Fruchtbringen und Zeugnis

Johannes 15,1-8

In Johannes 13 wird uns der gnädige Dienst des Herrn für Sein Volk vorgestellt, der zum Ziel hat, dass die Seinen während Seiner Abwesenheit Gemeinschaft oder „Teil“ mit Ihm haben können, da, wo Er ist, im Haus Seines Vaters. In Johannes 14 finden wir, wie der Herr unsere Herzen tröstet, indem Er uns vom Kommen des Heiligen Geistes berichtet. Durch Ihn ist es Christus möglich, bei uns zu sein, denn Er sagt von dem, der Seine Gebote hält: „Ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbaren“, und vom Vater und von Sich selbst sagt Er: „Wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“ (Johannes 14,21.23). Wenn wir teilhaben mit Christus, wo Er ist, und Er teilhat mit uns, wo wir sind, bereitet uns das zu, Frucht zu bringen, wie es uns in Johannes 15 vorgestellt wird.

Die Erörterung beginnt damit, dass der Herr als der wahre Weinstock, der Vater als der Weingärtner und die Jünger als die Reben vorgestellt werden. Um jedem Missverständnis über diesen Abschnitt vorzubeugen, müssen wir bedenken, dass es hier nicht um Christus als Haupt und um Gläubige als Seinen Leib geht, wie es uns in den Briefen des Apostels Paulus gezeigt wird. Hier geht es um Christus und solche, die bekennen, Seine Jünger auf der Erde zu sein. Wenn wir die Gläubigen als Glieder des Leibes Christi betrachten, dann denken wir an ihre himmlischen Vorrechte, vereint mit dem Haupt im Himmel. In diesen Leib kann nichts Unechtes eingehen, und aus diesem Leib kann kein Glied entfernt werden. Wenn wir jedoch die Gläubigen als Jünger des Herrn betrachten, dann denken wir an ihre Verantwortlichkeit, Seinen Charakter zu tragen, um Ihn so in der Welt darzustellen, in der Er abwesend ist. Unter diesen Jüngern kann es falsche Bekenner geben, tote Reben, die man nur noch verbrennen kann.

Um der Belehrung dieses Abschnitts zu folgen, können wir uns drei Fragen stellen:

1. Worin besteht die Frucht, von der der Herr spricht?

2. Welche Mittel werden angewendet, damit die Jünger Frucht bringen?

3. Was ist die große Absicht beim Fruchtbringen?

Was also meint der Herr, wenn Er vom Fruchttragen spricht? Können wir nicht sagen, dass Frucht alles das in unserem Leben ist, was Gott wohlgefällt? Aber doch nur das in uns, was von Christus ist, kann zur Freude des Vaters sein. Daher können wir sagen: Frucht bringen bedeutet, dass das Wesen Christi im Leben Seiner Jünger widergespiegelt wird. Wir lesen in Galater 5,22: „Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit.“ Das sind genau die Qualitäten, die Christus auf Seinem Weg hier unten kennzeichneten und die den Ausdruck des Wohlgefallens des Vaters hervorriefen, denn die Stimme aus dem Himmel sprach: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ Frucht ist also nicht nur Predigen und Lehren oder Tätigkeit in verschiedenerlei Diensten; und in dieser Stelle geht es nicht einmal um Seelen, die durch die Predigt für Christus gewonnen wurden, sondern vielmehr um die schönen Eigenschaften Christi, die in solchen Seelen dargestellt werden. Leider ist es möglich, im christlichen Dienst sehr tätig zu sein und trotzdem im Leben sehr wenig vom Wesen Christi an den Tag zu legen, und daher nur wenig Frucht zum Wohlgefallen des Vaters zu bringen.

Lasst uns außerdem bedenken, dass das, was als Frucht zu Gott emporsteigt, als Zeugnis zu den Menschen ausgeht. Diese zwei Gedanken werden in den Worten des Herrn ausgedrückt: „Hierin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt, und ihr werdet meine Jünger werden.“ Das Leben, das den Vater verherrlicht und Sein Herz erfreut, wird zum Zeugnis gegenüber der Welt, dass wir Jünger Christi sind. Dass wir wirklich Seine Jünger sind, wird weit mehr durch ein bisschen Sanftmut und Freundlichkeit deutlich als durch noch so viel Tätigkeit. Marias stilles Vertrauen auf den Herrn, das sie zu Seinen Füßen sitzen und Seinen Worten
zuhören ließ, brachte eine Frucht, die Seine besondere Anerkennung fand. Wir sind nicht alle dazu berufen oder begabt, zu predigen oder zu lehren oder in mancherlei anderen Diensten tätig zu sein; aber es steht jedem
von uns offen – dem ältesten wie dem jüngsten Gläubi-
gen -, in unserem Leben die schönen Eigenschaften Christi darzustellen und so Frucht für den Vater zu bringen und ein Zeugnis für die Menschen zu sein. Christus ist nicht mehr persönlich auf der Erde, aber Gott wünscht, dass Christus weiterhin moralisch in Seinem Volk gesehen wird. In dem Maß, in dem das bei uns wahr ist, wird es Frucht und Zeugnis geben.

Wie wird denn nun Frucht im Leben der Jünger Christi hervorgebracht? Lasst uns zuerst die Worte des Herrn beachten: „Ich bin der wahre Weinstock“ (V. 1). Die Frucht des Weinstocks findet sich an den Reben, und die Reben können nur fruchtbar sein, wenn sie eine lebendige Verbindung zum Weinstock haben. Christus ist die Quelle des Lebens für den Gläubigen. Der natürliche Charakter kann zuzeiten viele liebenswerte Eigenschaften an den Tag legen, aber Er kann nicht die lieblichen Wesenszüge Dessen widerspiegeln, der sich selbst zu nichts machte, um anderen in Liebe zu dienen. Getrennt von Christus – der Quelle des Lebens – kann es keine Frucht für den Vater geben. Damit wir Frucht bringen, „mehr Frucht bringen“ und „viel Frucht“, gibt es nach den Worten des Herrn etwas, was der Vater tut, etwas, was Er selbst tut, und etwas, was wir tun können.

