Jesus in der Synagoge von Nazareth
(Lukas 4,13-30)
Der Herr Jesus war vom Geist in die Wüste geführt worden, wo Er mit dem Versucher zusammentraf. Jetzt führt der Geist Ihn nach Galiläa, damit Er dort Seinen Dienst der Liebe an den Menschen beginnen sollte. Dieser gehorsame Mensch, der den Feind besiegt hatte und in dem die Kraft des Heiligen Geistes durch nichts begrenzt wurde, war wahrhaft tauglich zur Verwirklichung der Gedanken Gottes in Bezug auf Sein irdisches Volk wie auch in Bezug auf jeden Menschen.
Den Menschen in Galiläa, dem Landstrich, der von den Juden gering geachtet wurde, erwies Jesus nun die Wohltaten, die Er vonseiten Gottes zu überbringen hatte. In den Synagogen lehrte Er das Wort Gottes, von dem Er selbst lebte und das dem Volk Befreiung verkündigte sowie das Mittel dazu. Und „die Kunde über ihn ging aus durch die ganze Gegend“ (V. 13.14).
So kam Er nach Nazareth, wo Er auferzogen worden war, aber nicht mehr wohnte, denn Kapernaum wird „seine eigene Stadt“ genannt (Mt 9,1; Mk 2,1). Dort ging Er nach Seiner Gewohnheit am Tag des Sabbats in die Synagoge. Man reichte Ihm die Buchrolle des Propheten Jesaja; die rollte Er auf und las die beiden ersten Verse
aus Kapitel 61: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen und Blinden das Augenlicht, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, auszurufen das angenehme Jahr des Herrn.“ Alle hielten die Augen auf den Herrn Jesus gerichtet, voll Erstaunen, den, der seine Kindheit bei ihnen verbracht hatte, am Platz eines Rabbiners oder Schriftgelehrten zu sehen, und noch mehr erstaunt,
als Er das Buch dem Diener zurückgab und dann zu ihnen sagte: „Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt.“ Tatsächlich hatten die Bewohner von Nazareth Den in ihrer Mitte, der der Gegenstand dieser Weissagung und noch vieler anderer war: „Den, von dem …
die Propheten geschrieben haben, Jesus, den Sohn des Joseph, den von Nazareth“ (Joh 1,45). Hätten sie Ihn nur erkannt und angenommen, was für eine Freude
hätten sie empfunden!
Bei der Ankündigung des Christus hatten die Propheten auch die Gerichte und die Segnungen angekündigt, die Er mit sich bringen würde. Auch diese Stelle bei Jesaja enthielt beides; aber beim Lesen brach Jesus ab vor den Worten „den Tag der Rache unseres Gottes“ (Jes 61,2). Der Herr brachte die Gnade und die Wahrheit – nicht aber das Gericht, das für später vorgesehen ist. Während Seines ganzen Lebens hier auf der Erde war Er der vollkommene Ausdruck der Worte, die
Er in Nazareth gelesen hat: der, den Gott mit dem Heiligen Geist gesalbt hatte, damit Er Sein Werk der Gnade vollbringen sollte. Diese Worte drücken die göttliche Liebe aus, die sich dem Menschen zuwendet, wie er fern von Gott den Folgen der Sünde zum Opfer gefallen ist.
Der Mensch zählt zu den Armen, denn er hat sich von Gott, der Quelle alles Guten, abgewandt. Als Gefangener seufzt er unter der Knechtschaft Satans und der Sünde. Er ist blind: Die Sünde verfinstert seinen Verstand und hindert ihn, zu sehen, wie Gott sieht. Er liegt in Finsternis wie ein rechtloser Gefangener, vom Unterdrücker in den Staub getreten und ohne Kraft sich zu verteidigen. Da sendet Gott Jesus in die Mitte der Menschen, damit Er ihnen Befreiung bringt und die Segnungen Seiner Herrschaft einführt: „das angenehme Jahr des Herrn“. Jesus macht die Armen, die Ihn annehmen, reich. Er befreit von der Knechtschaft Satans und der Sünde. Er macht fähig, im göttlichen Licht zu sehen, und befreit die Unterdrückten. Er gibt dem Sünder alles, was ihn auf ewig glücklich machen kann – aber man muss Ihn annehmen.
Und genau das taten die Leute von Nazareth nicht. Darin sind sie ein Spiegelbild des ganzen Volkes, das Ihm keinen besseren Empfang bereitete. Ganz erstaunt geben sie Ihm Zeugnis mit den Worten: „Ist dieser nicht der Sohn Josephs?“ Da Jesus ihre Gedanken kannte, sprach Er zu ihnen: „Ihr werdet allerdings dieses Sprichwort zu mir sagen: Arzt, heile dich selbst; alles, was wir gehört haben, dass es in Kapernaum geschehen sei, tu auch hier in deiner Vaterstadt.“ Dem stellt Er entgegen: „Wahrlich, ich sage euch, dass kein Prophet in seiner Vaterstadt willkommen ist“ (V. 23.24). Man sieht, dass es nicht genügte, die Wunder zu sehen und darüber verblüfft zu sein; man musste glauben, dass der verheißene Messias da war, der, von dem Jesaja geschrieben hatte.
Die Gnade, die Jesus brachte, war schon zu früherer Zeit bei den Nationen in Erscheinung getreten, als Israel wegen seines Götzendienstes unter den Gerichten Gottes stand. Mit noch mehr Berechtigung würde jetzt, da die Juden Jesus ablehnten, die Gnade zu den Nationen ausgehen. Elia war zu keiner Witwe in Israel gesandt worden, aber wohl zu einer Fremden, in Sarepta im Gebiet von Sidon. Ebenso gab es zur Zeit Elisas keinen geheilten Aussätzigen als nur Naaman, den Syrer, einen Heiden.
Die Juden verstanden sehr wohl die Bedeutung der Worte Jesu, aber statt Nutzen daraus zu ziehen, suchten sie von Wut erfüllt sich Seiner zu entledigen. Sie führten Ihn an einen schroffen Hang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, um Ihn hinabzustürzen. Aber der Herr ging einfach mitten durch die ganze Menge weg. Seine Stunde war noch nicht gekommen. Das Verhalten der Leute von Nazareth ist ein getreues Abbild vom Verhalten des ganzen Volkes Ihm gegenüber.
S. Prod’hom
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