Die himmlische Berufung und der Wandel auf der Erde

Es ist von größter Wichtigkeit, zu erkennen, dass wir als solche, die an den Herrn Jesus glauben, nicht nur vom Gericht errettet sind, sondern auch zum Himmel berufen – als „Genossen der himmlischen Berufung“. Der Apostel fordert uns nicht auf, an der himmlischen Berufung teilzuhaben; er sagt, dass wir deren Teilhaber sind. Der Gläubige ist ebenso ein himmlischer Mensch, wie er ein erretteter Mensch ist. Doch wir müssen beschämt anerkennen, dass unser Verhalten nicht immer für himmlische Menschen geziemend ist, ebenso wenig wie es immer zu erretteten Menschen passt.

Wir erkennen mit Freuden an, dass unsere Errettung nicht „aus Werken” ist, sondern „durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens“ (Eph 2,8.9). Ebenso haben wir auch an der himmlischen Berufung nicht durch unsere Werke teil, sondern durch Seine Gnade. So lesen wir: „Gott hat uns errettet und berufen mit heiligem Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem eigenen Vorsatz und der Gnade …“ (2. Tim 1,9). Unser praktischer Lebenswandel sichert weder unsere Errettung noch macht er uns zu himmlischen Menschen; aber die Tatsache, dass wir errettet sind und an der himmlischen Berufung teilhaben, wird eine große Auswirkung auf unseren ganzen Lebenswandel haben.

Gewöhnlich besteht sogar in der evangelikalen Christenheit der Gedanke, dass das Evangelium uns von unserer Schuld befreit und uns dann auf der Erde einen Platz gibt als bessere Menschen und bessere Bürger, unter verbesserten Gegebenheiten, um uns schließlich, wenn wir sterben, in den Himmel zu bringen. Die große Wahrheit, dass das Christentum uns völlig aus dieser Welt herausnimmt, uns einen neuen Platz im Himmel gibt und uns so zu Fremden und Pilgern auf der Erde macht, findet offenbar kaum noch Anklang.

Wenden wir uns von diesen Vorstellungen ab, um aus der Schrift Gottes Gedanken zu erfahren, dann werden wir finden, was die Gnade Gottes tut.

– Erstens begegnet sie unseren Bedürfnissen als Sünder und befreit uns von Schuld und Gericht.

– Zweitens unterstellt sie uns einer neuen Macht, die für uns sorgt und uns in der Erwartung Dessen erhält, der uns errettet hat.

– Drittens verbindet sie uns mit unserem neuen Platz im Himmel, so dass wir schon jetzt, obwohl noch auf der Erde, Genossen der himmlischen Berufung sind.

Wenn wir uns dem Lukas-Evangelium zuwenden, erweist es sich zutiefst belehrend, in den einzelnen Begebenheiten zu verfolgen, wie die Gnade in der Person Christi uns besucht hat aus der Höhe, sich zu uns herabgeneigt hat in die Tiefen unserer Nöte, um uns in die Höhen zu erheben, aus der die Gnade kam, und so den Sünder, der glaubt, zu einem Genossen der himmlischen Berufung zu machen.

Die Vergebung der Sünden (Lukas 7,37.38.48-50)

Im ersten Kapitel des Evangeliums sagt Zacharias in seinem Lobpreis so schön, dass „uns besucht hat der Aufgang aus der Höhe“. Mit dem Kommen Jesu war der neue Tag der Gnade über der Welt aufgegangen. Im vierten Kapitel erfahren wir, wie der Herr diesen Tag der Gnade eröffnet, als Er die Weissagung Jesajas zitiert. Darin wird vorhergesagt, dass der Herr kommen würde, um den Armen gute Botschaft zu verkündigen und die zu verbinden, die zerbrochenen Herzens sind. Dann kann der Herr sagen: „Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt.“

Im siebten Kapitel sehen wir dann, wie diese Gnade sich zu einer armen Sünderin herabneigt und ihre Sünden vergibt. Eine Frau in der Stadt, die eine Sünderin war, sieht sich in der Gegenwart des Heilands. Sie erkennt, dass sie in der Gegenwart Dessen ist, der alle ihre Sünden kennt und dennoch ihr gegenüber voller Gnade ist. Das Ergebnis ist, dass ihr Herz zuerst zerbrochen und dann gewonnen wird. Ihre Tränen sprechen von einem zerbrochenen Herzen und ihre Küsse von einem gewonnenen Herzen. Sofort verbindet der Herr ihr zerbrochenes Herz, indem Er sagt: „Deine Sünden sind vergeben …. Dein Glaube hat dich gerettet; geh hin in Frieden.“ Hier finden wir also den Ausgangspunkt aller unserer Segnungen. Uns wird nicht vergeben aufgrund von irgendetwas, was wir getan haben, sondern aufgrund dessen, was Christus getan hat. Und wir wissen – wie die Frau damals -, dass uns vergeben ist, nicht weil wir glauben, dass uns vergeben ist, sondern weil Gott das sagt. „Durch diesen [Christus] wird jeder Glaubende gerechtfertigt“ (Apg 13,39). Das ist wirklich eine wunderbare Segnung, im Fall der Frau allerdings geht sie kaum über die Vergebung der Sünden hinaus.