Als Erstes finden wir das Handeln des Vaters in Strafe und Züchtigung (V. 2). Dem Bild entsprechend gibt es Reben, die keine Frucht bringen. Ihre Verbindung mit dem Weinstock ist rein äußerlich, ein bloßes Bekenntnis ohne wirkliche Lebensverbindung zu Christus. Das erkennt man daran, dass sie keinerlei Frucht bringen. Solche nimmt der Weingärtner weg. Früher oder
später macht Gott ihren Zustand offenbar, und sie zählen nicht mehr dazu. Außerdem beschäftigt sich der Vater mit denen, die Frucht bringen, damit sie noch mehr Frucht bringen. Von diesen sagt der Herr: „Jede Rebe, die Frucht bringt, die reinigt er.“ So lesen wir in
Hebräer 12, dass der Vater uns züchtigt „zu unserem
Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden.“
Die Prüfungen, durch die wir gehen müssen, die Sorgen auf dem Weg, die Krankheiten, die über uns kommen, Trauer und Kränkungen, denen wir vielleicht ausge-
setzt sind, lässt ein Vater zu, der uns liebt, damit wir uns näher an Sein Herz schmiegen und damit in unseren Gedanken, Worten und Wegen Christus immer
mehr Gestalt gewinnt. So bringen wir Frucht, indem
wir etwas von den lieblichen Wesenszügen Christi sichtbar darstellen.

Zweitens gibt es etwas, was der Herr selbst tut, damit wir Frucht bringen (V. 3). Er wendet sich an die Jünger und sagt: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.“ Damit will Er sagen: Ihr seid nicht von denen, die der Vater wegnehmen wird, sondern von denen, die Er pflegen wird, denn sie waren schon rein. Durch Sein Wort hatte Jesus ihnen den Vater offenbart; dieses hatten sie angenommen und es hatte sie in lebendige Verbindung mit Jesus gebracht (vgl. Joh 17,8). Dementsprechend ist die Wirkung Seines Wortes auch heute noch.

Drittens gibt es neben der Beschäftigung des Vaters mit uns und dem gnädigen Dienst des Herrn für uns auch unseren Beitrag, der zu einem fruchtbaren Leben führen soll (V. 4.5). Wenn wir wünschen, dass unser Leben ein schöner, wenn auch schwacher Ausdruck der Lieblichkeit Christi werden soll, tun wir gut daran, die Worte des Herrn „bleibt in mir“ zu beherzigen. Was ist das Bedeutende an diesen Worten, die in diesen Versen so oft wiederholt werden? Schließen sie nicht eine
liebevolle und persönliche Abhängigkeit von Christus ein, die uns nahe bei Ihm bewahren wird und uns im Sonnenschein Seiner Liebe leben lässt? Es ist sehr
gesegnet, sich gegenseitig zu helfen und zu dienen, aber in Christus bleiben bedeutet nicht, von Dienst abhängig zu sein oder auf einen Diener des Herrn zu sehen, so richtig das zuzeiten ist. Es bedeutet, die Lebensverbindung mit Ihm praktisch auszuleben und in der Kraft zu handeln, die aus dieser Verbindung hervorgeht.

Die Braut im Hohenlied sagt: „Ich habe mich mit Wonne in seinen Schatten gesetzt, und seine Frucht ist meinem Gaumen süß.“ Wenn wir die lieblichen Eigenschaften, wie sie in Christus vollkommen dargestellt sind, betrachten, werden wir Freude daran haben. Und indem wir mit Ihm beschäftigt sind, werden wir selbst von dem gekennzeichnet werden, was unserem Gaumen süß ist. „Die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden wir verwandelt nach demselben Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2. Kor 3,18).

Lasst uns auch die Worte des Herrn beachten: „Außer mir könnt ihr nichts tun.“ Eine Wahrheit, die wir alle gut kennen, aber oft vergessen. Wir brauchen einander, wie dieser Abschnitt zeigt und viele andere Schriftstellen belegen, aber vor allem brauchen wir Christus, weil wir, was das Fruchtbringen angeht, außerhalb von Ihm nichts tun können.

Schließlich ermuntert uns der Herr, indem Er uns vorstellt, wie gesegnet es ist, Frucht zu bringen (V. 7-8):

1. Wenn wir in Christus bleiben und so die Wesenszüge Christi tragen, werden wir Seine Gesinnung haben, wie sie in Seinen Worten zum Ausdruck kommt, und auch in Seiner Gesinnung so beten können, dass unsere schwachen Gebete beantwortet werden.

2. Im Fruchtbringen werden wir den Vater verherrlichen, denn wir stellen ja das Wesen Christi dar, der der vollkommene Ausdruck des Vaters war.

3. Dadurch, dass wir die Wesenszüge Christi tragen, werden wir in der Welt Zeugnis davon ablegen, dass wir Seine Jünger sind. Wir werden in dieser Welt zu Zeugen von dem herrlichen Menschen in der Herrlichkeit werden. Der Herr sagt nicht: „Wenn ihr predigt, werdet ihr meine Jünger sein“, sondern: „Wenn ihr viel Frucht bringt.“ Das Zeugnis für den Herrn ist das Leben der Jünger. Es ist ein lebendes Zeugnis!

H. Smith

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2008, Heft 3, Seite 65

Bibelstellen: Joh 15, 1-8