solche Heiligen, die von den Griechen waren, den ärmeren Brüdern aus den Juden in der Versorgung mit irdischen Gütern zu Hilfe kamen – welch ein bemerkenswerter Ausdruck der Liebe und Verbundenheit im Herrn war das!

„Hilfeleistung“ ist übrigens die Wiedergabe eines griechischen Wortes (diakonía; vgl. unser Wort „Diakonie“), das sonst fast immer mit „Dienst“ übersetzt und meist für geistlichen Dienst im höheren Sinn benutzt wird. Für Dienst im äußeren Bereich steht es schon in Kapitel 6, wo es um die tägliche Bedienung der Witwen, um die Bedienung „der Tische“ geht (V. 1). Auch Stellen wie Römer 12,7 und 1. Petrus 4,11 reden von dieser Art Dienst, und es ist interessant, dass in beiden Stellen das Dienen im äußeren Bereich vom Dienen im geistlichen Bereich (Lehren, Reden der Aussprüche Gottes) klar unterschieden wird.

Doch wenn es auch „nur“ um das Dienen zur Versorgung mit irdischen, materiellen Gütern geht, so sollte doch auch das nach 1. Petrus 4 „als aus der Kraft“ geschehen, „die Gott darreicht“. Und das Geben sollte durch „Einfalt“ (oder: Lauterkeit, Aufrichtigkeit) gekennzeichnet sein (Röm 12,8). Beides zeigte sich so eindrucksvoll in Antiochien – übrigens dem ersten Beispiel im Neuen Testament dafür, dass eine örtliche Versammlung einer anderen örtlichen Versammlung zur Linderung äußerer Not durch Spenden beisteht. Auch später noch wurden von den Versammlungen Mazedoniens Sammlungen für die Bedürftigen in Jerusalem durchgeführt (Röm 15,26; 1. Kor 16,3.4; 2. Kor 8,1 ff.). Der Apostel Paulus bezeichnet das sogar als das Abtragen einer Schuld. Wenn die Gläubigen aus den Nationen an den geistlichen Gütern der Gläubigen aus den Juden teilhaben durften und diese auch durch sie empfangen hatten, dann war es nur recht und billig, wenn sie nun auch ihren jüdischen Brüdern mit „leiblichen Gütern“ dienten (Röm 15,27).

Wie man geben soll

Noch einige Einzelheiten über die Art des Gebens in Antiochien erfordern unsere Aufmerksamkeit.

1. Jeder einzelne der Jünger in Antiochien nahm an der Gabe teil: „… jeder von den Jüngern.“ Keiner hielt sich zurück. Jeder erkannte seine persönliche Verantwortlichkeit vor dem Herrn.

2. Nichtsdestoweniger war es eine gemeinsame Handlung: „Sie beschlossen aber …“ Sie handelten in einem gemeinsamen Geist, als Versammlung.

3. Das Geben war das Ergebnis einer freiwilligen Übereinkunft, ein spontaner Akt des Willens jedes Einzelnen: „Sie beschlossen aber …“

4. Sie gaben nicht den Zehnten, sondern gaben entsprechend der Prosperität, dem Wohlstand, den Gott jedem gegeben hatte: „… je nachdem einer von ihnen begütert war.“ Es gab ein Maß des Gebens, aber dieses Maß wurde nicht mechanisch angewendet. Es wurde auch nicht durch äußere Autorität bestimmt, sondern durch das Gewissen des Einzelnen, wie er mit dem, was Gott ihm anvertraut hat, umgehen sollte. Alles lag letzten Endes in dem Ermessen des Einzelnen. Doch obwohl sich die Gebenden einer Verpflichtung Gott und Menschen gegenüber unterwarfen, wurden sie nicht die Sklaven der Menschen. Es war die Liebe Christi, die sie trieb; und der Maßstab für ihr Geben lag in dem Wohlergehen des Einzelnen, das Gott ihm gewährte.

5. Die Tatsache, dass bei „… je nachdem einer von ihnen begütert war“ im Griechischen die Imperfektform vorliegt (wörtlich: „… je nachdem einer von ihnen fortfuhr, begütert zu sein“), scheint anzudeuten, dass die Sammlung nicht auf ein einziges Mal beschränkt war, sondern wiederholt fortgesetzt wurde, von Zeit zu Zeit, vielleicht von Sonntag zu Sonntag. Später jedenfalls legte der Apostel Paulus diese Regelung fest: „Was aber die Sammlung für die Heiligen betrifft: Wie ich für die Versammlungen von Galatien angeordnet habe, so tut auch ihr. An jedem ersten Wochentag lege ein jeder von euch bei sich zurück und sammle auf, je nachdem er Gedeihen hat, damit nicht dann, wenn ich komme, Sammlungen stattfinden“ (1. Kor 16,1.2). Beachten wir auch hier den Maßstab für das Geben: „… je nachdem er Gedeihen hat.“

Die in den fünf Punkten vorgestellten Grundsätze haben ihre Gültigkeit bis heute behalten, und es wird gut sein, wenn auch wir sie beachten – wohl wissend, dass Geben seliger ist als Nehmen (Apg 20,35). Doch richtiges Geben will gelernt sein. Die Liebe wird dabei der beste Lehrmeister sein, wie uns das Beispiel Antiochiens zeigt.

Abgesandte der Versammlung

„… was sie auch taten, indem sie es durch die Hand des Barnabas und Saulus an die Ältesten sandten“ (Apg 11,30).