Getragen und versorgt (Lukas 10,33-35)

In dieser schönen Szene sehen wir eine weitere Stufe des Segens, den die Gnade uns bringt. Der barmherzige Samariter verbindet die Wunden des sterbenden Mannes; wir könnten sagen, er empfängt die Vergebung der Sünden. Aber er empfängt noch weitere Segnungen. Nachdem die Wunden verbunden waren, setzte der barmherzige Samariter den Mann „auf sein eigenes Tier und führte ihn in eine Herberge und trug Sorge für ihn“. Und vor der Weiterreise hinterlässt er die Mitteilung, dass er für ihn wiederkommen wird. – So ist es auch mit den Gläubigen: Wir werden, nachdem uns vergeben ist, nicht allein gelassen, um unseren Weg durch diese Welt zu finden, so gut es geht. Wir sind getragen durch die Kraft Dessen, der uns vergeben hat; wir sind in einer Herberge in Sicherheit gebracht worden. Wir werden auf Schritt und Tritt versorgt, und Der, der uns gesegnet hat und für uns sorgt, kommt für uns wieder. Aber in all diesem, auch wenn es schon ein großer Fortschritt über der Wahrheit von der Vergebung hinaus ist, ist noch nichts vom Himmel zu sehen.

Der Himmel für uns geöffnet (Lukas 14,16-23)

In dieser Szene finden wir einen weiteren Schritt über die Wahrheit hinaus, die uns in Lukas 10 vorgestellt wird. Dort sahen wir uns umsorgt als Pilger in dieser Welt. Hier, in diesem schönen Bild, erfahren wir, dass wir in eine völlig neue Umgebung berufen sind. Das Abendessen findet im Haus statt und die Einladung lautet: „Kommt“; der Knecht wird angewiesen, sie „hier herein“ zu bringen; und später heißt es: „Nötige sie hereinzukommen.“ Das große Ziel ist, dass das „Haus voll werde“.

Damit erklärt Gott uns, dass Er Sein Haus geöffnet und das Verlangen Seines Herzens offenbart hat, Sein Haus mit Sündern zu füllen, die durch Gnade errettet sind. Aus dem Paradies auf der Erde hinausgeworfen, ist der Mensch ein heimatloser Wanderer auf den Straßen und Gassen dieser Welt geworden, doch die Gnade Gottes neigt sich zu dem Menschen in all seinem Elend herab, um ihn in die Wärme und Freude des Hauses des Vaters zu bringen.

Sünder werden heimgebracht in den Himmel
(Lukas 15,4-6)

Hier haben wir einen noch weiteren Schritt über Lukas 14 hinaus. Dort sehen wir, wie das Haus des Vaters geöffnet ist und Sünder eingeladen werden, zu „kommen“. Hier sehen wir im Bild verlorene Sünder, die errettet und nach Hause „gebracht“ werden. Wir sehen den guten Hirten, der Seinem verlorenen Schaf nachgeht. Aber zu welchem Zweck? Nur um Sein Schaf zu retten? Gewiss, Er sucht und findet das Schaf; doch Er tut noch mehr. Er hebt es auf und trägt es auf Seinen Schultern. Aber ist das alles? Sicher rettet und trägt und versorgt Er Sein Schaf; doch Er tut noch mehr; Er bringt es nach Hause. Deshalb lesen wir: „Wenn er nach Hause kommt …“ Welches Ziel hatte der Hirte vor Augen, als Er in diese einsame Wildnis ausging? Wollte Er nur das irrende Schaf finden und es in die Schafhürde zurückbringen, von wo es weggelaufen war? O nein! Er fand es, hob es auf und trug es, und Er brachte es nach Hause. Nichts Geringeres als Sein eigenes Haus schien Ihm passend für Sein Schaf.

Dann sehen wir in der Geschichte vom verlorenen Sohn, wie die Gnade einen Sünder in all seinem Elend erreichen kann, in das die Sünde ihn im fernen Land gestürzt hat, um ihn in die völlige Nähe und Freude des Vaterhauses zu bringen.

