Der Brunnen Beer-Lachai-Roi

(1. Mose 16,14; 24,62; 25,11)

Dieser Brunnen, der in der Heiligen Schrift dreimal erwähnt wird, spielte im Leben der Familie Abrahams eine große Rolle. Der Name Beer-Lachai-Roi bedeutet „Brunnen des Lebendigen, der mich schaut oder sich schauen lässt“. Allein die sinnbildliche Deutung dieses Namens ist schon von großer Schönheit, wenn wir das Wasser als ein Symbol des Wortes Gottes verwenden. Das Wort Gottes ist ja die Offenbarung Gottes an uns Menschen. Es zeigt uns aber auch, wer und was wir wirklich sind.

Zum besseren Verständnis sei kurz darauf hingewiesen, dass es damals in Palästina drei verschiedene Arten von Brunnen gab. Wo Menschen sich ansiedelten, wurde wegen des regenarmen Sommers nach Wasser gegraben, um dieses lebensnotwendige Mittel sicherzustellen. Auf diese Weise entstanden Grundwasser-Brunnen. Besonders geschätzt und wertvoll waren dabei solche Brunnen, die von einer Quelle gespeist wurden und deshalb sehr frisches Wasser lieferten. Darauf beruht die Bezeichnung „Brunnen lebendigen Wassers“ (z. B. in 1. Mo 26,19). Daneben war es weithin üblich, Regenwasser in so genannten Zisternen zu sammeln (vgl. dazu Jer 2,13).

Jesus hat für Seine geistlichen Belehrungen oft das Wasser symbolisch für das Wort Gottes oder für den Heiligen Geist verwendet. Im dritten Kapitel des Johannes-Evangeliums spricht Er von der neuen Geburt durch Wasser und Geist. Er meint damit das Wirken des Heiligen Geistes durch das Wort Gottes. In Kapitel 4 spricht der Herr mit einer Frau aus Samaria über die Gabe „lebendigen Wassers“. Dieses sollte im Menschen eine Quelle Wassers werden, „das ins ewige Leben quillt“. Damit meinte der Herr – was diese Frau sicher damals noch nicht verstand – die Kraft und Wirksamkeit des Heiligen Geistes, der zur Anbetung führt. Schließlich hören wir in Kapitel 7 die bedeutungsvollen Worte: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Dies aber sagte Er von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten“ (Joh 7,37-39). Glücklich darf sich jedes Kind Gottes schätzen, diesen Geist als Quelle der Kraft zu besitzen. Nicht nur der für immer gestillte Durst der Seele macht uns so glücklich, sondern auch die Tatsache, dass etwas von uns „ausströmen“ kann, entweder in Dankbarkeit zu unserem Gott hin oder als Segenskanal zu anderen Menschen.

Ein Diener des Herrn hat einmal bezüglich der Brunnen im Alten Testament gesagt: „Die Bilder des Alten Testamentes machen uns klar, worin Gott sich offenbart hat: in Seinem Wort. – Im Neuen Testament hat Gott dann durch dieses Wort selbst Seine ganze Herrlichkeit offenbart, sodass wir den Unsichtbaren sehen können, weil Er sich hat schauen lassen.“

Nach dieser kurzen Einführung wollen wir jetzt einige praktische Anwendungen in Verbindung mit dem Brunnen Beer-Lachai-Roi machen, diesem Brunnen lebendigen Wassers.

Ein „Wort zu seiner Zeit“ am Brunnen

Werfen wir zunächst einen Blick auf ein besonderes Ereignis im Leben Abrams (der Name Abraham wurde ihm erst später gegeben). Was war geschehen? Das fünfzehnte Kapitel des ersten Buches Mose schildert uns in eindrucksvoller Weise, wie Gott sich zu Abram wendet, um ihn im Glauben zu stärken. Abram beklagte seine Kinderlosigkeit und war deshalb niedergeschlagen. Ihn quälte die Frage, wer ihn „beerben“ sollte und wie die von Gott gegebenen Verheißungen in seinen Nachkommen erfüllt werden könnten: „Ich gehe ja kinderlos dahin, und der Erbe meines Hauses, das ist Elieser von Damaskus“ (1. Mo 15,2).

Gerade da ermutigt Gott ihn mit dem Versprechen, dass er einen Sohn bekommen sollte und dass seine Nachkommenschaft sehr zahlreich sein würde. Bekräftigt wurde diese Aussage durch das bedeutsame Wort: „Zähle die Sterne, wenn du sie zählen kannst! … So wird deine Nachkommenschaft sein!“ In der Tat, ein gewaltiges Wort: Er ist der allmächtige Gott, für den nichts unmöglich ist. Bei späterer Gelegenheit fügte Gott noch hinzu: „Ist für den Herrn eine Sache zu wunderbar?“ (Kap. 18,14).

