„Wohlan, lasst uns!“ – oder „Geh hinaus!“?

In 1. Mose 11 wird uns ein Einblick in die Nachkommenschaft Noahs ein oder zwei Jahrhunderte nach der Flut gegeben. Das Zeitalter vor der Flut war eine Zeit der persönlichen Freiheit gewesen, da bis dahin noch keine Regierung bestand. Die Willensfreiheit blühte und führte zu Zügellosigkeit, die in Gewalttat und Verdorbenheit ausartete. Doch nun hatte Gott eine anfängliche Art von Regierung eingesetzt, wie in 1. Mose 9,5.6 berichtet wird.

Daher war die Hand eines jeden nicht mehr gegen seinen Nächsten gerichtet, und ein neues Zeitalter setzte ein, das nicht von Individualismus, sondern von Zusammenarbeit bestimmt war. Die Menschen fanden heraus, dass sie gemeinsam Dinge erreichen konnten, die sie als unabhängige Einzelwesen nie geschafft hätten. Folglich finden wir in 1. Mose 11 in den Versen 3 und 4 zweimal den Ausdruck „Wohlan“. Das hebräische Wort bedeutet: „Hilf mit“; wir würden heute vielleicht sagen: „Mach mit!“

Aber grundsätzlich gab es keinen Unterschied zwischen dem Geist des Zeitalters nach der Flut und dem der Zeit vorher, nur dass an die Stelle des Strebens nach Selbst-Erhöhung des Einzelnen, also nach dem großen „Ich“, nun das gemeinsame Streben nach der Verherrlichung des großen „Wir“ trat. Es hieß: „Bauen wir uns eine Stadt und einen Turm, und machen wir uns einen Namen.“ Das, was der Apostel Johannes den „Hochmut des Lebens“ nennt (1. Joh 2,16), war der beherrschende Einfluss.

An diesem Punkt handelte Gott auf zweierlei Weise. Als Schöpfer kannte Er die geistigen und schöpferischen Fähigkeiten, die Er den Menschen verliehen hatte, und wusste, dass ihnen, wenn sie unabhängig von Ihm handeln würden, bei ihrem Hang zur Selbst-Überhebung „nun nichts verwehrt werden konnte, was sie zu tun ersinnen“ würden (V. 6). Folglich verwirrte Er ihre Sprachen, was ihren Zusammenschluss in hohem Maß erschwerte und behinderte.

Aber das Zweite, was Gott tat, folgte etwas später, obwohl es uns gleich zum Beginn des zwölften Kapitels berichtet wird. Er sagte zu Abram: „Geh aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters.“ Das zog insofern eine sehr umfassende Trennung nach sich, als Götzendienst in die Familie eingedrungen war, aus der er herausgerufen wurde, wie Josua 24,2.3 feststellt. Um die Zeit, als er berufen wurde, hatte das System „Welt“ unter der irreführenden Macht Satans Gestalt gewonnen, und während die Menschen immer noch „Wohlan“ sagten, um ihre Pläne zu verwirklichen, sagte Gott zu Abram: „Geh hinaus!“

Nun, das ist von jeher die Weise Gottes gewesen. Er trennt sein Volk von der Welt, damit es für Ihn sei. Lasst uns noch einige weitere Beispiele dafür anführen.

Nehmen wir als Erstes den Fall von Lot, dem Neffen Abrams. Hier war ein Mann, der mit Abram auszog: im Grunde genommen ein wahrer Heiliger, denn im Neuen Testament wird er „gerechter Lot“ genannt, wenn auch ohne das Maß an Glauben, das seinen Onkel kennzeichnete. Daher ließ er sich bald in die böse Stadt Sodom treiben, deren Bewohner seine gerechte Seele durch ihren gottlosen Wandel Tag für Tag quälten! Wie unterschied er sich von Abram! Dennoch war das Wort des Engels, als die Stunde der Zerstörung über die Stadt kam: „Wen du noch hier hast, … führe hinaus aus diesem Ort!“ So musste Lot zu ihnen sagen: „Macht euch auf, geht weg aus diesem Ort“ (1. Mo 19,12.14). Sie beachteten ihn nicht, doch er selbst kam heraus, obgleich er wie Hiob hätte sagen müssen: „Nur mit der Haut meiner Zähne bin ich entkommen“ (Hiob 19,20).

