Ehre deinen Vater und deine Mutter

Der Apostel Paulus weist die Epheser darauf hin, dass die Aufforderung „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ das „erste Gebot mit Verheißung“ ist. So finden wir es denn auch in der Aufzählung der Gebote in 2. Mose 20,12, wo die Verheißung lautet: „… damit deine Tage verlängert werden in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.“ Hier erkennt man, dass Gott dem Israeliten, der dieses Gebot befolgte, einen lange anhaltenden, ausgiebigen Genuss der Segnungen des Landes Kanaan schenken wollte. Und das ist auch der Gedanke bei der Anführung im Epheserbrief, nur dass es sich hier um das himmlische Kanaan handelt, in das die Gläubigen schon jetzt „in Christus“ versetzt sind. Ein langes Leben im Genuss der himmlischen Segnungen – das ist hier gemeint und nicht etwa ein möglichst ausgedehntes Erdendasein. Wer die Segnungen des Himmels kennt, wird sich immer auch danach sehnen, bald mit Christus dort zu sein. Etwas anderes läge völlig außerhalb des Gesichtskreises dieses Briefes.

Als Kinder sollen wir unseren Eltern „gehorchen“, einfach weil das „recht ist“ (Eph 6,1). Aber als Erwachsene, wenn wir nicht mehr „gehorchen“ müssen, sollen wir sie weiterhin „ehren“. Und wer seine Eltern in Ehren hält, wird auch über ihren Tod hinaus nichts tun oder sagen, was einen Schatten auf ihre Vergangenheit wirft, selbst wenn es da etwas zu beklagen gibt.

Auf diesem Hintergrund wollen wir einen kurzen Ausschnitt aus dem Leben Jakobs betrachten, der uns warnend zeigt, was für ein leidvolles Familienleben die Folge sein kann, wenn es an diesem Verhalten mangelt.

Gott selbst hatte Liebe zu Rahel in das Herz Jakobs gelegt (1. Mose 29,15-30). Er ist der Einzige in der ganzen Schrift, von dem es dreimal heißt, dass er seine Frau liebte. Das hat Jakob dadurch bewiesen, dass er bereit war, sieben Jahre für sie zu dienen und noch ein zweites Mal sieben Jahre hinzuzufügen. So sehr liebte er sie, dass es bei den ersten sieben Jahren heißt: „Und sie waren in seinen Augen wie einzelne Tage, weil er sie liebte“ (V. 20). Das erinnert uns an die 15 Tugenden der Liebe, die in 1. Korinther 13 genannt werden, unter denen es heißt, dass die Liebe alles erträgt, ja alles erduldet (V. 7).

Bei Jakob zeigt Gott uns sein schweres Fehlen, besonders seinem Vater Isaak gegenüber, aber auch beispielhafte Treue auf seinem weiteren Lebensweg, ganz besonders in seiner Beziehung zu Rahel. Nicht umsonst sagt Salomo: „Ein treuer Mann hat viele Segnungen“ (Spr 28,20).

In der Begebenheit von 1. Mose 31,30-44, der wir uns jetzt zuwenden, handelt Jakob in absoluter Überzeugung, aber seine Aussage ist maßlos übersteigert: „Bei wem du deine Götter findest, der soll nicht am Leben bleiben“ (V. 32). Müssen wir nicht an uns selbst denken, dass auch wir leicht unbesonnen reden? Hier zeigt uns der Geist Gottes, wie gefährlich das ist und welche Folgen daraus entstehen können. Jakob ahnte tatsächlich nicht, dass Rahel ein Geheimnis vor ihm hatte und so an den Hausgötzen ihres Vater hing, dass sie sie gestohlen hatte.

In der ganzen Geschichte Jakobs finden wir die Ernte aus dem schrecklichen Betrug im Haus seines Vaters. Dazu gehört auch diese Begebenheit. Wir lesen ab Vers 33, wie Laban sämtliche Zelte durchsuchte und nichts fand. Zuletzt kam er in das Zelt Rahels. Die aber hatte die Hausgötzen genommen, sie in den Kamelsattel gelegt und sich darauf gesetzt. Mit dem Vorwand: „Mein Herr möge nicht zürnen, dass ich nicht vor dir aufstehen kann; denn es ergeht mir nach der Weise der Frauen“, betrog sie Laban. So fand er auch hier nichts. Da wurde Jakob zornig, weil er sich unschuldig wähnte, und stritt mit Laban.

Rahel hatte sowohl Laban als auch Jakob betrogen. Wusste sie etwas davon, was im Haus Isaaks und Rebekkas einst geschehen war, als Jakob seinen Vater mehrfach in der schändlichsten Weise belog? In welcher Heuchelei sehen wir sie hier selbst vor ihrem Vater!

Rahels Platz war nach dem Willen Gottes der der Unterordnung unter ihren Mann. Sie hatte seine Liebe und Fürsorge genossen und war bei ihm völlig geborgen. Doch sie verließ ihre Stellung und fehlte sehr. Wahre Gottesfurcht, Ehrfurcht vor Seinem Willen, ein dankbares Herz für die Liebe ihres Mannes, all das hätte sie davor bewahrt, ein Geheimnis vor ihrem Mann zu haben, und das wegen eines nichtigen Götzenbildes.