Doch Abram ermüdete im Ausharren und machte einen großen Fehler. Wollen wir ihn darin verurteilen, da es bei uns doch oftmals auch so ist? Wohl kaum, nur möge der Herr uns davor bewahren, Gott ein „wenig nachhelfen zu wollen“, wie Abram es tat. Er folgte nämlich dem Rat seiner Frau Sarai, eine Verbindung mit ihrer Magd Hagar einzugehen. Hagar wurde schwanger, und die unausbleibliche Folge davon waren Kummer und Leid: Es kam zu ständigem Streit und Zank zwischen den Frauen. Für Abram muss es sehr schwer gewesen sein, diesen Unfrieden in seiner Familie mitzuerleben, zumal seine Frau jetzt ihm vorhielt, er trüge die Schuld an diesem Zustand. Gottes Wort schildert uns oft in eindrücklicher Weise, wer wir sind und wozu wir fähig sind. Und wo ist die Quelle von allem Übel? – „Arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verdorben ist es; wer mag es kennen?“ (Jer 17,9).

Bei alledem greift Abram nicht ein, sondern überlässt das Handeln Sarai mit dem Ergebnis: „Sarai behandelte Hagar hart, und sie floh von ihr weg“ (1. Mo 16,6). Doch wie der Bericht weiter zeigt, lässt Gott die Dinge nicht treiben: „Der Engel des Herrn fand sie an einer Wasserquelle in der Wüste auf dem Weg nach Sur. Und er sprach: Hagar, Magd Sarais, woher kommst du, und wohin gehst du? … Kehre zu deiner Herrin zurück und demütige dich unter ihre Hände.“ Danach versichert ihr der Engel, dass sie einem Sohn das Leben schenken würde. Sie sollte ihn Ismael (Gott hört) nennen, „denn der Herr hat auf dein Elend gehört“. Unter dem tiefen Eindruck dieser Begegnung und der Worte des Engels spricht sie dann diese schönen Worte aus: „Du bist der Gott des Schauens“, und weiter: „Habe ich nicht auch hier geschaut, nachdem er mich geschaut hat?“ Der Brunnen, an dem dieses Ereignis stattfand, wurde dann Beer-Lachai-Roi genannt (Kap. 16,14). Darin kommt die Tragweite des ganzen Geschehens zum Ausdruck.

Dieser Begebenheit können wir drei wichtige Belehrungen entnehmen. Erstens lernen wir in der bildlichen Anwendung – wie schon erwähnt -, dass Gott sich uns Menschen in Seinem Wort offenbart. Wohl zeigt uns Gott in Seiner Schöpfung etwas von Seiner Größe, aber Sein Wesen, Seine Gedanken und seinen Willen können wir nur in Seinem Wort erkennen. Zweitens sehen wir, dass vor Gottes Augen nichts verborgen ist und Er uns völlig kennt, unsere Umstände, unser Herz und – Er sei dafür gepriesen – auch unsere Not. Die Frage, die Er an Hagar richtete, spricht natürlich nicht von Unkenntnis, sondern entspringt Seinem liebenden Bemühen, ihr Herz und Gewissen zu erreichen. Drittens erkennen wir in der Zuwendung Gottes zu Hagar etwas von Seiner Barmherzigkeit. Ist es nicht tief beeindruckend, wie sich der gnädige Gott um eine verirrte Seele bemüht? Und in diesem Sinn handelt Er auch heute noch mit Menschen, die aufgrund ihres durch die Sünde verursachten traurigen Zustands „in der Wüste umherirren“. Möge niemand dieser ernsten Frage ausweichen: Woher kommst du, wohin gehst du?

Eine Begegnung zwischen Braut und Bräutigam
am Brunnen

Das 24. Kapitel des ersten Buches Mose schildert uns, wie der Knecht Abrahams ausgeht, um für den Sohn Isaak eine Braut zu werben und sie ihm zuzuführen. In diesem Vorgang erkennen wir im Licht des Neuen Testaments ein sehr schönes Vorbild auf Christus und Seine Versammlung (Gemeinde). Wir wollen jedoch auch hier eine praktische Anwendung machen.