Wenn nach der Beschlussfassung zur Hilfeleistung hinzugefügt wird: „Was sie auch taten“, so unterstreicht das die Annahme, dass sich die Sammlung über längere Zeit erstreckte; bis dann nämlich der Zeitpunkt kam, dass die Brüder in Antiochien das Gesammelte durch die Hand des Barnabas und Saulus an die Ältesten sandten – wahrscheinlich an die Ältesten in Jerusalem. Denn es wird in Kapitel 12 gesagt: „Barnabas aber und Saulus kehrten, nachdem sie den Dienst erfüllt hatten, von
Jerusalem zurück“ (V. 25).

Diese letzte Bemerkung in Kapitel 12 macht in historischer Hinsicht auch Folgendes deutlich: Die Sammlung begann, nahm ihren Fortgang „um jene Zeit“, als Herodes die Hände an einige derer von der Versammlung in Jerusalem legte, um sie zu misshandeln (V. 1), also vor seinem qualvollen Tod. Die Rückkehr der beiden Abgesandten geschah dagegen erst nach dem Tod des Königs, nach dem Passah des Jahres 44 n. Chr. Die Hungersnot erreichte nach geschichtlichen Quellen allerdings erst im nächsten Jahr ihren Höhepunkt.

Barnabas und Saulus waren Abgesandte der Versammlung in Antiochien. Sie besaßen das Vertrauen der Brüder dort, und diese betrauten sie mit der Aufgabe, die Gabe an die Heiligen in Judäa zu übermitteln. In derartigen Verwaltungsfragen haben die Brüder oder Versammlungen durchaus die Kompetenz, geeignete Personen auszuwählen und sie mit Aufgaben zu betrauen. Paulus sagt zu den Gläubigen in Korinth: „Wenn ich aber angekommen bin, will ich die, die irgend ihr für tüchtig erachtet, mit Briefen senden, dass sie eure Gabe nach Jerusalem hinbringen“ (1. Kor 16,3). Und in seinem zweiten Brief an sie bemerkt er im Blick auf „den Bruder“: „Aber nicht allein das, sondern er ist auch von den Versammlungen … gewählt worden mit dieser Gnade, die von uns bedient wird“ (2. Kor 8,19).

Ganz anders verhält es sich, wenn es um die Berufung von Dienern für das Werk des Herrn geht. Wir haben uns schon früher daran erinnert, dass allein der verherrlichte Herr Jesus Seiner Versammlung Gaben gibt (Eph 4,11); dass es der Heilige Geist ist, der Männer zum Dienst beruft und sie aussendet (Apg 13,2.4). Da hat der Mensch nichts zu wählen. Wir sollten diese Unterschiede unbedingt beachten, gerade deswegen, weil sie in der Christenheit ständig missachtet werden. Selbst im Blick auf das Amt der Ältesten oder Aufseher sagt Paulus den Ältesten von Ephesus: „Habt Acht auf euch selbst und auf die Herde, in der euch der Heilige Geist als Aufseher gesetzt hat, die Versammlung Gottes zu hüten“ (Kap. 20,28).

Damit sind wir bei den Ältesten. Lukas erwähnt sie in der Apostelgeschichte hier zum ersten Mal. Der Ausdruck „Älteste“ ist sicher vom Alten Testament übernommen. Älteste spielten von alters her im Volk Israel eine gewichtige Rolle. Im Neuen Testament wird mit „Ältester“ oder „Aufseher“ ein spezielles Amt bezeichnet, nicht eine Gabe, sondern ein an eine örtliche Versammlung gebundenes Amt (vgl. „Aufseheramt“ in Apg 1,20).

Hier ist jetzt nicht der Platz, anzuführen, was die Schrift im Einzelnen über das Amt des Ältesten (Aufsehers) sagt. Das wollen wir uns für einen passenderen Zeitpunkt aufheben. Nur so viel sei festgestellt: dass in den Versammlungen, die aus den Nationen kamen, Älteste durch apostolische Autorität eingesetzt wurden (vgl. Kap. 14,23). Wie es sich mit den Ältesten in den Versammlungen Judäas verhielt, durch wen sie – wenn überhaupt – zu diesem Amt bestellt wurden, wird uns nicht mitgeteilt. Allem Anschein nach handelte es sich bei ihnen einfach um Männer mit moralischem Gewicht, die infolge ihrer Autorität einen Platz besonderer Verantwortlichkeit unter den Heiligen einnahmen.

Nun, zu solchen Ältesten (in Jerusalem) sandten die Brüder in Antiochien Barnabas und Saulus mit der Gabe. Welch eine Freude muss es für diese beiden Knechte des Herrn gewesen sein, diese Frucht wahrer Liebe in den Heiligen aus den Nationen an die Empfänger in Judäa zu übermitteln! Über die Reaktionen hören wir nichts. Aber wir können sicher sein, dass Lob und Dank zu Dem emporgestiegen sind, von dem jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk auf uns herabkommt (vgl. 2. Kor 9,13).

ChB

Durch ihn nun lasst uns Gott

stets ein Opfer des Lobes darbringen,

das ist die Frucht der Lippen,

die seinen Namen bekennen.

Das Wohltun aber und Mitteilen

vergesst nicht,

denn an solchen Opfern

hat Gott Wohlgefallen.

Hebräer 13,15.16

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2007, Heft 2, Seite 58

Bibelstellen: Apg 11, 29.30