Die Nachkommen Abrahams zogen hinab nach Ägypten, das für den Moment ein Ort der Sicherheit und des Überflusses unter der gütigen Regierung Josephs war. Schon bald entwickelte es sich für sie zum Haus der Knechtschaft. Zeigt sich in der Lebenszeit Abrams das System „Welt“ als Ort des menschlichen Fortschritts durch Zusammenschluss – doch unter den Götzen Satans – und im Leben Lots als Ort abscheulicher Verdorbenheit, so sehen wir zur Zeit Moses in Gestalt von Ägypten die Welt in ihrer versklavenden Macht, die das Volk Gottes unterdrückt. Folglich lautete das Wort Gottes an Mose: „Ich bin herabgekommen, um es aus der Hand der Ägypter zu erretten und es aus diesem Land hinaufzuführen“ (2. Mo 3,8). In dieser Epoche war Ägypten ein prächtiger und attraktiver Ort – abgesehen von den Aufsehern -, aber es war kein Ort für ein Volk, das Gott anbeten sollte.

Wie wir alle wissen, versagte das Volk, obwohl es aus Ägypten gerettet wurde, später vollständig, indem es unter seinen Königen ständig in Götzendienst verfiel, bis sie in die Gefangenschaft in Babel kamen. Nachdem der prophezeite Zeitabschnitt vorübergegangen war, wurde eine Rückkehr zum Wiederaufbau des Tempels unter Kores erlaubt, und wir lesen: „Dies sind die Bewohner der Landschaft Juda, die aus der Gefangenschaft … hinaufzogen“ (Esra 2,1). Noch einmal rief Gott Sein Volk heraus, obwohl nur wenige der Vielen reagierten. Und wieder folgte tragisches Versagen, wie wir in Maleachi sehen, und zwar derart, dass der Herr Jesus, der verheißene Messias, als Er kam, abgelehnt und gekreuzigt wurde.

Dies führte die Ereignisse zu einem Höhepunkt, wie der Herr selbst mit den wunderbaren Worten in Johannes 12,23-33 ankündigte. In Bezug auf sein „Erhöhtsein“ als der Gekreuzigte erklärte Er: „Jetzt ist das Gericht dieser Welt.“ Weil das so ist, sollte es uns nicht überraschen, dass in dieser Gnadenzeit, die sich an Seine Verherrlichung in der Höhe und die Ausgießung des Geistes anschließt, die Berufung derer, die dem Evangelium glauben, aus der Welt heraus von größter Bedeutung ist.

Hinsichtlich der jüdischen Gläubigen kündigte der Herr es im Voraus an. Als der wahre Hirte betrat Er auf dem vorgeschriebenen Weg den jüdischen „Hof der Schafe“, und unter den darin eingeschlossenen Schafen waren einige, die Er „seine eigenen Schafe“ nannte. Und mit welcher Absicht ließ Er sie Seine Stimme hören? Sollte die Stimme sie aufrütteln, die Verhältnisse im „Hof“ zu verbessern und ihn zu verschönern? Nein. „Er ruft seine eigenen Schafe mit Namen und führt sie heraus“ (Joh 10,3).

Aber das Evangelium ist nicht auf die Juden begrenzt; es hat sich auch zu den Nationen ausgebreitet. Das war ein ganz neuer Anfang in den Wegen Gottes, und was war Seine Absicht damit? In der frühen Beratung der Brüder in Jerusalem lenkte der Apostel Jakobus die Aufmerksamkeit auf das, was Simon Petrus erzählt hatte, nämlich dass „Gott zuerst darauf gesehen hat, aus den Nationen ein Volk zu nehmen für seinen Namen“ (Apg 15,14). Das also ist es, was der Herr heute tut.

Sind wir Christen dieser Berufung Gottes gerecht geworden? Leider nicht. Sehr früh in der Kirchengeschichte vergaßen Gläubige ihre Berufung und verstrickten sich in die Welt, wie wir es im Fall der Korinther sehen. Sie vergaßen oder waren sich vielleicht noch kaum darüber klar, dass es keine Gemeinschaft gibt zwischen Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit, zwischen Licht und Finsternis, zwischen Christus und Belial, zwischen dem Gläubigen und einem Ungläubigen, zwischen dem Tempel Gottes und Götzenbildern. Der Apostel Paulus unterwies sie, dass die Heiligen heute „der Tempel des lebendigen Gottes“ sind, und so richtete sich der Ruf an sie: „Geht aus ihrer Mitte hinaus und sondert euch ab“ (2. Kor 6,17). Das weltliche System heutzutage ist nicht besser, als es zu der Zeit war, in der der Apostel diese Worte schrieb. Sicher sind wir in der Welt, solange wir unseren Pilgerweg gehen; aber wir sind nicht von der Welt, seitdem wir aus Gott geboren sind, und deswegen „erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat“ (1. Joh 3,1).

Vom Anfang bis zum Ende der Bibel macht Gott klar, dass die Heiligen, die Seine Zustimmung haben, von der Welt getrennt sein sollen. Das ist eine gewaltige und weitreichende Tatsache. Lasst uns jeder sich selbst fragen: Wie entspreche ich dem heute?

F. B. H.

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2007, Heft 4, Seite 105

Bibelstellen: 1Mo 11, 3.4; 1Mo 12, 1

Stichwörter: Absonderung, Trennung