Nehmen wir einmal Isaak als Bild eines jungen Gläubigen, der den Schritt in die Ehe vor sich sieht. Wir lesen hier von ihm: „Isaak war von einem Gang zum Brunnen Beer-Lachai-Roi gekommen … und er ging hinaus, um auf dem Feld zu sinnen beim Anbruch des Abends“ (Kap. 24,62.63). Es wird uns nicht gesagt, worüber er nachdachte, aber wir dürfen doch annehmen, dass seine Gedanken auf die erhoffte Begegnung mit der Braut gerichtet waren, die der Knecht Abrahams für ihn finden würde.

Die Schrift schildert uns die Unterredung, die Abraham mit dem Knecht hatte, als er ihn aussandte. Sie gewährt uns einen tiefen Einblick in das Herz Abrahams und zeigt uns, welche Motive ihn leiteten: Gottesfurcht, Weisheit und ein gewissenhaftes Beachten dessen, was Gott über den Ehebund gesagt hatte. Gott kannte das Herz und die Gedanken Seines „Freundes“ (so wird er später genannt), und so ist es nicht verwunderlich, dass Gott von ihm sagen konnte: „Ich habe ihn erkannt, dass er seinen Kindern und seinem Haus nach ihm befehle, damit sie den Weg des Herrn bewahren, Gerechtigkeit und Recht auszuüben“ (1. Mo 18,19). Das berechtigt uns zu der Annahme, dass er auch mit seinem Sohn Isaak über seine Pläne und sein Vorhaben gesprochen hat. Diese Haltung Abrahams ist eine eindrucksvolle Illustration eines göttlichen Grundsatzes: Im Zusammenleben von Menschen ist die Aufrechterhaltung von Ordnungen sehr wichtig, und das muss in unseren Häusern und Familien seinen Anfang nehmen. Unsere Kinder sollten mit Liebe unterwiesen werden, die Autorität des Vaters als von Gott gegeben anzuerkennen und den Gehorsam im Elternhaus zu lernen, im Gegensatz zur Welt, wo andere Grundsätze herrschen. Glücklich jedes Haus, wo das noch zu finden ist und sich zum Glück und Segen der Kinder auswirkt.

Obwohl die hier geschilderte „Brautwerbung“ damaligen Sitten entsprach und nicht buchstäblich auf unsere Zeit übertragen werden kann, ist sie doch „zu unserer Belehrung geschrieben“ worden. Was uns dabei tief beeindruckt, ist nicht so sehr die äußere Handlungsweise, sondern die von Gottesfurcht geprägte innere Haltung, mit der sie geschah.

Oft sind wir erschüttert und auch traurig darüber, wie weit heute bei Eheschließungen göttliche Grundsätze außer Acht gelassen werden, die doch mit dem Zweck gegeben wurden, den Menschen zu segnen und ihn in der Ehe glücklich zu machen. Aber wir freuen uns auch darüber, dass noch viele junge Menschen bereit sind, nach dem Willen Gottes zu fragen. Anders als Isaak müssen sie heute ihre Wahl selbst treffen und sich ihre Braut holen – nach dem Beispiel Christi, der aus der Herrlichkeit des Himmels auf die Erde kam und die Braut erwarb, die der Vater für Ihn „auserwählt“ hatte. Dieser Schritt erfordert Weisheit von oben, einen klaren Blick für die Führungen des Herrn und innere Übereinstimmung mit Seinem Willen, wie wir sie nur in steter Gemeinschaft mit Ihm gewinnen können. Deshalb können wir unseren jungen Freunden, die vor solch einem entscheidenden Schritt stehen, nur empfehlen: Geht „an den Brunnen“ und zu Dem, der „sich schauen lässt“, das heißt, Euch Seine Gedanken kundtut und „der Euch sieht“, das will sagen, der genau weiß, was in euren Herzen vorgeht.

Das „Ruhen“ am Brunnen

Wir kommen jetzt zur letzten Erwähnung des Brunnens. In 1. Mose 25,11 heißt es: „Und Isaak wohnte beim Brunnen Lachai-Roi.“ Eine kurze Notiz, aber sie enthält doch eine wertvolle Belehrung.