Laban fand nichts, doch vor den Augen Gottes war alles bloß und aufgedeckt. „Kein Geschöpf ist vor Ihm unsichtbar“, auch nicht die „Götzen“, die wir vielleicht selbst in unserem Leben dulden. Darum lässt Er uns durch Johannes am Ende seines ersten Briefes sagen: „Kinder, hütet euch vor den Götzen.“ Wie nötig ist es, dass wir diesen Vers beachten. Wie viel Herzeleid können wir uns dadurch ersparen!

Werfen wir noch einen Blick auf bessere Tage im Leben Rahels: Wie berührt uns das Wort in Kapitel 30,22: „Und Gott gedachte an Rahel, und Gott erhörte sie und öffnete ihren Mutterleib. Und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn; und sie sprach: Gott hat meine Schmach weggenommen! Und sie gab ihm den Namen Joseph (das ist: er füge hinzu, oder er nimmt (nahm) weg)“. Vielleicht dürfen wir zwischen den Zeilen erkennen, mit welcher Sorgfalt nicht nur Jakob, sondern auch seine Mutter diesen Joseph erzogen haben.

Die Geschichte Josephs gehört zu den besonderen des ganzen Wortes Gottes. Seine Gottesfurcht zeichnete ihn aus und Wunderbares wird uns von ihm berichtet, der immer entschieden auf der Seite seines Gottes stand und sich nicht zur Sünde verführen ließ. Er durfte ein leuchtendes Vorbild auf den Herrn Jesus selbst hin sein. Von Jugend auf hat uns sein Lebensbild beeindruckt. Wir wollen aus seiner Geschichte nur einen Vers herausgreifen: „Und sein Herr sah, dass der Herr mit ihm war und dass der Herr alles, was er tat, in seiner Hand gelingen ließ“ (1. Mose 39,3).

Kommen wir noch einmal zurück auf Rahel. Schon bei der Geburt Josephs hatte sie den Wunsch geäußert: „Der Herr füge mir einen anderen Sohn hinzu!“ (Kap. 30,24). Dieser Wunsch ging in Erfüllung – aber unter bewegenden Begleitumständen. Bei der Geburt ihres zweiten Sohnes Benjamin lesen wir in Kapitel 35,16: „Und sie brachen auf von Bethel. Und es war noch eine Strecke Landes, um nach Ephrath zu kommen, da gebar Rahel, und es wurde ihr schwer bei ihrem Gebären. Und es geschah, als es ihr schwer wurde bei ihrem Gebären, da sprach die Hebamme zu ihr: Fürchte dich nicht, denn auch dieser ist dir ein Sohn! Und es geschah, als ihre Seele ausging (denn sie starb), da gab sie ihm den Namen Benoni; sein Vater aber nannte ihn Benjamin.“ (Benoni – Sohn meiner Not oder Sohn meines Schmerzes; Benjamin, das ist Sohn der Rechten, d. h. des Glücks.)

„Und Jakob richtete über ihrem Grab ein Denkmal auf, das ist das Grabmal Rahels bis auf diesen Tag“ (V. 20).

„… der soll nicht am Leben bleiben“, hatte Jakob einst unbesonnen gesagt. Nun erfüllte sich dieses Wort: Er verlor die Frau, die er so liebte und für die er alles an Einsatz über die vielen Jahre geleistet hatte, einfach weil er sie liebte. Der Schmerz um seine geliebte Rahel wird ihn nicht verlassen haben. Nicht umsonst beginnt 1. Mose 37: „Dies ist die Geschichte Jakobs: Joseph …“

Zwar liebte Jakob alle seine Söhne und seine Tochter Dina, aber wie wurde seine Vaterliebe von Joseph in so besonderer Weise beantwortet; das können wir klar erkennen. Vielleicht kann man sagen, dass in der Person Josephs die Geschichte Jakobs sich mit der Rahels vereint, vor allem am Ende, als der totgeglaubte Joseph die Krönung der Geschichte beider wird.

Für uns alle bleibt die liebevolle Aufforderung unseres gütigen Gottes und Vaters: „Ehre deinen Vater und deine Mutter …“ Das gilt auch noch, wenn Vater und Mutter nicht mehr leben; aber das von ihnen gelebte Leben bleibt unser Anschauungsunterricht, den Gott uns nicht umsonst gibt. Dieses Vorrecht haben solche nicht, die Vater und Mutter nicht gekannt oder früh verloren haben; umso dankbarer sollten alle sein, die es haben. Gewiss, kein Vater ist vollkommen und keine Mutter. Wir lernen aus dem Guten ihres Lebens und natürlich auch aus ihren Fehlern und erkennen, dass wir alle oft straucheln, wie Jakobus uns in seinem Brief sagt.

Geheimnisse voreinander können in einer Ehe eine ernste Gefahr bedeuten. Harmonie in Gottesfurcht führt zur Bewahrung und Erhaltung der von Gott geschenkten glücklichen Beziehungen.

Der letzte Satz im 1. Johannesbrief lautet: „Kinder, hütet euch vor den Götzen!“ Der hohe Wert dieser Aufforderung wird auch im Leben Rahels offenbar. Denken wir daran, dass alles im Leben, in das wir den Herrn nicht einbeziehen wollen oder können, zu einem Götzen für uns werden kann.

E. W. Bremicker

Einordnung: Ermunterung + Ermahnung, Jahrgang 2010, Heft 4, Seite 98

Bibelstellen: 1Mo 31, 30-44

Stichwörter: Ehre, Eltern