Schließlich sehen wir im Fall des Räubers in Lukas 23,43 die wahre Begebenheit von einem Menschen, der aus den Tiefen der Sünde in die Höhe des Paradieses gebracht wird. Das erste Wort, das der Herr diesem Mann sagte, war: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Wir hätten vielleicht gedacht, das erste Wort des Herrn wäre gewesen: „Deine Sünden sind vergeben.“ O nein! Das Erste, was der Herr diesen Mann wissen ließ, war, dass der Himmel für ihn geöffnet war, dass er passend gemacht war für den Himmel und zum Himmel berufen – ein Genosse der himmlischen Berufung. Solch eine Wirksamkeit hat der Tod Christi, dass der gemeinste Sünder, der an Ihn glaubt, im Himmel bei Christus sein kann.

Diese Begebenheiten zeigen uns in herrlicher Weise, dass die Gnade aus der Höhe zu uns herabkommt, unseren tiefsten Nöten begegnet und uns in die Höhe erhebt, woher sie kam, damit wir bei Christus im Himmel sein sollen. Doch diese Stellen zeigen uns noch mehr; sie zeigen uns, warum wir zum Himmel berufen sind. Stellt Gott uns im Himmel vor sich hin, nur um uns glücklich zu machen? Sicher werden wir glücklich sein, denn in Seiner Gegenwart ist die Fülle von Freuden. Aber wenn Er uns dahin bringt, dann nicht nur zur Freude unserer Herzen, sondern zur Genugtuung Seines eigenen Herzens. Als der Hirte im Gleichnis das Schaf aufhob, nahm er es in der Tat mit Freuden auf seine Schultern; aber seine Freude war nicht vollständig, bis er das Schaf nach Hause gebracht hatte. Dann sagt er: „Freut euch mit mir.“ So war es auch bei dem Vater: Seine Liebe und sein Mitgefühl fanden zwar außerhalb des Hauses ihren Ausdruck; aber erst, wenn wir ins Haus kommen, hören wir von der Freude des Vaters. Dann lesen wir: „Und sie fingen an, fröhlich zu sein.“ Diese wunderbare Geschichte erklärt uns, dass eine solche Liebe im Herzen Gottes, des Vaters, ist, dass es Ihn wirklich verlangt, uns bei sich zu haben. Darum berief Er uns zum Himmel und machte uns zu Genossen der himmlischen Berufung.

Die praktische Auswirkung
der himmlischen Berufung (Hebräer 11,13-16)

Welche praktische Auswirkung, mögen wir fragen, hat es auf unseren Lebenswandel, wenn wir die große Wahrheit, Genossen der himmlischen Berufung zu sein, mit dem Herzen erfassen? Sehen wir die Praxis, die dem Glauben an diese große Wahrheit folgen sollte, nicht sehr lebendig in der Geschichte Abrahams, Isaaks und Jakobs in Hebräer 11,13-16?

In Abraham sehen wir einen Menschen, der „gerufen wurde … auszuziehen an den Ort, den er zum Erbteil empfangen sollte“. Er hatte die Verheißung eines „besseren, das ist himmlischen Vaterlandes“. Zusammen mit Isaak und Jakob sah Er durch Glauben dieses himmlische Land „von fern“, und begrüßte es von Herzen. Das Ergebnis war:

Sie wurden Fremdlinge ohne Bürgerrecht auf dieser Erde. Sie sahen das Land vor sich. Und ihre Bindung an die himmlische Stadt brach ihre Brücken zur Erde ab.

Als Fremdlinge und Pilger wurden sie auch wahre Zeugen für Gott in dieser Welt, denn wir lesen: „Denn die solches sagen, zeigen deutlich …“ Es war nicht nur das, was sie mit ihren Lippen redeten, ihr ganzes Leben war eine Ansprache an die sie umgebende Welt.

Als wahre Zeugen, die ihre Stellung „deutlich zeigen“, waren sie in Sicherheit vor der Versuchung, in die Welt zurückzukehren, obwohl die Gelegenheit dazu bestand.

So schämt sich Gott nicht, der Gott derer genannt zu werden, die ihren Platz als Fremdlinge und Pilger einnehmen, die deutlich zeigen, dass sie ein Vaterland suchen und jede Möglichkeit der Rückkehr in die Welt ablehnen.

Was für ein wunderbares Beispiel haben wir doch in diesen Glaubensmännern des Alten Testaments! In einer viel direkteren Weise wurde uns die himmlische Berufung offenbart, als Christus kam, um uns von himmlischen Dingen Kunde zu geben. Christus ist gestorben, um uns den Himmel zu erwerben und uns für den Himmel passend zu machen. Wir sind zum Himmel berufen und Genossen der himmlischen Berufung. Aber lasst uns unsere Herzen prüfen, indem wir uns fragen, ob wir die himmlische Berufung von Herzen angenommen haben. Wenn es so ist, dann wird auch auf uns zutreffen, was von den Patriarchen gesagt wird: „Darum schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott genannt zu werden.“

H. S.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2007, Heft 12, Seite 356

Bibelstellen: Hebr 3, 1; 2Tim 1, 9; Hebr 11, 13-16