Dieses Kapitel berichtet uns von dem Tod Abrahams. Seine Söhne Isaak und Ismael begraben ihn, und danach trennen sich ihre Wege. Soweit wir wissen, ist Isaak immer im Land geblieben, und er wohnte wie gesagt am Brunnen Lachai-Roi, während Ismael seinen Wohnsitz weiter östlich nahm. Der Vater Abraham hatte vor seinem Tod lange Jahre in glücklicher Gemeinschaft mit seinem Gott unter den Terebinthen Mamres gewohnt. Dort konnte Gott ihn auch besuchen, wie uns Kapitel 18 berichtet. Und der Hebräerbrief schildert uns, dass er sich im Land wie in einem fremden aufhielt und mit Isaak und Jakob in Zelten wohnte. Abraham wollte also nicht auf der Erde sesshaft werden, er wusste und glaubte an „das Bessere“, das Gott für ihn vorgesehen hatte. Mit anderen Worten: Er verwirklichte im Glauben, dass er auf der Erde keinen Ruheplatz hatte, aber er „ruhte in Gott“.

Isaak wohnte also wie sein Vater – wir dürfen wohl sagen mit seiner Frau – im Land und am Brunnen. Aus diesem Bericht möchten wir in der bildlichen Anwendung etwas zur Beherzigung für uns lernen. Denken wir jetzt noch einmal an das bereits zitierte Wort: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, … aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Obwohl der Herr hier, wie schon erwähnt, vom Heiligen Geist redet, so hat doch dieses Wort eine weitreichende und tiefe Bedeutung für unser tägliches Leben. Wir wissen, dass Wasser für das pflanzliche wie auch für das menschliche Leben ein unentbehrliches und wichtiges Element ist. Diese Tatsache wird in der Schrift als Bild für die Bedürfnisse der Seele des Menschen gebraucht. Wir müssen zu Jesus gehen und trinken, und wir werden dann erleben, wie uns dieses Wasser erfrischt, aber auch dass dann „lebendiges Wasser“ zu anderen ausströmt. Natürlich muss jeder für sich dieses Wasser trinken. Aber es ist besonders für gläubige Väter eine wichtige Aufgabe, mit Christus beschäftigt zu sein, um dann ein Segenskanal für die ganze Familie zu werden.

In diesem Zusammenhang sei noch auf eine Handlung Isaaks hingewiesen, die uns zeigt, wie das Beispiel von Vätern Auswirkungen auf das Verhalten der Kinder hat. In 1. Mose 26 heißt es: „Und Isaak grub die Wasserbrunnen wieder auf, die sie in den Tagen seines Vaters Abraham gegraben und die die Philister nach dem Tod Abrahams verstopft hatten; und er benannte sie mit denselben Namen, womit sein Vater sie benannt hatte. Und die Knechte Isaaks gruben im Tal und fanden dort einen Brunnen lebendigen Wassers“ (V. 18.19). Einige Verse weiter heißt es dann, dass er noch einen anderen Brunnen grub und ihm den Namen Rechoboth gab. Dieser Name bedeutet „Raum“ und wurde gewählt, weil Gott Isaak und seinen Knechten jetzt „Raum geschaffen“ hatte gegenüber dem Neid der Hirten von Gerar (der Philister), so dass der Weg zu weiterem Segen nun frei war.

Ist es nicht interessant, dass unmittelbar nach dieser Tätigkeit des Grabens berichtet wird, wie Gott Isaak erscheint und zu ihm spricht: „Ich bin mit dir, und ich werde dich segnen“ – und dass Isaak daraufhin dort einen Altar baute und den Namen des Herrn anrief? Erkennen wir darin nicht ein Resultat des Grabens? Nun, das Graben von Brunnen gehört zur „Wüste“, wo es Hindernisse zu überwinden gilt. „Im Land“ fließt das Wasser ungehindert, so wie Gott es gibt. Aus 5. Mose 8,7 erfahren wir, dass Gott in Seiner Güte das Volk in ein Land von „Wasserbächen, Quellen und Gewässern“ bringen wollte. Graben aber kostet Überwindung, bedeutet Mühe und Arbeit. Jedoch gilt auch hier: „Kostbares Gut eines Menschen ist es, wenn er fleißig ist“ (Spr 12,27).

Der Herr Jesus hat einmal gesagt: „Ihr erforscht die Schriften, denn ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und sie sind es, die von mir zeugen“ (Joh 5,39). So lasst uns denn bei Ihm, der „Quelle lebendigen Wassers“, bleiben. Wie groß wird uns der Herr, wenn wir Ihn so erleben! Mit Recht sagt der Dichter:

Du bist der Quell, der ewig quillt,

die Fülle, die das Herz nur stillt.

W. Runkel

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2010, Heft 10, Seite 291

Bibelstellen: 1Mo 16, 14; 1Mo 24, 62; 1Mo 25, 11

Stichwörter: Beer-Lachai-Roi